Protocol of the Session on February 22, 2006

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich bitte also um etwas mehr Ruhe. - Frau Meißner, Sie haben das Wort.

Danke, Frau Präsidentin. - Ich habe gerade davon gesprochen, dass es nicht nur um Tests, sondern sehr wohl auch um Konsequenzen daraus geht, z. B. die Wiederaufstockung der Mittel für die Kooperation von Schule und Vereinen. „Bewegter Kindergarten“ und „Bewegte Schule“, was auch in Ihrem Antrag, Herr Poppe, angesprochen worden ist, betreiben wir natürlich zusätzlich. Das ist doch klar. Weil die Gesundheit der Kinder so gravierend gefährdet ist - Übergewicht und Unbeweglichkeit -, müssen wir auf allen Kanälen arbeiten: Bewegter Kindergarten, bewegte Schule, Zusammenarbeit von Schule und Vereinen - und zwar auch nachmittags bei Ganztagsangeboten - in Kooperationen und natürlich auch Tests zum individuellen Herausfinden. Das passt alles ineinander. Es ist nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch erforderlich. Dass Sie meinen, es reiche, wenn wir uns auf weniger konzentrieren, halte ich für ein Armutszeugnis. Da sind Sie zu kurz gesprungen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Frau Korter, Sie haben gesagt, dass man Trendsportarten in die Schule holen sollte. Das ist etwas, was der Test mit beinhaltet. Es werden ja Daten erhoben, und es werden auch Vorlieben ermittelt. Wir alle wissen doch, dass Kinder dann, wenn sie in die Pubertät kommen, keinen großen Bock auf Sportverein und vor allem nicht auf bestimmte Angebote vor Ort haben. Wenn jetzt bei diesem Test individuell ermittelt wird, welchen Sport Kinder in welchem Alter machen wollen, und wenn man sieht, dass es dieses Angebot nicht gibt, dann kreieren wir ein Angebot. Das ist eine Handlungsoption für die Kommunen und für die Vereine und ist optimal geeignet, motivierten Sport bei Kindern zu fördern. Jetzt zu sagen „Das wird nicht gemacht“, halte ich für eine völlige Verkennung der Tatsachen.

Sie merken: Bei diesem Test ist eine ganze Menge sehr wohl richtig. Ich habe Ihnen das zu Anfang anhand des Kommentars dargelegt. Manchmal meint man, dass neue Dinge, die man nicht selber erfunden hat, von vornherein bekämpft werden müssen. Das wird aber inhaltlich der Sache nicht gerecht.

Wir wollen mit dem Test auf jeden Fall verschiedene Ziele erreichen, die wir auch erreichen können. Wir wollen mehr Transparenz für jeden einzelnen Schüler und jede einzelne Schülerin. Jeder soll eine Antwort auf die Frage bekommen: Was kann ich? Wo stehe ich? Die Vergleichbarkeit mit anderen Gleichaltrigen schafft Anreize, mehr zu machen. Wir wollen die Sportlehrer durchaus als Berater für individuelle Programmentwicklung nachher mit einbeziehen. Wir wollen auch den Kommunen zeigen, was sie anbieten können, wo sie Handlungsfelder haben, auch im Hinblick auf die bevorstehenden Kommunalwahlen. Diese Fitnesstest zeigt, wo vielleicht ein Unterangebot besteht, wo versucht werden sollte, etwas mehr zu tun.

Das erklärte Ziel ist die Gesundheit und die Fitness unserer Kinder und Jugendlichen generell. Ich meine, dafür sollte uns keine einzige Erkenntnis unwichtig erscheinen. Im Gegenteil, wir brauchen jede einzelne Erkenntnis, um für die Gesundheit und für die Fitness unserer Kinder entscheidende Verbesserungen zu erreichen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke schön. - Für die Landesregierung hat Herr Minister Busemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat scheiden sich am Fitnesstest die Geister. Ich kann auch für mich selber sagen, dass ich vor drei oder vier Monaten nicht gedacht hätte, dass man mit einer solchen Leidenschaft über dieses Thema diskutieren kann, egal, was man davon hält, ob man pro oder kontra eingestellt ist, ob man den Test für sinnvoll oder nicht sinnvoll hält. Die Diskussion geht über die Schülerschaft hinaus und reicht bis in die Familien hinein. Die jungen Leute unter sich diskutieren bis auf den heutigen Tag über das Warum, Wieso, Weshalb und fragen: Wie ist deine Gesundheit? Hast du Gewichtsprobleme? Muss da möglicherweise etwas passieren? - Wenn wir mit diesem Test einen Diskussionsprozess und eine Bewusstseinsveränderung ausgelöst haben, dann kann ich sagen - mit Verlaub, Herr Jüttner, Sie grinsen -, dass ich bei der ganzen Aktion erst einmal der Gewinner bin. Nun müssen wir schauen, was daraus erwächst.

(Zuruf von der SPD: Stellen Sie sich erst mal auf die Waage! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Ist das Gewicht bei Ih- nen denn in Ordnung?)

Es ist hoch interessant: In der Diskussion im Herbst hieß es noch: Das geht alles zu schnell. Warum denn gleich? - Nach Abschluss des Tests vor etwa neun Wochen kann es den größten Kritikern jetzt gar nicht schnell genug gehen, die perfekten erfassbaren Ergebnisse für alle verfügbar zu machen. Alle fordern die große Auswertung und die richtigen Patentrezepte für und gegen alles. Offenbar kann es nun gar nicht schnell genug gehen. Immerhin müssen aber 5 Millionen Daten von mehr als 620 000, 630 000 oder 640 000 jungen Leuten, die sich am Test beteiligt haben, entsprechend aufbereitet werden.

Meine Damen und Herren, der Antrag der SPDFraktion zur Fitnesslandkarte

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ist überzeu- gend!)

ist auch ein wenig das Opfer einer schnelllebigen Politik. Die Zeit ist darüber hinweg gegangen. Wenn Sie etwas genauer hingeguckt hätten, als Sie den Antrag im November letzten Jahres eingereicht haben, wären Sie vor der großen Fehleinschätzung bewahrt geblieben, die im Antrag und in der Begründung zu erkennen ist. Im Kultusausschuss sind die unhaltbaren Vorwürfe inzwischen mehrfach und ausführlich entkräftet worden, sodass man darauf zum großen Teil gar nicht mehr eingehen muss.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das lohnt sich nicht!)

Der Datenschutz wurde immer wieder bemüht. Zweimal musste der Landesdatenschutzbeauftragte klarstellen, dass niemand an die Daten fremder Leute und Kinder herankommen kann. Manchmal ist man schon überrascht, mit welchen Aufgeregtheiten argumentiert und diskutiert wird.

Zu Ihrer Rede, Herr Poppe, muss ich ehrlich sagen: Sie strotzte vor Alternativlosigkeit, eigentlich auch vor Ignoranz.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das waren nur die alten Sprüche. Dazu kann ich nur ganz offen sagen: Während der 13 Jahre SPD

Kultuspolitik hatten Gesundheit, Bewegung und Sport keine gute Lobby.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das hat überhaupt keine Rolle gespielt!)

Mit so viel Ignoranz kriegen Sie im Staate gar nichts geregelt. Sie reden alles mies und schlecht. Wenn es nach Ihnen geht, sollen wir nichts machen und nichts erfassen. Ich meine, ein bisschen mehr Mut und ein bisschen mehr Engagement sind schon richtig, damit wir etwas auf die Reihe bringen.

Die Dimension des Hintergrundes kann man nicht oft genug ansprechen. Ich habe das vor einigen Monaten hier auch getan. Wenn wir die Gesundheitsentwicklung eines hoch zivilisierten Landes wie z. B. der USA auf Mitteleuropa oder auf Deutschland übertragen, dann haben wir dramatische Entwicklungen im Bereich von Zivilisationskrankheiten und Massenerkrankungen wie Diabetes, Herz/Lungen-Krankheiten, Bewegungsproblemen, Haltungsschäden und dergleichen zu erwarten.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Das wis- sen wir aber doch schon seit zehn Jahren, Herr Busemann! Das ist doch nichts Neues! - Gegenruf von Joachim Albrecht [CDU]: Warum haben Sie dann vor zehn Jahren nichts ge- macht?)

- Frau Steiner, sonst sind Sie doch immer so gesundheitsbewusst. Weshalb schreien Sie dann hier herum?

Wenn wir die Zahlen aus Amerika auf unsere deutschen Verhältnisse, auf unsere Sozialversicherungssysteme übertragen - die ja anspruchsvoller sind als die amerikanischen -, dann brauchen wir über demografische und andere Probleme sowie über Probleme der Rentenkassen gar nicht mehr zu diskutieren, weil wir allein schon daran Pleite gehen, weil wir offenbar auch im Kopf nicht bereit sind, uns zu bewegen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es fängt damit an, Herr Poppe, dass man im Kopf bereit ist, sich zu bewegen. Es hilft nicht, destruktive Reden zu halten.

In der Analyse der Probleme sind wir uns hoffentlich einig, meine Damen und Herren. Viele Fachleute - ob es die Weltgesundheitsorganisation, die

EU-Kommission, Mediziner oder Pädagogen sind sprechen von der großen Sorge, dass Übergewicht und Adipositas schon bei zu vielen Kindern und Jugendlichen zu einem großen, nachhaltigen Problem geworden ist, dass wir nachhaltige Schädigungen für das ganze Leben der jungen Leute erwarten müssen, die immer älter werden sollen, und dass das auch Belastungen für die Gesundheitssysteme mit sich bringt. Ich fühle mich in diesem Punkt in der Verantwortung für unsere Kinder und Jugendlichen,

(Zustimmung bei der CDU)

und ich bitte bei allem politischen Streit darum, dass wir alle diese Verantwortung wahrnehmen.

Einige Ergebnisse sind hier schon angesprochen worden. Der Fitnesstest in Niedersachsen hat u. a. ergeben, dass die Fitness der Kinder und Jugendlichen unseres Landes unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Der Bundesdurchschnitt ist schon mies genug, und von Jahr zu Jahr verschlechtert sich das Ganze. Wenn wir noch unter dem Bundesdurchschnitt liegen, dann müssen wir offenbar über uns nachdenken und dann muss offenbar etwas passieren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wir müssen letztlich auch in den Sportunterricht blicken. Die tatsächliche Fitness ist schlechter als die Fitness laut Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler. Die Noten aber sind besser als die tatsächliche Fitness und auch besser als die Selbsteinschätzung. Das zeigt, dass im Sportunterricht über das eine oder andere zu reden ist.

Schließlich gibt es auch einen signifikanten Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und Fitness der Schülerinnen und Schüler. Die große Erkenntnis von PISA, nach der die soziale Herkunft die schulischen Leistungen beeinflusst - eine Problematik, die der Menschenrechtskommissar der UNO nach seiner Reise durch Deutschland mit viel Pressebegleitung auch angesprochen hat -, will ich um einen Punkt ergänzen: Soziale Verhältnisse und körperliche Fitness haben auch etwas miteinander zu tun.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das wurde erstmals in Deutschland durch einen flächendeckenden Test bewiesen. Darüber sollten wir nachdenken. Wir werden auch der OECD und

der Bundesregierung zu berichten haben, wie das miteinander korrespondiert.

Für unser eigenes Land haben wir wahrzunehmen, dass die Jugendlichen in den eher strukturschwachen Gebieten offenbar eine schlechtere Fitness haben als in anderen Regionen des Landes. Auch die Infrastruktur von Sportstätten hat etwas damit zu tun. Die Ergebnisse sind nicht überall gleich, aber im Trend ist völlig klar: In Gebieten mit einer guten Sportstättenstruktur und einer guten Vereinsstruktur haben wir ordentliche Fitnessergebnisse. Fehlt das eine oder andere oder fehlt alles, haben wir schlechte Ergebnisse. Ich bin überzeugt, dass wir in Kürze, wenn die Fitnesslandkarte komplettiert ist, mit einem großen Interesse von Kommunen, Sportvereinen und Schulen, aber auch von Privaten - jeder kann ja sein eigenes Passwort eingeben und seine Ergebnisse abfragen - rechnen können, weil jeder wissen will, wo er steht. Viele wehren zwar ab, aber jeder Landkreis will doch ganz gern wissen, wie er abgeschnitten hat und warum er so abgeschnitten hat. Das löst dann auch entsprechendes Nachdenken aus.

Aus diesen Untersuchungen ziehen wir durchaus präzise Konsequenzen. Die Konsequenzen folgen dem Ansatz der Fitnesslandkarte, den Sie, glaube ich, nicht richtig verstanden haben.

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Danke, Herr Lehrer!)

Das werden wahrscheinlich die nächsten Monate zeigen. Mit der Erhebung sowie mit den Maßnahmen wenden wir uns an das Bewusstsein und an die Einstellung eines jeden Kindes, eines jeden Jugendlichen, aber auch der Eltern. Nach übereinstimmender Ansicht der Fachszene geht es hier nicht um die Problematik von zwei oder drei Sportstunden - darauf komme ich gleich vielleicht noch zu sprechen -, sondern wir müssen im Kopf der jungen Leute erst einmal das Bewusstsein dafür erzeugen, dass sie erkennen: Da läuft etwas falsch; deine Beweglichkeit, deine Fitness, deine Aktivitäten sind nicht in Ordnung, dein Gewicht stimmt nicht.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das heißt, man muss zu Hause beginnen. Bewegung darf sich nicht nur auf zwei oder drei Sportstunden reduzieren. Sowohl in der Freizeit als auch im Schulbetrieb - wir reden da ja auch von Bewegungszeiten - und im privaten Bereich muss

einiges mehr passieren. Um diese Erkenntnislage zu erzeugen, reichen nicht Stichproben, sondern jeder und jede muss herausgefordert werden, sich mit anderen zu vergleichen, um einen Ausgangspunkt für Verbesserungen zu haben und sich zu motivieren. Kinder emotional zu erreichen, meine Damen und Herren, bei ihnen Ehrgeiz zu wecken, sie bei der Ehre zu packen und ihnen im eigenen Umfeld Vorbilder - möglichst unter Gleichaltrigen vorzustellen, dies und anderes hat uns z. B. Professor Brettschneider, der Verfasser der bundesweiten SPRINT-Studie, empfohlen. Das wird ja immer gerne zitiert. Er spricht sich für Fitnesstests bei jedem einzelnen aus, damit wir einen Gesamtüberblick bekommen und damit auch jeder weiß, wo er im Gesamtvergleich steht. Daher hat Professor Brettschneider neben anderen namhaften Wissenschaftlern unseren Fitnesstest engagiert begrüßt. Frau Korter, Herr Hurrelmann, der von Ihrer Partei und Fraktion durchaus geschätzt wird, hat einen flammenden Beipflichtungsbrief in Richtung Landesregierung geschickt. Das muss man bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen dürfen.

Wenn es um die Veränderung des Bewusstseins und der Einstellung bei jedem und jeder geht, dann führen alle Forderungen nach weiterem Sportunterricht nicht unbedingt in die richtige Richtung. Das allein hilft nicht. Der Sportunterricht muss erst einmal anders werden. Ich traue mich nach manchen Debatten hier kaum zu hinterfragen, ob der Sportunterricht so ist, wie wir ihn brauchen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Neuerdings - ich bin ja ganz verblüfft - hinterfragen teilweise Sportinstitute, teilweise auch der Landessportbund selbst, ob wir den Sportunterricht vielleicht etwas anders machen müssen. Da bin ich dann auch gerne dabei. Damit der Sportunterricht qualitativ besser wird, damit das Thema Bewegung auch während der Privatzeit in die Köpfe gelangt, haben wir in den letzten Monaten und Jahren einige tolle Materialien entwickelt. Das als Bürokratismus und Aktionismus zu diskreditieren, ist absolut nicht in Ordnung.