Protocol of the Session on May 19, 2005

Dort werden die Grundlagen für ein Gelingen oder Scheitern im Leben gelegt. Verzichten Sie auf zu viel Verkehrsinfrastrukturmumpitz, oder lassen Sie das zumindest konsequent privat finanzieren, und pumpen Sie die Mittel, die noch vorhanden sind - ja, ich weiß, das ist sehr wenig -, in die Kindergärten. Das wird sich auszahlen.

Das deutsche Jugendstrafrecht hat in meinen Augen mehr verdient als die redundante unsinnige Forderung nach mehr Konsequenz und Effektivität.

Herr Kollege Briese, bitte kommen Sie zum Ende.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. Das sind die letzten Sätze. - Übersetzt bedeutet das natürlich härtere Strafen. Das deutsche Jugendstrafrecht hat sich bewährt. Es ist angemessen, es ist zielführend, es ist modern. Es gibt keinen Grund, ein gutes Recht zu verschlechtern. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - David McAllister [CDU]: Ihre Reden sind schmerzens- geldpflichtig!)

Zur Beantwortung erteile ich Frau Ministerin Heister-Neumann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Landesregierung kann ich Ihnen heute eine umfangreiche, gut

fundierte und aussagekräftige Antwort auf die Große Anfrage von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Stand der Jugendkriminalität und zur Sanktionspraxis in Niedersachsen vorlegen.

An dieser Stelle möchte ich zuallererst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im MJ für die hervorragende und umfassende Arbeit danken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jugenddelinquenz und der Umgang des Staates mit straffälligen Jugendlichen sind eines der zentralen Themen niedersächsischer Justizpolitik. Die Landesregierung widmet diesem Themenfeld eine große Aufmerksamkeit und auch Initiative.

Bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität lassen wir uns vor allem von zwei grundlegenden Handlungsansätzen leiten. Zum einen unterstützen und fördern wir, vor allem auch finanziell, umfangreiche Projekte im Bereich der Prävention von Straftaten. Zum anderen tun wir alles, um die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass strafbares Handeln Jugendlicher konsequent verfolgt wird und konsequent verfolgt werden kann. Nicht nur der Erziehungsgedanke spielt hier eine Rolle, sondern auch die Schuldangemessenheit der Jugendstrafen. Prävention und Repression sind eben zwei Seiten ein und derselben Medaille, nämlich die Sicherheit unserer Bevölkerung. Gefährdeten Jugendlichen müssen ebenso deutlich Grenzen gesetzt werden, und Konsequenzen müssen ihnen aufgezeigt werden, wie es auch notwendig ist, sie durch staatlichen, aber vor allem auch gesamtgesellschaftlichen Einsatz vor dem Abgleiten in die Straffälligkeit zu bewahren.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst einige Kernaussagen der Antwort zusammenfassen. Zunächst zum Stand der Kriminalität von Jugendlichen und Heranwachsenden.

Erfreulich ist, dass wir in den letzten zwei Jahren einen Rückgang der Jugend- und Heranwachsendenkriminalität verzeichnen können. Übrigens sind auch die Zahlen tatverdächtiger Kinder, nach denen in der Großen Anfrage nicht ausdrücklich gefragt worden ist, erfreulicherweise rückgängig.

(Beifall bei der CDU)

Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kriminalitätsrate der Jugendlichen und Heranwachsenden in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen ist und sich nach wie vor auf

einem sehr hohen Niveau befindet. Der positive Trend der letzten beiden Jahre hat sich noch nicht so weit stabilisiert, dass wir die Hände in den Schoß legen können. Vielmehr müssen wir jetzt verstärkt wirkungsvolle rechtliche Instrumentarien einsetzen, die einen nachhaltigen Rückgang der Jugendkriminalität versprechen. Niedersachsen hat deshalb im April 2004 gemeinsam mit anderen Bundesländern einen Gesetzentwurf zur Reform des Jugendstrafrechts in den Bundesrat eingebracht. In dem Entwurf sind zahlreiche Verbesserungen des gegenwärtigen Gesetzeszustandes enthalten - u. a. der von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, so viel gescholtene Warnschussarrest.

Lassen Sie mich auf dieses neue rechtliche Instrumentarium schon allein deshalb näher eingehen, um Missverständnisse gründlich beiseite räumen zu können. Denn dieser Warnschussarrest nimmt nicht nur einen besonderen Raum in der Großen Anfrage ein, sondern Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, verwechseln die Möglichkeiten des Warnschussarrestes auch gerne mit dem pauschalen Begriff der Strafverschärfung.

(Heike Bockmann [SPD]: Nein!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst ist festzustellen, dass sich das Jugendstrafrecht im Großen und Ganzen wirklich sehr bewährt hat. Das bedeutet aber keinesfalls, dass in Teilbereichen sinnvolle und notwendige Verbesserungen nicht notwendig sind - nicht primär im Sinne von Strafverschärfung, sondern vielmehr im Sinne von mehr Flexibilität, mehr Effektivität und auch mehr Konsequenz. Es wird der gemeinsamen Sache überhaupt nicht gerecht, wenn man kriminelles Verhalten von Jugendlichen generell als episodenhaft darstellt und dabei die Konturen zwischen jugendlichem Leichtsinn und sich verfestigenden kriminellen Strukturen verwischt.

(David McAllister [CDU]: So ist es!)

Dabei ist es doch gerade im Jugendstrafrecht notwendig, genau diese Grenzen immer wieder neu zu bestimmen und dem Richter die Möglichkeit zu geben, sehr individuell und auch täterspezifisch Sanktionen zu verhängen. Genau dies erreichen wir mit dem Warnschussarrest.

Bei Jugendlichen zeigt sich häufig, dass Einstellungen der Verfahren bei ersten Taten, Verwarnungen und auch erzieherische Maßnahmen kaum

eine spezialpräventive Wirkung zeigen. Viele Jugendliche empfinden eine Bewährungsstrafe als Freispruch zweiter Klasse und erkennen oft nicht den Ernst der Lage. Hier kann ein Arrest frühzeitig heilsam wirken, wenn der Richter - darauf lege ich Wert - diese Maßnahme in Einschätzung des jugendlichen Straftäters auch für sinnvoll hält.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es verwundert mich schon, dass Sie, meine Damen und Herren, dies pauschal als Strafverschärfung darstellen.

(Heike Bockmann [SPD]: Das tun wir doch gar nicht!)

Ich frage Sie ernsthaft: Ist es wirklich im Sinne der Sache, einem zur Jugendstrafe verurteilten Jugendlichen, der schon erhebliche Straftaten begangen haben muss oder auf eine erhebliche kriminelle Karriere zurückblickt, lediglich die Folgen eines möglichen Bewährungsversagens vor Augen zu führen bzw. theoretisch in Aussicht zu stellen? Wir alle wissen doch, dass es gerade Verständnis, Einsicht und Verantwortung sind, die sich bei Jugendlichen wirklich noch entwickeln müssen. Reicht es wirklich aus, auf Einsicht zu hoffen und dabei in Kauf zu nehmen, dass dieser Jugendliche, wenn er eines Tages nicht mehr unter das Jugendstrafrecht fällt, für dieselbe Tat, für die er früher vielleicht eine kurze Jugendstrafe zur Bewährung bekommen hat, jetzt auf einmal eine drastische Strafe von fünf Jahren erhält? - Ich meine, nein. Deshalb ist es entscheidend, so frühzeitig die Grenze zu ziehen, dass es erst gar nicht zu einer Verfestigung krimineller Strukturen im Erwachsenenleben kommen kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie stellen den Warnschussarrest auch deshalb infrage, weil es hierzu keine rechtstatsächliche Forschung gibt. Natürlich gibt es sie nicht, denn das Instrumentarium ist neu, und es ist auch noch nicht erprobt. Diejenigen allerdings, die sich mit Blick auf die Wissenschaft so vehement dagegen aussprechen, können genauso wenig für sich in Anspruch nehmen, im Besitz der richtigen Erkenntnis zu sein. Praktiker, die täglich mit diesen Jugendlichen umgehen, halten den Vorschlag aber für sinnvoll. Warum sollten deren praktische Erfahrungen, z. B. auch die Erfahrungen, die jüngst in Hildesheim gemacht wurden, geringer zu schätzen sein als

theoretische Konstrukte? Im Übrigen habe ich keinen Zweifel, Herr Briese, dass die Justizpraxis sehr verantwortlich mit dem Warnschussarrest umgehen wird.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal auf die nicht belegte Behauptung eingehen, dass ambulante sozialpädagogische Maßnahmen gegenüber dem Jugendarrest in jedem Einzelfall die bessere Sanktionsform sind. Die Ergebnisse der in der Antwort zitierten Rückfallstudie sprechen jedenfalls nicht dafür. Wenn behauptet wird, etwa 70 % der Arrestanten, aber nur 55 % der Jugendlichen, die mit einer ambulanten jugendrichterlichen Maßnahme sanktioniert worden sind, seien wieder rückfällig geworden, dann stimmt das zwar. Genauso richtig ist aber, dass dieser Vergleich ganz einfach hinkt. Es ist doch einfach so, dass in den Fällen, in denen Jugendarrest angeordnet wurde, das Gericht die Anordnung von ambulanten Maßnahmen nicht mehr für ausreichend hielt. Es liegt doch ebenfalls auf der Hand, dass die Vergleichsgruppe der Arrestanten auf eine wesentlich größere kriminelle Karriere zurückblickt und damit auch ein deutlich höheres Rückfallrisiko hat. Also lassen Sie uns hier bitte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, wenn von einer Verschärfung des Jugendstrafrechts die Rede ist, stimmt das in Bezug auf die von uns geforderte Anhebung des Jugendstrafrahmens von zehn auf 15 Jahre. Diese Verschärfung des Strafrahmens in Fällen schwerster Tötungsverbrechen ist richtig. Auch im Jugendstrafrecht muss die Möglichkeit bestehen, ein schweres Kapitalverbrechen schuldangemessen zu sanktionieren, denn der Grundsatz, dass Strafe eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes kriminelles Unrecht ist, gilt eben nicht nur für Strafen nach dem Erwachsenenstrafrecht, sondern dieser Grundsatz gilt auch im Jugendstrafrecht. Jugendstrafe enthält neben Elementen der Erziehung auch solche der Strafe. Nichts anderes ist mit Schuldangemessenheit auch gemeint.

Wer einen Menschen quält, wer ihn missbraucht, wer ihn grausam tötet, muss dafür mit mehr als zehn Jahren bestraft werden können, auch wenn es sich um einen Zwanzigjährigen handelt, der nach Jugendstrafrecht bestraft wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es handelt sich hier mit Sicherheit um Einzelfälle, und ich gehe davon aus und hoffe auch, dass es absolute Einzelfälle bleiben werden. Ich möchte Ihnen hier aber doch einmal verdeutlichen, um welche Fälle es sich hier handelt. Es handelt sich hier nicht um Vergehen oder Verbrechen, die geringer einzuschätzen wären. Erinnern Sie sich bitte an den Fall des zwanzigjährigen Jugendlichen bzw. Heranwachsenden, der aus Baden-Württemberg stammt und auf den Jugendstrafrecht angewendet wurde, der 1992 eine Siebzehnjährige mit zahllosen Messerstichen tötete, weil sie sich gegen eine Vergewaltigung wehrte, und der anschließend nicht nur die Leiche sexuell missbrauchte, sondern auch noch die Mutter und die Schwester des Opfers tötete. Für diesen dreifachen Mord wurde er zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt. Er wurde im Januar 2002 entlassen. Schon acht Monate später versuchte er erneut, eine Frau zu vergewaltigen und zu töten. Zu dieser letzten Tat hätte es nicht kommen dürfen. Die Politik hätte hier viel früher reagieren müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, unser Ministerpräsident, Herr Christian Wulff, hat diesen Fall schon in seiner Regierungserklärung vom 4. März 2003 zum Anlass genommen, eine Anhebung des Strafrahmens zu fordern. Ich habe mit großer Freude festgestellt, dass dem auch die SPD in Person von Herrn Gabriel zugestimmt hat. Bis heute haben die Regierungsfraktionen im Bund - das ist auch der Grund für Bundesratsinitiativen - nicht auf diese Situation im Jugendstrafrecht reagiert.

Ich sprach es eingangs an: Prävention gegen Jugendkriminalität hat für die Landesregierung eine hohe Bedeutung. Wir unterstützen zahlreiche örtliche Präventionsprojekte. Dabei sind nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch fachliche Unterstützung und Koordination gefragt. Wir engagieren uns bei der Gewaltprävention ebenso wie bei der Integration und Sprachförderung insbesondere in den Schulen. Herr Briese, ich möchte, weil Sie Herrn Busemann angesprochen haben, wirklich noch einmal auf Folgendes hinweisen:. Im Bereich der Sprachförderung gibt das Land 50 Millionen Euro aus. Das ist mehr, als in jedem anderen Bundesland für Integration im frühschulischen Bereich zur Verfügung gestellt wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch eines klarstellen. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass sich die Kriminalitätsdebatte nicht allein auf die strafende Reaktion des Staates verengen darf. Gerade in Zeiten großer Umbrüche muss sich der Blick für den Zusammenhang von innerer Sicherheit und sozialem Umfeld öffnen. Dabei spielt die stetig steigende Arbeitslosigkeit als Folge verfehlter Politik der rot-grünen Bundesregierung eine ganz entscheidende Rolle.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Arbeit zu haben bedeutet die Chance, gesellschaftlich integriert zu sein. Das ist ein sehr wesentlicher Beitrag zur Kriminalprävention.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten das bei dieser Debatte nicht aus den Augen verlieren. Es war auch einmal Ihr Thema. Ich denke, wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen können, dass infrastrukturelle Maßnahmen unterstützt werden, die dazu beitragen, Arbeitsplätze zu schaffen und unseren Jugendlichen dadurch für die Zukunft auch neue Chancen zu bieten, werden wir - dessen bin ich sicher - auch wirklich einen Beitrag zur Prävention leisten können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als Nächster hat sich Herr Nacke von der CDUFraktion zu Wort gemeldet. Herr Nacke, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst zwei Vorbemerkungen machen.

Vorbemerkung Nr. 1. Herr Kollege Briese, ich würde keinen Widerspruch zwischen Jugendlichen und Bürgerlichen suchen. Gott sei Dank sind die Jugendlichen von heute bürgerlicher, als Sie sich das wünschen können. Wir sind darüber ganz froh, denn sie wissen, dass wir die richtige Politik betreiben.