offenkundig den Nachweis führen, wie schlecht sich diese Reform auswirkt; ob der Schriftsteller Muschg, der gesagt hat, „die Rechtschreibreform ist unnötig wie ein Kropf und hat keine Verbesserung gebracht, sondern nur mehr Unsicherheit geschaffen“ oder beispielsweise Günther Grass oder Lenz, Gruner, Walser, Enzensberger oder auch Verlage wie Pieper, Suhrkamp, Hansa, Diogenes u. a. Natürlich haben die damals bei Einführung der Rechtschreibreform gesagt, über Geld braucht man nicht zu reden, das kostet nichts, die Bücher werden eh ständig neu aufgelegt, und dementsprechend ist es auch unredlich, das Thema jetzt über Kosten abhandeln zu wollen. Im Übrigen sind immer noch 85 % aller Literatur, die in den Buchhandlungen ausliegt, in alter Rechtschreibung geschrieben, und selbstverständlich entsteht der Umgestaltungsaufwand so oder so immer, sodass das ernsteste Argument, das man zur Kenntnis nehmen muss, das ist, dass wir fünf Jahrgänge die neuen Rechtschreibregeln erlernen lassen. Das ist eine Bürde, die wir denjenigen Schülern, die seit fünf Jahren die neuen Rechtschreibregeln lernen, auferlegen, sollten wir in Teilen zu der alten Rechtschreibung zurückkehren.
Ich halte dort, wo Unklarheit geschaffen ist, die Rückkehr zur alten Rechtschreibung deshalb für besser, weil diese Schüler ihr Leben lang den Nutzen davon haben, dass sie bestimmte Irrungen und Wirrungen nicht dauerhaft werden betreiben müssen.
- Wissen Sie, ich kann aus dem alten und aus dem neuen Duden endlos weiter vortragen. Die Frage ist: Ist es besser geworden, ist es schlechter geworden? - Sie sagen, es sei alles toll geworden. Ich sage Ihnen: Es ist alles schlechter geworden. Wir haben Beliebigkeit und keine Verlässlichkeit.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Wolfgang Jüttner [SPD]: Die Fach- leute sind anderer Meinung!)
Sie treten hier aus meiner Sicht so intolerant auf, weil Sie nicht den Versuch machen, zu einem Konsens zu kommen.
- Wissen Sie, Sie sagen: Wir sind die Tollen, und die anderen sind alle blöd. Die sind eben nicht in der Lage, die neuen Regeln zu erlernen.
- Ihre Vizepräsidentin im Deutschen Bundestag, Antje Vollmer, sagt aber, dass es Züge von Willkür trage, wie die Rechtschreibreform von Anfang an durchgesetzt worden sei, die Reform sei Flickwerk, sprachwissenschaftlich missraten. Sie fügt sich in die Missstimmung, die über dem Land liegt. Die Argumentation von Frau Vollmer bis hin zu Linguisten wie Professor Henne aus Wolfenbüttel, die Argumentation sowohl der Fachwelt wie derer, die Sprache nutzen, ist doch ernst zu nehmen. Man kann doch nicht alle Journalisten, die sagen, wir haben Probleme mit der neuen Rechtschreibung, quasi in eine Ecke stellen und sagen, die wollen einfach nicht dazulernen. Die Journalisten, die diese Erklärungen abgeben, sind diejenigen, die mit der Sprache ständig zu tun haben. Wenn wir das Schreiben fördern wollen, wenn wir das Lesen fördern wollen - man müsste, wenn ich Sie so erlebe, durchaus erst einmal das Zuhören fördern wollen;
man muss sich einfach darauf einlassen und sich damit auseinander setzen -, dann betrifft das auch die Frage, wie Parlamente, wie die Länder und der Bund mit Sprache umgehen. Man kann wie Herr Jüttner sagen, der Bund ist für die Behördensprache zuständig, die Länder sind für die Schulsprache zuständig, und im Übrigen kann jeder machen was er will. - Das ist ja eine korrekte Beschreibung.
Wir sind der Meinung, wir sollten ein möglichst hohes Maß an Übereinstimmung zwischen dem, was Kinder in der Schule lernen müssen, wofür sie Noten erhalten und Fehler angestrichen bekommen, und dem, was andere machen, herbeiführen, weil es den Beteiligten dienlich ist.
Wenn ich ständig etwas lese, das in der Schule als Fehler angestrichen wird, dann fällt mir das Lernen sehr viel schwerer, als wenn ich die Möglichkeit habe, dass ein Grundkonsens in möglichst hohem Maße in diesem Lande über den Gebrauch der Sprache aufrechterhalten wird.
Ein Literaturnobelpreisträger wie Günther Grass ist schon ein Ratgeber, wenn es um Literaturlesen und Leseförderung geht. Vor dem Hintergrund wünschte ich mir, dass Sie ein paar Ideen und Anregungen in die Konferenz der Ministerpräsidenten mit einbringen, dass die sich im Oktober mit diesem Thema beschäftigt. Bevor es zum 1. Juli nächsten Jahres zu spät ist und man dann gar nichts mehr verändern kann und die Beliebigkeit quasi beschlossen hat bzw. hat in Kraft treten lassen, sollten wir die verbleibenden nächsten Monate nutzen, um bestimmte Korrekturen auf der Grundlage der alten Rechtschreibung durchzusetzen. Das Nachdenken ist groß.
Allerdings lebe ich auch damit, dass die meisten Politiker nicht die Kraft haben, erkannte Fehler einzuräumen, oder dass sie bestimmte Leute in ihrem Umfeld nicht hängen lassen wollen. Die meisten Ministerpräsidenten sagen mir: Wir sind für die alte Rechtschreibung als Ausgangsbasis der Veränderung, aber leider haben wir uns in den letzten Jahren nicht gegen die Kultusbürokratie, die Fachgruppen, die Räte der deutschen Sprache, durchsetzen können, und jetzt haben wir ein schlechtes Gewissen, und wir müssen nach Jahren einräumen: Hätten wir damals nicht geschwiegen. - Es ist eben niemals zu spät, diese Fragen zu diskutieren. Das sollten wir mit den Schülern, mit den Lehrern, mit den Schriftstellern und mit den Journalisten machen. Wir sollten sie nicht wie in den beiden ersten Reden in dieser Debatte einfach so in eine Ecke stellen nach dem Motto: Das sind die Blöden, und wir haben die Weisheit mit Löffeln geschluckt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mit einem Zitat beginnen:
„Ein Musterbeispiel dafür, daß die Parlamente ihre Möglichkeiten nicht nutzen, ist die verpaßte Chance, die Rechtschreibreform zu verhindern. Hier sind die Parlamente von den Kultusministern vergewaltigt worden.“
„In meinen Augen darf so etwas nie mehr passieren, oder wir können die Kulturhoheit der Länder zu Grabe tragen.“
Das hat kein Geringerer als der ehemalige Präsident dieses hohen Hauses, Horst Milde, seiner Parteizugehörigkeit hinlänglich bekannt, in einem Interview zu der Rechtschreibreform gegenüber der Nordwest-Zeitung am 1. November 1996 erklärt. Die amtierende Kulturstaatsministerin - ich will nicht noch einmal zitieren, was der Herr Ministerpräsident zum Besten gegeben hat - schließt sich dem im Prinzip an. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, hofft ebenfalls „von ganzem Herzen“, dass die Reform zurückgenommen wird. Vicco von Bülow, alias Loriot, Meister des feinsinnigen Humors, spottet in der Bild-Zeitung vom 24. August dieses Jahres: „Die Rechtschreibreform ist völlig in Ordnung, wenn man weder lesen noch schreiben kann.“
Er setzt dem Ganzen zwei Tage später in derselben Zeitung mit seiner Prophezeiung die Krone auf: „Wir sind auf dem Wege, unser wichtigstes Kommunikationsmittel so zu vereinfachen, dass es in einigen Generationen genügen wird, sich grunzend zu verständigen.“ Daraus resultierend ergibt sich wiederum seine seriös gemeinte Forderung: „Keine Regierung darf es sich erlauben, eine Kulturnation zu einer Klasse von Schülern zu degradieren, denen nicht die geringste Anstrengung zumutbar ist.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur die Eingeweihten von Ihnen wissen, dass sich bedeutende Schriftsteller - Enzensberger, Walser, Lenz, Grass - und auch der sehr bekannte und einflussreiche Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki - das sind alles Persönlichkeiten, die im Bundestagswahlkampf auf Ihrer Seite stehen; das haben Sie vorhin nicht erwähnt, Herr Jüttner - den Rechtschreibgegnern angeschlossen haben. Auch große Zeitungs- und Buchverlage haben sich in der letzten Zeit dazu entschlossen, diesen Weg zu gehen, ebenso eine große Gruppe von Rechtswissenschaftlern - Herr Ministerpräsident hat das schon erwähnt -, aber auch Germanistik-Professoren - das ist auf dem letzten Germanisten-Kongress
Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung - das sind seriös, wissenschaftlich durchgeführte Umfragen - hat diese Rechtschreibreform nicht verinnerlicht und praktiziert sie auch nicht im Alltag. Ich habe bis jetzt keine Umfrage gelesen, die ein anderes Ergebnis gezeitigt hat. Was ist nämlich aus dieser so genannten Rechtschreibreform geworden, meine Damen und Herren? - Diese Frage muss selbstverständlich gestellt werden. Wir erleben Doppelzulässigkeiten, gleichberechtigte Varianten. Dem Prinzip der Beliebigkeit in der Rechtschreibung scheint in der Zwischenzeit Tür und Tor geöffnet zu sein.
Es geht getrennt und zusammen, groß und klein, und die neuen Kommaregeln lassen die abenteuerlichsten Satzkonstruktionen und daraus abzuleitende Sinngebungen entstehen. Das wollen Sie? Das darf und kann sich eine Sprache nicht leisten, liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere auch dann nicht, wenn sie sich im internationalen Vergleich behaupten muss. Alle in diesem Zusammenhang Verantwortlichen - ich schließe insbesondere die Politik mit ein - sollten dazu beitragen, dass die Menschen in einer immer komplexer werdenden Welt in die Lage versetzt werden, sich differenziert auszudrücken. Denn wer sich differenziert auszudrücken vermag - ich hoffe, da sind wir alle einer Meinung -, der kann auch differenzierter denken. Wer es auf Vereinfachung anlegt - wie es viele Reformideologen in diesem Zusammenhang leider tun -, der macht es insbesondere jungen Menschen, insbesondere Schülerinnen und Schülern nicht einfacher, sondern vielfach schwerer, weil die komplexen Sachverhalte, mit denen man es ja Tag für Tag zu tun hat, nicht mehr richtig begriffen und verarbeitet werden können.
Zu Recht hat deshalb unser Ministerpräsident schon häufig auf Untersuchungen hingewiesen, die zum Ausdruck bringen, dass die Zahl derer ständig wächst, die Sätze mit mehr als zwölf Wörtern schlicht und einfach nicht mehr begreifen können. Mit Sicherheit tragen die uns vorliegenden Vorschläge zur Rechtschreibreform qualitativ nicht dazu bei, diese Gegebenheiten im positiven Sinne zu verändern. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, was die Rechtschreibkommission der Öffentlichkeit vorgelegt hat, impliziert die Gefahr,
Marcel Reich-Ranicki - zweifelsfrei ein Meister der deutschen Sprache - hat das wie folgt ausgedrückt:
„ist entstanden, an dem vor allem jene leiden, die es nicht ignorieren dürfen: die Lehrer und die Schüler.... Sie werden gequält und sind, bisher jedenfalls, wehrlos.“
Machen wir uns nichts vor: Die neue Rechtschreibung war von der ersten Stunde an ein politisches Unternehmen. Die deutsche Orthografie sollte einfacher werden, weil Fehler angeblich soziale Unterschiede verrieten. Sie sollte moderner werden. Dabei schien vor allem die Großschreibung der deutschen Substantive zu stören. Im Wettbewerb zur Sprachwissenschaft der ehemaligen DDR übertrumpften sich die Linguisten gegenseitig mit Verbesserungsvorschlägen für die Rechtschreibung. Noch heute bekennen einflussreiche Mitglieder der Reformkommission, das Monopol des Duden - ein Privatunternehmen - habe ihren Kampf um eine neue Orthografie erst richtig beflügelt. Das ist wahrlich kein linguistisches, sondern eher ein politisches und törichtes Argument.
Meine Damen und Herren, der Versuch, die Rechtschreibung mit den Mitteln der Bürokratie zu ordnen, hat sich furchtbar gerächt. Von den vielen Wörterbüchern - hören Sie gut zu -, die seitdem geschrieben worden sind, Herr Jüttner, ist nicht eines mit dem anderen identisch. Jedem neuen Versuch folgt innerhalb kürzester Frist eine Revision.
Als die Kultusminister die Einführung der neuen Orthografie beschlossen, taten sie das gegen den erklärten Willen der von ihnen selbst bestellten Experten; denn diese waren längst dabei, die Fehler ihrer jüngsten Variante der deutschen Orthografie durch die Fehler der nächsten Variante zu ersetzen.
Im letzten Bericht der zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung an die Kultusminister, abgeliefert im März dieses Jahres, wird sogar die Hoffnung bekundet, nach dem Ende - das muss man sich einmal vorstellen - der Übergangsphase bis 2005 erst recht an einer Optimierung der neuen Rechtschreibung zu arbeiten. Das alles hat mit Sprache nichts mehr zu tun. Das gehört in den Bereich der bürokratisch-politischen Absurditäten.
Was ist nun zu tun? - Die fachlichen Gegensätze zwischen den Befürwortern und Gegnern der Rechtschreibreform sind ausgeprägt - das wissen wir -, sodass es im Interesse der Sache und der betroffenen Menschen unseres Erachtens angebracht ist, einen Neustart zu wagen. Es muss Schluss sein mit dem Nebeneinander von alter und neuer Rechtschreibung und der immer weiter um sich greifenden Beliebigkeit und Willkür bei der jetzigen und auch zukünftigen deutschen Rechtschreibung. Das dient letztlich keinem, insbesondere nicht den diesbezüglich arg gebeutelten Schülerinnen und Schülern und den Erzieherinnen und Erziehern.
Deshalb setzen wir unsere Hoffnung darauf, dass es den Ministerpräsidenten bei der Zusammenkunft im Oktober gelingt, den Rechtschreibekompass grundsätzlich neu zu justieren im Sinne einer prinzipiellen Rückkehr - wie es der Ministerpräsident gesagt hat - zur bewährten alten Rechtschreibung. Für die anschließend notwendigen Arbeiten sollten Persönlichkeiten gewonnen werden, die allseits fachlich anerkannt sind, den Kontakt zur Bevölkerung nicht verloren haben und die das auch parteiübergreifend abdecken, wie es auch bei einer jüngsten Volksinitiative in Niedersachsen der Fall ist. Dann müsste es gelingen, dass in Zukunft der Begriff „das hohe Haus“ - gemeint ist das Parlament - nicht mit einem Hochhaus, einem hohen Haus, verwechselt wird, wie es jetzt möglich ist, dass man dann „Kontrolle“ nicht im Sinne von „Kont-rolle“ trennt und der erste Teil des Wortes „Thunfisch“ nicht auf das Verb „tun“ zurückgeführt werden kann. Nutzen wir diese Chance - aber nicht im Sinne einer möglicherweise bald drohenden Schreibweise „S-c-h-a-n-g-s-e“. - Danke schön.