Protocol of the Session on December 13, 2007

Dazu hat sich die Kollegin Bockmann für die SPDFraktion gemeldet. Frau Bockmann, ich erteile Ihnen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haushaltsberatungen funktionieren

eigentlich immer nach demselben Schema. Ich zitiere Herrn McAllister vom gestrigen Tage: „Es ist Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren.“ Dann kommen aber die Regierung oder die sie tragenden Fraktionen und behaupten, die Opposition rede das Land schlecht, in Wahrheit sei alles gut.

(David McAllister [CDU]: Richtig!)

Ich werde heute dieses übliche Schema durchbrechen und nicht nur kritisieren, sondern gleich zu Anfang etwas Positives sagen. Auf die Rechtspolitik von CDU und FDP sind wir nicht neidisch, wir haben nur etwas gegen Ungerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Ein Beispiel gefällig? - Oft vergessen, aber dramatisch überbelastet sind die niedersächsischen

Amtsanwälte. In diversen Gesprächen mit Vertretern dieser Berufsgruppe haben die Amtsanwälte stets ihre enorm hohe Arbeitsbelastung hervorgehoben.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Und haben Gehör gefunden!)

Es geht immerhin um eine Mehrbelastung von 40 %. Ihr Arbeitsbereich erstreckt sich auf die Strafverfolgung in dem Bereich bis zur mittleren Kriminalität.

Die Gründe des Belastungszuwachses sind vielfältiger Natur. Mit einem politischen Versprechen wurden 1 000 Polizisten angekündigt, 500 sind es tatsächlich geworden. Resultat ist, dass die Polizei mehr Straftaten gerade im Arbeitsbereich der

Amtsanwälte aufgeklärt hat. Ich nenne hier beispielhaft die Internetkriminalität und die häusliche Gewalt im sozialen Nahbereich. In den üblicherweise von Amtsanwälten geführten Sonderdezernaten ist ein deutlicher Zuwachs dieser aufgeklärten Straftaten zu verzeichnen. Das liegt auch daran, dass Amtsanwälte sich bereit erklärt haben, an runden Tischen Netzorganisationen herzustellen, und so zur Aufklärung beigetragen haben.

Die Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Internetkriminalität ist politischer Wille von uns allen. Aber so etwas bedarf natürlich auch einer anständigen Personalausstattung. Deshalb haben wir im Gegensatz zur Landesregierung 30 zusätzliche

Stellen für Amtsanwälte geschaffen, vier davon in Braunschweig, 17 im Bereich der Generalstaatsanwaltschaft Celle und neun im Bereich Oldenburg. Darüber hinaus werden wir die überlasteten Strafgerichte mit insgesamt 80 zusätzlichen Stellen ausstatten, um damit auf die zwar von der Justizministerin verleugnete, aber von den Menschen im Land mit großem Unverständnis wahrgenommene Überlastung der Justiz zu reagieren. Bezieht man die Sozialgerichte ein, sind es insgesamt zwar nicht die vom Richterbund geforderten 300, aber immerhin 145 Stellen. Das ist deutlich mehr als von der Landesregierung in Aussicht gestellt.

(Zuruf von der CDU: Wer ist „wir“?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer nimmt denn die Hilfe der Sozialgerichte in Anspruch? Wir reden hier von Elterngeld, von Renten, von Hartz IV, von Hinterbliebenenversorgung und von der Feststellung des Grades einer Behinderung. Diese Aufzählung macht deutlich, dass Kläger und Klägerin ihren Rechtsschutz aufgrund von existenziellen Notlagen und nicht aus Streitlust oder aus Langeweile in Anspruch nehmen. Insoweit sind die Verfahrensdauern bei den sozialgerichtlichen Verfahren schlichtweg skandalös.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb wollen wir im Haushalt 2008 deutlich aufstocken. Unser Haushaltsantrag sieht 35 zusätzliche Stellen für die niedersächsischen Sozialgerichte vor,

(Astrid Vockert [CDU]: Wie finanzieren Sie das denn?)

davon 30 für die acht Sozialgerichte in Aurich, Braunschweig, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück und Stade sowie fünf zusätzliche Stellen für das Landessozialgericht.

(Beifall bei der SPD - Astrid Vockert [CDU]: Wie finanzieren Sie das?)

- Schauen Sie einfach in unseren Antrag hinein, Frau Kollegin, dann wissen auch Sie das.

(Präsident Jürgen Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Vor zwei Monaten haben wir hier über eine Petition geredet, in der bei einer Rentenstreitigkeit die einzige Handlung des Gerichts in mehreren Jahren darin bestand, eine Aktenanforderung vorzunehmen. Der Bund Niedersächsischer Sozialrichterin

nen und Sozialrichter sieht „die Klägerinnen und Kläger vor den Sozialgerichten gegenüber denen, die die Hilfe anderer Gerichte in Anspruch nehmen, deutlich benachteiligt“. Deshalb stocken wir hier bedarfsgerecht auf. Alles andere wäre bürgerfeindlich.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau dies verstehen wir unter sozialer Gerechtigkeit, auf die Sie mitunter etwas neidvoll schauen.

Mehr Schutz für Opfer von Straftaten - mit dieser Headline sind Sie, Frau Ministerin, Anfang Oktober wieder in die Öffentlichkeit gegangen. Alles, was in Ihrem Haushaltsentwurf zu diesem Thema steht, bietet sich zur Beobachtung an. In Niedersachsen wird fünfmal besonders erfolgreich der Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt: in Emden, Wittmund, Lingen und Hannover. Vor kurzer Zeit haben wir in Ihrem Beisein, Frau Ministerin, das 20-jährige Bestehen des Konfliktschlichtungsvereins in Oldenburg gefeiert. Alle Fachleute inklusive Ihrer Person waren sich darin einig, dass durch die Arbeit dieser Vereine neue Straftaten vermieden werden. Strafvermeidung ist nun einmal der allerbeste Opferschutz.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb macht es auch keinen Sinn, den Haushaltsansatz für diese Vereine erneut mit mageren Zahlen zu unterlegen. Wichtig ist es vielmehr, den Opferschutz aktiv zu fördern. Auch deshalb haben wir den Haushaltsansatz in entsprechender Höhe vorgeschlagen; denn was in Hannover bei der „Waage“ und in Oldenburg bei der Konfliktschlichtung funktioniert, könnten Bürgerinnen und Bürger anderer Städte auch gut gebrauchen. Opferschutz darf nicht von haushaltspolitischen Zufälligkeiten abhängen.

(Beifall bei der SPD)

Aber genau an diesem Beispiel zeigt sich der messerscharfe Unterschied zwischen einer rot-grünen und einer schwarz-gelben Rechtspolitik. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wollen die Justiz auf einen Kernbereich zusammenschrumpfen lassen. Wir wollen Strukturen, die bürgerfreundlich und kostengünstig sind, ausbauen.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin mit meiner Liste der Alleinstellungsmerkmale sozialdemokratischer Rechtspolitik noch lange nicht am Ende.

(David McAllister [CDU]: Mit diesen Merkmalen bleiben Sie auch alleine!)

Wir werden nicht nur bessere Gesetze machen, wir werden auch gerechtere Gesetze machen. Konkret heißt dies: Wir werden uns dafür einsetzen, dass es Rechtsschutz nicht nur für Reiche gibt. Absprachen im Strafprozess dürfen nicht dazu führen, dass diejenigen, die sich teure Anwälte leisten können, mit symbolischen Strafen davonkommen, während andere, die sich eine teuere Rechtsberatung nicht leisten können, die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. So etwas, meine sehr verehrten Damen und Herren, fördert den sozialen Unfrieden.

(Beifall bei der SPD)

Ein wichtiges Anliegen für uns ist es auch, den Zugang zu den Gerichten auch für wirtschaftlich Schwächere offenzuhalten. Anders als die Regierung sind wir der Meinung, dass auch sie sich qualifizierten Rechtsschutz durch staatliche Gerichte müssen leisten können. Bestrebungen zum weitgehenden Abbau der Prozesskostenhilfe werden wir daher entgegentreten. Gerechtigkeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf nicht vom Geldbeutel abhängen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden darüber hinaus Streitschlichtung und Mediation stärken. Mittlerweile besteht auch Konsens, dass nicht jede gerichtliche Auseinandersetzung im Streit enden muss. Ich frage mich, warum die Landesregierung die Chancen der Streit

schlichtung immer noch als justizpolitisches Stiefkind behandelt. Durch die gerichtsnahe Mediation können Gerichtskosten gespart und es kann, was wir für noch viel wichtiger halten, ein dauerhafter Rechtsfrieden hergestellt werden, sodass künftige Prozesse vermieden werden. Aber auch die außergerichtliche Streitschlichtung muss gestärkt

werden. Die Landesregierung hatte ja ein Mediationsgesetz angekündigt, und das Konzept war in der Tat gar nicht so schlecht, Frau Ministerin. Es wird aber das Geheimnis von CDU und FDP bleiben, warum sie dieses Gesetz nicht zu Ende beraten wollen. So ist es aber mit der Justizpolitik in Niedersachsen: Erst kommt eine lautstarke Ankündigung, dann kommt ganz viel heiße Luft, und dann kommt gar nichts mehr.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Sie wollten uns doch nicht kri- tisieren!)

Im Bereich des Justizvollzuges gibt es, was den Haushalt anbelangt, relativ wenige Veränderungen. Der Grund dafür sind die voll budgetierten JVAs und die immer irgendwie deckungsfähigen Haushaltstitel. Frei nach dem Motto „Nun seht mal zu, wie ihr damit auskommt“ müssen die Justizvollzugsanstalten agieren. So kann man zwar eine finanzpolitisch bequeme, aber keine sicherheitsrelevante Haushaltspolitik für die Vollzugsanstalten machen. Ganz nebenbei sei gesagt: Kostenerhöhungen für Energie scheinen in Ihrem Haushalt nicht vorzukommen. Es wäre mir neu, dass die Stromkonzerne Rücksicht auf irgendjemanden

nehmen würden; mit Sicherheit werden sie es aber nicht bei irgendwelchen Knästen tun.

Mit Entsetzen haben wir festgestellt, dass der Ansatz für die Anlaufstelle für Entlassene immer weiter gesenkt wurde. Im Haushaltsjahr 2003 betrug der Ansatz noch 1,3 Millionen Euro. Inzwischen ist er auf 1 Million Euro heruntergefahren worden. Die bisherigen Mittel waren mehr als knapp bemessen. Wir haben gestern Abend hier in diesem Hohen Hause zu später Stunde über das Justizvollzugsgesetz beraten. Dieses neue Gesetz beinhaltet eine durchgehende Betreuung. Alle sind stolz, dass die durchgehende Betreuung als Aufgabe in diesem Gesetz neu definiert wurde. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir

begrüßen das, weil die Rückfallwahrscheinlichkeit durch solche politischen Maßnahmen gesenkt

werden kann. Eines muss aber auch klar sein: Für nichts gibt es nichts. Durchgehende Betreuung zum Nulltarif ist eine Luftnummer, der wir so nicht zustimmen können. Deshalb haben wir den Ansatz um 0,5 Millionen Euro für das kommende Jahr aufgestockt.

(Minister Hartmut Möllring [CDU]: Wer hat das gemacht?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, „Privatisierungswahn“ ist eines der Schlagwörter in der 15. Legislaturperiode des Niedersächsischen

Landtages. Die Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 270 Millionen Euro für eine teilprivatisierte Anstalt mit 300 Plätzen in Bremervörde kann natürlich nicht unsere Zustimmung finden. Im Justizvollzug ist der Staat gefragt, nicht aber private Sparmodelle.