Wer soll die fehlenden Plätze schaffen? - Das kann ja nur der Staat tun. Das ist Dirigismus und Planwirtschaft pur. Genauso wäre es bei den Arbeitsplätzen.
Mit diesen Vorschlägen haben Sie sich mehr als disqualifiziert und gezeigt, dass Sie nichts, aber auch gar nichts von Wirtschaftspolitik verstehen.
Sie werfen uns Attentismus vor und sagen, wir hätten nichts getan. Sie haben 13 Jahre lang abgewartet und zugesehen, als die Ausbildungszahlen zurückgingen.
Zunächst einmal möchte ich Ihnen mitteilen, dass der Antrag der SPD-Fraktion unter Tagesordnungspunkt 37 „Fachkräftemangel bekämpfen und Hochschulen für Berufstätige öffnen!“ ohne Aussprache direkt an die Ausschüsse überwiesen wird.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben bereits am Mittwoch in der Aktuellen Stunde deutlich gemacht, dass selbst in einer Phase des Aufschwungs die Zahl der ausbildenden Betriebe in Niedersachsen zurückgegangen ist und die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze eben nicht gestiegen ist. Wenn selbst ein Aufschwung weitgehend am Lehrstellenmarkt vorbeigeht, müssen wir doch endlich zur Kenntnis nehmen, dass unser System der beruflichen Bildung strukturell in einer sich weiter verschärfenden Krise steckt. Es ist leider bei Weitem nicht so, dass jetzt alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, auch einen bekommen. Auf einen Bewerber in Niedersachsen kommen statistisch aktuell nur 0,67 Ausbildungsstellen. Angesichts dessen können Sie doch nicht von Erfolg sprechen.
Meine Damen und Herren, ich habe bereits am Mittwoch darauf hingewiesen, dass wir einen riesigen Berg von Altbewerbern vor uns herschieben. Bundesweit stecken ca. 500 000 Jugendliche in Warteschleifen, in sogenannten Übergangssystemen. Eine halbe Million junge Leute wissen, dass ihnen diese Warteschleifen so gut wie nichts bringen. Damit geben wir 500 000 Jugendlichen zu verstehen: Eigentlich brauchen wir euch nicht. - Dass diese jungen Menschen frustriert sind, dass ihnen die Motivation verloren geht, ist doch klar. Die Ausbildungsfähigkeit der Betroffenen nimmt
Meine Damen und Herren, notwendige Reformen sind in Aufschwungphasen, wie wir sie im Moment glücklicherweise haben, viel einfacher. Die Reformen müssen jetzt angegangen werden. Herr Minister Hirche und Herr Minister Busemann machen aber nichts anderes als Durchwursteln und Gesundbeten, und ihre Fraktionen machen das auch noch mit.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, zur Aktuellen Stunde vom Mittwoch will ich Ihnen noch sagen: Ihr Schönreden der Situation bringt uns keinen Millimeter weiter.
Das ist außerdem eine unglaubliche Ignoranz gegenüber den Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz finden und sich immer wieder bewerben.
Sie reden hier über junge Menschen. Reden Sie einmal mit denen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben! Dann wissen Sie vielleicht, wie groß der Handlungsdruck ist.
Wir haben Ihnen bereits im Plenum im März mit unserem Antrag einen Weg aufgezeigt, wie wir dieses Problem vernünftig angehen können. Fast acht Monate hatten Sie Zeit, um darauf zu reagieren und gemeinsam vernünftige Lösungen zu entwickeln,
die auch über den nächsten Abschwung hinaus tragfähig sind. Wir haben in dieser Zeit interfraktionelle Gespräche geführt. Trotzdem haben Sie es nicht einmal geschafft, rechtzeitig zur letzten Ausschussberatung Ihre Vorstellungen tatsächlich auf den Tisch zu legen. Dabei - seien Sie doch einmal ehrlich! - hat Ihr Minister doch längst Konzepte erarbeiten lassen, die ganz stark in unsere Richtung gehen. Das zeigt mir, dass Sie sich vor der Wahl an dieses wichtige Thema nicht herantrauen, weil Sie großen Widerstand befürchten. Herr Minister Busemann, aus wahltaktischen Gründen sitzen Sie seit Jahren dieses Problem aus und tun nichts.
Dies geschieht auf Kosten von jungen Menschen, denen jedes Jahr die berufliche Perspektive mehr verloren geht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich stelle fest, dass Sie zumindest den einen oder anderen Punkt unseres Antrages halbherzig aufgegriffen haben. Ich nenne beispielsweise - Herr von Danwitz sprach darüber - die Notwendigkeit der stärkeren Modularisierung der Ausbildung und der Anerkennung von Teilqualifikationen. Übrigens brauchen Sie dafür nicht erst auf die Bundesebene einzuwirken. Sie hätten längst entsprechend handeln können; denn das novellierte Berufsbildungsgesetz von 2005 erlaubt dies längst. Ihre Landesregierung muss diesbezüglich nur endlich einmal in Wallung kommen. Sie hätten längst aktiv werden können. Außer den üblichen Ritualen mit Appellen an die Wirtschaft und Beschwören des tollen Ausbildungspaktes ist Ihnen aber leider nichts eingefallen.
Sie gehen mit Ihrem Vorschlag auch nicht weit genug. Wir brauchen einen vollständigen Umbau der Übergangssysteme. Da wird jede Menge Geld erfolglos ausgegeben, damit man sagen kann: Die Statistik stimmt, die Leute sind versorgt. - Wenn wir die Übergangssysteme ohnehin finanzieren, warum dann nicht gleich darin enthaltene Ausbildungsanteile zertifizieren und auch anerkennen, warum nicht vollzeitschulische Ausbildung mit hohen betrieblichen Praxisanteilen zeitlich befristet einrichten, damit der Berg von Altbewerbern endlich eine Chance auf Ausbildung erhält, warum teure Warteschleifen finanzieren, wenn wir dafür auch Ausbildung bekommen können?
Meine Damen und Herren von der CDU und ganz besonders von der FDP, Sie denken, glaube ich, immer: Alles, was die Wirtschaft macht, ist toll, und alles, was unter staatlicher Ägide mitverantwortet wird, ist des Teufels. - Mit dieser Sichtweise können Sie die Probleme nicht lösen. Wie viele Beweise brauchen Sie denn noch, dass die Wirtschaft allein es nicht richten kann? Reichen Ihnen eine halbe Million Jugendliche in Warteschleifen immer noch nicht? Reicht es Ihnen nicht, dass die Zahl ausbildender Betriebe selbst im Aufschwung weiter abnimmt? Es ist doch ein Skandal, wie durch Ihre Tatenlosigkeit die Potenziale junger Menschen seit Jahren vergeudet werden.
Meine Damen und Herren, auch zu den Jugendlichen, die in Ihrem Schulsystem gescheitert sind, sagen Sie nichts. Wir haben in unserem Antrag den Vorschlag gemacht, Produktionsschulen einzurichten. Ich habe mir Produktionsschulen angesehen. Es ist erstaunlich, zu welchen Leistungen die jungen Leute dort fähig sind, welche Motivation auf einmal diejenigen aufbauen, die bisher immer gescheitert sind. Diese Gruppen erreicht man nicht mit schulischen Maßnahmen. Sie müssen endlich die positive Erfahrung machen, dass sie gebraucht werden und dass sie auch etwas können. Diese jungen Menschen sind uns nicht egal. Deshalb wollen wir verstärkt Produktionsschulen einrichten. Dazu sagen Sie nichts.
Meine Damen und Herren, den Vorschlag der SPD-Fraktion, das Recht auf Berufsausbildung in die Verfassung aufzunehmen, finde ich richtig. Entscheidend ist aber, dass auch eine vernünftige Umsetzung erfolgt. Sonst nützen hehre Ziele in der Verfassung wenig.
Für die Regierungsfraktionen gilt - damit komme ich zum Schluss -: Nur mit Gesundbeterei, mit Statistiktricks und mit seit Jahren erfolglosen Appellen an die Wirtschaft ist es nicht getan. Wer Tausende junger Leute achselzuckend in die Perspektivlosigkeit entlässt, der gehört abgewählt. - Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention hat sich die Kollegin Körtner gemeldet. Frau Körtner, Sie haben anderthalb Minuten Redezeit.
Sie nehmen ganz offensichtlich auch nicht zur Kenntnis, dass Politiker zwar viel wissen und auch wissen müssen, aber nicht alles besser wissen sollten. Denn Sie blenden das, was die Fachleute sagen, mit denen wir ja den Pakt für Ausbildung geschlossen haben und mit denen wir gemeinsam junge Menschen in Ausbildung bringen wollen und
müssen - wir haben es auch getan -, völlig aus. Sie nehmen überhaupt nicht mehr zur Kenntnis, dass die gesamte ausbildende Wirtschaft, das Handwerk, die Vereinigung der Handwerkskammern, die Mitgliedskammern alle das Gleiche sagen: Wir sind nach schwierigen Jahren, die teilweise auch Sie zu verantworten haben, in einer Situation des Aufschwungs.
Vor dem Hintergrund dieser Gesamtsituation jetzt eine Ausweitung der vollzeitschulischen Ausbildung mit Kammerprüfung zu fordern, ist nach Meinung aller Fachleute, nach unserer Meinung genau der Schritt in die falsche Richtung.
Was wollen Sie? - Es ist verräterisch, was Sie gerade gesagt haben. Hier wird versucht, ein temporäres Ausbildungsproblem mit einer systemischen Veränderung unseres Berufsausbildungssystems zu bekämpfen.
Sie wollen eine Veränderung. Das, Frau Korter, machen wir nicht mit. Sie werden heute noch einiges dazu hören.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Körtner, deutlicher konnten Sie eigentlich nicht bestätigen, dass das, was ich gesagt habe, richtig ist. Ihnen sind die 500 000 Jugendlichen in Warteschleifen tatsächlich egal.
Da hören Sie nur auf die Wirtschaft. All die Jugendlichen, die jetzt Tag für Tag ihre Bewerbungen schreiben, interessieren Sie offensichtlich nicht. Sie haben nicht zur Kenntnis genommen, dass die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze abgenommen hat. Gucken Sie sich doch die neueste Statistik der Bundesagentur für Arbeit für Nie
dersachsen an: minus 0,2 % bei den betrieblichen Ausbildungsplätzen. Ein Zuwachs ist alleine bei der schulischen Ausbildung zu sehen.
(Ursula Körtner [CDU]: Das ist doch Quatsch, was Sie sagen! - Wolfgang Hermann [FDP]: Das stimmt ja gar nicht!)