Protocol of the Session on July 12, 2007

Antwort

des Ministeriums für Inneres und Sport auf die Frage 36 der Abg. Jutta Rübke, Heiner Bartling und Klaus-Peter Bachmann (SPD)

Die Brutalität wird immer schlimmer? Warum ist davon im Sicherheitsbericht der Landesregierung nichts zu lesen?

Anlässlich der Vorstellung des „Berichts zur Inneren Sicherheit in Niedersachsen 2002 bis 2006“ hat der amtierende Innenminister ausweislich der Berichterstattung in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 27. Juni 2007 Folgendes ausgeführt: „Die Brutalität wird immer schlimmer.“ Was neu sei, sei die wachsen

de Gewaltbereitschaft. „Heute wird öfter nachgetreten“, so Schünemann.

Bei Durchsicht des Sicherheitsberichts fällt allerdings auf, dass sich dort entgegen den anderslautenden Behauptungen des Innenministers keinerlei Hinweise für eine zunehmende Brutalisierung finden. Auf Seite 131 des Berichts heißt es hierzu ausdrücklich: „In der Forschung ist umstritten, ob die Gewalt an Schulen in den letzten Jahren angestiegen ist. (…) Es gibt nur wenige Längsschnittstudien, die zudem die jüngere Vergangenheit nicht erfassen, sodass aus dieser Perspektive keine einheitliche Aussage getroffen werden kann. Der Bundesverband der Unfallkassen hat demgegenüber in einer 2003 auf der Basis der Auswertung von meldepflichtigen aggressionsverursachten (Rauf-) Unfällen veröffentlichten Studie folgende wesentlichen Ergebnisse publiziert: (…) Nimmt man Frakturen als Indikator, um festzustellen, ob sich die Schwere der Raufunfälle verändert hat, so ist festzustellen, dass in keiner der Schularten eine Brutalisierung festzustellen ist, insgesamt sinkt die diesbezügliche Unfallrate von 1,5 auf 1 (…).‘“

Weiter heißt es im Sicherheitsbericht der Landesregierung ausdrücklich: „Ohne aussagekräftige Dunkelfeldstudien ist unklar, ob die Steigerung der Zahlen bedeutet, dass die heutige junge Generation eine erheblich größere Gewaltbereitschaft zeigt als die früheren oder ob aufgrund immer stärkerer Ablehnung von Gewaltanwendung in der Gesellschaft ein zunehmend größerer Anteil von Gewalttaten angezeigt wird“ (vgl. Seite 123).

Angesichts dieses Widerspruchs zwischen dem Inhalt des vom Innenminister vorgelegten Sicherheitsberichts und seinen Aussagen gegenüber der Presse fragen wir die Landesregierung:

1. Wird die Schwere der Opferverletzung in der polizeilichen Kriminalstatistik oder in der Strafverfolgungsstatistik erfasst, bzw. auf welche weiteren empirischen Grundlagen stützt sich die anlässlich der Vorstellung des Sicherheitsberichts aufgestellte Behauptung des Innenministers von einer zunehmenden Brutalisierung der Tatverdächtigen bei Gewaltdelikten in Niedersachsen? Wenn ja, an welcher Stelle (bitte mit konkreter Seitenangabe) des Sicherheitsberichts werden diese empirischen Grundlagen für die interessierte (Fach-) Öffentlichkeit nachvollziehbar dargelegt?

2. Teilt die Landesregierung die Aussage im Sicherheitsbericht, dass sich ohne aussagekräftige Dunkelfeldstudien nicht aufklären lässt, ob die Gewaltbereitschaft in den vergangenen Jahren tatsächlich angestiegen ist?

3. Welche derart aussagekräftigen Dunkelfeldstudien gibt es für Niedersachsen, und inwieweit decken sich die Ergebnisse dieser Dunkelfeldstudien mit der Behauptung des Innen

ministers, die Gewaltbereitschaft habe zugenommen bzw. die Brutalität sei immer schlimmer geworden?

Im Rahmen der Vorstellung des Berichts zur Inneren Sicherheit in Niedersachsen 2002 bis 2006 bin ich auch auf das Problem einer offenkundig wachsenden Gewaltdelinquenz eingegangen.

Hierzu nur einige Eckdaten:

Die Anzahl der bekannt gewordenen Fälle der Gewaltkriminalität hat sich von 14 444 Fällen im Jahre 1992 kontinuierlich auf den bisherigen Höchststand von 21 761 Straftaten erhöht. Dies entspricht einer Steigerung von 50,7 %.

Körperverletzungen haben sich von 27 703 Fällen im Jahre 1992 über die Jahre kontinuierlich auf 50 824 im Jahre 2006 gesteigert (+ 83,5 %). Bei den gefährlichen und schweren Körperverletzungen haben wir im gleichen Zeitraum eine Steigerung von 8 970 Fällen auf 15 798 Fälle (+ 76,1 %) zu verzeichnen. Die Anzahl der erfassten Täter hat sich bei den Körperverletzungen um 90,6 %, bei den gefährlichen und schweren Körperverletzungen sogar um 99,5 % erhöht. Der Anteil dieser Deliktsfelder an der Gesamtkriminalität hat sich in beiden Fällen fast verdoppelt.

Äußerst bedenklich ist auch die Entwicklung der erfassten Gewaltkriminalität junger Menschen. Die Tatverdächtigenbelastungsziffer, also die Anzahl der ermittelten Täter pro 100 000 Einwohner der entsprechenden Altersgruppe, stieg im gleichen Zeitraum bei den Kindern von 33,7 auf 111,5 (+ 230,9 %) , bei den Jugendlichen von 584,2 auf 1423,8 (+ 143,7 %) und bei den Heranwachsenden von 711,7 auf 1544,8 (+117,1 %).

Auch die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat in ihrer 183. Sitzung in Berlin am 31. Mai/1. Juni2007 ihre Besorgnis über den kontinuierlichen Anstieg der Gewaltkriminalität bei den unter 21-jährigen Tatverdächtigen in den letzten zehn Jahren zum Ausdruck gebracht.

Welches Ausmaß der Verrohung sich hinter diesen Zahlen verbirgt, möchte ich mit einigen wenigen Fallbeispielen verdeutlichen:

- Im Herbst 2006 wurde der Polizei in Winsen/Luhe das „Buschmann-Prinzip“ bekannt. Ein Schüler bekommt an seinem Geburtstag als „Geschenk“ Schläge von mehreren Tatbeteiligten. Diese werden zu Beginn als leichte Schläge mit der flachen

Hand auf den Rücken geführt. Die Intensität dieser Schläge steigt jedoch schnell und mündet schließlich in gezielt ausgeführten Faustschlägen und Fußtritten gegen den „Beschenkten“. Hierdurch erwirbt dieser sich das Recht, beim nächsten Geburtstagskind entsprechend zu handeln.

- Gegen zwei zur Tatzeit 16- und 17-jährige Beschuldigte wurde Haftbefehl wegen versuchten Totschlags erlassen, nachdem beide zuvor das mit ihnen bekannte erwachsene Opfer über mehrere Tage unter Einsatz von Waffen/gefährlichen Werkzeugen und gesundheitsgefährdenden Stoffen lebensbedrohend quälten.

- Ein 14-jähriger Junge entblößte auf dem Pausenhof gewaltsam die Brust einer 12-jährigen Mitschülerin und drückte eine glimmende Zigarette seitlich in den äußeren Brustbereich.

- In Diepholz wurde ein erwachsener Mann von zwei jugendlichen Graffitisprayern zusammengeschlagen und -getreten, als er diese bei der Tatbegehung überraschte. Obwohl der Mann nach einem Sturz bewusstlos und damit wehr- und hilflos war, traten und schlugen beide Täter weiter auf ihn ein, bevor sie sich vom Tatort entfernten.

Die dargestellten langfristigen statistischen Entwicklungen, die auf eine deutlich gestiegene Gewaltbereitschaft hindeuten, sind auch Folge einer gestiegenen Anzeigebereitschaft der Bevölkerung und einer erfolgreichen Ermittlungsarbeit der Polizei. Diese führen über eine Verringerung des Dunkelfeldes statistisch zu einem erhöhten Straftatenaufkommen. Insoweit liegt einem gestiegenen Fallund Tatverdächtigenaufkommen nicht im vollen Umfang ein verändertes kriminelles Verhalten zugrunde, sondern die früher der Polizei nicht bekannt gewordenen Taten werden häufiger gemeldet und finden damit nunmehr ihren Niederschlag in der Polizeilichen Kriminalstatistik.

Auf diesen Effekt weise ich im Zusammenhang mit der Darstellung und Bewertung kriminalstatistischer Zahlen regelmäßig hin, so auch anlässlich der Präsentation des Berichts zur Inneren Sicherheit in Niedersachsen 2002 bis 2006.

Die damit verbundene Forderung nach aussagekräftigen Dunkelfeldforschungen unterstützt die Niedersächsische Landesregierung nachdrücklich, um die bestehenden Erkenntnisse auf ein noch breiteres wissenschaftliches Fundament zu stellen.

So haben wir bereits im Jahre 2005 die Schülerbefragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) mitgetragen, und auch die derzeit vom KFN betriebene Folgeuntersuchung wird von der Landesregierung insbesondere durch den Einsatz personeller Ressourcen unterstützt. Darüber hinaus hat sich die AG Kripo aus fachlicher Sicht für periodische Dunkelfeldopferbefragungen zur Verbesserung der Erkenntnislage zum Kriminalitätsgeschehen in Deutschland ausgesprochen und eine Projektgruppe - unter niedersächsischer Beteiligung - mit der Prüfung der Realisierungsmöglichkeiten beauftragt.

Angesichts des Umfangs und der Konstanz der langfristigen Fall- und Tatverdächtigenzuwächse ist nicht zu erwarten, dass zukünftige Dunkelfeldforschungen den erkennbaren Trend ganz widerlegen oder gar umkehren werden. So ist beispielsweise die festgestellte deutliche Steigerung der gefährlichen und schweren Körperverletzungen nicht nur mit einer erhöhten Anzeigebereitschaft plausibel zu erklären, da gegenüber den schweren Formen der Gewaltanwendung die Toleranz auch früher gering gewesen ist.

Erwartbar sind nach Einschätzung der Landesregierung daher lediglich validere Erkenntnisse zu der Frage, in welchem Umfang eine Dunkelfeldaufhellung zu den dargestellten Zuwächsen beiträgt. Dass die vorliegende Datenlage klare Hinweise auf eine zunehmende Verrohung bestimmter Täterkreise gibt, steht für die Niedersächsische Landesregierung weiterhin außer Frage. Sie wird ihre auch hierauf zielenden Präventionsbemühungen daher uneingeschränkt fortsetzen.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Die Schwere der Opferverletzung wird weder in der Polizeilichen Kriminalstatistik noch in der Strafverfolgungsstatistik erfasst. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

Zu 2: Die hier unterstellte Aussage, dass sich „ohne aussagekräftige Dunkelfeldstudien nicht aufklären lässt, ob die Gewaltbereitschaft in den vergangenen Jahren tatsächlich angestiegen ist“, enthält der Bericht nicht.

Die von den Fragestellern offenbar ins Auge gefasste und auch in der Vorbemerkung korrekt zitierte Textpassage auf Seite 123 des Berichts lautet:

„Ohne aussagekräftige Dunkelfeldstudien ist unklar, ob die Steigerung der Zahlen bedeutet, dass die heutige junge Generation eine erheblich größere Gewaltbereitschaft zeigt als die früheren, oder ob aufgrund immer stärkerer Ablehnung von Gewaltanwendung in der Gesellschaft ein zunehmend größerer Anteil von Gewalttaten angezeigt wird.“

Diese Aussage wird von der Niedersächsischen Landesregierung geteilt. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

Zu 3: Auf das Defizit bezüglich aussagekräftiger Dunkelfeldstudien ist bereits im Bericht für die Innere Sicherheit in Niedersachsen 2002 bis 2006 hingewiesen worden. Die Niedersächsische Landesregierung unterstützt und fördert entsprechende Untersuchungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

Anlage 36

Antwort

des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur auf die Frage 37 der Abg. Axel Plaue, Dr. Gabriela Andretta und Volker Brockmann (SPD)

Aufgabe sämtlicher Hochschulstandorte im Bereich der Kältetechnik in Deutschland

Die technische Anwendung der Kältetechnik gehört zu den Schlüsseltechnologien, welche die Herstellung von Lebensmitteln, die Lagerung und somit Qualität und Lagerfähigkeit revolutioniert hat. Einst für den Brauereibereich erfunden, geht die Anwendung dieser Technik weit über den Lebensmittelbereich hinaus. Ein sehr großes Einsatzgebiet ist u. a. mit der Klimatechnik entstanden.

Deutschland ist in der Entwicklung dieser Technologie führend. Der Hochschulnachwuchs wurde an den Hochschulen Hannover, Essen und Dresden ausgebildet. Nun droht diese Fachkompetenz verloren zu gehen. Die kältetechnischen Abteilungen und Institute in Hannover und Essen wurden schon geschlossen, und demnächst droht die Schließung der Kältetechnik in Dresden. Die Landesinnung KälteKlimatechnik Niedersachsen/Sachsen-Anhalt hat sich nun an die Abgeordneten im Niedersächsischen Landtag gewandt, um auf das Problem aufmerksam zu machen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass das hoch spezialisierte Fachgebiet

der Kältetechnik demnächst nicht mehr an einer Hochschule in Deutschland zu finden sein wird und Nachwuchs nicht mehr ausgebildet wird?

2. Welche Initiativen wird die Landesregierung ergreifen, damit auch in Zukunft wissenschaftliche Fachkompetenz in der Kältetechnik zur Verfügung steht?

3. Gibt es in Niedersachsen Hochschulen, an denen Kältetechnik als spezialisierter Studiengang aufgebaut werden kann, auch in Kooperation mit anderen Bundesländern?

Die technologischen Grundlagen der Kältetechnik werden an Fakultäten für Maschinenbau oder für Verfahrenstechnik vermittelt - Universitäten und Fachhochschulen. In Niedersachsen gibt es beispielsweise an der TU Braunschweig am Institut für Thermodynamik der Fakultät für Maschinenbau seit 1998 einen Forschungsschwerpunkt im Bereich Kältetechnologien und natürliche Kältemittel mit der Bezeichnung „Thermische Systeme - Klima-, Kälte- und Wärmepumpensysteme“. An der TU Clausthal wird das Gebiet Kältetechnik im Institut für Energieverfahrenstechnik und Brennstofftechnik behandelt. Auch an den Fachhochschulen ist Kältetechnik Thema in Lehre und Forschung, so z. B. an der FH Braunschweig/Wolfenbüttel im Institut für Energie- und Kältetechnik des Fachbereichs Versorgungstechnik. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.

Mit Blick auf Deutschland insgesamt kann beispielhaft der Forschungsrat Kältetechnik genannt werden, in der die Gesellschaft für Wissens- und Technologietransfer der TU Dresden mbH Mitglied ist, oder die Universität Karlsruhe (TH) mit dem Institut für Thermodynamik und Kältetechnik. Auch hier ließe sich die Reihe der Beispiele fortsetzen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt: