Protocol of the Session on January 23, 2004

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Bachmann?

Sehr gerne.

Herr Bachmann, bitte!

Herr Minister, das war ja eine richtige Drohung. Wenn das die Grundlage Ihrer Berechnung nach dem Konnexitätsprinzip ist, dann ist bei diesen eigentlich geringen Haushaltsmitteln, die für die dezentrale Unterbringung aufzuwenden sind, der Ihnen von den Kommunen vorgeworfene Fehlbetrag von 19 Millionen Euro pro Jahr schon enorm. Was soll dann erst in den anderen Bereichen herauskommen?

Es wird immer so sein: Wenn eine Aufgabe wahrgenommen wird, müssen wir natürlich erst einmal sehen, wie diese Aufgabe dann von den Kommunen umgesetzt wird. Das kann man sehr aufwändig oder aber auch nur nach den Mindeststandards machen. Ich sage Ihnen, dass man heute nicht alles sofort übernehmen kann. Wir können uns - so habe ich es schon einmal bei einer anderen Debatte gesagt - nicht mehr Marmor leisten, sondern nur noch Beton. Das ist so. Nach diesen Kriterien werden wir das dann umsetzen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die in dem Entschließungsantrag erhobene Forderung, angesichts zurzeit rückläufiger Zahlen die Kapazitäten der staatlichen Aufnahmeeinrichtungen zu reduzieren bzw. die Aufenthaltsdauer in diesen Einrichtungen zu verringern und die Asylbewerber so schnell wie möglich in den Kommunen dezentral unterzubringen, stellt die Dinge einfach auf den Kopf.

Die Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern während des Asylverfahrens ist eine originär staatliche Aufgabe und nicht eine Aufgabe, die den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zuzuordnen wäre. Wenn das Land Niedersachsen durch Gesetz den kommunalen Körperschaften die Pflicht zur Unterbringung von Asylbewerbern bereits vor Abschluss des Verfahrens zugewiesen hat, bedeutet dies nur, dass das

Land auf die Hilfe der Kommunen angewiesen ist, weil es aufgrund der hohen Zahlen selbst nicht in der Lage ist, alle Personen in eigenen staatlichen Einrichtungen unterzubringen. Diese Haltung, Asylbewerberinnen und Asylbewerber vorrangig zentral unterzubringen, wird auch von den kommunalen Spitzenverbänden gefordert. Das ist auch Aufgabe des Staates.

Es ist richtig, dass sich die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, im letzten Jahr deutlich verringert hat. Es ist jedoch mehr als leichtfertig, daraus den Schluss zu ziehen, das Land solle seine verbliebenen Unterbringungskapazitäten weiter abbauen. Einrichtungen, die einmal aufgegeben worden sind, sind erfahrungsgemäß für immer verloren. Neue Kapazitäten stehen - soweit überhaupt vorhanden - im Bedarfsfalle jedenfalls nicht rechtzeitig zur Verfügung.

Ich erinnere an die im Jahr 1999 durchgeführten Aufnahmeaktionen für aus Makedonien evakuierte Kosovo-Albaner, bei denen das Land innerhalb kürzester Zeit die Erstaufnahme von 1 500 Personen gewährleisten musste. Diese Aufgabe wäre ohne ausreichende Plätze in Landeseinrichtungen nicht zu lösen gewesen. Seit 2001 gilt die europäische Richtlinie über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen. Das Land muss gewappnet bleiben, sich den hieraus folgenden Verpflichtungen zu stellen.

Es ist richtig, dass wir uns die Landeseinrichtungen auch nach wirtschaftlichen Kriterien angucken müssen. Deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich genau damit beschäftigt. Wir haben die Vorgabe gemacht, dass dort mittelfristig insgesamt 140 Stellen abgebaut werden müssen. Wir müssen hier zu wirtschaftlichen Lösungen kommen. Das werden wir Ihnen auch vorrechnen.

Asylbewerber, die nicht mehr zum Wohnen in einer Erstaufnahmeeinrichtung verpflichtet sind, sind nach dem Willen des Bundesgesetzgebers in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Dies steht so ausdrücklich in § 53 des Asylverfahrensgesetzes. Das ist also geltendes Recht. Meine Damen und Herren, von der Bundesregierung wird dies ausdrücklich akzeptiert. Im Zuwanderungsgesetzentwurf von Rot-Grün wird dies überhaupt nicht angegriffen. Insofern müssten Sie, wenn Sie dies ändern wollten, in Berlin eine Initiative ergreifen. Zunächst ist das aber eine gesetzli

che Grundlage. Wir verhalten uns somit absolut gesetzeskonform.

Folgerichtig zählen daher nach dem Wohnungsbindungsgesetz Asylbewerberinnen und Asylbewerber nicht zu den Personen, die in Wohnungen untergebracht werden, die im sozialen Wohnungsbau gefördert werden. Wie Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, vor diesem Hintergrund Ihre Forderung, die Unterbringung von Asylbewerbern an den für Mietwohnungen geltenden Kriterien des sozialen Wohnungsbaus messen wollen, bleibt schlichtweg Ihr Geheimnis. Wenn das Land also Asylbewerber in eigenen Gemeinschaftsunterkünften unterbringt, nimmt es nicht nur eine originäre Zuständigkeit wahr, sondern handelt, was die Form der Unterbringung anbelangt, gesetzeskonform.

Auch unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gründe ist eine Unterbringung von Asylbewerbern in landeseigenen Einrichtungen vernünftig. Dies liegt bei der Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten der Zentralen Anlaufstellen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Braunschweig und Oldenburg auf der Hand.

Bereits im Jahr 1995 sind aufgrund des Beschlusses der damaligen Landesregierung diese Einrichtungen so umstrukturiert worden, dass sie für einen längeren Aufenthalt von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern genutzt werden können. Dies ist selbstverständlich in der Absicht geschehen, eine optimale Belegung zu erzielen. Wirtschaftliche Gründe sprechen aber auch für den Betrieb der Liegenschaft in Bramsche auf der Grundlage des vom Land entwickelten Konzeptes. Durch die angestrebte Belegung der Landesaufnahmestelle mit 550 Asylbewerbern wird die Wirtschaftlichkeit dieser Einrichtung entscheidend verbessert werden. Dem Mehraufwand durch die erhöhte Belegung stehen die erheblichen Einsparungen gegenüber, die sich daraus ergeben, dass für die untergebrachten Personen mit der Verteilung auf die Kommunen die Abgeltung der Kosten an die Kommunen entfällt.

Hinzu kommt ein weiterer Umstand, der übrigens auch vom Landesrechnungshof erkannt und seiner Beurteilung zugrunde gelegt worden ist. Durch die zentrale Unterbringung von Personen, die aufgrund der Prognoseentscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge keine Perspektive für eine Anerkennung als Asylberechtigte und damit für einen Daueraufenthalt in

Deutschland haben, lassen sich vor allem die Möglichkeiten der Rückkehrberatung und der Information über die Rückkehrförderung entscheidend verbessern. Der Landesrechnungshof kommt in seiner Prüfungsmitteilung zu folgendem Schluss:

„Wird durch eine zielgerichtete enge Betreuung von Asylbewerbern in einer Landeseinrichtung eine schnellere Rückführung ermöglicht als bei einer sofortigen Verteilung auf die Kommunen, gleicht sie zunächst entstehende Mehrkosten des Landes schnell wieder aus.“

Eben diese zielgerichtete Betreuung ist Bestandteil des Unterbringungskonzeptes für Bramsche, das der Stadt Bramsche und dem Landkreis Osnabrück Anfang Januar dieses Jahres vorgestellt wurde und wodurch die schon jetzt erfolgreiche Rückkehrberatung der Landesaufnahmestelle weiter verbessert werden kann. Ich kann mich nur ganz herzlich dafür bedanken, dass alle Beteiligten an dieser Lösung sehr erfolgreich mitgearbeitet haben.

Meine Damen und Herren, es ist nicht hilfreich, eine Unterbringungsform, die nicht nur den Vorgaben des deutschen Asylrechts entspricht, sondern auch die Mindestnorm der Europäischen Richtlinie erfüllt, als diskriminierend und inhuman zu bezeichnen. Ich halte es nicht für aufrichtig, die länger andauernde Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften zu beklagen, wohl wissend, dass die lange Dauer des Aufenthaltes in einer großen Zahl von Fällen der Verfolgung aussichtsloser Asylanträge geschuldet ist. Es ist deshalb richtig, dass der Staat seine Aufgaben wahrnimmt und dass er die betreffenden Personen zentral in staatlichen Einrichtungen unterbringt. Wir müssen zusehen, dass wir diejenigen, die keine Aussicht auf eine Anerkennung als Asylberechtigte haben, so schnell wie möglich in ihre Heimatländer zurückführen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht zur. Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Es ist seitens der SPD-Fraktion beantragt worden, auch die Ausländerkommission mit diesem Antrag

zu befassen. Mir ist signalisiert worden, dass die Fraktionen damit einverstanden sind.

Ich lasse nun über die Ausschussüberweisung abstimmen. Federführend soll der Ausschuss für Inneres und Sport sein, mitberatend sollen sich der Ausschuss für Haushalt und Finanzen, der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und die Ausländerkommission mit dem Antrag befassen. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das ist somit einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Tagesordnung. Der nächste, der 10. Tagungsabschnitt ist für den 18. bis 20. Februar 2004 vorgesehen. Der Präsident wird den Landtag einberufen und im Einvernehmen mit dem Ältestenrat Beginn und Tagesordnung bestimmen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt und ein schönes Wochenende. - Vielen Dank.

Schluss der Sitzung: 12.33 Uhr.

Anlagen zum Stenografischen Bericht

noch:

Tagesordnungspunkt 35:

Mündliche Anfragen - Drs. 15/710

Anlage 1

Antwort

des Justizministeriums auf die Frage 5 der Abg. Ursula Helmhold (GRÜNE):

Zwangseinweisungen nach dem Betreuungsrecht

Nach einem Bericht in der 50. Ausgabe des Magazins Der Spiegel hat eine Untersuchung des Experten Peter Müller von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Göttingen überraschend ergeben, dass sich die Zahl der unfreiwilligen Einweisungen von Personen, die nach dem Betreuungsgesetz eine Betreuung erfahren, innerhalb von sechs Jahren verdreifacht hat. Nach Aussagen der Untersuchung können sich die Betroffenen gegen diese Zwangsunterbringungen nur selten wehren, da diese Art von Einweisungen „relativ still und von der Öffentlichkeit unbemerkt vonstatten“ geht, wie der Autor der Studie bemerkt. In diesem Zusammenhang erwähnt der Autor den Fall eines Patienten, dem zwei Jahre Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie auferlegt wurden,

weil er eine ambulante Medikamententherapie wegen der Nebenwirkungen abgebrochen habe.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche genauen Zahlen liegen ihr zu Einweisungen in die stationäre Psychiatrie in den letzten sechs Jahren, getrennt nach freiwilligen und unfreiwilligen Einweisungen, vor?

2. Wie beurteilt sie die Ergebnisse der o. a. Studie?

3. Was wird sie tun, um die außerordentlich hohe Zahl von Zwangseinweisungen von nach dem Betreuungsrecht Betreuten zu mindern und eine möglicherweise missbräuchliche Nutzung des Instruments der Zwangseinweisung zu unterbinden?

Das der Untersuchung der Göttinger Wissenschaftler Professor Müller und Josipovic mit dem Titel „Unfreiwillige Einweisungen in acht Jahren verdreifacht“ zugrunde liegende Zahlenmaterial ist der Landesregierung nicht bekannt. Dazu wird von den Verfassern in der Untersuchung ausgeführt:

„Um Fehlermöglichkeiten klinikinterner Dokumentation zu vermeiden, wurde die Erhebung bei den (ja immer beteiligten) Vormundschaftsabteilungen der Amtsgerichte Göttingen nebst umliegender Kreise Northeim, Einbeck, Hann.Münden, Duderstadt, Herzberg, Osterode durchgeführt.“ Da bei diesen Gerichten aber keine Aktenauswertung vorgenommen worden ist, können die Verfasser allenfalls die Ergebnisse der Justizstatistik zugrunde gelegt haben, die mit den in der Studie genannten Zahlen aber auch nicht übereinstimmen.

Die Justizstatistik ergibt für diesen Bereich (den Landgerichtsbezirk Göttingen) folgendes Bild: Die Verfahren auf Genehmigung von Unterbringungen nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 b und 2 FGG, die sich nach Betreuungsrecht richten, beliefen sich im Jahre 1994 auf 157, im Jahre 2001 auf 520 und im Jahre 2002 auf 335. Die Verfahren nach § 70 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 FGG, also die Verfahren nach dem Nds. PsychKG, beliefen sich 1994 auf 523, im Jahre 2001 auf 120 und 2002 auf 123.

Danach ist in diesem Zeitraum also die Zahl der Verfahren auf Genehmigung zwangsweiser Unterbringungen insgesamt zurückgegangen, wobei eine Verlagerung von den Verfahren nach dem Nds. PsychKG zu den Verfahren nach Betreuungsrecht stattgefunden hat. Dabei ist außerdem zu berücksichtigen, dass die angestiegenen Zahlen für Unterbringungen nach Betreuungsrecht nicht nur die Verfahren auf Genehmigung von Unterbringungen

im eigentlichen Sinne (§ 70 Abs. 1 Satz 2 Nr 1 b FGG) enthalten, sondern auch die auf Genehmigung unterbringungsähnlicher Maßnahmen im Sinne von § 1906 Abs. 4 BGB (§ 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGG), d. h. auf Genehmigung von Fixierungen, Anbringung von Bettgittern usw. für Personen, die in Heimen und sonstigen Einrichtungen leben. Es ist zu vermuten, dass die Zahl dieser Verfahren nach Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes kontinuierlich angestiegen ist, weil sich in den Heimen und Einrichtungen erst allmählich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass derartige Maßnahmen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedürfen. Über den Ausgang der Verfahren ist der Justizstatistik nichts zu entnehmen. Es ist daher auch aus diesem Grunde nicht zulässig , von der Zahl der Verfahren auf die Zahl der Unterbringungen zu schließen, weil dabei unberücksichtigt bleibt, dass derartige Verfahren auch mit einer Ablehnung des Antrages auf Genehmigung der Unterbringung enden können. So sind die Verfasser der Studie aber offensichtlich vorgegangen.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass im Falle zwangsweiser Unterbringungen das Verfahren häufig doppelt in der Statistik auftaucht, weil es zunächst als vorläufige Einweisung nach Nds. PsychKG behandelt und eingetragen und erst später als Verfahren nach § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b FGG übernommen und weitergeführt wird. Auch die der Landesregierung von dem Niedersächsischen Landeskrankenhaus Göttingen übermittelten Zahlen über den Rechtsgrund der Aufnahme lassen erkennen, dass sich die Zahlen der Aufnahme von unter Betreuung stehenden Personen im Zeitraum von 1992 (98 Auf- nahmen) bis 2002 (103 Aufnahmen) nicht wesentlich geändert haben. Die im Vergleich zu den Zahlen der Justizstatistik für den Einzugsbereich des Landeskrankenhauses Götttingen abweichende Zahl der Unterbringungen nach NPsychKG ist auch darin begründet, dass alle Fälle, die mit Unterbringungsverfügung der kommunalen Ordnungsbehörden im Landeskrankenhaus aufgenommen werden, gezählt werden. In einem Großteil der Fälle kommt es jedoch nicht zu einer gerichtlichen Anhörung, weil die betroffenen Personen am Folgetag wieder entlassen werden können oder sich bereit erklärt haben, freiwillig im Landeskrankenhaus zu verbleiben.