b) Hat sich „das gegliederte Schulwesen in Deutschland hinreichend blamiert“? - SPDFraktionsvorsitzender diskreditiert Schüler und Lehrer - Anfrage der Fraktion der CDU Drs. 15/3490
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt in der Braunschweiger Zeitung eine regelmäßige Interviewserie mit dem Titel „Ich stelle mich“. Auch der gegenwärtige SPD-Oppositionsführer ist zu Wort gekommen, und zwar in der Ausgabe vom 16. Januar 2007. Dabei ist mir ein durchaus diskussionswürdiger Satz aufgefallen. Wolfgang Jüttner hat gesagt: „Das gegliederte Schulwesen in Deutschland hat sich hinreichend blamiert - das ist einfach so.“
Meine Damen und Herren, man sollte sich einmal ganz in Ruhe vor Augen führen, was der Oppositionsführer da gesagt hat.
„Das gegliederte Schulsystem in Deutschland hat sich hinreichend blamiert - das ist einfach so.“ Meine Damen und Herren, lieber Herr Kollege Jüttner, diese Aussage ist arrogant und überheblich.
Diese Aussage diskreditiert alle Schüler und Lehrer im dreigliedrigen Schulsystem. Meine Damen und Herren, wir lehnen Ihre Aussage aufs Schärfste ab.
Meine Damen und Herren, PISA und andere wichtige Untersuchungen zur Qualität unseres Schulsystems und der schulischen Ausbildung haben gezeigt, dass es Handlungsbedarf an den Schulen gab und gibt. Wir haben in den letzten vier Jahren gehandelt und dabei viele notwendige Maßnahmen und Reformen eingeleitet. Wir haben 2 500 zusätzliche Lehrer eingestellt, die Grundschulen
gestärkt, die Orientierungsstufe abgeschafft und das dreigliedrige Schulsystem gestärkt. Wir haben verbindliche Abschlussprüfungen eingeführt, die Qualitätskontrolle umgesetzt, neue Schulstandorte in der Fläche geschaffen, die Zahl der Ganztagsschulen auf 515 erhöht und damit das Angebot an Ganztagsschulen seit Regierungsantritt verdreifacht.
Ich will damit nur sagen - und das sind nur einige wenige der Bausteine, die wir beschlossen haben -: Diese Landesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben gehandelt. Das ist eine beeindruckende und überzeugende schulpolitische Bilanz.
Die Reformen gehen weiter: Die Eigenverantwortliche Schule beginnt in diesem Jahr. Wir wissen, dass wir den Schulen eine Menge zugemutet haben. Aber es waren richtige und wichtige Schritte, damit die Situation wieder besser wird. Wir machen eine zukunftsorientierte Schulpolitik, bei der die individuelle Förderung jedes einzelnen Schülers im Mittelpunkt steht,
Meine Damen und Herren, was wir nicht brauchen, sind ideologische Debatten über Schulstrukturen, so wie sie die SPD in Niedersachsen führt.
Dabei war der Oppositionsführer schon einmal ein Stück weiter. Herr Jüttner, Sie haben in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung am 25. August 2003 erklärt:
„Wir müssen aufhören, ständig über Schulstrukturen oder Unterrichtsversorgung zu reden, und müssen uns jetzt auf die Inhalte konzentrieren.“
Meine Damen und Herren, wir stellen fest: Die SPD hat die ersten vier Jahre ihrer sehr langen Oppositionszeit nicht genutzt, um sich schulpolitisch zu erneuern. Im Gegenteil: Sie greift ganz tief in die schulpolitische Mottenkiste der 70er-Jahre.
Wir werden in den nächsten zwölf Monaten viel Zeit haben, über die unterschiedlichen Positionen der Mehrheit und der Minderheit in diesem Hause zu diskutieren. Und wenn es markante Unterschiede gibt, dann in der Bildungspolitik: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die den Handlungsauftrag konkret annehmen und eine zukunftsgerechte Schulpolitik machen, und auf der anderen Seite stehen jene, die die alte Gesamtschule der 70erJahre - die sie jetzt Einheits- oder Gemeinschaftsschule nennen - wollen. Damit werden Schüler, Eltern und Lehrer verunsichert und Schulstandorte gerade im ländlichen Raum infrage gestellt. Meine Damen und Herren, das sind die Alternativen, vor denen wir in Niedersachsen stehen.
Wir haben viel über Schulstrukturen in diesem Land diskutiert. Wir hatten gehofft, dass die Debatten um die Schulstrukturen beendet sein könnten. Offensichtlich macht die SPD nochmals den Fehler, die Schulstrukturdebatte zu beginnen. Ich sage Ihnen eines: Wir werden sie offensiv annehmen. Wenn all die Argumente, die der Kultusminister und viele Koalitionsabgeordnete in den letzten Jahren hier vorgetragen haben, Sie nicht überzeugen, dann, lieber Herr Jüttner, sollten Sie sich vielleicht noch eine Aussage besonders zu Gemüte führen - ich zitiere wörtlich -:
„Es muss einen auch nachdenklich stimmen, dass Baden-Württemberg mit dem dreigliedrigen Schulsystem im Leistungsvergleich die besten Ergebnisse und zugleich die geringste soziale Selektivität in Deutschland hat.“
Gefunden habe ich dieses Zitat in der Braunschweiger Zeitung vom 29. April 2003. Es sagt viel über den schulpolitischen Irrweg von Herrn Jüttner und seiner jetzigen Fraktion aus und stammt von Sigmar Gabriel. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Welche Veranlassung hätte ich, Kinder zu diskreditieren? Das ist wirklich lächerlich.
Welche Veranlassung hätte ich, Lehrerinnen und Lehrer zu diskreditieren, die dafür sorgen, dass Kinder bei uns vernünftig ins Leben geführt werden? Nein, sie brauchen unsere Unterstützung und nicht Kritik; aber sie müssen Bedingungen vorfinden, die es ihnen erlauben, ihren Weg erfolgreich zu gehen.
Das gilt insbesondere für die Lehrerinnen und Lehrer, die an den Hauptschulen unterrichten; sie haben es besonders schwer; auch das will ich in aller Deutlichkeit sagen.
Wir wollen keine Schulform tilgen, Herr Busemann, wie Sie heute zitiert werden. Sie hingegen wollen eine Schulform erhalten, die nicht mehr zu erhalten ist. Das ist das Problem, über das wir reden müssen.
(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Das erklären Sie mal den Hauptschülern und den Lehrern an den Hauptschulen!)
Wir wollen die Förderung aller; Sie denken von Strukturen her. Ihre Struktur, Ihr Modell, ist die bildungspolitische Antwort auf die Herausforderungen des Arbeitsmarktes im 19. Jahrhundert. Das ist Ihr Problem.
Sie sind inzwischen doch von Leuten umstellt, die dies genauso wie wir sehen. Ich zitiere einmal Hans-Werner Sinn, den Präsidenten des IfoInstituts:
„Das dreigliedrige Schulsystem, mit dem wir weltweit nahezu allein stehen, passt nicht mehr in die heutige Zeit. Es reflektiert die Dreiklassengesellschaft des 19. Jahrhunderts.“