Protocol of the Session on June 21, 2006

Wo sind wir denn eigentlich? Ich hätte von Herrn Brandt erwartet, dass er sich von dem Grußwort seines Bundesvorsitzenden distanziert.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wenn sich irgendein Land auf dieser Welt kritisch mit seiner Vergangenheit auseinander setzt, dann ist es Deutschland. Die Relationen müssen aber gewahrt bleiben. Ausfälle dieser Art versteht im Ausland kein Mensch. Man kann es mit der gesamtgesellschaftlichen Identitätskrise auch übertreiben.

In der GEW-Broschüre heißt es: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Auch wir Deutschen müssen uns verändern, wenn der Integrationsprozess gelingen soll. - Einverstanden! Das heißt aber auch, dass wir unsere Identität annehmen müssen, damit wir eine Grundlage für Integration haben. Das geschieht gerade in Deutschland auf eine ausgesprochen positive Art und Weise, die von der Welt mit Freude zur Kenntnis genommen wird.

Tröstlich ist: Die meisten GEW-Mitglieder denken anders als ihre Funktionäre. Eine einfache Entschuldigung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist zu billig. Solch ein Vorwort ist lange vorbereitet und durchdacht und in diesem Fall komplett deplatziert.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Für die Landesregierung hat sich Herr Minister Busemann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

(Zuruf von der SPD: Jetzt kommt der Dienstherr!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Irgendwo raunt jemand: „Jetzt kommt der Dienstherr!“ Wenn Sie das so verstehen, dann ist das vielleicht gar nicht falsch. Denn der Dienstherr hält das für einen ganz gravierenden Vorgang, was auch Auswirkungen auf unsere Schulpolitik, auf den Schulalltag hat. Ich will Ihnen das auch darlegen.

Ich trete hier nicht an, um mich gewaltig mit Gewerkschaften oder mit der GEW auseinander zu setzen. Ich habe da auch nicht unbedingt Ratschläge zu erteilen. Mir ist aber vor zwei Tagen ein ganz interessanter Artikel im Focus aufgefallen, der mit „Miesmacher von der GEW“ überschrieben ist. Herr Markwort führt darin aus: „Die GEW... ist eine Organisation, in der sich problematische Eigenschaften von Lehrern und Gewerkschaftern vereinigen und verdoppeln.“

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Markwort! Damit mir niemand Verallgemeinerung, Vorurteile oder gar Diskriminierung vorhält, beteuere ich aus Überzeugung und Erfahrung, dass es großartige Lehrer und tüchtige Gewerkschafter gibt.

Genau an diesem Punkt trete ich an, meine Damen und Herren. Ich bin seit acht Jahren - wie man hoffentlich merkt - der Bildungspolitik verschrieben. Früher war auch manches Vorurteil im Lande unterwegs. Ich bin seit über drei Jahren Minister. Ich darf Ihnen sagen: Wir haben über 80 000 Lehrerinnen und Lehrer und Referendarinnen und Referendare im Schuldienst. Die große Masse macht hervorragende Arbeit und ist Tag für Tag dabei, alle Vorurteile zu widerlegen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie nehmen Belastungen auf sich, sie nehmen politische, strukturelle Neuerungen auf sich, um die Schule - was wir ja wissen - besser zu machen. Ich erwarte auch von der GEW, wenn sie solche Erklärungen abgibt, dass sie mit geklärten Geschichtskenntnissen überall und zweifelsfrei auftritt und nicht diffus irgendwelche andere Richtungen vertritt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn man dann richtig auf die Nase gefallen ist, sagt man: Ja, wir entschuldigen uns; aber es muss über das Thema doch noch wieder geredet werden. - Das heißt, man hat nichts begriffen und wird möglicherweise in einem Vierteljahr mit ähnlichem Gedankengut wieder antreten. Da müssen wir der GEW und denen, die so denken und so reden, sagen: Schluss damit, ihr macht unheimlich viel in unserem Schulwesen und an unseren Schulen kaputt.

Eine Erkenntnis aus PISA ist im Übrigen, dass diejenigen Länder die besten schulischen Erfolge zu verzeichnen haben, in denen der Lehrerberuf die höchste Anerkennung aus dem Volke, aus der Politik erfährt. Da ist etwas, was wir möglicherweise miteinander in Ordnung bringen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Alle miteinander ringen wir in der Politik darum. Dass das Lehrerimage nicht unproblematisch ist, wissen wir. Aber ich finde, die ganze Lehrerschaft bundesweit wie auch gerade in Niedersachsen ist in diesen Tagen dabei, das Schritt für Schritt zu verbessern. Die schuften richtig - das wissen Sie alle in diesen Tagen - und haben solche Attacken nicht verdient.

Also darf ich auch von der GEW erwarten, dass man PISA verstanden hat und nicht den Lehrerberuf wieder so in Misskredit geraten lässt, wie es jetzt passiert ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir ringen Tag für Tag darum, dass wir Lehrernachwuchs gewinnen. Warum haben denn junge Leute u. a. ein Problem, Lehrer werden zu wollen? Sie sagen nämlich: Wenn da solche sind, dann will ich gar nicht dazu gehören. - Aber wir brauchen junge Lehrer, und wir werben um junge Lehrer. Wir machen die Ausbildung, und wir haben die Planstellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber das konterkariert alle Bemühungen der letzten Jahre. So gesehen, hat die GEW dem eigenen Berufsstand einen Wahnsinnsschaden zugefügt und den tausenden, die ordentliche Arbeit machen, im Grunde genommen auch einen persönlichen Schaden zugefügt. Ich hoffe, dass man das wieder in Ordnung bringen kann.

Die GEW steht mit der deutschen Geschichte auf dem Kriegsfuß. Vielleicht erinnert sie sich aber auch einmal an die eigene Geschichte. Da das Kultusministerium ebenso wie alle anderen Ministerien ein gut geführtes Ministerium ist, haben wir in alten Unterlagen gefunden, wie sich die GEW vor 46 Jahren verstanden hat. Da haben wir noch einen Poststempel der GEW aus Hamburg: „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“. Vielleicht fängt man damit wieder einmal an. - Danke schön.

(Heiterkeit und starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor. Ich stelle fest, der Tagesordnungspunkt 1 a) ist erledigt.

(Unruhe)

- Wenn sich alle beruhigt haben, rufe ich auf

b) Werte im Wandel - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/2964

Zu Wort gemeldet hat sich von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Wenzel. Sie haben das Wort!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland ist im Achtelfinale - dank Miroslav Klose, der seine Kindheit in Polen verbracht hat, dank David Odonkor, dessen Vater aus Ghana stammt, und dank Neuville, der in der Schweiz geboren ist.

(Präsident Jürgen Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Es ist gut, meine Damen und Herren, wie das Ereignis Fußballweltmeisterschaft bislang gefeiert wird. Alle haben gute Laune, überall Schwarzrotgold. Warum auch nicht? Es ist die deutsche Fahne, und wir sind Gastgeber.

Es liegt keine Gewalt in der Luft. Kein aggressiver Nationalismus bricht sich Bahn, sondern ein fröhlich gelassener weltoffener Patriotismus weht über das Land.

Diese WM gehört den toleranten, fröhlichen und weltoffenen Deutschen und ihren Gästen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Meine Damen und Herren, aber auch manch Konservativer erfährt zurzeit, dass das Land viel moderner, weltoffener, toleranter und auch gelassener geworden ist, als ihm viele nachgesagt haben. Es ist auch gefühlvoller geworden. In einer Zeitung war sogar von einem „Sommer der Liebe“ die Rede. Wer glaubt noch daran in Niedersachsen 39 Jahre nach Woodstock?

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, die Debatte in Gesellschaft und Wissenschaft über veränderte Werte und sich wandelnde Moralbegriffe war zu allen Zeiten heftig. Die Konservativen sahen im Wertewandel, der mit den gesellschaftlichen Bewegungen der späten Sechziger eingeleitet wurde, schlicht den kontinuierlichen Werteverfall. Die Kritiker dieser konservativen Auslegung verstanden Wertewandel dagegen als zentrale Voraussetzung für Fortschritt in modernen Gesellschaften. Und die Geschichte hat Letzteren Recht gegeben.

Selbstentfaltung, Toleranz und Freiheit als zentrale Wertvorstellungen sind längst zum Schlüssel für das Funktionieren unserer Gesellschaft geworden. Umso kurioser ist, dass das selbsternannte bürgerliche Lager in unserem Land noch immer einen Wertekanon hoch hält, der in vielen Teilen nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmt und selbst von vielen derjenigen nicht mehr gelebt wird, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, die ihn mit ihren eigenen politischen Entscheidungen immer noch propagieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Am deutlichsten wird das in der Familienpolitik. Es ist unglaubwürdig, sich gegen die Homoehe auszusprechen, wenn in den eigenen Reihen längst bekennende Homosexuelle an exponierter Stelle Politik machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Es ist unglaubwürdig, meine Damen und Herren, gegen die Abschaffung des Ehegattensplittings zu agitieren und so zu tun, als gebe es in den eigenen

Reihen keine allein erziehenden Mütter und Väter, keine unehelichen Kinder und keine Patchworkfamilien.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Es ist unglaubwürdig, die Ehe als Wert an sich zu betrachten, sich aber selbst den Fährnissen des Lebens wie Partnerwechsel oder Scheidung nicht entziehen zu können.

Meine Damen und Herren, Sie, die Konservativen, leben doch das Familienbild, das Sie anderen durch Ihre Familienpolitik verordnen wollen, selbst nicht mehr.