„Ziel muss es sein, alle Kinder in der Gemeinschaft mit anderen aufwachsen zu lassen. Anderssein kann dann zur Normalität werden.“
Keine Frage. Aber dieses Ziel darf nicht verabsolutiert werden, sonst wird die gute Absicht zur menschenverachtenden Ideologie; denn sie blendet das Individuum mit seinen Bedürfnissen aus. Oberstes Ziel ist doch wohl immer das Wohl der Kinder, das Wohl jedes einzelnen Kindes mit seinem sonderpädagogischen Förderungsbedarf.
Dass die Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeine Schulen zahlenmäßig begrenzt geblieben ist, mag eben auch Ausdruck elementarer Vernunft und Fürsorge sein.
Ihren Versuchen, die Primarstufen der Förderschulen zugunsten zwangsintegrativer Modelle schlicht aufzulösen, können wir in keinem Fall zustimmen, einfach weil für uns der Förderbedarf des einzelnen Kindes an oberster Stelle steht. Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention hat sich die Abgeordnete Korter gemeldet. Frau Korter, Sie haben für bis zu anderthalb Minuten das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Zielke, ich muss ein paar Worte auf Ihre Rede erwidern. Sie haben eben gesagt, ein Konzept gäbe es schon. Haben Sie unseren Antrag eigentlich genau gelesen? - Wir haben gefordert, dass vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung bei den Schülerzahlen in den Klassen 1 bis 4 der Förderschulen - ich habe vorhin Zahlen vorgetragen, die minimal sind - die Grundstufen dieser Förderschulen langsam, also nach und nach, in die Grundschulen überführt werden und dass die Regierung dazu ein Konzept vorlegen soll. Wir könnten im ersten Jahr mit den kleinsten Klassen anfangen, und dann entwickelt man ein
(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Aber Herr Zielke hat doch begründet, wa- rum man das nicht kann, Frau Korter!)
Ich vermute, Sie haben weder unseren Antrag gelesen, noch waren Sie bei der Beratung dabei; denn eine Beratung im Fachausschuss hat es gar nicht gegeben.
Sie sagen hier immer, Sie wollten zum Wohle des Kindes entscheiden. Ich frage Sie, Herr Zielke - Frau Körtner ist genauso angesprochen -: Ist es zum Wohle des Kindes, wenn sprachbeeinträchtigte Kinder mit anderen sprachbeeinträchtigten Kindern zusammen richtig sprechen lernen sollen und ein Pädagoge ihnen das beibringen soll? - Ist es nicht viel richtiger, wenn sie im „Sprachbad“, d. h. in einem Umfeld lernen, in dem andere richtig sprechen können? Alle europäischen Staaten können das, nur wir nicht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kultusausschuss hat dem Landtag empfohlen, die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD abzulehnen. Ich will Ihnen nicht verheimlichen, dass dieser Vorschlag voll und ganz meiner Überzeugung entspricht. Er entspricht vor allem den Gegebenheiten der Praxis.
Die Oppositionsparteien werden - auch heute Morgen wieder - nicht müde, sich für die Ausweitung der Integration einzusetzen.
Das mag ihnen unbenommen bleiben. Frau Kollegin Korter, in diesem Zusammenhang ein kleiner Hinweis: Was nun christlich und im Gegensatz dazu offenbar unchristlich ist, wie Sie es vorhin andeuteten, haben Sie nicht zu beurteilen. Das ist anderen Leuten überlassen.
Meine Damen und Herren, im Grundsatz ist das Eintreten für die Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf durchaus richtig. Nur wird bei genauem Betrachten und Bewerten deutlich, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden soll. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler den Anforderungen einer Grundschule oder einer Hauptschule entsprechen können. Entsprechend gilt, dass sich nicht alle Grundschulen und alle Hauptschulen auf die sehr unterschiedlichen Formen sonderpädagogischen Förderbedarfs einlassen und einstellen können. Das geht einfach nicht.
Auch für Sie von den Oppositionsfraktionen muss es doch einsichtig und nachvollziehbar sein, dass nicht jedwedem noch so differenzierten Förderbedarf in anderen Schulen als den Förderschulen entsprochen werden kann. Wir tragen gemeinsam Verantwortung für die besonderen pädagogischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Wir nehmen diese Verantwortung weiß Gott außerordentlich ernst. Selbstverständlich wollen auch wir die bestmöglichen Hilfen für jedes Kind in der am wenigsten einschränkenden Umgebung. Aber wir können auf dem Weg der Förderung nicht beliebig die Seite wechseln. In unserem Land haben wir die Vorgaben für die sonderpädagogische Förderung in den letzten Jahren, dabei durchaus auch Ihren Ansätzen folgend, nach den anerkannten Prinzipien der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz konsequent gestaltet.
Nicht ein System, nicht eine Ideologie steht für uns im Vordergrund, sondern das Kindeswohl. Wenn wir uns darauf verständigen könnten, wäre der Fall beinahe schon gelöst.
Herr Minister, ich unterbreche Sie für eine Sekunde. - Es ist hier wahnsinnig laut. So geht es nicht weiter!
Kindeswohl geht vor Systemorientierung. Das müssen wir uns klarmachen. Ausgangspunkt für unsere pädagogischen und organisatorischen Entscheidungen ist die konkrete Situation des einzelnen Kindes oder des einzelnen Jugendlichen. Seine individuellen Voraussetzungen und die Bedingungen in seinem Umfeld sind ausschlaggebend. Wir kümmern uns erst um den individuellen Förderbedarf und im zweiten Schritt um den geeigneten Förderort. Integration ist nicht bloß der Weg, Integration ist auch und vor allem das Ziel, nämlich die Eingliederung in das gesellschaftliche Leben. Eines nach dem anderen! Ich glaube, unter uns müssen die Dinge im Kopf erst einmal politisch sortiert werden. Wir brauchen kein neues Konzept für die Ausweitung des gemeinsamen Unterrichts; denn wir haben mit dem Grundsatzerlass völlig hinreichende, allseits anerkannte Grundlagen.
Ich spare mir jetzt den üblichen Hinweis auf Vorgängerregierungen und darauf, was sie 13 Jahre lang nicht gemacht haben. Wir dürfen für uns in Anspruch nehmen, dass dieser Erlass auf höchstem Niveau verfasst ist und dass er in ganz Deutschland und darüber hinaus außerordentliche Anerkennung findet.
Auch bei den Betroffenen findet er Anerkennung. Viele wollen es uns gleichtun. Auf der Grundlage dieses Erlasses bieten wir den Schulträgern ausgezeichnete Möglichkeiten, Regionalkonzepte für die sonderpädagogische Förderung aufzustellen. Diese Regionalkonzepte schließen die bestmögliche Förderung und so viel wie möglich gemeinsamen Unterricht in allen anderen Schulen ein.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich will Ihnen abschließend noch einmal den Unterschied zwischen Ihrer Position und unserer Position aufzeigen. Sie gehen von organisatorischen und strukturellen, also von systemischen Vorstel
lungen aus. Wir hingegen setzen an den personellen, den individuellen Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler an. Das Kind, der Jugendliche steht bei uns im Mittelpunkt. Ich sage es noch einmal: Wir orientieren uns an der Person. Ich bin davon überzeugt, dass nur ein solcher Ansatz der richtige sein kann.
Ihre Anträge sind letztlich darauf gerichtet - das ist unübersehbar und wurde vor einigen Monaten hier von Ihnen mit einer mich immer noch verblüffenden Offenheit zugestanden -, die vorhandenen, exzellent arbeitenden Förderschulen im Lande abzuschaffen. Das ist nicht nur ein untauglicher, sondern auch ein gefährlicher Versuch, weil ohne Not gute Angebote gefährdet werden und die sonderpädagogische Kompetenz bei der Umsetzung Ihrer radikalen Vorschläge verloren ginge.
An dem Tollen, was wir aufgebaut haben, haben auch meine Vorgänger Verdienste. Trotz erheblichem Handlungsbedarf bin ich der Meinung gewesen, dass wir ein im Kern gutes System im Förderbereich übernommen haben. In den letzen Jahren haben wir - Kollegin Körtner und andere - eine ganze Menge gemacht. Wir haben in diesem Bereich prozentual mehr Lehrkräfte als anderswo eingestellt. Wir haben pädagogische Mitarbeiter eingestellt und die Erlasssituation verbessert. Das durfte ich heute Morgen in der Fragestunde hervorheben. Das System stimmt. Wir geben noch die notwendigen Ressourcen hinzu. Sie wollen das gefährden, nur weil die Landtagswahlen nahen und Sie von einer gemeinsamen Schule träumen.
- Einheitsschule! Dass sich Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Weltbild der Einheitsschule bewegen sollen, kann ich nicht fassen.
Am Ende richte ich an die Opposition meine dringende Bitte: Lassen Sie uns im Interesse unserer Kinder die fundierte und verantwortliche fachliche
Diskussion durchaus fortsetzen! Lassen Sie uns wegkommen von Systemdebatten und stattdessen fachlich, inhaltlich, ressourcenmäßig vorankommen! Dann kommen wir im Interesse des Kindeswohls zu vernünftigen Ergebnissen.
Ihr Auszug aus der Sitzung des Kultusausschusses ist nicht mein Thema. Aber er hat der Sache nun wirklich nicht gedient. - Danke schön.