Protocol of the Session on March 22, 2006

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Jetzt fordern die SPD und die Grünen, dass Kinder in Kindertagesstätten verbindlich ärztlich untersucht werden. Sie lehnen den Gesetzentwurf ab,

weil dort eine Mitwirkung der Erziehungsberechtigten an den Schuleingangsuntersuchungen nicht verpflichtend geregelt ist.

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Da waren wir doch einer Meinung, Herr Böhlke!)

Meine Damen und Herren, das ist vor dem Hintergrund der Konnexität, vor dem Hintergrund der großen Handlungsspielräume der regionalen Besonderheiten deutlich diskutiert worden. Wir kamen zu dem Ergebnis - auch unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände -, dass eine derartige verpflichtende und verbindliche Regelung keinesfalls im Gesetzentwurf mit berücksichtigt werden sollte; denn letztlich kann es sich hierbei nur um einen Appellcharakter handeln. Für uns kommt es nicht in Frage, diesen im Gesetzestext aufzunehmen.

Meine Damen und Herren, trotzdem werden wir sicherlich weiterhin darum bemüht sein, dem Kinder- und Jugendschutz und der Gesundheit dieses Personenkreises in besonderer Weise Aufmerksamkeit zu schenken. Das wird mit diesem Gesetz deutlich.

Ich meine, wer in den Jahren von 1990 bis 2003 - also 13 Jahre Regierungsverantwortung - eine Modifizierung des ÖGD nicht gesetzlich neu regeln konnte oder wollte, wem es nicht gelungen ist, ein entsprechendes neues Gesetz zu backen, der kann als Opposition zwar alle optimalen Zielvorgaben fordern, er wird aber an seinen früheren Taten bzw. an dem, was durch Nichthandeln deutlich gemacht worden ist, gemessen.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir lassen uns selbstverständlich an diesen aufgrund der heutigen Beschlusslage vereinbarten Zielen messen und stellen fest: Mit diesem Gesetz wird ein gut funktionierendes, ein bedarfsgerechtes niedersächsisches öffentliches Gesundheitssystem rechtlich abgesichert. Es wurde Zeit, und es ist gut so. Wir möchten hierbei um Ihre Unterstützung werben. Ich denke, die Dinge sind im Ausschuss ausführlich besprochen worden. Geben Sie grünes Licht für diese Gesetzesänderung. Der Ansatz, der auch durch den Bericht der Berichterstatterin dargestellt worden ist, macht deutlich, dass diese Dinge ausführlich behandelt und berücksichtigt worden sind und durch den Gesetzestext getragen werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächster Redner ist Herr Schwarz von der SPDFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Deutschland wird viel über gravierende Fehlentwicklungen bei der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen diskutiert. Schlagworte wie Bewegungsmangel, Fastfood, Fehlernährung, Übergewicht, aber auch Entwicklungsrückstände und Vernachlässigungen stehen im Zentrum der Auseinandersetzung. Vor unseren Augen entstehen die Volkskrankheiten von morgen.

Wir verfügen kaum über Basisdaten, weil z. B. die Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern nicht ausgewertet werden. Der erste und bisher einzige Kinder- und Jugendgesundheitsbericht in Niedersachsen, noch unter der SPD-Landesregierung erstellt, basiert auf den Erkenntnissen der Schuleingangsuntersuchungen. Eine umfassende Gesundheitsberichterstattung wäre zwingend notwendig, damit der Gesetzgeber vorbeugend tätig werden kann. Wir brauchen dringend ein Frühwarnsystem, um Entwicklungsrückstände bei Kindern rechtzeitig erkennen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, etwa in Finnland werden Kinder im ersten Lebensjahr achtmal, im zweiten Lebensjahr viermal und danach bis zur Einschulung jährlich durch den öffentlichen Gesundheitsdienst untersucht. Die Finnen interpretieren diese staatliche Fürsorge keinesfalls als lückenlose Überwachung oder Einmischung, sondern als Chance für die gesunde Entwicklung des Kindes und damit auch als staatliche Zukunftsinvestition.

Meine Damen und Herren, zu Beginn der umfangreichen Gesetzesberatung war die Schaffung eines zukunftsweisenden, modernen Gesundheitsdienstgesetzes noch unser gemeinsamer Anspruch. Im Mittelpunkt sollte dabei die Kinder- und Jugendgesundheit stehen. Was die Koalition allerdings in der Schlusslesung aus dem Gesetzentwurf gemacht hat, ist nach unserer Auffassung skandalös, geht noch hinter die alte Praxis zurück und missachtet sämtliche in der Anhörung vorge

tragenen Vorschläge insbesondere der medizinischen Fachleute.

(Beifall bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Das stimmt überhaupt nicht!)

Eindringlich haben die Kinder- und Jugendärzte, die Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die Ärztekammer und der Präsident des Landesgesundheitsamtes deutlich gemacht, dass Schuleingangsuntersuchungen verbindlich festgeschrieben und vor allem dass diese Untersuchungen nach anerkannten fachlichen Anforderungen einheitlich durchgeführt werden müssen. Vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst wurde ein entsprechender Formulierungsvorschlag vorgelegt.

Sowohl bei der ganztägigen Anhörung im Fachausschuss als auch bei einer Veranstaltung der SPD-Fraktion wurde deutlich, dass Entwicklungsrückstände von Kindern am besten im Kindergartenalter erkannt und korrigiert werden können. Aufgrund der engen Beziehungen zwischen den Kindern und ihren Erzieherinnen können im Kindergarten vor allem Misshandlungen erkannt werden, weil die Erzieherinnen die Kinder häufig noch auf die Toilette begleiten. Auf unseren Antrag hin hat der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst die folgende Formulierung vorgeschlagen:

„Die Landkreise und kreisfreien Städte können Kinder im Kindergartenalter zur Teilnahme an ärztlichen Untersuchungen verpflichten.“

Diese Formulierung wäre ein klares Signal des Gesetzgebers gewesen, ohne dass dadurch Konnexität ausgelöst worden wäre.

Meine Damen und Herren, all diese Vorschläge sind nach intensiven Beratungen auf der Zielgeraden von der CDU-Fraktion vom Tisch gefegt worden. Wieder einmal ist deutlich geworden, dass die Sozialpolitik in den Reihen der Koalition keinen Stellenwert hat.

(Beifall bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Das stimmt doch gar nicht! Was haben wir denn beschlossen?)

Die zuständigen Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker geben im Ausschuss wohlklingende Erklärungen ab. Aber ihr Durchsetzungsvermögen in der eigenen Fraktion ist hinterher gleich null.

(Beifall bei der SPD - Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Das ist doch Unsinn!)

Meine Damen und Herren, die Jugendministerkonferenz hat am 12. Mai 2005 mit der Stimme der damaligen Ministerin Frau von der Leyen Folgendes gefordert: Erstens Konzepte einer flächendeckenden Zusammenarbeit zwischen dem Kinderund Jugenddienst und dem öffentlichen Gesundheitsdienst, zweitens die Festlegung kinderspezifischer Standards medizinischer Vorsorgeleistungen, drittens die Weiterentwicklung und Verknüpfung der regionalen Gesundheitsberichterstattung und viertens die Aktivierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes für aufsuchende Vorsorgeangebote. Nichts von den Punkten, die Frau von der Leyen mitbeschlossen hat, findet sich in diesem Gesetzentwurf wieder.

Meine Damen und Herren, von der jetzigen Sozialministerin Frau Ross-Luttmann gibt es bisher kaum inhaltliche Vorschläge. Eine der ganz wenigen Festlegungen von ihr war in der Pressemitteilung vom 21. Februar 2006 zu finden. Dort hatte die Sozialministerin die Absicht bekundet, über das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst ab dem Jahr 2007 alle Kinder in Niedersachsen zu Schuleingangsuntersuchungen zu verpflichten. Aufgrund dieser Aussage der Ministerin wurde sehr früh die Formulierung in den Gesetzentwurf aufgenommen:

„Die Kinder und ihre Erziehungsberechtigten sind in entsprechender Anwendung des § 56 des Schulgesetzes zur Mitwirkung an den Schuleingangsuntersuchungen verpflichtet. Öffentliche Schulen sind verpflichtet, die Durchführung der Schuleingangsuntersuchungen zu unterstützen.“

Meine Damen und Herren, selbst diese Bestimmung auf der Grundlage der Erklärung der Sozialministerin wurde von der eigenen Fraktion wieder von der Platte gefegt. Es spricht schon Bände, dass die neue Ministerin bereits bei dem ersten in ihrer Amtszeit zu verabschiedenden Gesetz von der eigenen Koalition öffentlich abgewatscht wird.

(Beifall bei der SPD - Heidemarie Mundlos [CDU]: Sie haben eine ge- störte Wahrnehmung, Herr Schwarz!)

- Das ist leider eine Tatsache.

(Heidemarie Mundlos [CDU]: Das se- hen wir anders, Herr Schwarz!)

In Niedersachsen wird es künftig weder verbindliche Schuleingangsuntersuchungen noch einheitliche Mindestanforderungen geben. Ein Hinweis auf Untersuchungen in Kindertagesstätten unterbleibt gänzlich.

Sie beschließen mit dieser Vorlage genau das Gegenteil dessen, was Sie lange Zeit öffentlich verkündet haben. Ich frage mich, weshalb wir uns die Arbeit einer ganztägigen Anhörung mit 13 Verbänden und Institutionen machen, wenn Sie in der Sache ohnehin nichts bewegen wollen und für Sie nur die Aussagen der kommunalen Spitzenverbände maßgeblich sind, Aussagen übrigens, die in der gleichen Anhörung von allen anderen Fachleuten widerlegt worden sind.

Auf der einen Seite kritisieren die kommunalen Spitzenverbände zu Recht die explodierenden Kosten in der Kinder- und Jugendhilfe. Auf der anderen Seite werden verpflichtende Untersuchungen, bei denen man Entwicklungsrückstände rechtzeitig erkennen und damit auch spätere Kosten vermeiden könnte, von den kommunalen Spitzenverbänden abgelehnt.

Meine Damen und Herren, von einer Politik, bei der das Kindeswohl im Vordergrund steht, sind wir in Deutschland meilenweit entfernt. Die CDUMehrheit in Niedersachsen sorgt mit dem vorgelegten inhaltsleeren Gesetzentwurf jedenfalls dafür, dass wir um Jahre zurückgeworfen werden.

Meine Damen und Herren, die eigentlichen Verlierer dieses Beratungsergebnisses, das Sie auf der Schlussgeraden bis zur Inhaltslosigkeit verstümmelt haben, sind nicht die Regierung oder die Opposition, die eigentlichen Verlierer sind ein weiteres Mal die Kinder und Jugendlichen in unserem Land. Ich finde den Abschluss des Gesetzesvorhabens nur peinlich und sehe darin ein Armutszeugnis für diese Koalition.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jetzt erteile ich Frau Meißner von der FDPFraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das klingt fast so, als hätten wir ein Gesundheitsdienstgesetz auf den Weg gebracht, das der Gesundheit in keiner Weise Rechnung trägt.

(Beifall bei der SPD)

Wer das wirklich glaubt, muss von einem anderen Stern sein.

(Beifall bei der FDP)

Es ist so, dass wir mit diesem Gesetz verschiedene Ziele verfolgen wollten. Zum einen wollten wir das alte Gesetz von 1934 mit seinen Durchführungsverordnungen endlich vom Tisch haben und durch ein modernes, zeitgemäßes Gesetz ersetzen, das aktuell das regelt, was erforderlich ist. Bereits seit drei Jahren reden wir darüber, dass auf jeden Fall ein neues Gesetz verabschiedet werden muss. Es wurde darauf hingewiesen, dass zu Zeiten der alten SPD-Regierung keine Novellierung stattgefunden hat. Ein Entwurf war zwar vorhanden - aus diesem wurde zitiert, und wir haben Teile mit aufgenommen -, aber mehr auch nicht. Wir sind stolz darauf, jetzt endlich ein neues Gesetz zu haben. Wir möchten keine weiteren Verzögerungen mehr, um das Vorhaben umsetzen zu können.

Wir wollten etwas zur Sicherung und Verbesserung der Gesundheit unserer Bevölkerung tun. Dies tun wir mit diesem Gesetz. Gleichzeitig wollten wir - dies entspricht übrigens dem Entwurf, den die SPD damals vorgelegt hatte die kommunale Selbstverwaltung verpflichtend mit einbeziehen bzw. in ihrer Verantwortung stärken. Auch dies haben wir getan.

(Zustimmung bei der CDU)

Deswegen kann ich nicht verstehen, warum Sie, Herr Schwarz, jetzt sagen, dies sei erbarmungswürdig.

Der Hauptpunkt, um den es geht - dies ist schon bei Herrn Böhlke und auch bei Ihnen, Herr Schwarz, klar geworden -, ist der § 5, nämlich die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Ich meine, man kann sehr gut klar machen, dass wir die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in keiner Weise vernachlässigen, sondern im Gegenteil stärken wollen.

(Zustimmung von Heidemarie Mund- los [CDU])

Über das Ziel sind wir uns absolut klar. Es geht nur darum, wie man dieses Ziel erreicht.