- Es geht weiter, ich bin mit der Geschichte noch nicht zu Ende - Die Niedersächsische Landesregierung hatte damals eine Methodik zur Bemessung der Armuts- und Reichtumsquote für den Bericht entwickelt. Es ging darum, vor allen Dingen eine rein quantitative Bestandsaufnahme für diesen niedersächsischen Bericht zu haben. Die Fortschreibung des niedersächsischen Berichtes wurde 1998 ausgesetzt - auch das hätten Sie eigentlich sagen müssen -, weil der Bund einen Armutsund Reichtumsbericht vorlegen wollte. Dieses Vorhaben haben damals sowohl der federführende Landtagsausschuss, in dem Sie von der SPD, wenn ich mich richtig entsinne, die Mehrheit hatten, als auch die Landesarmutskonferenz ausdrücklich mitgetragen. So viel erst einmal zu der Historie dieses niedersächsischen Armuts- und Reichtumsberichtes.
Hinzu kommt: Der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2001 ist auf einer Methodik und Datengrundlage aufgebaut, die sich vom niedersächsischen Bericht grundlegend unterscheidet. Dies gilt z. B. schon für den zentralen Punkt der Definition von Armut und damit die absolut maßgebliche Datengrundlage. Es würde also eine Diskussion wie beim Turmbau von Babel geben: Wir hätten riesige Berge von Daten, die nicht miteinander vergleichbar und deshalb in ihrer Aussagekraft gleich null wären.
Ferner war der niedersächsische Bericht lediglich als Bestandsaufnahme angelegt. Initiativen sind damals nicht daraus erwachsen. In diesem Zu
sammenhang ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dass das Niedersächsische Landesamt für Statistik bislang jährlich die Armutsschwelle und -quote nach der hiesigen Methode für Niedersachsen berechnet und veröffentlicht. Diese Daten sind verwertet worden. Sie sind z. B. in die Große Anfrage „Armut von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen“ eingeflossen. Diese Daten sind auch als Basis für den Bericht zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen genutzt worden, der zurzeit vom Landesgesundheitsamt erstellt wird, d. h. es wird themenspezifisch und lebenslagenspezifisch ausgewertet, damit wir handeln können.
Meine Damen und Herren, der Bund veröffentlicht in Kürze - wie schon mehrfach erwähnt - den zweiten Armutsund Reichtumsbericht in Deutschland. Wir werden dies mit Sicherheit zu gegebener Zeit hier diskutieren. Das Wichtigste ist aber doch, nicht den schwarzen Peter hin- und herzuschieben, sondern vor allem Lösungen für die Gruppen zu finden, die zunehmend von Armut betroffen sind. Das ist heute schon mehrfach in diesem Raum thematisiert worden.
Landespolitisch, meine Damen und Herren, ist die Hauptaufgabe, die aktive Bekämpfung von Armut in verschiedenen Segmenten voranzutreiben, also zu handeln. Das beginnt vor allem beim Arbeitsmarkt und geht bis zum Thema der Zuwanderung bzw. der Integration. Deshalb ist es uns ein Anliegen, unsere Ressourcen, d. h. auch die Verwaltungskräfte, dahin gehend einzusetzen, dass die Förderprogramme regelmäßig auf ihre Wirksamkeit überprüft und gegebenenfalls modifiziert werden, wenn ein Änderungsbedarf absehbar ist.
Die offensichtliche Zunahme von Familienarmut muss uns sehr beunruhigen. Eben ist erwähnt worden, dass das Armutsrisiko von Familien in Deutschland gestiegen ist. Herr Nahrstedt, ich habe Ihnen nicht so schnell folgen können, was Sie aus dem Bericht der Statistiker zitiert haben. Ich weiß aber sehr genau, wovon ich gesprochen habe, wenn ich eine Berichterstattung und vor allen Dingen Handlungskonsequenzen gefordert habe. Wir müssen nämlich insbesondere für die Segmente, in denen wir Weichen Stellen können, gerade was finanzielle Belange von Familien angeht, also Sozialsysteme, Steuersysteme und Transferleistungen, am besten im Bundesfamilienministerium so etwas wie einen Sachverständigenrat ha
ben, der nicht nur die Daten sammelt, sondern daraus auch Handlungskonsequenzen, wie es sie z. B. für die Wirtschaft gibt, entwickelt. Handeln ist überhaupt die einzige Konsequenz aus Datenbergen.
Wir haben heute mehrfach thematisiert - und es passt auf die Linie -, dass eines der wichtigsten Themen der Niedersächsischen Landesregierung ist, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gerade vor dem Hintergrund zu fördern, dass Familien mit drei und mehr Kindern und allein Erziehende die Gruppen sind, die einen relativ hohen Anteil an der Armutsquote haben. Genau das ist das Feld, das wir beackern müssen. Unsere Maßnahmen sind bekannt.
Ich rede heute zum dritten Mal zu einem Tagesordnungspunkt. Der Erste war Frauenpolitik, der Zweite war Jugendpolitik, und der Dritte ist der Armuts- und Reichtumsbericht. Dabei fällt mir auf: Bei allen drei Tagesordnungspunkten war die oberste Forderung der Opposition, einen Bericht zu schreiben und vorzulegen. Meine Damen und Herren, wir können eine gesamte Verwaltung lahm legen, wenn wir uns in diesem Berichtswesen erschöpfen. Wir wollen handeln!
Kollegin Helmhold von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch einmal zu Wort gemeldet. Frau Helmhold, Sie haben von Ihrer originären Redezeit noch gut zweieinhalb Minuten.
Meine Damen und Herren! Ich entnehme den Wortbeiträgen, dass diese Seite des Hauses keinen Landesarmutsbericht schreiben möchte. Frau Meißner, Sie haben gesagt, wir hätten ihn von der Landesarmutskonferenz. Aber genau diese hat gefordert, dass dieser Landesbericht vorgelegt wird. Mir war schon klar, dass jetzt wieder nach Berlin geschielt wird, um von dem eigenen Versagen in Niedersachsen abzulenken.
Lassen Sie mich einmal ein paar Dinge sagen: Rot-Grün hat seit 1998 das Kindergeld in mehreren Stufen erheblich angehoben
Ich möchte an folgende Dinge erinnern: Im Zusammenhang mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz haben Sie die Praxisgebühr einverhandelt, die natürlich gerade sozial Schwache erheblich benachteiligt.
Sie haben auch dafür gesorgt, dass die Versicherten in diesen Kompromiss 20 Milliarden Euro einbringen und dass durch Ihre Schutzzäune, die Sie gezogen haben, z. B. die Pharmalobby nur 5 Milliarden Euro einbringt. Das ist etwas, woran Sie hätten arbeiten können.
Ich erinnere Sie noch einmal an die Diskussion um Hartz IV. Sie haben dafür gesorgt, dass die Zuverdienstmöglichkeiten ganz extrem beschnitten worden sind, sodass von den ersten 400 Euro nur 15 % behalten werden können. Hier hätte sich gerade für sozial Schwache eine Möglichkeit ergeben, mehr dazuzuverdienen und aus der Armutsfalle herauszukommen. Auch daran tragen Sie eine erhebliche Verantwortung.
Wir brauchen niedersächsisches Datenmaterial, um entsprechend gegensteuern zu können. Wir wissen doch, meine Damen und Herren, dass unzureichende Bildung und mangelnde berufliche Qualifikation zu den Hauptursachen von Armut gehören.
(Christian Dürr [FDP]: Wenn wir es schon wissen, warum brauchen wir dann noch einen Bericht? - Gesine Meißner [FDP]: Wir brauchen keinen Bericht! Wir wissen das alles!)
Wir wissen, dass ausländische Kinder und Jugendliche überproportional viel in Sonder- und Hauptschulen vertreten sind. Wir wissen, dass
mangelnde Sprachkompetenz Kinder von Bildung ausschließt. Ich sage Ihnen einmal, was Sie hier in Niedersachsen machen: Sie verkürzen und verschlechtern die Sprachförderung in Kindergärten, Sie schaffen die Hausaufgabenhilfe und die Lernmittelfreiheit ab, und Sie gehen an den muttersprachlichen Unterricht. Das alles sind Dinge, die unmittelbar mit der Armut zusammenhängen. Dabei haben Sie sich im Land nicht gerade so verhalten, als wollten Sie etwas dagegen tun.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - David McAllister [CDU]: Haben Sie einen Finanzierungsvorschlag, Frau Kollegin?)
Wir wissen, dass sich Armut bei suchtkranken Menschen überdurchschnittlich verfestigt. Was machen Sie? - Sie streichen die externe Drogenberatung in Knästen, und Sie haben im letzten Jahr durch die Haushaltssperre allen Drogenberatungsstellen die Mittel um mindestens 5 % gekürzt. Da liegt Ihre Verantwortung auf Landesebene. Wir brauchen deswegen einen Bericht, um eine Grundlage zu haben und dann zu gucken, wo wir im Land entsprechend gegensteuern können.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - David McAllister [CDU]: Schreiben Sie den Bericht doch selbst! Das Niveau passt sich der Uhrzeit an!)
Liebe Frau Helmhold, wir wollen erst einmal feststellen: Das Kindergeld für das dritte Kind ist natürlich nicht erhöht worden. Sie haben Ihre Welt sehr genau eingeteilt: das erste und das zweite Kind sind publikumswirksam, aber ab dem dritten Kind gibt es nicht mehr.
Dass Sie den Gesundheitskonsens jetzt so aufgeben, ist schon erstaunlich. Bisher, Frau Helmhold, haben sich alle Fraktionen eisern daran gehalten, dass der gefundene Kompromiss gemeinsam getragen wird.
dass Sie versuchen, das, was wir gemeinsam erarbeitet haben, jetzt in die linke oder rechte Ecke zu stellen. Meine Damen und Herren, das ist ein gemeinsamer Kompromiss. Er ist uns allen schwer gefallen. Wir haben bisher alle dazu gestanden. Sie sind die erste Politikerin, von der ich höre, dass sie ausschert und sagt: Das war Schwarz und das war Rot-Grün.
Sie hätten z. B. erwähnen können, dass die Praxisgebühr für die Untersuchung von Kindern nicht gilt. Auch das ist eine gemeinsame Errungenschaft, aber das passt nicht in Ihr Bild. Warum haben Sie nicht erwähnt, dass das Erziehungsgeld gerade abgesenkt worden ist, sowohl in den Einkommensgrenzen als auch in seiner Höhe?
Wenn wir dieses Ping-Pong-Spiel - das gilt auch für die Sprachförderung vor der Einschulung -, das Sie und nicht wir eben aufgemacht haben, gemeinsam weiter spielen, dann kommen wir nicht an die wirkliche Wurzel des Übels heran. Die Wurzel des Übels ist im Arbeitsmarkt zu suchen, wo wir jeden Tag 1 500 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verlieren.
Der Kollege Nahrstedt hat noch einmal um Redezeit gebeten. Nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung gewähre ich ihm zwei Minuten.
Frau Präsidentin! Frau Kohlenberg und Frau Meißner, Sie haben gesagt, wir sollten handeln und nicht weiteren Berichte erstellen. Frau Meißner, ich habe in meinem Studium gelernt: Bevor man irgendetwas macht, muss man wissen, wohin man will. Es geht also um zielorientiertes Arbeiten. Und um zielorientiert zu arbeiten, brauche ich eine Basis, von der aus ich loslege.
Ich möchte es Ihnen noch einmal sagen: Ein Armuts- und Reichtumsbericht nimmt eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme vor und analysiert die gesellschaftlichen und politischen Entwicklun
gen. Daraus mache ich dann ein Programm, nach dem ich handele. Das haben Sie bisher nicht vorgelegt. Sie sagen zwar, verschiedene Stellen hätten bereits etwas vorgelegt, aber Ausgangspunkt ist in allen Fällen die Sichtweise des jeweiligen Berichterstatters.