Protocol of the Session on February 18, 2004

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Bei Gewalt müssen Schüler, Lehrer und leider eben auch Eltern hinsehen und diese Gewalt ansprechen. Das kommt allzu oft zu kurz. Ich sage Ihnen: Zum Teil gibt es schon sehr gute Projekte. Auch Sprache kann ja schon Gewalt sein. Deshalb sind alle Projekte, die sich gegen verbale Gewalt im Frühstadium richten, genauso sinnvoll wie Konfliktlotsen, die es schon längst gibt und möglicherweise noch mehr betont werden müssen, weil sie zunächst Lehrer, später aber auch Schüler in die Lage versetzen, mit Problemen umzugehen und zu moderieren, anstatt sie mit Gewalt zu lösen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen auch die Anonymität von Schule bekämpfen. Ich meine zu allererst die Anonymität auch von übergroßen Schulzentren in Ballungszentren, die nicht nur sehr unübersichtlich sind, sondern bei denen man häufig gar nicht weiß, ob es sich bei dem einen oder anderen Schüler tatsächlich um einen Schüler dieser Schule handelt. Ein Problem ist, dass in dieser Anonymität die Persönlichkeit des Einzelnen und damit auch der Respekt und die Achtung vor dem Einzelnen verloren gehen. Die Hemmschwelle, einem Anderen im Falle einer Auseinandersetzung eins auf die Nase zu hauen, sinkt mit der Zunahme der Anonymität an unseren Schulen. Auch das wird eine gesamtpolitische Aufgabe für uns alle sein.

(Beifall bei der FDP)

Ganz Schlauen und Pfiffigen sage ich gleich: Anonymität bekämpfe ich nicht dadurch, dass ich überall Videokameras aufstelle und die Menschen beobachte. Hier geht es eher um eine emotionale Anonymität, die ich nur dadurch bekämpfen kann, dass der Andere, mein Nachbar, mein Lehrer oder auch die Eltern hinsehen. Damit schließt sich der

Kreis, und wir sind wieder beim Begriff „Zivilcourage“.

Ich sage Ihnen auch: Der Ruf nach schärferen Strafen macht keinen Sinn; denn nicht die Härte einer Strafe ist entscheidend für das Maß ihrer Abschreckung, sondern vielmehr die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. Dazu gehört, dass wir wieder hinsehen und hingucken. Neben der Diskussion in den Schulen müssen auch die Ursachen von Gewalt in der Gesellschaft bekämpft werden. Das klingt jetzt ziemlich hergeholt, man kann es aber auch ganz plakativ sagen. Die neue Landesregierung hat dies in vielen Teilen getan. Die Stärkung der Alltagskompetenz und damit auch der Diskussionskultur war, glaube ich, eine richtige Entscheidung. Gleichzeitig muss die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft werden, um jungen Menschen wieder eine Perspektive zu geben. Nicht zuletzt ist auch Sprachförderung notwendig, um die Integration junger Menschen in diese Gesellschaft weiter voranzutreiben. Meiner Meinung nach ist die neue Landesregierung sehr wohl auf dem richtigen Weg. Vielleicht ist sie erst am Anfang, aber die Richtung, meine sehr verehrten Damen und Herren, stimmt.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es heißt bei uns: Die Diskussion ist die Mutter aller Dinge. - Damit meine ich jetzt nicht die Diskussion in der Aktuellen Stunde, sondern in der Tat die Diskussion von Schülern, Lehrern und Eltern an unseren Schulen. Ich glaube, dieser Dialog ist viel eher in der Lage, Gewalt von vornherein zu bekämpfen oder zu verhindern, als jegliche Kontrolle oder jegliche Verschärfung von Strafen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Nächster Redner ist Herr Klare von der CDUFraktion.

Meine Damen und Herren, da ich aufgrund der Formalien nicht im Zusammenhang reden darf, sondern zwei Mal fünf Minuten reden muss, haben wir es so geregelt, dass wir die beiden Tagesordnungspunkte 1b und 1c in dieser Form abhandeln. - Herr Kollege Voigtländer, ich nehme das einmal auf, weil ich in dieser Auseinandersetzung wirklich etwas anderes erwartet habe. Ich sage ganz deut

lich, dass ich glaube, dass das in Rede stehende Thema nicht dazu geeignet ist, uns parteipolitisch auseinander zu dividieren. Ich habe das nicht getan. Ich denke, das wäre auch der falsche Weg. Was wir an dieser Stelle vielmehr brauchen, ist eine große gemeinsame Linie, damit wir die Schulen in die Lage versetzen können, ihre Erziehungsund Unterrichtsaufträge ordnungsgemäß durchzuführen. Hier klang das aber ganz anders.

(Zustimmung von Ursula Körtner [CDU])

Wenn ich vorhin von „Schulchaos“ geredet habe, so habe ich damit gemeint, dass es in der Vergangenheit nur wenige pädagogische Perspektiven gegeben hat und dass die Schulen nicht so ausreichend ausgestattet waren, wie wir es uns vorgestellt haben. Das war der Kern der Auseinandersetzung. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht allein um die Frage der Ausstattung oder von Perspektiven, sondern um Handlungsmöglichkeiten, die die Schulen haben müssen, damit sie sich gegenüber den betreffenden Schülerinnen und Schülern durchsetzen können.

Ich habe vorhin nicht von ungefähr denjenigen Lehrer als Beispiel angeführt, der sich hat krankschreiben lassen, weil seine Schule kein Instrument hat, um gegen diesen einen gewalttätigen Schüler vorzugehen. Das wird sicherlich geprüft werden. Wir müssen uns doch - das ist meine herzliche Bitte - mit der Frage auseinandersetzen, um welche Schüler es im Moment geht. Das sind nicht diejenigen, die einmal einen Verstoß begehen. Das sind auch nicht die, die an der Schule gelegentlich ein bisschen Zirkus machen. Vielmehr geht hier um kriminelle Gewalttaten. Wie anders soll man diese Taten bezeichnen, wenn mit Knüppeln und Eisenstangen auf andere Menschen eingeschlagen wird oder wenn Andere sexuell belästigt oder mit noch schlimmeren Dingen konfrontiert werden? Das ist mein Ansatz. Deshalb sollten wir die Diskussion nicht nur auf die Schule begrenzen - da hat Herr Rösler Recht -, sondern wir sollten die Lösung dieses Problems als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ansehen.

Meine Damen und Herren, natürlich kann die Schule nicht die Reparaturwerkstatt der Gesellschaft sein. Das ist nicht ihre Aufgabe. Wir müssen aber trotzdem dafür sorgen, dass die Schulen die neuen Herausforderungen, die auf sie zukommen, bewältigen können. Deshalb haben wir uns viel stärker als früher der Schulsozialarbeit zugewandt.

Wir haben das alte Programm übernommen und verfeinern und ergänzen es jetzt. Demnächst wird es an allen Hauptschulen Sozialarbeiter geben; denn in das in Rede stehende Problem müssen auch Andere als nur die Lehrer eingebunden werden, nämlich Erzieher, die sich um diese Probleme in besonderer Weise kümmern. Sie kommen den betreffenden Schülern möglicherweise näher, als dies Lehrern möglich ist. Wir müssen natürlich auch dafür sorgen, dass unserer jungen Generation wieder Werte und Grundhaltungen vermittelt werden. Das kann man auch mit BVJ-Schülern, Kollege Voigtländer.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich will es ergänzen: Es ist nicht nur die Vermittlung von Werten, die wichtig ist, sondern es ist auch der Respekt vor Werten, der wachsen muss. Das geht nur über eine vernünftige Vermittlung. Man stelle sich vor, wir hätten es hinbekommen - vielleicht auch über Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen -, über moralische Urteilskraft, über Erziehung zur Toleranz, über innere Stabilität zu reden, dann hätten wir schon viel präventiv tun können, und es wäre möglicherweise nicht zu den Übergriffen gekommen.

Meine Damen und Herren, wir müssen aber auch sehr klar aufzeigen, wo die Grenzen des Zusammenlebens verletzt werden. Das heißt, Erziehungsziele, die sich Schule gibt, müssen konsequent eingehalten werden. Ich bin vielleicht anderer Meinung als Sie, aber da ich meine Erfahrungen über die Jahre habe, sage ich Ihnen das: Bei Straftaten - diese sind klar bestimmt - gibt es eine Nulltoleranz, meine Damen und Herren.

(Beifall von Ursula Körtner [CDU])

Das bedeutet in diesem Fall: Jede Straftat muss unverzüglich angezeigt und verfolgt werden. Das bedeutet auch: Erziehungspersonal muss ohne Wenn und Aber an einem Strang ziehen. Ich weiß, wie schwierig das in solch einem vielfältigen, großen Kollegium ist. An einem Strang ziehen, hinsehen statt wegschauen! - Genau das ist die Haltung. Es hat, glaube ich, auch niemand weggeschaut. Aber es führt zu erheblichem Ärger, wenn man genau hinschaut. Ich sage das mit großem Ernst, meine Damen und Herren: Ich weiß, dass Lehrkräfte Angst haben, wenn sie etwas zur Anzeige bringen, Opfer von kriminellen Übergriffen außerhalb der Schule und innerhalb der Schule zu

werden. Das ist die Realität in den Schulen. Deswegen muss am Ende mit Mut gehandelt werden.

Deswegen noch einmal die Bitte, meine These zu unterstützen. Die Schulen brauchen Instrumente. Das Instrument des § 61 des Schulgesetzes reicht nicht aus; es schützt niemanden, es ist zu bürokratisch.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Ja, was wollen Sie denn? Sagen Sie doch mal!)

- Ich sage es jetzt. - Wer die Sicherheit von Menschen in der Schule gefährdet, wer den Unterricht schwer beeinträchtigt oder sogar unmöglich macht, hat an unseren Schulen nichts zu suchen. - Das ist eine sehr klare Aussage. Ich sage Ihnen auch, was wir mit diesen Schülerinnen und Schülern machen müssen: Wir müssen sie in andere Einrichtungen geben, damit sie in Ruhe therapiert werden können.

(Zuruf von den GRÜNEN: In welche?)

Erst wenn sie therapiert worden sind, können sie wieder in die Schule zurück. Das ist der letzte Weg, und wir müssen jetzt handeln. Angesichts dieser dramatischen Vorfälle darf jetzt nichts mehr aufgeschoben und auch nichts mehr schöngeredet werden. Das ist das, was wir aus dieser Debatte heute - hoffentlich alle gemeinsam - lernen müssen. Meine Bitte ist, gemeinsam zu handeln.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächstem erteile ich Herrn Minister Busemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema „Gewalt an den Schulen“ ist kein Thema, das in irgendeiner Form polemisch behandelt werden sollte. Mir ist es ähnlich gegangen wie Ihnen: Die Vorgänge in Hildesheim, in Hannover und anderswo haben mich außerordentlich betroffen gemacht. - Aber wir sind nicht in der Politik, um betroffen zu sein, um Betroffenheitsnoten auszutauschen, sondern wir müssen an jedem Einzelfall prüfen: Wo ist Handlungsbedarf? Haben wir etwas zu tun?

(Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU])

Niemand ist perfekt, jeder kann noch besser werden.

Ich will, bevor ich einige Anmerkungen mache, vorweg - das ist aktuell und nicht von vor Jahresfrist - eines feststellen: Ich bin in vielen Fragen, wie man das zu beurteilen hat, mit Herrn Professor Pfeiffer, früher Justizminister, einig in der Analyse, auch was bestimmte Vorschläge angeht. Aber - das sagen wir nach draußen, insbesondere auch an die Eltern unserer Kinder - unsere Schulen, unsere Klassen sind durchweg sicher. Man muss nicht in eine Sicherheitsdefizithysterie verfallen.

(Zustimmung von Astrid Vockert [CDU])

Das gehört mit zur Problemeingrenzung, aber es gibt Dinge, die miteinander beleuchtet werden müssen. Grundsätzlich halte ich an der Linie fest: Wenn irgendwo an unseren Schulen etwas vorfällt - man muss sich darauf einrichten, dass immer einmal etwas vorfällt -, dann muss jeder Einzelfall durchermittelt werden - notfalls, was Strafrechtliches angeht, staatsanwaltschaftlich -, ob disziplinarrechtlich, ob aufsichtsrechtlich; in alle Richtungen, da darf niemand geschont werden. Das habe ich in Hildesheim deutlich gemacht. Diese Botschaft, mit der ich die Schülerschaft aufgefordert habe, reinen Tisch zu machen und dort, wo man Vorfälle kennt, diese kundzutun, damit aufgearbeitet werden kann, hat sich bewährt. Wir hatten in den letzten zwei Wochen durchaus so etwas wie eine Aufklärungswelle zu verzeichnen.

Es gibt auch eine Erkenntnis. Der Erlass, den ich gemeinsam mit der Justizministerin und dem Innenminister im letzten Herbst erarbeitet habe, wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Schule mit Gewalt umzugehen haben, hat sich im Grunde bewährt. Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch waren noch nie so gut. Aber auch hier ein Aspekt, der mir bewusst geworden ist: Wir müssen prüfen, ob wir die Jugendämter noch mehr einbeziehen können - diese haben aus einem völlig anderen Hintergrund manchmal die soziale Situation oder den familiären Hintergrund im Visier -, um auch von dort Informationen einzubringen, was man machen kann.

Manches muss vielleicht kurzfristig geregelt werden, manches - gerade in einer ganzheitlichen schulischen Betrachtung - hat auch Langzeitcharakter. Ich meine schon, dass wir mit einigen Maßnahmen in der Landespolitik auf einem guten Weg

sind. Das Thema Integration - auch Kommunikation - hat unter anderem damit zu tun, dass wir unseren Kindern hinreichend Sprachkenntnisse - in der deutschen Sprache wohlbemerkt - vermitteln, bis sie eingeschult werden. Wir können hier durchaus auf der Vorarbeit der Vorgängerregierung aufbauen. Sie haben es schon ins Schulgesetzt geschrieben. Sprachförderung wird jetzt überall durchgeführt. Wir schaffen da deutliche Verbesserungen, die sich - auch mit Langzeitwirkung - positiv auswirken werden.

Einen Förderplan wird es ab Schuljahresbeginn für jedes Kind geben, von Klasse 1 bis Klasse 10, wobei wir uns jedes Kind ansehen und prüfen, wo Defizite, in welcher Hinsicht auch immer, vorhanden sind.

(Jacques Voigtländer [SPD]: Auch BVJ?)

- Ja, notfalls auch dort. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen. - Jedenfalls müssen wir jedes Kind schon auf dem Weg zum BVJ entsprechend begleiten.

Zu den Hauptschulen: Ich war in der schwierigen Diskussionslage der letzten Wochen außerordentlich dankbar, dass wir im Herbst mit den Stimmen der Mehrheitsfraktionen das Hauptschulprofilierungsprogramm beschlossen haben, mit dem wir, auch bei knappen Kassen, 5 Millionen Euro zusätzlich für Sozialarbeiter an unseren Schulen zur Verfügung stellen. Das hat mich bestärkt, dieses Programm in den nächsten Jahren flächendeckend auszudehnen, sodass wir das in allen Brennpunktstandorten, in allen Hauptschulen entsprechend vorhalten können.

(Beifall bei der CDU)

Das hat mir die Diskussion - das sage ich ganz offen - sehr erleichtert. Es war, Herr Voigtländer, bezeichnenderweise die Sozialarbeiterin, der sich die Schüler anvertraut haben, nicht der Beratungslehrer. Sehr oft wird gesagt: Wir brauchen vielleicht nicht unbedingt mehr Beratungslehrer, aber vielleicht noch mehr Sozialarbeiter. - Die Botschaft ist durchaus bei mir platziert.

Das Thema Ganztagsschulen ist insbesondere Teil des Hauptschulprofilierungsprogramms an unseren Hauptschulen.

Das BVJ will ich in diesem Zusammenhang nicht diskreditiert wissen. Es ist eine vernünftige, eine

richtige Einrichtung, aber man muss wissen, dass wir da eine schwierige Schülerschaft haben. Das verlangt besonderen Zuwendungsbedarf und auch besonderen Aufsichtsbedarf, was das Innenleben der Schule selber anbelangt. Aber es macht uns deutlich, dass wir den jungen Leuten, die unter Perspektivlosigkeit leiden, eine Perspektive geben müssen. Wir haben heute oder morgen noch einen anderen Punkt auf der Tagesordnung, bei dem wir vielleicht darüber nachdenken müssen - auch mit der Wirtschaft gemeinsam - Ausbildung niedrigschwelliger durchzuführen, gleichwohl den Weg zu Ausbildungsplätzen zu ebnen usw. Das lassen Sie uns an anderer Stelle diskutieren.

Eines ist mir sehr wichtig in diesen Tagen. Bevor Sie diesen Punkt problematisieren, Herr Voigtländer, lesen Sie bitte alle Zeitungen gänzlich, um zu sehen, was ich z. B. zum Thema Sicherheitstechnik gesagt habe. Da gibt es die Medien, die, wenn etwas vorgefallen ist, den Politiker in eine bestimmte Richtung schieben: Sagen Sie mal etwas in die Kameras. - Dann sagt man etwas differenziert, und am nächsten Tag steht ein Kommentar in der Zeitung: Haben diese stupiden Politiker keine anderen Ideen, als nach Videokameras und solchen Dingen zu rufen? - Mir ist es sehr wichtig, Ihnen Folgendes im Lichte der Öffentlichkeit zu sagen: Ich möchte nicht Kultusminister in einem Land sein, in dem wir unsere Schulen zu Kasernen, Gefängnissen oder ähnlichen Einrichtungen ausbauen müssen.

(Beifall bei der CDU)