Protocol of the Session on October 10, 2006

Meine Damen und Herren, im Juli 2006 hat es in Nahverkehrszügen in Dortmund und in Koblenz erstmals in Deutschland Anschlagsversuche gegeben. Unter anderem mit Hilfe von Videoaufzeichnungen von Bahnsteigen konnten die mutmaßlichen Täter erfreulich schnell erkannt und gefasst werden. Damit haben sich die Videoeinrichtungen als sehr nützlich erwiesen, um begangene Straftaten aufzuklären. Das haben Sie sich offensichtlich gemerkt.

Herr Kollege Bartling, in diesem Zusammenhang eine Anmerkung: Ich habe hier einen Artikel aus der Bild-Zeitung vom November des vergangenen Jahres. Da geht es um den vielfachen Mord an jungen Frauen, begangen von einem Fernfahrer. Er hat auch einen Parkwächter umgefahren. Man konnte ihn über Monate nicht fassen und diese Straftat nicht verfolgen, weil wir an die Daten des Mautsystems nicht herankommen. Es war also

nicht auszuschließen, dass das immer wieder vorkam. Wenn wir uns bemühen wollen, Straftaten aufzuklären, dann lassen Sie uns doch endlich dafür sorgen, dass in Zukunft bei solchen Straftaten, bei Mordsachen, die Daten aus dem Mautsystem genutzt werden können.

(Beifall bei der CDU sowie Zustim- mung von Jörg Bode [FDP])

Dafür, dass es noch nicht so ist, hat kein Bürger und keine Bürgerin Verständnis.

Grundsätzlich muss es ebenfalls in unser aller Interesse sein, dass es erst gar nicht zu Straftaten kommt. Vielmehr müssen wir Möglichkeiten schaffen, solche Gefahren vorher abzuwehren. Dass so etwas möglich ist, haben verschiedene Maßnahmen in Großbritannien im Sommer gezeigt. Daher hat die Innenministerkonferenz am 4. September 2006 einstimmig beschlossen, die Videoüberwachung verstärkt einzusetzen.

Insofern sage ich hier sehr versöhnlich: Der Vorschlag der SPD-Fraktion ist folgerichtig. Wir benötigen in der Tat eine gesetzliche Verankerung. Auch wir sehen Handlungsbedarf. Nur halten wir es nicht für sinnvoll, jetzt an einer einzigen Stelle eine Gesetzesänderung vorzunehmen.

Herr Kollege Bartling, Sie haben eben zu Recht die Frage gestellt: Wo ist denn der Gesetzentwurf? Den habe ich in der Tat angekündigt. Allerdings haben uns verschiedene Staatsrechtler gesagt, das niedersächsische SOG leide - unabhängig davon, wie wir die Videoüberwachung und die präventive Telefonüberwachung künftig regeln darunter, dass man im Laufe von vielen Jahren immer wieder Regelungen aus anderen Ländern übernommen hat, z. B. aus Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern. Die Staatsrechtler haben uns gesagt: Wenn Ihr ein vernünftiges SOG haben wollt, dann muss da eine ordentliche Systematik rein.

Sie wissen - das hat der Innenminister erklärt -, dass Professor Christian Starck im Moment dabei ist, genau dies zu leisten. Das können Sie heute - genau wie Ihre Meldung - bei dpa lesen. Professor Starck aus Göttingen ist dabei, das SOG zu überarbeiten und die verfassungsrechtlichen Fragen, die Sie angesprochen haben und die uns alle bewegen, zu regeln. Wenn das fertig ist, wird ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt.

Meine Damen und Herren, auch der vorliegende Vorschlag der SPD-Fraktion wird dort Beachtung finden. Wir werden diesen Gedanken im Rahmen einer Gesamtanalyse prüfen und in das Gesetz einfließen lassen. Ich will zu Ihrem Gesetzentwurf nun noch eines sagen. Herr Bartling, man wundert sich ja doch, wo das alles herkommt. Sie haben den Gesetzentwurf aus einem Vorschlag der SPDFraktion in Schleswig-Holstein abgeschrieben. Herr Kollege Bartling, Sie haben uns allerdings leider verschwiegen, dass in Schleswig-Holstein eine Anhörung stattgefunden hat. Sie haben ja immer gesagt, ich hielte nichts vom Datenschutz und wollte ihn abschaffen. Ich zitiere jetzt einmal aus der Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten aus Schleswig-Holstein, was er dazu gesagt hat:

„Der Einsatz technischer Mittel zur Bildaufzeichnung ist auch im Bereich öffentlich zugänglicher Flächen oder Räumlichkeiten ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

„In diesem Bereich sind die Anforderungen an Normenklarheit und Normenbestimmtheit sowie an die Verhältnismäßigkeit besonders zu beachten. Der im Entwurf vorgeschlagene Tatbestand ist zu weit und zu unbestimmt.“

Ich verstehe ja die Begeisterung bei Klein und Lennartz. Ich sage das jetzt aber zu Herrn Bartling; denn die Kollegen von den Grünen haben diesen Entwurf ja nicht eingebracht.

Die Stellungnahme endet mit der Bemerkung:

„Diese Regelung wird einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich nicht standhalten.“

Dazu sage ich: Herzlichen Glückwunsch, Herr Bartling, weil Sie uns dies ja immer vorzuwerfen pflegen.

Die Gewerkschaft der Polizei in Schleswig-Holstein, deren Auffassung wir teilen, moniert, dass die Alltagskriminalität nach dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht mehr durch Videoüberwachung

bekämpft werden kann. Sie sagt, dies müsse aber weiterhin gewährleistet bleiben.

Herr Bartling, wenn man einem anderen sozusagen eine Torte ins Gesicht wirft, ist die Gefahr immer groß, dass der andere dafür sorgt, dass die Torte auch einmal im eigenen Gesicht landet. Ich möchte deshalb mit dem schließen, was Sie unserem Innenminister vorgeworfen haben, als das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr zur präventiven Telefonüberwachung geurteilt hat. Das möchte ich vor dem Hintergrund der Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten aus SchleswigHolstein jetzt einmal in nur einer einzigen Formulierung verändern. Dann werden Sie sich wundern.

Einen Satz gestatte ich Ihnen noch.

Dies ist sehr kurz, Frau Präsidentin. - Ich zitiere jetzt sozusagen Bartling vor dem Hintergrund seines Gesetzentwurfes: Mit ihrem von Überwachung und Bespitzelung geprägten Staatsverständnis hat sich die niedersächsische SPD-Landtagsfraktion als ungeeignet erwiesen, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen angemessen zu verteidigen.

Leider ist es so, Herr Bartling.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Biallas, Ihre Redezeit ist beendet.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - David McAllister [CDU]: Ein Schuss in den Ofen für Bartling! Eigentor!)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Kollege Professor Lennartz das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im September-Plenum hatte Innenminister Schünemann auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leuschner geantwortet, die Landesregierung plane keine rechtliche Erweiterung der nach § 32 Abs. 2 des Polizeigesetzes zulässigen Videoüberwachung. In einer Pressemitteilung von gestern, also von Montag, dem 9. Oktober, lässt der Innenminister nun erklären, er habe Professor Christian Starck aus Göttingen beauftragt, in einem Gutachten diese und andere Fragen zu klären. Angesichts des Gesetzentwurfs der SPD hat Herr Schünemann mit diesem Auftrag an Starck und seiner Pressemitteilung über den Inhalt offensichtlich den Schleudersitz ausgelöst; denn der Gesetzentwurf, den die SPD hier eingebracht hat, lenkt den Blick natürlich auf die bisherige Praxis von Videoaufzeichnungen in Niedersachsen. Das geht in ganz starkem Maße die Landeshauptstadt Hannover an. Anlässlich der Fußball-WM und auch danach wurden bzw. werden bis heute in einer erheblichen Anzahl Videoschaltungen durchgeführt, also öffentliche Plätze per Video beobachtet und diese Beobachtungen aufgezeichnet.

Sie müssen sich an dem messen lassen, was Herr Bartling zitiert hat und was jetzt im Polizeigesetz steht. Es darf nämlich nur aufgezeichnet werden, wenn die Gefahr besteht, dass an dem Ort, an dem aufgezeichnet wird, erhebliche Straftaten drohen. Den Beweis dafür hat die Polizei, veranlasst durch Ihren Innenminister, im Zweifel nicht geführt. Auf gut Deutsch gesagt - um es ganz klar zu sagen - heißt das: Hier ist in einer erheblichen Anzahl von Fällen gegen das geltende Polizeigesetz verstoßen worden, und zwar während der Fußball-WM, aber auch nach der Fußball-WM. Ich finde, man muss sich einfach einmal auf der Zunge zergehen lassen bzw. im Kopf nachvollziehen, was das bedeutet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sage es noch einmal: Der Innenminister hat veranlasst, dass in großem Umfang rechtswidrig gehandelt wurde.

(Zuruf von der CDU: Das ist doch falsch!)

Nun zu der zweiten Frage, die sich stellt. Jetzt sieht die SPD Änderungsbedarf, weil sie offensichtlich glaubt, dass eine Fortsetzung der Auf

zeichnungspraxis nach der bisherigen Regelung nicht zulässig ist. Es ging im Übrigen nie um Aufzeichnungen über 48 Stunden. Es geht in Zukunft auch nicht um Aufzeichnungen über 96 Stunden. Es ging bisher immer um Aufzeichnungen über mehr als fünf Tage. Das ist nämlich die Kapazität, die die jeweiligen Festplatten haben. Danach erfolgt eine Überschreibung mit neuen Bildern.

Die spannende Frage ist: Was ist mit dem Vorschlag, den die SPD hier vorlegt? Meine vorläufige Einschätzung ist diese: Die terminologische Vorverlagerung in den Bereich der Entstehung einer Gefahr im Gesetzestext halte ich für äußerst fragwürdig. Problematisch ist ebenfalls, dass dem Gesetzentwurf die Kriterien dafür, wann sich Gefahren verfestigen, nicht zu entnehmen sind. Während der polizeirechtliche Gefahrenbegriff juristisch ausbuchstabiert ist, werden hier Begriffe in das Polizeirecht eingeführt, die für das Polizeirecht unüblich sind und die dementsprechend unter dem Gesichtspunkt der Normenklarheit durchaus problematisch sind.

Ich will einer Erörterung in den Ausschusssitzungen nicht vorgreifen. Meine erste vorläufige Einschätzung ist aber die, dass dieser Gesetzentwurf und dieser Vorschlag keine Lösung des Problems darstellen. Deswegen sage ich zum Schluss Folgendes. Lerne: Man kann den Teufel - das ist hier eine bislang rechtswidrige Praxis, veranlasst durch den Innenminister - nicht mit dem Beelzebub - das ist eine falsche und schlechte Änderung des Gesetzes - austreiben. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank. - Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Bode das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem sich der Kollege Biallas in seinem Redebeitrag quasi schon als Datenschutzbeauftragter beworben hat, kann ich mich zu diesem Bereich etwas kürzer fassen. Er hat in Bezug auf diesen Bereich vollumfänglich ins Schwarze getroffen bzw. die Kollegen aus Schleswig-Holstein sehr richtig zitiert. Herr Bartling, wenn man sich Ihren Gesetzentwurf, der nach der Anzahl der Zeilen ja auch recht kurz ist, einmal anschaut, wird man feststellen, dass in ihm ein paar Knackpunkte ent

halten sind. Sie gehen in der Form sehr unbestimmt an den Sachverhalt heran, dass Videoüberwachung nur bei Gefahren für Leben, Gesundheit und Freiheit oder aber bei gleichgewichtigen Schäden für andere Rechtsgüter möglich sein soll. Mit diesen wirklich unbestimmten Begriffen kommen Sie sicherlich nicht weiter.

Ich habe mir sagen lassen, dass bei Ihrer Pressekonferenz, auf der Sie den Gesetzentwurf vorgestellt haben, auch schon die ersten Fragen kamen: Wie ist das eigentlich mit Gefahren oder Schäden für Leben und Gesundheit gemeint? Ist z. B. dann, wenn es irgendwo in Hannover eine steile Treppe gibt oder ein für Damenschuhe gefährliches Kopfsteinpflaster vorhanden ist, wo man stürzen und sich verletzen kann, auch schon eine Gefahr für die Gesundheit vorhanden, und müsste dann entsprechend überwacht werden? Das wäre sicherlich ein Eingriff, der allein schon von den Kapazitäten her, die bei der Polizei vorhanden sind, nicht leistbar und meines Erachtens auch nicht wünschenswert wäre.

Wenn man dann weiter in Ihren Gesetzentwurf einsteigt und sich die Begründung anschaut, stellt man fest, dass Sie das Ziel verfolgt haben, eine Änderung vorzunehmen, um die Gefahren von terroristischen Anschlägen besser eindämmen zu können und diesen Anschlägen begegnen zu können. Für den Leser der Begründung stellt sich dann natürlich die Frage, was Straftaten von erheblicher Bedeutung sind. Ein terroristischer Bombenanschlag ist meines Erachtens von sehr erheblicher Bedeutung. Er ist ganz gewiss in den unterschiedlichsten Facetten von dem Straftatenbegriff, den wir jetzt schon haben, abgedeckt. Wenn dies so ist, dann stellt sich weiter die Frage: Gibt es eventuell auch Änderungen, auf die Sie angesichts der bestehenden Rechtslage zurückgreifen? - Man muss feststellen: Ja, die gibt es. Sie haben, genau wie Schleswig-Holstein auch - weil dies verfassungsrechtlich sonst überhaupt nicht durchführbar wäre -, den Eigentumsbegriff aus Ihrem Gesetzentwurf entfernt bzw. dort gar nicht erst aufgenommen. Mit Blick auf die von Ihnen gewählte Formulierung mussten Sie das auch, weil Sie sonst vor dem Verfassungsgericht doppelten Schiffbruch erleiden würden.

Bisher gibt es in Niedersachsen aber die Regelung, dass auch bei schweren Delikten gegen das Eigentum Videoüberwachungsmaßnahmen und eine Abschreckung durch Videoüberwachung möglich sind. Diese Maßnahmen können also sehr

viel weitergehend und sehr viel sinnvoller umgesetzt werden. Von daher müssen wir schon aufpassen, dass wir nicht durch einen BartlingSchnellschuss oder SPD-Schnellschuss die derzeit geltende Regelung mit Blick auf die Notwendigkeit in der Praxis verschlechtern. Das werden wir in den Beratungen intensiv erörtern.

Ich gehe davon aus, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sehr wahrscheinlich nicht beschließen werden - allein schon wegen der datenschutzrechtlichen Bedenken des Kollegen Biallas.

Lieber Herr Kollege Biallas, ich glaube allerdings nicht, dass die Gefahr besteht, dass die SPD die CDU rechts überholt. In der Fläche des Landes Niedersachsen gibt es durchaus andere Anhaltspunkte.

Herr Bartling, Sie sollten sich vielleicht auch innerparteilich noch einmal abstimmen. Denn ich habe z. B. in der Nordwest-Zeitung vom 23. August 2006 zum Thema Videoüberwachung - Testausweitung am Bahnhof in Oldenburg - gelesen, dass man in Oldenburg festgestellt hat: Kameras - Fehlanzeige. Auch im Bahnhof gibt es keine Kameras. Der Vorstoß der Polizei für einen Test an zwei neuralgischen Punkten blieb - und jetzt kommt es - an den Bedenken der Grünen und der SPD hängen. Sprechen Sie noch einmal mit der Basis, und denken Sie noch einmal darüber nach. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Für die Landesregierung hat sich Herr Innenminister Schünemann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Je später der Abend, desto interessanter auch die Beiträge. Wir haben heute einen neuen Bartling, aber auch einen neuen Biallas erlebt. Das war für die Landesregierung eine interessante Erfahrung.