Protocol of the Session on December 12, 2007

(Bernd Althusmann [CDU]: Das erläu- tern Sie uns doch bitte etwas ausführ- licher!)

Ich möchte diese Galerie etwas erweitern, und zwar durch ein Zitat des Ministerpräsidenten Herrn Wulff: „Das Erststudium in Niedersachsen bleibt gebührenfrei.“

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu Tagesordnungspunkt 1 a) liegen mir nicht vor.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich rufe auf:

b) Macht Atomkraft Krebs? Studie belegt erhöhtes Krebsrisiko für Kinder in AKWNähe - Antrag Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/4314

Zu Wort gemeldet hat sich der Kollege Wenzel.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zehn Atomanlagen befinden sich in Niedersachsen oder in unmittelbarer Nähe von Niedersachsen: sechs Atomkraftwerke und vier bestehende oder geplante Atommüllendlager. Darunter sind zwei, die Asse und Morsleben, bei denen es bereits zu einer Havarie gekommen ist, wo ein Kontakt mit der Biosphäre nicht mehr ausgeschlossen werden kann.

Jetzt, meine Damen und Herren, liegt eine Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz zum Leukämierisiko bei Kleinkindern vor. Die Studie ist vom epidemiologischen Ansatz her anspruchsvoller als alle bisher vorliegenden. Die Autorin, ehemalige Vorsitzende der Strahlenschutzkommission, gehörte bislang nicht unbedingt zu den Atomkraftgegnern, eher im Gegenteil.

Diese Studie und die Stellungnahme des zwölfköpfigen Expertengremiums sind aus meiner Sicht außerordentlich besorgniserregend. Sie zeigt einen eindeutigen kausalen Zusammenhang zwischen der Entfernung zwischen einem Atomkraftwerk und dem Wohnort eines Kleinkindes und der Wahrscheinlichkeit, dass dieses an Krebs erkrankt. Die Stellungnahme der Experten zeigt, dass in einem Umkreis von 5 km um ein Atomkraftwerk damit gerechnet werden muss, dass eine signifikant erhöhte Zahl von Krebserkrankungen bei Kleinkindern auftritt. Diese Studie stellt damit die bislang geltenden Grenzwerte für radioaktive Emissionen von Atomkraftwerken infrage.

Die Autorin wies darauf hin, dass nicht auszuschließen sei, dass dieser Effekt das Ergebnis von nicht berücksichtigten Einflüssen oder auch von Zufall sei. Die These vom Zufall wurde dann vom Atomforum, der Lobby der Atomkraftbefürworter, dankbar aufgenommen, das dann behauptet hat, diese Studie bringe überhaupt keine neuen Erkenntnisse.

Meine Damen und Herren, im Jahr 1987 hat der britische Vorsitzende der Strahlenschutzkommission, Professor Southwood, nach einer Vorgänger

studie gesagt: Wenn diese Häufungen, die dort auch auftraten, eine ursächliche Beziehung mit ionisierender Strahlung haben, dann liegen wir entweder völlig daneben mit unserem Wissen über die tatsächlichen radioaktiven Freisetzungen, oder aber da ist etwas im Verhalten einzelner Radionuklide, das wir zurzeit noch nicht verstehen. - Das war 1987, meine Damen und Herren.

Auch wenn wir die genaue Ursache, die genauen Wirkungszusammenhänge noch nicht im Detail kennen: Der Zusammenhang zwischen Wohnort und Entfernung zum AKW ist evident. Das zu ignorieren, wäre leichtfertig. Im Zweifel muss die Sicherheit der Bevölkerung vor den wirtschaftlichen Interessen der Betreiber rangieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Ministerpräsident Wulff, ich fordere Sie deshalb jetzt auf zu handeln. Stellen Sie die Betriebserlaubnis der niedersächsischen Atomkraftwerke infrage! Der Betrieb ist nicht mehr zulässig, wenn nachweisbar Gefahren für Leib und Leben von Kleinkindern bestehen, die im Umfeld der Kernkraftwerke leben. Setzen Sie eine Verschärfung der Strahlenschutzvorschriften durch! Wenn der sogenannte Normalbetrieb von Atomkraftwerken solch tödliche Risiken birgt, kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen oder einfach eine Folgestudie fordern. Das ist lediglich der durchsichtige Versuch, das Thema auf die lange Bank zu schieben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die organisierte Verantwortungslosigkeit, die sich in den Äußerungen des Atomforums niederschlägt, oder die Verharmlosungsversuche Ihres Umweltministers, Herr Wulff, werden noch weiter zur Verunsicherung der Bevölkerung beitragen.

Herr Wulff, ich frage Sie: Wer will denn künftig in diesen Zonen leben? Was wollen Sie Ihren Landeskindern sagen? Würden Sie mit Ihrer Familie direkt in das Umfeld von Grohnde, von Esenshamm, von Lingen oder in die Elbmarsch bei Krümmel ziehen?

(Zuruf von Ursula Körtner [CDU])

Wie sollen sich diese Regionen denn künftig entwickeln, Frau Körtner, wenn wir das nicht ernst nehmen? Sollen das Landkreise ohne Kinder wer

den? Was heißt das denn für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen? - Ich sage Ihnen eines: Zuerst geht es schleichend. Aber Sie werden den Trend nicht aufhalten können, wenn Sie nicht ganz eindeutig sicherstellen, dass die Menschen in diesen Regionen keine Befürchtungen zu haben brauchen.

Herr Wulff, können die Menschen unter Ihrer Regierung darauf vertrauen, dass Sie die Sicherheit und den Schutz von Haus, Leib und Leben jederzeit gewährleisten, oder müssen sie damit rechnen, dass Herr Sander wieder sein T-Shirt mit dem zynischen Spruch „Kernkraft - kerngesund!“ anzieht?

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich bin auf Ihre Einschätzung und Ihre Ratschläge gespannt, Herr Wulff. Oder ist das gar nicht Chefsache?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Althusmann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Deutschland erkranken jährlich rund 600 Kinder neu an verschiedenen Formen von Leukämie. Allein im Zeitraum von 1980 bis 2003 waren es rund 13 400 Kinder im Alter von unter fünf Jahren. Die Ursachen und die Verursacher der Erkrankungen konnte die medizinische Forschung leider bis heute nicht endgültig feststellen.

Wenn ein Kind an Blutkrebs erkrankt, ist jeder Einzelfall ein besonders schweres Schicksal. Für die betroffene Familie ist es mit vielen Sorgen, Nöten und Ängsten verbunden. Diese Sorgen gilt es sehr ernst zu nehmen. Eine parteipolitische Instrumentalisierung verbietet sich. Das Thema ist zu ernst, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weder Verharmlosungen noch vorschnelle Bewertungen helfen weiter. Weder die Expertenkommis

sion in Schleswig-Holstein und Niedersachsen seit 1990, noch die im April 2003 veröffentliche Leukämiestudie Norddeutschland, nicht das Ökoinstitut Darmstadt und auch nicht die aktuell diskutierte Studie des Bundesumweltministeriums konnten die Ursachen für ein gehäuftes Auftreten von Leukämien erklären. Dennoch werden wir diese Studien sehr ernst nehmen und prüfen.

Aus Unsicherheit wächst bekanntlich Angst. Diese ist vor allem dann groß, wenn Erkrankungen nicht vereinzelt, sondern lokal gehäuft als so genannte Cluster auftreten. Von diesen Clustern gibt es weltweit 240 in 17 Ländern. Dazu gehört auch der Leukämiecluster in der Elbmarsch in Niedersachsen. Von den 240 Clustern befanden sich allerdings nur vier in der Nähe von Kernkraftwerken.

Die Niedersächsische Landesregierung hat ebenso wie die Vorgängerregierungen seit 1990 alle Anstrengungen unternommen, um bei der Klärung zu helfen. Die niedersächsische Landespolitik hat es sich Gott sei Dank sehr frühzeitig zur Aufgabe gemacht, den Ursachen für die auffällige Häufung von Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch sachlich und fachlich fundiert auf den Grund zu gehen. Dies waren und sind wir den erkrankten und auch den verstorbenen Kindern und den angehörigen Familien schuldig.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, deshalb war es richtig, immer wieder neue Ansätze in der Ursachenanalyse zu erforschen. Die bereits im Jahr 1990 im Auftrag des niedersächsischen Sozialministeriums eingesetzte Expertenkommission kam im Jahr 2004 zu dem Ergebnis, dass es keine Belege für einen Zusammenhang zwischen Kernkraftwerken und den Erkrankungen von Kindern in einem 5-kmRadius davon gegeben hat. Es wurden alle nur denkbaren Ursachen erforscht: die Elbe, chemische Schadstoffe, elektromagnetische Felder, Pflanzenschutzmittel, Trinkwasser und Röntgenuntersuchungen. - Ich erinnere an das so genannte 16-Punkte-Programm.

Auch die im April dieses Jahres hier im Niedersächsischen Landtag durchgeführte umfangreiche Anhörung der Expertenkommission konnte die rätselhaften Erkrankungen nicht begründen.

Diese Studien helfen - wie im Übrigen alle Studien der Vergangenheit - den Familien nicht weiter. Genauso wenig hilft es ihnen jedoch weiter, wenn jetzt der Weg der sachlichen Aufklärung verlassen

wird und daraus stattdessen eine ideologische Grundsatzdebatte gemacht wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Deutsche Kinderkrebsstiftung sagt dazu: „Wir brauchen keine energiepolitischen Trittbrettfahrer.“

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Auch die Veröffentlichung der neuen, uns aktuell bewegenden Studie hilft den Betroffenen nicht. Es werden keine Aussagen über die Gründe der Erkrankungen gemacht. Die natürliche Strahlung eines Atomkraftwerkes wird als Grund definitiv ausgeschlossen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist falsch!)

In dieser Studie steht:

„Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand lässt sich also die erhöhte Anzahl der Kinderkrebsfälle und speziell der Leukämiefälle in der Umgebung von Kernkraftwerken nicht durch die davon ausgehende radioaktive Strahlung erklären.“

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Es ist nur komisch, dass es überall so ist!)

Herr Jüttner und Frau Helmhold, wenn Sie jetzt ein sofortiges Abschalten aller Atomkraftwerke fordern, ist dies eine unzulässige Verdrehung von Fakten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Selbst Ihr Parteifreund Gabriel geht wider Erwarten sachgerechter und sensibler mit dem Thema um.