sodass die Regierungsfraktionen in der Kommission nicht über eine originäre Mehrheit verfügten, sondern immer nur zusammen mit den Sachverständigen nach Ergebnissen suchen konnten und stets bemüht waren, fraktionsübergreifend Lösungen zu finden.
Die Kommission war sich einig, kein Untergangsszenario zeichnen, sondern den demografischen Wandel als Chance begreifen zu wollen. Man kann den Bevölkerungsrückgang beklagen, rückgängig machen kann man ihn jedoch nicht. Uns ging es darum, Lösungswege aufzuzeigen. Wie der Kommissionsbericht aufzeigt, lassen sich durch frühzeitiges Handeln Prozesse gestalten und daraus auch Chancen für Niedersachsen und für die Menschen in Niedersachsen ableiten. Dabei werden vor allem Flexibilität und Kreativität gefragt sein; denn der demografische Wandel wird sich durch
große Unterschiedlichkeit und Ungleichzeitigkeit auszeichnen, weshalb wir für diese Veränderungsprozesse den Dialog mit den Menschen brauchen werden.
Die Zahlen sind eben schon vorgetragen worden. Wenn wir bis zum Jahre 2050 1,4 Millionen Menschen weniger sein werden, wenn es dann 40 % weniger Jugendliche unter 20 Jahren geben wird, wenn heute auf einen über 80-Jährigen noch 18 Personen unter 80 Jahren kommen, 2050 aber nur noch 6 Personen und wenn das Durchschnittsalter der Bevölkerung ansteigen wird, wird dies große Veränderungen in unserer Gesellschaft nach sich ziehen. Es hat aber schon immer Veränderungen gegeben. Sie werden in den einzelnen Bereichen Niedersachsens unterschiedlich ausfallen: in Ost und West, in Nord und Süd, in den Ballungszentren und auf dem Lande.
Ich will diese Zahlen nicht relativieren, merke zu ihnen aber an, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass wir bei einer Betrachtung bis zum Jahre 2050 noch 43 Jahre Zeit haben, um die Prozesse zu gestalten. Wer vermochte 1964 vorherzusagen, wie die Verhältnisse heute sein würden? - Damit will ich das Problem des demografischen Wandels nicht kleinreden, sondern deutlich machen, dass wir uns den gravierenden Problemen zuwenden müssen und sie dann auch gestalten können. Daher stand das Handeln im Vordergrund der Kommissionsarbeit. Dem sind wir gerecht geworden. Auf der Basis einer umfassenden Bestandsaufnahme und Analyse haben wir differenzierte Handlungsansätze für die Landespolitik in den nächsten Jahre entwickeln können.
Die Grünen behaupten jetzt, das alles sei überflüssig gewesen. Ich weise dies zurück. Von großem Nutzen ist allein schon, dass wir der niedersächsischen Öffentlichkeit und den Verbänden eine differenzierte Darstellung an die Hand geben können, in der wesentliche Aspekte des demografischen Wandels und seiner Auswirkungen zusammengefasst sind. Immerhin ist es auch eine Aufgabe der Politik, zu informieren und zu sensibilisieren. Schließlich befinden sich in diesem Bericht wegweisende Anregungen für unsere Politik der nächsten Jahre, für die zumindest der größte Teil dieses Hauses sicherlich dankbar sein wird. Wenn die Grünen nun meinen, dies alles sei vorher schon bekannt gewesen und sie hätten schon alles gewusst, dann frage ich mich, warum sie im März 2007, als die Kommission zusammentrat, um konkrete Handlungsvorschläge zusammenzutragen,
als einzige Fraktion keine schriftlichen Vorschläge in die Beratungen eingebracht haben. Dies wundert mich doch sehr, zumal die Grünen in ihrem vorliegenden Antrag suggerieren, sie hätten dies alles vorher schon gewusst. - So viel zum Engagement der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wenn die Grünen dann noch behaupten, durch die Arbeit der Kommission seien zwei Jahre verloren gegangen, dann halte ich dies für einen unfreundlichen Akt gegenüber den vielen, die in Anhörungen vorgetragen haben, und gegenüber den Sachverständigen, die an der Kommissionsarbeit mitgewirkt haben.
Zu dieser Behauptung, der niedersächsischen Politik seien zwei Jahre verloren gegangen, merke ich noch an, dass die Politik in diesen beiden Jahren nicht stillgestanden hat. Alle Analysen - zuletzt nachzulesen in der Wirtschaftswoche - machen deutlich, dass weit über Niedersachsen hinaus in Deutschland wahrgenommen wird, dass unter Führung von Christian Wulff dieses Land modernisiert und nach vorne gebracht wird
und dass wir bereits auf vielen Handlungsfeldern die Weichen für die Bewältigung des demografischen Wandels richtig gestellt haben.
Lassen Sie mich zum Bericht zurückkommen: Neben der Bewältigung der Konsequenzen, die uns der demografische Wandel bringen wird und die von der Kommission ausgemacht wurden, ist die Familienpolitik - konkret: die Stärkung und Unterstützung von Familien - eines der großen Handlungsfelder. Familien- und Kinderfreundlichkeit müssen zu dem Bezugspunkt einer auf den demografischen Wandel bezogenen Politik werden.
Wir müssen mehr für Familien tun und jungen Menschen die Entscheidung für Kinder erleichtern. Zum einen müssen wir dies ideell tun, indem wir in unserer Gesellschaft wieder eine größere Wertschätzung von Familie und Kindern erreichen. Zum anderen müssen wir materiell mehr für Familien tun. Wir dürfen das Ehegatten-Splitting nicht abschaffen, sondern müssen es zu einem Familiensplitting weiterentwickeln. Wir brauchen konkrete
Unterstützungssysteme wie flexible, bedarfsgerechte und flächendeckende Angebote an Betreuungseinrichtungen auch für unter Dreijährige.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss stärker gefördert werden. Die mangelnde Vereinbarkeit ist eine der wesentlichen Ursachen dafür, dass der Kinderwunsch nicht realisiert wird.
Kinderwunsch ist, wie Umfragen zeigen, bei vielen jungen Menschen gegeben. Drei Viertel der jungen Menschen wünschen sich, in Familien mit Kindern zu leben. Der Kinderwunsch wird aber nicht realisiert. Es muss uns umtreiben, wenn es uns in einer reichen Industrienation nicht gelingt, diesen Konflikt aufzulösen. Es muss darum gehen, die Kluft zu überbrücken, indem wir Betreuungsangebote und zusätzliche Einrichtungen schaffen und fördern und die Kinderinteressen beispielsweise mit einem Kinder- und Jugendbarometer in den Blick nehmen. Das Regierungshandeln zeigt auch hier in die richtige Richtung. Ich erinnere an das Programm „Familien mit Zukunft“ sowie an das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr, das wir heute Morgen beschlossen haben, und an die Möglichkeit, auch mit Kind ein Hochschulstudium aufzunehmen.
Das sind wichtige Ansätze. Aber ich will deutlich sagen, dass wir in der Familienpolitik noch viel zu tun haben.
Der demografische Wandel ist nicht umzukehren. Deshalb müssen wir uns mit seinen Konsequenzen beschäftigen. Eine der wesentlichen Konsequenzen ist, dass der Grundsatz gelten muss: Uns dürfen keine Talente verloren gehen. - Je stärker die Bevölkerung schrumpft, umso mehr sind wir gefordert, verborgene Kräfte zu wecken und die Potenziale der Bevölkerung zu nutzen. Ein ganz wesentlicher Schlüssel zur Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels ist daher die frühkindliche Bildung. Ihr folgt eine qualitativ hochwertige Ausbildung mit entsprechender Fort- und Weiterbildung. Darauf müssen wir ein größeres Gewicht legen.
Qualifikation ist der Schlüssel für die Zukunft. Sie sichert Beschäftigung und ist auch deshalb wichtig, weil wir damit das Arbeitskräftepotenzial deutlich vergrößern können. Auch hier sind wir mit dem Schulkindergarten und dem Brückenjahr auf einem guten Weg.
Was die rückläufigen Schülerzahlen betrifft, so ist sich die Kommission einig - das will ich hier ausdrücklich unterstreichen -, dass die freigesetzten Ressourcen nicht abgeschöpft werden dürfen, sondern die Mittel im System verbleiben müssen, um die Bildung weiter zu stärken.
Das haben wir bereits im Rahmen des Nachtragshaushaltes praktiziert. Obwohl mittlerweile aufgrund des Schülerrückgangs 400 Lehrerstellen hätten gestrichen werden können, sind sie erhalten geblieben, um das Bildungssystem zu stärken.
Vor diesem Hintergrund wollen wir auch kleine Schulen erhalten. Der Rückgang der Schülerzahlen ist nicht so dramatisch, dass es nicht möglich wäre, kleine Schulen auf dem Lande zu erhalten. Wir haben in der Kommission zahlreiche Möglichkeiten erörtert und im Bericht festgehalten, wie auch kleine Schulen auf dem Lande überleben können.
In jeder Form sind Sie den Beweis schuldig geblieben, das große Systeme besser mit dem demografischen Wandel fertig werden können. Im Gegenteil: Es sind die kleinen und flexiblen Systeme, die viele Möglichkeiten bieten. Sie wollen im Zuge des demografischen Wandels die Einheitsschule einführen. Damit sind Sie auf dem falschen Weg.
Potenziale zur Wohlstandssicherung liegen auch in der stärkeren Integration. Es geht darum, Potenziale nicht verloren gehen zu lassen, sondern die Integration zu stärken.
Wir waren uns in der Kommission auch darüber einig, dass eine höhere Lebenserwartung dazu führen wird, dass wir länger arbeiten müssen. Dafür ist es notwendig, dass ältere Arbeitnehmer länger in den Betrieben bleiben und wir ihnen Arbeitsmarktperspektiven aufzeigen. Die Erwerbsbeteiligung der über 55-Jährigen ist in Deutschland viel zu niedrig und muss erhöht werden. Die Tendenzen hin zu einer zunehmenden Frühverrentung zeigen angesichts der Facharbeiterknappheit den falschen Weg auf. Wir sind der festen Überzeu
gung, dass auch die Älteren einen festen Platz in der Gesellschaft brauchen und dass sie diesen als aktive Menschen ausfüllen wollen, und zwar nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in der Familie und im Ehrenamt.
Wir haben uns auch mit dem Gesundheitswesen befasst, weil eine alternde Gesellschaft andere Anforderungen an das Gesundheitswesen stellt. Prävention, lebenslanges gesundheitsbewusstes Verhalten, geriatrische Versorgung waren wesentliche Schwerpunkte. Rehabilitation und Pflege sollten so gestaltet werden, dass alte Menschen möglichst lange ihr Leben selbstbestimmt im gewohnten Umfeld führen können. Diese Aufgabe haben wir deutlich hervorgehoben. Fragestellungen wie die gerontologische Versorgung oder auch die Steigerung der geriatrischen Kompetenz in den Krankenhäusern sind in den Blick zu nehmen. Wir sind der Auffassung, dass wir weiter in unsere Krankenhäuser für Strukturveränderungen investieren müssen und diese Strukturveränderungen durch mehrjährige Krankenhausfinanzierungsprogramme, wie das über 480 Millionen Euro in dieser Wahlperiode, auch in der nächsten Wahlperiode begleiten müssen.
Wir werden bürgerschaftliches Engagement brauchen, da wir bei vielen Prozessen die Tragfähigkeit der Systeme nur sicherstellen können, wenn wir sie durch bürgerschaftliches Engagement ergänzen.
Lassen Sie mich noch etwas zur kommunalen Entwicklung und zur Entwicklung der Siedlungsstruktur sagen. Die Kommission sagt, dass der demografische Wandel stärker in Planungsprozesse integriert werden muss und dass es ohne Bündelung von Ressourcen nicht gelingen wird, tragfähige Strukturen zu erhalten. Wir haben den demografischen Wandel mit in das Landes-Raumordnungsprogramm aufgenommen. Allerdings gibt es fundamental unterschiedliche Auffassungen. Das betrifft den Bereich, der in der Kommission strittig war. Wir haben das Phänomen, dass in Niedersachsen Schrumpfung und Wachstum gleichzeitig stattfinden. Eine solche differenzierte Entwicklung können wir, so meinen wir, nicht durch zentralistische Planung von oben und falsch verstandenen Gleichheitsanspruch lösen. Niedersachsen ist von einer großen regionalen Vielfalt geprägt. Dazu heißt es im Bericht - Frau Präsidentin, ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren -:
„Da es keine universellen Lösungsansätze gibt, ist zu erwarten, dass Ideen nur dort entstehen können, wo die Probleme spürbar sind. Um die Kreativität der Bürger und der Gesellschaft zu wecken und ihre Mitverantwortungsbereitschaft zu nutzen, ist es erforderlich, größere Handlungsfreiheiten auf allen Ebenen, von der persönlichen über die kommunalen bis zur regionalen, zu schaffen.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Die Landesplanung kehrt dahin zurück, den Kommunen wieder mehr Freiheit zu lassen und nur Rahmenbedingungen zu setzen. Das heißt nicht, dass sich die Landesplanung zurückziehen soll, sondern sie muss die Rahmenbedingungen setzen und Möglichkeiten zur kommunalen Gestaltung lassen. Hierfür gibt es gute Beispiele. Mit dem Regionalmanagement, dem ILEK und der interkommunalen Zusammenarbeit sind Instrumente vorhanden, um Schwerpunktsetzungen, Ressourcenbündelungen und Kooperationen auf kommunaler Ebene voranzubringen.
Wir brauchen Angebote für schrumpfende Regionen, und wir brauchen Angebote für wachsende Regionen. Es kann kein „Entweder-oder“ geben, wie dies gelegentlich propagiert wird, sondern es kann immer nur ein „Und“ geben. Wir müssen sowohl die Wachstumspotenziale heben als auch die Schrumpfungsprozesse begleiten wie etwa durch den demografischen Faktor im kommunalen Finanzausgleich.
Auch das Vorhandensein von Schulen im ländlichen Raum ist ein ganz besonderer Faktor für die kommunale Entwicklung.
Es wird kaum möglich sein, Familien davon zu überzeugen, in einen Ort zu ziehen, wenn eine wohnortnahe Schulversorgung nicht gewährleistet ist, sondern in irgendeinem Nachbarort eine große Einheitsschule besteht. Der Verlust an schulischer Infrastruktur ist ein nachhaltiger Attraktivitätsverlust und hat erhebliche Folgewirkungen für die gesamte Entwicklung der Kommunen. Schulen sind nicht nur ein Ort, an dem gelernt wird, sondern sie sind auch kultureller Mittelpunkt in den Gemeinden und Mittelpunkt elterlicher ehrenamtlicher Arbeit. Deshalb brauchen wir unsere Schulen auf dem Lande.
Auch in der Wirtschaft kommen viele Veränderungen auf uns zu, was das Arbeitskräftepotenzial, die Weiterbildung und die Stärkung der Produktivität angeht. Da die Redezeit begrenzt ist, möchte ich an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass wir in Niedersachsen für eine alternde Gesellschaft noch große Potenziale haben. Wir sind Tourismusland, wir haben den Fahrzeugbau, und wir sind stark in der Nahrungsmittelindustrie. Alle Bereiche partizipieren, wenn sich die Gesellschaft verändert. Wir müssen an diesen Veränderungsprozessen teilhaben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, ich könnte noch weitere Punkte wie beispielsweise die Städtebauförderung und auch EU-Förderprogramme aufzählen. Ich mache aber an dieser Stelle Schluss. Es ist lohnenswert, den Bericht zu lesen. Ich möchte abschließend nur noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass die Gestaltung des demografischen Wandels nicht in theoretischen Modellen stattfindet, sondern durch handfeste Politik in allen alltäglichen Bereichen gemeistert werden muss. Der Bericht zeigt dazu Wege auf und bildet eine gute Grundlage. Nur durch eine gute Bildungs-, Familien-, Investitions- und Infrastrukturpolitik werden wir es erreichen, dass sich junge Menschen und ihre Familien für Niedersachsen entscheiden, sich hier eine Zukunft aufbauen, und dass unser Land nach vorne kommt. Niedersachsen soll auch weiterhin das Land sein, in dem sich junge Generationen wohl fühlen und ältere Generationen in einem guten Klima zwischen den Generationen in ihrer Heimat verwurzelt bleiben. Damit bleibt Niedersachsen lebens- und liebenswert. Das heißt für mich „Gestaltung des demografischen Wandels“. Diesen Prozess haben wir in den nächsten Jahren zu absolvieren. Ich finde, die zweijährige Arbeit der Kommission hat sich gelohnt. Es liegen wertvolle Anregungen auf dem Tisch. - Danke schön.