Protocol of the Session on October 29, 2003

Hinzu kommt, dass am Ende sowieso die Kommunen die Zeche zahlen müssen. Denn wer wird entscheiden, welche Menschen arbeitsfähig sind und welche als nicht vermittelbar weiterhin in die Verantwortung der Kommunen gegeben werden? Das ist nämlich die Arbeitsverwaltung.

(Beifall bei der FDP)

Sie wird versuchen, unliebsame finanzielle Lasten abzuschieben und Problemgruppen herauszudefinieren.

(Zuruf von Ursula Helmhold [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie eindringlich, gemeinsam den „Niedersächsischen Weg“ zu gehen, den Herr Matthiesen schon angesprochen hat. Wir wollen die Verantwortung der Landkreise und kreisfreien Städte erhalten. Das Geld für die Erfüllung der Leistungen muss dann aus dem Steueraufkommen des Bundes abgesichert und garantiert werden.

Wir wollen mehr Menschen in Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt bringen. Das ist entscheidend.

Frau Meißner, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin gleich fertig. - Dazu brauchen wir eine zielgenaue Arbeitsförderung, die nahe an den Menschen und nahe an den Problemen ist. Dafür stehen wir als FDP und CDU gemeinsam ein.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Jetzt hat Herr Harden das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn vor drei Jahren jemand den deutschen Kommunen versprochen hätte, ihnen die Leistungen für 1 Million Sozialhilfeempfänger abzunehmen, wäre der Jubel einhellig und grenzenlos gewesen. Nichts anderes hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen von SPD und Grünen beschlossen, und es soll Gesetz werden.

(Jörg Bode [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)

Sie wollen die Zuständigkeit für die Sozialhilfeempfänger bei den Landkreisen belassen. Ich weiß nicht, ob Sie darüber nicht nur mit dem Landkreistag, sondern auch mit einzelnen Landräten gesprochen haben. Die Landräte, mit denen ich gesprochen habe, wollen das nicht oder legen keinen allzu großen Wert darauf.

(Zurufe von der CDU: Wer war das? Namen!)

- Das erzähle ich Ihnen hinterher. Es gibt doch auch so etwas wie Fairness.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Was sagt denn der Landkreistag dazu?)

- Was der Landkreistag dazu sagt, wissen Sie doch.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Aber Sie nicht! Das ist das Problem!)

- Was die Hand voll Leute in den Spitzenverbänden erzählt, ist häufig nicht das, was die Vertreter in den Mitgliedsverbänden meinen. Dieses Phänomen kennen wir von anderen aber auch.

Das, was vorhin sowohl von Herrn Dr. Matthiesen als auch von Frau Meißner gesagt worden ist, kann ich in dieser Art und Weise überhaupt nicht teilen. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, warum die CDU unbedingt einen eigenen Weg gehen will. Es gibt dafür überhaupt keinen vernünftigen Grund.

(Ulf Thiele [CDU]: Weil Ihr Weg eine Sackgasse ist!)

Das, was Sie, Frau Meißner, über den Moloch, der da entstehen soll, gesagt haben, kann ich in keiner Weise teilen. Sie haben ein Gesetz zitiert, das es in dieser Form gar nicht gibt.

Der Deutsche Bundestag hat beschlossen, den Kommunen die Zuständigkeit und damit auch die finanzielle Belastung für ungefähr 1 Million Sozialhilfeempfänger abzunehmen. Wenn es dieser Regierung und dem Landtag auch nur ein wenig um die Kommunalfinanzen geht, dann kann der Landtag gar nicht anders, als der Landesregierung zu empfehlen, dem zuzustimmen, und der Regierung kann es dann nur noch darum gegen, dem zuzustimmen.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Es geht in erster Linie um die Men- schen!)

Die Regierungsfraktionen haben hier einen Antrag vorgelegt, der absolute Uneinsichtigkeit dokumentiert. Sie wollen nicht nur, dass der Bund bezahlt, sondern Sie wollen die Ausführung auch den Kreisen und Großstädten überlassen, also Entkoppelung von Leistung und Erfolg, und das kann nicht gut gehen.

Was wir Sozialdemokraten wollen, ist in der Wochenzeitung Die Zeit von dieser Woche hervorragend und beispielhaft dokumentiert. Unter dem Titel „Die Sozialfabrik probt deutsche Zukunft“ heißt es:

„Das Kölner ‚Job-Center‘“

- das ist aus einer Zusammenarbeit von Sozialämtern und Arbeitsämtern entstanden

„steht Modell für die Reform des Arbeitsmarktes. Bataillone von Vermittlern machen Sozialhilfeempfängern das Arbeiten schmackhaft. Ein Ausflug in den Sozialstaat von morgen.“

So begeistert zeigt sich der Journalist von dem Projekt. Zur Größenordnung: In zweieinhalb Jahren sind 22 000 arbeitslos gemeldete Sozialhilfeempfänger neu registriert worden. Im selben Zeitraum haben 13 000 Menschen das Job-Center verlassen, 45 % davon in Arbeit, 55 % aus anderen Gründen. Das zeigt die Effektivität dieses Modells. Das Faszinierende an diesem Projekt sind nicht die reinen Zahlen, sondern ist, dass man sich ganz individuell auf die „Kunden“ einlässt. So gibt es 24 Job-Börsen, Training und Soforthilfe für Arbeitsfähige, Werkstätten für Personen, die sich langsam wieder an Arbeit gewöhnen sollen, Hilfe für Arbeitslose mit psychischen Problemen, einen medizinischen Dienst für Arbeitslose, die Krankheiten angeben, Job-Lotsen, die mit Einzelnen alltägliche Verrichtungen, wie die Fahrt zur Arbeitsstelle, üben, und eine Schuldnerberatung. Das Erfolgsgeheimnis dieser Einrichtung ist die absolute Kunden- und Dienstleistungsorientierung, eine Eigenschaft, die man ansonsten in Deutschland weder bei der Wirtschaft noch beim Staat häufig antrifft.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Was?)

Die Regel ist, dass Menschen nur verwaltet werden. Hier aber kümmern sich Menschen um Menschen. Hier nimmt man sich Zeit für jeden Einzelnen.

Das Job-Center Köln ist das Zukunftsmodell für das, was kommen soll. Es spart jährlich rund 100 Millionen Euro an Sozialhilfekosten ein.

(Zurufe von der CDU)

- Wenn es Sie nicht interessiert, dann gehen Sie doch raus. Ansonsten lassen Sie mich reden.

(Jörg Bode [FDP]: Ist ja ganz unter- haltsam!)

Das Job-Center Köln ist ein gleichermaßen humanitär wie ökonomisch erfolgreiches Modell. Wenn diesem Modell bundesweit erfolgreich nachgeeifert werden soll, wenn die Gleichheit der Chancen für jedermann in Deutschland gelten soll, dann geht das nur national organisiert unter dem Dach der Bundesanstalt für Arbeit. Man kann dies nicht von den zufälligen Qualitäten Einzelner in einzelnen Sozialämtern abhängig machen. Wenn Sie anderer Ansicht sind, dann nennen Sie mir nur ein einziges Sozialamt in Niedersachsen, das auch nur im Entferntesten an dieses Kölner Beispiel heranreicht. Es gibt anerkennenswerte Versuche, die durchaus zu loben sind. Was wir aber anstreben, sind eine neue Sozialpolitik und ein neuer Sozialstaat. Das ist mit den Hartz-Gesetzen auf den Weg gebracht worden. Wenn es uns gelingt, das Kölner Beispiel bundesweit zu etablieren, dann ist das nichts anderes als eine Revolution des Arbeitsmarktes, eine Kulturrevolution. Bis dahin ist ein langer und beschwerlicher Weg zu gehen. Was wir von Ihnen möchten, ist nichts weiter, als dass Sie uns nicht noch zusätzlich Steine in den Weg rollen. Es ist schwer genug, überhaupt dahin zu kommen.

Es ist doch völlig nachrangig, ja kontraproduktiv, den Sozialämtern die Erwerbslosen verantwortlich aufzubürden und dies zum Dreh- und Angelpunkt Ihrer Bundesratspolitik zu machen. Das ist kleinkariert, soll nur der Profilierung Ihres Ministerpräsidenten dienen und schadet den Kommunen wie auch den Erwerbslosen. Lassen Sie ab von Ihrem so genannten niedersächsischen Weg! Stimmen Sie in der nächsten Woche den Hartz-Gesetzen der Bundesregierung im Bundesrat zu! Die Menschen in Deutschland haben genug von überflüssigen Auseinandersetzungen. Sie erwarten zu Recht Lösungen. Es wäre schön, wenn Sie dabei mithelfen würden.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister Hirche, jetzt haben Sie das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es ganz klar zu sagen: Die Landesregierung wird den Hartz-Gesetzen nicht zustimmen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Aus diesem Hartz wird kein Bernstein. Meine Damen und Herren, wir werden am „Niedersächsischen Weg“ festhalten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es ist völlig klar: Die Arbeitslosigkeit ist eine Geißel, die wir bekämpfen müssen. Bekämpfen können wir sie nur durch mehr Wachstum. Mildern können wir sie durch Reformen am Arbeitsmarkt. Es gibt sicherlich keinen Königsweg, es gibt aber genügend - insbesondere internationale - Beispiele, die das deutlich machen. Angesichts dessen, was in Deutschland passiert ist, haben wir festgestellt: Immer dann, wenn in bestimmten Fragen die Akteure vor Ort handeln konnten, haben sich Erfolge eingestellt. Dort aber, wo zentral gehandelt wurde, sind die Erfolge ausgeblieben, meine Damen und Herren. Es hätte nicht eines Umbaus der Bundesanstalt für Arbeit bedurft, wenn das eklatante Versagen dieser Organisation im Zusammenhang mit der Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit in der Vergangenheit nicht so deutlich geworden wäre.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig - daran sind sich Gott sei Dank alle einig -, dass wir zunächst einmal die Instrumente Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenfassen. Auf diese Weise können wir das System transparenter, effektiver und in der Beratung individueller gestalten, also aus einer Hand, meine Damen und Herren.

Daran schließt sich die Frage an, wie diese individuelle Hilfe für die Integration am besten gewährleistet werden kann. Dazu sagen wir: indem man sich um die Einzelfälle kümmert. Wer hat die größten Erfahrungen in einem der beiden Berei

che, die zusammengefasst werden sollen? - Das sind ganz eindeutig die Kommunen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Man muss sagen, dass die Kommunen ihre Aufgabe, die sie in der Vergangenheit wahrgenommen haben und auch heute noch wahrnehmen, sich nämlich um die Sozialhilfe zu kümmern und außerdem den Versuch zu machen, Menschen aus der Sozialhilfe in Arbeit zu bringen, besser gelöst haben als die Bundesanstalt für Arbeit ihre zentrale Aufgabe, Arbeitslose in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Meine Damen und Herren, wenn man jemandem eine neue Aufgabe geben will, dann sollte man sie demjenigen geben, der seine Schulaufgaben bisher erfolgreich und vernünftig erledigt hat. Das ist bei der Abwägung völlig eindeutig und völlig klar. Deshalb gibt es den „Niedersächsischen Weg“ mit dem Ziel, diese Aufgabe vor Ort durch die Kommunen dezentral erledigen zu lassen.