Protocol of the Session on November 18, 2004

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Der Antrag unterschlägt das wohl abgewogene System der direkten Bürgerbeteiligung auf der kommunalen und Landesebene, Herr Briese, und das plebiszitäre Element des Artikels 29 des Grundgesetzes.

Erkennbares Vehikel zur Einführung der weiteren plebiszitären Elemente im Grundgesetz soll die Premiere, nämlich das Referendum über den Vertrag über die Europäische Verfassung sein - übrigens im Gegensatz zum erklärten Willen des grünen Übervaters Joschka Fischer.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Der hat dazu- gelernt, Herr Noack!)

Eine Abstimmung über ein veritables trojanisches Pferd, die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der türkischen Republik, ist allerdings nicht vorgesehen, und es sollen, wie wir zwischenzeitlich wissen, darüber hinaus Haushaltsgesetze, Abgabengesetze und die Wiedereinführung der Todesstrafe explizit ausgenommen werden. Da zweifeln also SPD und Grüne an der Reife des Staatsvolkes.

(Christian Dürr [FDP]: Aha!)

Am 17. September 2004 hat die geschätzte Kollegin Susanne Grote unter - wie das Protokoll vermerkt - lebhaftem Beifall bei der SPD und bei den Grünen gesagt: „Ich freue mich auf interessante Diskussionen im Plenum und in den Ausschüssen.“ Diese Freude muss angesichts der kurzen und von Wiederholungen geprägten Ausschussberatung arg begrenzt gewesen sein.

Allerdings gibt es eine bemerkenswerte Änderung zum Stand 17. September. Am 29. Oktober nämlich haben die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen im Bundestag den Fraktionen von

CDU/CSU und FDP den Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes „Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid“ übermittelt. Sie haben zugleich Sondergespräche über eine kurzfristige gemeinsame Gesetzesinitiative vorgeschlagen. Da die Fraktionen von CDU/CSU und FDP solche Sondergespräche aus nachvollziehbaren Gründen abgelehnt haben, steht nun das parlamentarische Verfahren im Bundestag offen. Eingebracht in dieses geordnete Verfahren der repräsentativen Demokratie ist allerdings dieser Gesetzentwurf nach meinem Kenntnisstand noch nicht. Anlass für den Niedersächsischen Landtag, unsere Landesregierung zur Einflussnahme auf den Bundesrat aufzufordern, gibt es daher nicht. Wahrscheinlich wird sich die Spitze der Bundes-SPD durchringen, den Gesetzentwurf dem Bundesparlament vorzulegen, wohl wissend, dass es sich um „ein Feld folgenloser und deshalb geduldeter Profilierung“ für die Bündnisgrünen handelt, wie Günter Bannas im Leitkommentar „Sperrige Grüne“ der FAZ vor zwei Wochen süffisant angemerkt hat.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Im Ernst: An folgenloser und deshalb geduldeter Profilierung von Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag wollen wir uns, bei aller persönlichen Wertschätzung für meinen Gruppenpartner im Kreistag des Landkreises Göttingen, im parlamentarischen Beratungsgang nicht mehr als notwendig beteiligen. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank. - Frau Kollegin Grote hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Noack, eines vorweg gestellt: Eine Diskussion lebt von einem Dialog, und wenn man kaum Antworten bekommt, kann man auch keine interessante Diskussion führen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Demokratie ist, um mit Winston Churchill zu sprechen, die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.

(Bernd Althusmann [CDU]: Dann ma- chen Sie das doch! - Christian Dürr [FDP]: Sie sind herzlich eingeladen!)

- Gelegentlich. - Direkte Demokratie ist noch ein Stück mehr, meine Damen und Herren. Leider ist die Mehrheit der Ausschussmitglieder dem uns vorliegenden Antrag, die direkte Demokratie als Grundrecht einzuführen, nicht gefolgt. Woran liegt das? Haben Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, Angst, sich einer anderen Ansicht beugen zu müssen?

Lassen Sie uns einmal gemeinsam überlegen, was eigentlich hinter dem Begriff Demokratie steht. Rousseau hat im 17. Jahrhundert den Begriff der Volkssouveränität propagiert. Locke und Montesquieu etablierten im 18. Jahrhundert den Begriff der Gewaltenteilung. Beide werden als elementare Bestandteile eines modernen demokratischen Rechtsstaates betrachtet.

Unser bewährtes System sieht jedoch nicht vor, dass die Bürgerinnen und Bürger über jedes Detail des politischen Tagesgeschäftes entscheiden können. Dem Volk obliegt es auf Bundesebene lediglich, mit seiner Stimme bei Wahlen die grobe Richtung vorzugeben - in der Hoffnung, dass diese Richtung auch Beachtung findet.

(Ilse Hansen [CDU]: Da werden sie ja manchmal enttäuscht von Ihrer Par- tei!)

- Von Ihrer auch. - Es werden Vertreterinnen und Vertreter gewählt, die als Repräsentanten der Wählerinnen und Wähler agieren sollen. Diese elementaren Bestandteile charakterisieren unsere parlamentarisch-repräsentative Demokratie.

Doch welche Möglichkeiten haben die Wählerinnen und Wähler, wenn die Repräsentanten die grob vorgegebene Richtung nicht einhalten?

(Dr. Harald Noack [CDU]: Das haben wir in Niedersachsen gesehen!)

- Genau. Ich freue mich auf 2008.

(Zuruf von der CDU: Wir auch!)

Die Eingriffsmöglichkeiten durch plebiszitäre Rechte sind sehr unterschiedlich. Auf kommunaler Ebene, auf Landesebene und auf europäischer Ebene besteht die Möglichkeit, im Rahmen von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden über Sachthemen mitzubestimmen. Und was

bleibt auf Bundesebene? Hier haben die Bürger nur die Möglichkeit, auf die nächste Wahl zu warten und möglicherweise andere Richtungen vorzugeben.

(Dr. Harald Noack [CDU]: Wir warten händeringend! - Weiterer Zuruf von der CDU: Möglicherweise!)

- Möglicherweise, man achte auf die Formulierung, Herr Kollege. - Warum stärken wir die plebiszitären Rechte auf Bundesebene nicht? Warum lehnen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, die Stärkung der plebiszitären Rechte immer wieder ab? Ich bin fest davon überzeugt, dass die direkte Entscheidungsmöglichkeit über Sachthemen für jede Bürgerin und jeden Bürger gleichzeitig die Verpflichtung beinhaltet, Verantwortung zu übernehmen, und verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger können wir sehr gut gebrauchen. Zusätzlich würde sich die Chance ergeben, die Demokratie zu beleben und zu bereichern. Wir hätten die Chance, der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und die Sachthemen mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Die parlamentarischen Entscheidungsprozesse würden auch unter dem Blickpunkt der verstärkten Bürgernähe beurteilt werden.

Um einem möglichen Missbrauch entgegenzuwirken, besteht die Möglichkeit einer Vorabkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Volksinitiative können so rechtzeitig ausgeräumt werden. Für populistische Hauruck-Aktionen eignen sich weder Volksinitiativen noch Volksbegehren oder Volksentscheide.

Nun liegt es an Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP. Ein Umdenken ist möglich. Vielleicht sehen Sie es einfach wie Rita Süssmuth, die einmal sagte: „Demokratie bedeutet auch, sich selbst kritisch zu sehen.“ - Danke.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Lehmann, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt in der Tat relativ schwer, dem, was in der ersten

Lesung zu diesem Antrag schon gesagt wurde, noch etwas Neues hinzuzufügen. Der Kollege Noack hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auch in der Ausschussberatung einfach nichts Neues gekommen ist, und selbst heute haben wir vom Kollegen Briese nichts Neues gehört außer den Vorwürfen, wir würden uns plebiszitären Elementen ständig widersetzen. Echte Überzeugungsarbeit ist weder heute noch beim letzten Mal noch in der Ausschussberatung geleistet worden. Das muss man sich als Grüner nun in der Tat vorwerfen lassen.

(Zustimmung bei der FDP)

Bemerkenswert ist vor allem der klägliche Versuch - das geschieht wahrscheinlich mangels anderer Themen -, Bundesthemen, die eigentlich in den Bundestag gehören, in den Niedersächsischen Landtag zu ziehen und hier zu versuchen, die Initiative zu ergreifen, damit sich auf Bundesebene etwas ändert.

(Zustimmung von Dr. Harald Noack [CDU])

Ich habe auch beim letzten Mal schon angemerkt, dass wir hier Dinge am falschen Ort beraten. Auch dazu sind Sie heute leider eine Erklärung schuldig geblieben.

Der Kollege Noack hat dankenswerterweise auch schon auf das widersprüchliche Verhalten hingewiesen. Jetzt rufen Sie lauthals nach plebiszitären Elementen, aber wenn es um ein eminent wichtiges Thema wie die EU-Verfassung geht, zu dem wir als FDP uns auf Bundesebene klar positioniert haben, verweigern Sie sich einem Referendum zunächst und kommen dann, wenn ein prominenter Bundespolitiker der Grünen danach ruft, auf einmal wie Kaspar aus der Kiste und sagen: Jetzt machen wir mit, jetzt marschieren wir in diese Richtung. Wer so etwas macht, kann heute hier nicht sagen: Alle andern verweigern sich, und nur wir kennen die wahre Lehre. So geht es nun wirklich nicht.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Christian Dürr [FDP]: Schein- heilig ist so etwas!)

Gerade wegen der meiner Ansicht nach notwendigen Differenzierung muss man aber auch einmal fragen: Wie viel direkte Demokratie brauchen wir auf Bundesebene im Gegensatz zu den vielen Elementen der direkten Demokratie, die wir in Nie

dersachsen in unseren Kommunalordnungen, aber auch in unserer Landesverfassung in den Artikeln 47 ff. haben, nämlich durch Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide?

Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Entscheidungen, die den Bürger unmittelbar betreffen, und vielen anderen Entscheidungen, gerade auf Bundesebene, die sich nicht direkt auf jeden einzelnen Bürger auswirken. Gerade bei Themen wie Hartz IV oder Gesundheitsreform kann man sich Manipulationen vorstellen. Durch falsche oder diffamierende Berichterstattung von den verschiedensten Seiten oder durch entsprechende Propaganda in den Medien können Entscheidungen natürlich ganz stark beeinflusst werden. Diesen Aspekt darf man hier einfach nicht außer Acht lassen, und man muss deshalb sagen: Wir brauchen die direkte Demokratie in ausgewählten Gebieten bzw. bei Einzelfragen. Nur dort, wo es einen direkten Bezug zu den Bürgern gibt, ist eine unmittelbare Befragung des Volkes durchzuführen. Ich glaube, darin sind wir uns in der Zielrichtung einig. Deshalb gibt es gerade auf der kommunalen Ebene und auf der Ebene des Landes diese Instrumente, und dort sind sie auch richtig angeordnet.

Wir sind eben nicht dafür, von hier aus Initiativen für die Bundesebene zu starten. Wir sagen: Die Themen sollen dort beraten werden, wo sie hin gehören. Wir haben die Bürgerbeteiligung in Niedersachsen geregelt. Wir haben sie im Griff. Wir haben hier die plebiszitären Elemente eingeführt. Das ist richtig so, und deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Lehmann. - Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich den Ausführungen von Herrn Dr. Noack und Herrn Lehmann, die für die Regierungsfraktionen gesprochen haben, inhaltlich anschließen. Auch die Landesregierung ist der Meinung, dass man mit der repräsentativen Demokratie, für die sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes entschieden haben, grundsätzlich gut fährt. Schon

jetzt wird manchmal gestöhnt: Schon wieder Wahl! Die Regierungen sollten zwischen den Wahlen Zeit und Gelegenheit haben, Verantwortung wahrzunehmen und Entscheidungen zu treffen. Die schlechten Beteiligungsquoten bei vielen Volksentscheiden in anderen Ländern suggerieren eine gewisse Wahlmüdigkeit. Die komplexen Sachverhalte werden immer differenzierter. Dabei ist die Reduzierung auf ein schlichtes Ja oder Nein in der Sache häufig nicht weiterführend, sodass wir sagen, in bewährter Form und mit bewährten Mitteln weiterzumachen und von diesen nicht ohne Not abzuweichen. Ich halte die Ausschussempfehlung für richtig. Die Landesregierung nimmt dieses Votum des Landtages mit großer Aufgeschlossenheit zur Kenntnis.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)