Protocol of the Session on December 14, 2007

Unser heutiger Antrag geht natürlich darüber hinaus. Er bezieht den Kinderschutz mit ein und zeigt auch ganz klar, wie wir uns in der nächsten Wahlperiode aufstellen wollen.

Mit der Einführung des verbindlichen Einladungswesens für die Früherkennungsuntersuchungen binden wir Eltern, Jugendämter und Ärzte gleichermaßen gemeinsam in die Struktur der Erkennung von Misshandlungen und Verwahrlosung ein. Hierzu werden wir uns auf Bundesebene für die Weiterentwicklung der Kinderuntersuchungsrichtlinie einsetzen, um Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern künftig besser erkennen zu können.

Wir unterstützen das Familienhebammenpro

gramm der Stiftung „Eine Chance für Kinder“ und fördern den flächendeckenden Ausbau. Wir werden Mitarbeiter im Bereich der Kinder- und Jugendeinrichtungen gemäß § 8 a SGB VIII weiterbilden. Das Ministerium hat in diesen Tagen bereits die Mustervereinbarung für diese Qualifizierungsmaßnahmen vorgelegt. Hierfür herzlichen

(Beifall bei der CDU)

Die vorhandenen Angebote für Beratung und Hilfe für junge Eltern verknüpfen wir weiter. Wir setzen uns auf Bundesebene dafür ein, dass Familiengerichte und Jugendämter ihre Aufgaben noch besser als bisher miteinander verzahnen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist sicherlich ein umfassendes Paket. Ich habe aber deutlich gemacht, dass wir das auch brauchen und dass wir den Kinderschutz in Niedersachsen damit deutlich stärken. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich: Stimmen Sie unserem Antrag und der sofortigen Abstimmung darüber zu! - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Mundlos. - Nächster Redner ist jetzt Herr Schwarz von der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Mundlos, ich gebe Ihnen ausdrücklich recht: Wir wissen, dass fast alle Eltern ihre Kinder lieben. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass laut UNICEF in Deutschland wöchentlich zwei bis drei Kinder an den Folgen von Misshandlungen und Gewaltanwendungen sterben. Laut Aussagen der Bundesfamilienministerin werden ungefähr 5 bis 10 % aller Kinder im Alter unter sechs Jahren vernachlässigt.

Als das Jugendhilferecht 1991 reformiert wurde, setzte man auf die Erziehungskompetenz der Eltern. Zum damaligen Zeitpunkt hat niemand ahnen können, dass wir es 16 Jahre später mit einer dramatisch angewachsenen Zahl von völlig überforderten Eltern oder Alleinerziehenden zu tun haben würden, und zwar völlig unabhängig vom Bildungsstand. Kevin, Jessica, Mehmet, Lea

Sophie - sie stehen stellvertretend für zwischenzeitlich unzählige Kinderschicksale bis hin zum Kindesmord. Wirksamer Kinderschutz beginnt für uns mit einklagbaren Kinderrechten in der Verfassung.

(Beifall bei der SPD)

Dabei, meine Damen und Herren, ist es ganz klar, dass es hier einen Paradigmenwechsel geben muss: Kindeswohl muss auch in Deutschland und in unserer Landesverfassung vor den Elternwillen gestellt werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Genau das haben wir mit unserem Gesetzentwurf zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung Anfang dieses Jahres beantragt. Die Koalition hatte das während der Debatte hier zunächst abgelehnt. Nach öffentlichem Druck hat sie dann allerdings ein Staatsziel formuliert.

Nach einem ersten interfraktionellen Gespräch

- dazu haben wir wohl eine unterschiedliche Wahrnehmung; Frau Mundlos, Sie waren ja nicht dabei hatte es der Kollege Nacke übernommen, einen Kompromissvorschlag zu erarbeiten und den Fraktionen zuzuleiten. Darauf wartet die Opposition heute noch immer.

Stattdessen haben wir dann eine Pressemitteilung von Ihnen, Frau Mundlos, vom 5. Dezember zur Kenntnis genommen, in der Sie deutlich gemacht haben, dass Sie gar keine Einigung anstreben, sondern das Thema erst einmal im Wahlkampf bearbeiten wollen. Im Übrigen habe ich gerade heute gesehen, dass die CDU/CSU-Fraktion auf Bundesebene zurzeit die einzige Fraktion ist, die sich querstellt, wenn es um eine Verfassungsänderung zum Thema Kindesschutz auf der Bundesebene geht.

Der Kinderschutzbund hat gestern allen Fraktionen mitgeteilt - ich zitiere -: Eine reine Proklamation, wie von der Landesregierung befürwortet, wird vom Kinderschutzbund von allen uns bekannten Experten als unzulänglich abgelehnt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bin mir ganz sicher: Genau wie bei der jahrzehntelangen Debatte zum Nichtraucherschutz ist die Zeit für individuelle Kinderrechte überfällig. In einigen Landesverfassungen ist sie bereits enthalten. Ich prophezeie: Genauso wird es auch hier in Niedersachsen kommen. Wir werden jedenfalls mit Nachdruck dafür kämpfen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben fast wöchentlich neue erschütternde Kinderschicksale. Allein in den letzten zwei Wochen zuerst drei tote Babys in Plauen, dann fünf ermordete Jungs in Schleswig-Holstein. Jedes Mal setzt der gleiche Reflex ein. Alle sehen auf allen Ebenen dringenden Handlungsbedarf. Im Kern

passiert aber seit zwei Jahren kaum etwas.

Der Sozialausschuss unseres Landtages hatte im April 2006 u. a. Finnland besucht. Dort gibt es engmaschige Kindervorsorgeprogramme, dort gibt es engmaschige Kinderschutzprogramme. Auf

diesen Erkenntnissen aufbauend, hatte die SPDFraktion ihr Programm „Kinder schützen - Kinder fördern“ mit einem Gesamtvolumen von 20 Millionen Euro erarbeitet und hier in das Parlament eingebracht. Außerdem waren ergänzende Gesetzentwürfe eingebracht worden, um z. B. das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst zu ändern.

Die SPD will, dass endlich jede Ebene in ihrem Zuständigkeitsbereich die mögliche Verantwortung übernimmt.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben sehr, sehr viele Kompetenzen in Deutschland, wenn es um die Frage von Kinder- und Jugendschutz geht. Es gibt aber das Problem, dass diese Kompetenzen im Zweifel im Kompetenzgerangel gegeneinander arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kompetenzen gebündelt werden, und zwar zum Wohle der Kinder.

(Beifall bei der SPD)

Ich gebe Ihnen auch recht, Frau Mundlos, dass nach Meinung aller Experten ein Maßnahmenbündel für besseren Kinderschutz dringend notwendig ist. Das ist vor allem, wirklich vor allem und zuallererst aufsuchende Familienhilfe, noch einmal aufsuchende Familienhilfe und noch einmal aufsuchende Familienhilfe. Dann kommen mit größerem Abstand flankierende engmaschige Kindervorsorgeuntersuchungen, zusammengefasste Hilfe- und Beratungsangebote in Familienzentren und eine effektive Gesundheitsberichterstattung.

Laut Professor Pfeiffer, der allen hier im Haus bekannt ist, müssen Familienhilfen, wenn sie denn wirkungsvoll sein sollen, spätestens mit dem vierten Schwangerschaftsmonat einsetzen und bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr gewährleistet sein, weil nach seinen kriminologischen Forschungen insbesondere im zweiten Lebensjahr überwiegend Kindesmisshandlungen stattfinden; das hat etwas mit der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder in diesem Lebensalter zu tun.

Als Niedersachsen 2001 unter Frau Dr. Trauernicht das Modell der Familienhebammen eingeführt hat, war Niedersachsen damit bundesweit Vorreiter.

(Beifall bei der SPD)

Frau Ross-Luttmann, Sie betonen immer, dass Sie diesen Ansatz für richtig halten. In der Hinsicht trennt uns ja nichts. Aber wenn das so ist, dann verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie die ganze Verantwortung in der Frage, ob es Familienhebammen gibt oder nicht, ausschließlich den Kommunen und deren finanzieller Leistungsfähigkeit zuschieben. Das kann nicht in Ordnung sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Diese Landesregierung gibt für Familienhebammen ganze 70 000 Euro aus. Das funktioniert nicht! Wir sagen Ihnen: Wenn wir das ernst mei

nen, dann müssen wir Familienhebammen über den Landeshaushalt finanzieren. Genau das haben wir in unserem Programm getan, das durchfinanziert ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch auf einen zweiten Punkt hinweisen. Wir haben eigentlich überhaupt keine Datenlage dazu, was die Situation der Kindergesundheit in Niedersachsen betrifft. Auf eine Anfrage der jetzigen Regierungskoalition vom November 2003 hat die Landesregierung das bestätigt und mitgeteilt, man müsste gezielter Daten auswerten, man

müsste Daten besser zusammenführen, und man müsste diese Daten transparenter machen. Das Sozialministerium hat daraufhin eine Arbeitsgruppe unter der Überschrift „Neuordnung der Gesundheitsberichterstattung“ eingerichtet. Das war 2003.

Die Legislaturperiode ist zu Ende. Ich frage, Frau Ministerin: Wo sind die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe? Wo sind sie vorgelegt worden? Und vor allem: Wo und wann werden sie umgesetzt? - Das Ergebnis ist: Fehlanzeige, komplette Fehlanzeige nach fünf Jahren angeblicher interministerieller Arbeitsgruppe.

(Beifall bei der SPD)

Dann hat es am 12. Mai 2005 eine Jugendministerkonferenz gegeben, ein ganzes Jahr später, im Mai 2006 wiederum. Mit der Stimme Niedersachsens sind dort drei Punkte beschlossen worden, die unsere volle Zustimmung haben: erstens Aktivierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes für aufsuchende Vorsorgeangebote für Kinder, zweitens Konzepte einer flächendeckenden Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Jugendhilfe und dem öffentlichen Gesundheitsdienst, drittens Festlegung kinderspezifischer Standards medizinischer Vorsorgeleistung.

Dort haben Sie zugestimmt. Ich sage Ihnen: Keiner dieser drei Punkte ist in Niedersachsen auch nur angegangen bzw. umgesetzt worden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Es geht so weiter. Das habe ich schon gestern gesagt. Ich sage das wirklich ohne Schärfe. Vor einem Jahr waren wir uns einig, dass eine so simple Maßnahme wie ein 24-Stunden-Kindernotruftelefon, dass Kinder, die wirklich in Sorge sind, die Angst haben, völlig unbürokratisch anrufen - mit

einer ganz simplen, möglichst dreistelligen Nummer - und Hilfe bekommen können. Sie haben das zugesagt und versprochen. Zwölf Monate später ist es nicht möglich gewesen, selbst eine solche Kleinigkeit wie ein Kindernotruftelefon in Niedersachsen zu installieren. Das kann doch nicht sein, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)