- Achtzügig, na ja. Herr Klare, es ist gegenüber Kindern und Lehrkräften zynisch, riesige Systeme einzurichten, die sie nicht mehr überblicken können.
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister, nichts zeigt die ideologische Verbohrtheit deutlicher als dieses Gründungsverbot. Ja, das ist reine Ideologie.
Nachdem der Entschließungsantrag „Elternwillen respektieren - Gesamtschulen bedarfsgerecht ausbauen“, den wir hier eingebracht hatten, nicht gefruchtet hat, rollen wir Ihnen heute mit diesem Gesetzentwurf sozusagen den roten Teppich aus. Trauen Sie sich, und lassen Sie zu, dass das mehrgliedrige Schulsystem in Niedersachsen Konkurrenz hat!
Wenn Sie überzeugt sind von der Richtigkeit des gegliederten Systems, dann müsste Ihnen das doch leicht fallen.
Herr Minister, Sie haben neulich dem internationalen PISA-Koordinator Andreas Schleicher vorgeworfen, ein positives Vorurteil gegenüber Gesamtschulen zu haben, weil er behauptet, internationale Vergleiche zeigten, integrative Schulsysteme leisteten mehr als gegliederte, und Sie haben die Notwendigkeit sachgerechter Analysen der Bildungsleistung unterstrichen. Haben Sie diese Analysen vorgenommen, Herr Minister, als Sie in Ihrer Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn behaupteten, Hauptschulempfohlene könnten an Gesamtschulen ihre Begabung nicht voll entfalten und Eltern von Kindern mit Gymnasialempfehlung würden die Gesamtschulen meiden?
analysiert. Sie haben außer Acht gelassen: Die meisten Kooperativen Gesamtschulen sind ersetzende Schulen und spiegeln die Zusammensetzung der Schülerschaft eines Einzugsgebietes wider. Sie haben außer Acht gelassen: Viele Integrierte Gesamtschulen liegen absichtlich in sozialen Brennpunkten, und dort haben eben mehr Schülerinnen und Schüler eine Hauptschulempfehlung als anderswo. Und Sie haben nicht genau in Ihre eigene Statistik geschaut. Im Schuljahr 2005/2006 haben 3 784 Schüler und Schülerinnen die niedersächsischen Hauptschulen ohne Abschluss und 14 061 mit einem Abschluss verlassen. Das ist ein Verhältnis von eins zu vier. An den Integrierten Gesamtschulen ist das Verhältnis eins zu acht.
(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist inte- ressant! Ist das kein Erfolg? (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Wenn unsere Kleine Anfrage zu den Gesamtschulen von Ihrem Ministerium beantwortet worden ist, wird sich die erfolgreiche Arbeit an den Gesamtschulen bestätigen. Davon bin ich überzeugt.
Sie haben mit Streichungen bei Zusatzbedarfen, Ganztagszuschlägen und Sollstundenreduzierung den Gesamtschulen die Umsetzung ihres pädagogischen Konzeptes erschwert, und trotzdem arbeiten sie gut. Unter den alten Arbeitsbedingungen wären sie noch besser. Obwohl Sie die Hauptschulen mit einem besonderen Programm stärken - man könnte boshaft fast sagen: seit Sie dies tun -, laufen ihnen die Schülerinnen und Schüler weg.
2001 wählten noch 26,5 % die Hauptschule, 2005 waren es 16,5 %, und in diesem Schuljahr hat sich der Anteil der Fünftklässler an der Hauptschule wieder verringert, wahrscheinlich um ein bis anderthalb Prozentpunkte. Nehmen Sie das doch endlich zur Kenntnis!
Die Integrierten Gesamtschulen konnten zum neuen Schuljahr 2006/2007 2 000 Schülerinnen und Schüler nicht aufnehmen. Das ist ein Drittel der Nachfrage. Sonst halten die Regierungsfraktionen doch so viel von der Wirkung von Angebot und Nachfrage. Wie sieht es denn mit der liberalen
Haltung aus, sehr geehrte Damen und Herren von der FDP? Oder nehmen Sie das Bildungswesen von den Segnungen der Liberalität aus?
Sie werden durch die Aufrechterhaltung des Gründungsverbotes für Gesamtschulen die Hauptschule nicht retten. Grund dafür ist, dass Ihr Programm der begabungsgerechten Stärkung der Hauptschulen eben nicht Begabungen in den Mittelpunkt stellt, sondern die Defizite junger Menschen. So etikettiert, ist es für sie bei der Lehrstellensuche noch schwieriger. Und, was noch schwerer wiegt: Die Schülerinnen und Schüler fühlen sich als Ausgesonderte, ihr Selbstwertgefühl sinkt. Kein Wunder, dass Eltern nach Auswegen suchen und ihre hauptschulempfohlenen Kinder gern zur Gesamtschule schicken.
Sie, sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP, behaupten, hinter unserem Einsatz für die Gesamtschule stecke die Absicht, die Hauptschulen auszuhöhlen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu kann ich nur sagen: Das besorgen Sie schon selbst. Dazu brauchen Sie unsere Hilfe nicht.
Wir wollen die gemeinsame Schule, aber neue Gesamtschulen dort einzurichten, wo Eltern es wünschen, sind Schritte in die richtige Richtung.
Ihre Bedenken, die Gesamtschule könne sich zur Hauptschule entwickeln, sind dadurch widerlegt, dass sie hauptsächlich von Realschulempfohlenen gewählt wird und gerade in Städten das reformpädagogische Profil der Gesamtschulen Eltern aus dem Bildungsbürgertum anzieht. Göttingen z. B. verzeichnet 60 % Gymnasialempfohlene, die IGS Franzsches Feld in Braunschweig 50 %. Das sind Zahlen aus der Statistik zu den Gesamtschulanmeldungen 2006 vom Gesamtschulverband Niedersachsen, die Sie hoffentlich gelesen haben.
Sie müssen sich in den nächsten Jahren große Sorgen um Schulstandorte machen. Integrative Systeme kosten nicht Schulstandorte, wie Sie, Herr Minister, immer wieder behaupten. Richtig ist: Sie retten Schulstandorte!
Vielleicht sollten Sie Ihre CDU-Kollegen in Schleswig-Holstein besuchen und sich von ihnen zeigen lassen, wie man über seinen Schatten springt. Schieben Sie ideologische Barrieren doch endlich zur Seite und lassen Sie die Vernunft siegen!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich bin doch ein bisschen überrascht über den Antrag, den Sie jetzt eingebracht haben, und die kämpferisch vorgetragene Forderung, jetzt überall Gesamtschulen einzurichten.
Ich bin deswegen überrascht, weil es noch keine drei Monate her ist, dass wir hier kurz vor der Sommerpause eine große Schulstrukturdebatte, u. a. über Inhalte und Eigenverantwortliche Schule, geführt haben. In dieser Debatte habe ich von Ihnen nichts in Richtung Einrichtung zusätzlicher Gesamtschulen gehört, meine Damen und Herren.
Ganz im Gegenteil: Sie haben sich darin darauf eingelassen, mit uns über die Weiterentwicklung der Eigenverantwortlichen Schule zu reden und haben Veränderungsvorschläge gemacht. Sie haben zwar am Ende nicht zugestimmt, aber Sie haben zumindest nach außen hin überall den Eindruck erweckt, als wenn der Weg in die Eigenverantwortlichkeit unserer Schulen doch der richtige ist.
Stattdessen wird in dieser Debatte mehr oder weniger heimlich der Antrag gestellt, dass mehr IGSen eingerichtet werden sollten.
Hätten Sie die Politik, die Sie hier fordern, doch 13 Jahre lang umgesetzt! Dann hätten wir wahrscheinlich schon überall IGSen. Damals haben Sie das nicht gemacht, weil der Bedarf nicht bestanden hat. Das ist die Situation, auf die wir uns einrichten müssten.
Im Grunde genommen scheuen Sie doch die öffentliche Diskussion über die Gesamtschule. Deshalb machen Sie das hier ein bisschen heimlich,
weil Sie genau wissen, dass die ganz große Mehrheit der Eltern in Niedersachsen keine integrierten Gesamtschulen will. Das ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, es würde mich freuen, wenn Sie irgendwann einmal sagen würden, was das Ziel Ihrer Schulpolitik ist. Bis 2003 haben Sie die Orientierungsstufe abgeschafft und das gegliederte Schulsystem par excellence eingeführt, so wie es jetzt besteht. Dann haben Sie auf Eigenverantwortliche Schule gesetzt. Das gilt jetzt anscheinend auch nicht mehr. Heute setzen Sie auf Integrierte Gesamtschulen. Sie wollen gleichzeitig die gemeinsame Schule einführen. Im Moment weiß niemand, wo Sie stehen.
Überall ein bisschen, überall ein bisschen wenig, und nichts ist konkret. So kann man keine Schulpolitik machen. Vor allem ist das der Schlingerkurs, den Sie über zehn Jahre lang in Niedersachsen gefahren sind und den die Eltern und wir satt haben. Sagen Sie endlich einmal, was Sie konkret wollen, und beginnen Sie nicht jedes Mal dann, wenn es Ihnen passt, eine neue schulpolitische Debatte.
Es ist wichtig, dass wir hier einen zweiten Punkt diskutieren. Sie wissen, dass heute Schulstrukturdebatten eher schädlich sind als Vorteile bringen. Schulstrukturdebatten sind überflüssig. Wir müssen uns um die Qualität kümmern. Das hat Herr Jüttner gesagt. Hören Sie doch einmal auf Herrn Jüttner, und hören Sie vielleicht auch auf mich.