Protocol of the Session on November 19, 2004

Frau Ministerin, Landtagsabgeordnete bewegen sich mit ihrem Einkommen ja nicht gerade am unteren Ende der Einkommensskala. Ich frage Sie: Warum muss ich, der ich heute in der GKV einen hälftigen Krankenkassenbeitrag von etwa 255 Euro zahle, nach Ihrem Modell um ca. 30 Euro entlastet werden, und warum soll ich zusätzlich noch von der Senkung des Spitzensteuersatzes profitieren? Ist das gerecht?

Frau Ministerin!

Herr Wenzel, mit Ihrem Einkommen sind Sie ein klassischer Vertreter des Mittelstandes. Wenn es um das Thema soziale Gerechtigkeit und um die Überforderungsgrenze von 7 % geht, sollten wir uns einmal die Verteilungswirkung bei der Gesundheitsprämie anschauen. Für Einkommen über 1 560 Euro ändert sich gegenüber heute überhaupt nichts. Der Beitrag bleibt so wie bisher. Die Bezieher der Einkommen zwischen rund 1 600 Euro und der Beitragsbemessungsgrenze werden besser gestellt. Das ist auch so gewollt, und zwar aus dem Grund, weil sie diejenigen sind, die die gesamte Last der Umverteilung allein tragen.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Ich bin aber über der Beitragsbemessungs- grenze!)

- Ihr Einkommen liegt über der Beitragsbemessungsgrenze? Dann kommt es zunächst darauf an, ob Sie freiwillig versichert sind. In diesem Fall würden Sie entlastet werden. Das ist auch richtig so, weil Sie bisher die ganze Last der Umverteilung getragen haben. Wenn Ihr Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, sind die weiteren entscheidenden Fragen: Haben Sie Kinder? Wie viele Kinder haben Sie, und wie alt sind die Kinder? Wenn Sie keine Kinder haben, werden Sie in Zukunft am meisten zur Finanzierung des Lastenausgleichs beitragen, anders als beim Status quo, auch anders als in der Bürgerversicherung, wo Einkommen über 3 500 Euro überhaupt nicht mehr interessieren. Wenn Sie Kinder haben, dann zahlen Sie weniger Steuern, und das halte ich nach wie vor für richtig.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Weddige-Degenhard, bitte!

Ich frage die Landesregierung zu dem jetzt ausgehandelten und von Ihnen favorisierten Kompromissmodell. Die Landesregierung tritt ja immer mit dem Anspruch an, Bürokratie abzubauen und Abläufe zu vereinfachen. Was antworten Sie Gesundheitsökonomen und Krankenkassen, die sagen, das neue Kompromissmodell sei ein gigantisches bürokratisches Monster?

Frau Ministerin!

Den Begriff „Monster“ benutzen wir ja wechselseitig. Aber ich will gern noch einmal - es bleibt Ihnen heute nicht erspart - die drei Systeme vergleichen: Status quo, Gesundheitsprämie, Bürgerversicherung.

Wenn es nur um die Bürokratie geht, ist der Status quo ganz ohne Zweifel das günstigste System. Dass das heutige System ungerecht ist, dass die Einnahmen wegbrechen und dass deshalb immer

weniger Menschen alles leisten müssen, hat ja nichts mit Bürokratie zu tun. - Nur unter dem Gesichtspunkt Bürokratie wäre also das heutige System das beste.

Bei der Gesundheitsprämie ist die Bürokratie drastisch geringer als bei der Bürgerversicherung, und zwar aus folgendem Grund: Bei der Gesundheitsprämie zahlt grundsätzlich jeder seinen Beitrag. Nur für diejenigen, die wegen ihres niedrigen Einkommens überfordert sind, zahlt der Staat einen Zuschuss, und das ist auch richtig so. Dieser Zuschuss wird vom Finanzamt direkt an die Krankenversicherung gezahlt. Das ist der Schritt mehr gegenüber heute.

Die Bürgerversicherung denkt anders. Sie sagt: Auf alle Einkommen, vom ersten Euro bis zu 3 500 Euro, wollen wir die Beiträge erhöhen.

(Thomas Oppermann [SPD]: Erheben, nicht erhöhen!)

- Entschuldigung! Erheben, ich wollte nicht „erhöhen“ sagen. Das war eine Freud‘sche Fehlleistung.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Sprache ist verräterisch!)

In der Bürgerversicherung soll der Beitrag auf alle Einkommen, vom ersten Euro bis zur Beitragsbemessungsgrenze, erhoben werden. Das bedeutet, dass die Krankenkassen, um ihre Einnahmen zu bekommen, bzw. die Finanzämter jedes Einkommen minutiös nachverfolgen müssen.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Das ma- chen die doch sowieso!)

Warum sollen 400 Krankenkassen bei der Verfolgung des Einkommens erfolgreicher sein als die Finanzämter?

(Vizepräsidentin Ulrike Kuhlo über- nimmt den Vorsitz)

Wie kann es sein, dass Hans Eichel eine Steueramnestie erklärt und die dann offengelegten Einkommen aus Kapitalvermögen gleich wieder mit Krankenversicherungsbeiträgen belegt werden, weil bei der Bürgerversicherung die Beiträge vom ersten Euro bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben werden? Was wird wohl mit den Einkommen passieren? - Sie werden auf die Flucht gehen. Anders als bei der Gesundheitsprämie müssen bei der Bürgerversicherung alle Einkommen, egal aus

welcher Quelle sie stammen, in ihrer vollen Breite durchleuchtet und belegt werden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Möhrmann, bitte!

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Antwort gesagt, es sei ungerecht, dass diejenigen, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu versteuern haben, in der Bürgerversicherung keine Beiträge für diese Einkünfte zahlen sollen. Ich frage Sie: Welchen Beitrag zahlen sie denn über das Steuersystem für Ihre Kopfpauschale?

Die zweite Frage: Es ist ausgerechnet worden, dass Sie zur Finanzierung der sozialen Komponente bundesweit 25 Milliarden Euro brauchen. Davon entfallen auf die Länder 12,8 Milliarden Euro. Für den niedersächsischen Haushalt wären das 1,28 Milliarden Euro. Wie kann Herr Möllring diesen Betrag im Haushalt unterbringen?

Frau Ministerin!

Ich beantworte die zweite Frage zuerst: Weil es vorher eine Steuerreform nach Merz-Faltlhauser geben muss. Das ist völlig klar. Auf diesem Konzept basiert unser Modell.

Zur ersten Frage zu Mieten und Pachten: Hier wird der unterschiedliche Denkansatz zwischen Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie sehr deutlich. Die Ziele sind ja identisch - man will alle Einkommen einbeziehen -, nur die Wege dorthin unterscheiden sich.

In der Bürgerversicherung soll zunächst jedes Einkommen vom ersten Euro an mit Beiträgen belastet werden. Dann tat sich natürlich das Problem auf, dass Sie zwischen Mietshausbesitzern, Sparern und Lohnabhängigen unterscheiden müssen.

Im Steuersystem hingegen werden alle Einkommen gleichmäßig betrachtet. Es gibt keine zweckgebundene Steuer. Es kommt alles, wenn ich es einmal bildlich ausdrücke, in einen Topf, und dar

aus wird geschöpft. Es ist also völlig einerlei, woher das Einkommen kommt. Die Leistungsfähigkeit ist das Grundprinzip der Steuer.

Im Steuersystem belasten Sie oben stark, in der Mitte mittelmäßig und unten gar nicht.

In der Bürgerversicherung ist das anders. Da machen Sie eine zweite Proportionalsteuer auf für die für die Krankenversicherung maßgeblichen Einkommen, unten beginnend bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze. Dann wollen Sie gucken, welches Töpfchen was erbringt, aber dann kommen Sie in die Schwierigkeit, dass Sie nicht gleichmäßig belasten können.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Jetzt die Antwort bitte! Welchen Beitrag aus der Steuer bringen bei der Kopfpau- schale Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung?)

- Die Einnahmen kommen aus dem allgemeinen Steueraufkommen.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Warum ist es bei der Bürgerversicherung raus?)

- Die Frage ist völlig richtig. Weil Sie die Beiträge für die Kinder nicht von allen bezahlen lassen, sondern nur von den Einkommen von einem Euro bis 3 500 Euro. Das ist der Unterschied. Wir nehmen das Gesamteinkommen und belasten alle Einkünfte, auch oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze.

(Beifall bei der CDU)

Die nächste Frage stellt Herr Janßen.

Vor dem Hintergrund, dass sicherlich auch zukünftig höhere Kosten im Gesundheitswesen entstehen werden, frage ich die Landesregierung, wie diese in ihrem System aufgefangen werden sollen. Soll das durch eine jährliche neue Festlegung des Steueranteils, der in das Versicherungssystem einfließen soll, geschehen oder eher dadurch, dass der Prozentsatz der Pauschale erhöht wird? Letztendlich geht es darum, wie das langfristig geregelt werden soll.

Frau von der Leyen, bitte!

Die Finanzierung der Kinderbeiträge über das Steuersystem funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie z. B. das Kindergeld. Beim Kindergeld wird nicht jedes Jahr neu debattiert, ob es erhöht oder gesenkt werden soll. Das ist eine Leistung, die zu erbringen ist, und das ist auch richtig so.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: Das Kindergeld ändert sich aber nicht!)

- Die Gesamtsumme des Kindergeldes variiert doch - je nachdem, wie viele Kinder wir haben. Als wenn das Kindergeld eine konstante Größe bliebe - wir wollen es nicht übertreiben!

Die Finanzierung der Kinderbeiträge über das Steuersystem ist richtig. Wenn es einmal darin verankert ist, muss es auch bezahlt werden. Das halte ich für richtig. Ich habe das schon mehrfach ausgeführt und werde es deshalb jetzt nicht noch einmal sagen.

Die zweite Frage, wie sich die Prämien im Laufe der Zeit verändern, entspricht der Frage, wie sich die Beitragssätze im Laufe der Zeit verändern. Diese Frage beantwortet sich nur, wenn wir eine Antwort darauf geben, wie erfolgreich wir - damit meine ich uns alle politisch Verantwortlichen darin sind, die Ausgabenstrukturen im Gesundheitswesen effizient zu halten. Das ist keine Frage, die an die Finanzierungsseite des Systems gekoppelt ist. Die Prämien müssen natürlich dynamisch sein, wie auch alle anderen Ausgaben in der Pflegeversicherung oder in der Arbeitslosenversicherung, und zwar je nachdem, wie die Bedürfnisse sind, die bezahlt werden müssen.

Die Frage, die wir heute bei der Reform der Krankenversicherung diskutieren, ist, wie wir die Einnahmeseite systematisch strukturell wieder auf neue Füße stellen. Das hat nichts damit zu tun, wie am Schluss der Preis am Markt ist. Dieser Frage werden Sie sich auch bei einer Bürgerversicherung oder beim Status quo nicht entziehen können. Warum würden wir heute um die Beitragssätze so ringen, wenn die Einnahmeseite nicht weiter zur Diskussion stünde? - Denn nicht nur die Ausgaben drücken. Dadurch haben wir den Druck der erhöhten Beitragssätze in der Krankenversicherung.

Bezahlt werden muss also das, was von der Gesellschaft im Konsens als Solidarleistung definiert ist. Das halte ich für richtig und unabdingbar. Wir müssen uns dabei die Frage stellen, wie wir die Einnahmeseite so konjunkturunabhängig wie möglich machen. Der Status quo wird dies auf die Dauer nicht leisten können.

Die nächste Frage stellt Frau Polat. Bitte!