Protocol of the Session on March 4, 2003

Mit Antritt der Regierung Gabriel wurde der damals zögerlich beschrittene Pfad der Konsolidierung endgültig verlassen. Kein anderes westdeutsches Flächenland hat seine Ausgaben ohne Finanzausgleich gegenüber 1999 so stark ausgeweitet wie Niedersachsen. Deshalb haben die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes klug entschieden. Sie haben gesehen: Es gibt überhaupt keine Alternative zu einem Regierungswechsel, weil die Probleme dieses Landes, die aufgeschoben wurden, in neue Hände gehören und beherzt angepackt und gelöst werden müssen. Dazu sind wir bereit. Es gibt keine Alternative, als diese Probleme letztendlich anzupacken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im kommenden Jahr werden die vorgesehenen Ausgaben zu mindestens 2,2 Milliarden Euro nicht finanzierbar sein - unvorstellbare ca. 4,4 Milliarden DM -; eine Lücke, die noch geschlossen werden muss. Wenn das Wirtschaftswachstum unter die Erwartungen fällt - im Moment fällt es auf null -, dann wird diese Lücke, dieses Finanzdebakel weiter wachsen. Das macht vielleicht erklärbar, warum manche nicht so wehmütig ausgeschieden sind, wie das früher der Fall war, als noch Dinge zu verteilen waren. Mir ist heute morgen bei der Zitierung von Talleyrand offenkundig geworden, dass in Zeiten, in denen es viel zu verteilen gab, der

Regierungswechsel wahrscheinlich mehr Freude bei der Regierung und mehr Schmerz bei der zur Opposition gewordenen Gruppe ausgelöst hat, dass in den heutigen Zeiten die ins Amt Gekommenen die Verantwortung spüren und die in die Opposition Gekommenen möglicherweise das Gefühl haben, es ist sozusagen wie beim 30. Geburtstag: Man selber hat es auf die Treppe hingelegt, und andere müssen es wegfegen.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der SPD)

Das Gefühl vermitteln Sie allerdings. Da ist die Freude meistens bei denen am größten, die nicht 30 werden, und diejenigen, die das Papier auf der Rathaustreppe - solche Bräuche gibt es in Niedersachsen, Frau Harms - verbreitet haben, laben sich daran.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Rebecca Harms [GRÜNE]: Ich bin nicht aus Rheinland-Pfalz!)

- Ich bin wirklich jemand, der Respekt vor der Kreativität der Wendländer hat. Dort ist Kreativität immer wieder anzutreffen. Von daher war das nicht böse gemeint.

Wir haben diese dramatische Finanzlage und auch die der kommunalen Gebietskörperschaften, die 2003 weniger Geld einnehmen werden, als sie noch 1999 hatten. Wir haben also die Ausgaben von 2003 und die Einnahmen von 1999. Es kann sich jeder von uns im Privathaushalt vorstellen, wie das aussähe, wenn man mit den Ausgaben von 2003 und den Einnahmen von 1999 zu operieren hätte.

Dieses Problem erfordert eine grundlegende Gemeindefinanzreform, Änderungen nicht nur bei der Gewerbesteuer und nicht nur bei der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, sondern es erfordert weitere Maßnahmen zugunsten der kommunalen Gebietskörperschaften, die immerhin 70 % aller Aufträge vergeben und deshalb für den Arbeitsmarkt von besonderer Bedeutung sind.

Wir wollen zwei wichtige Signale setzen. Erstens wollen wir, dass Aufgaben- und Kostenübertragung jeweils dann erfolgen, wenn die Dinge zusammenhängen - das Konnexitätsprinzip, d. h. der, der bestellt, muss auch bezahlen. Das ist ein guter niedersächsischer Brauch, der auch im Verhältnis von Land zu Kommunen wieder Gültigkeit haben sollte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zweitens wollen wir einen Konsultationsprozess, einen Beteiligungsprozess nach österreichischem Vorbild, durch den mit den Kommunen besprochen wird, welche Gesetze und Rechtsvorschriften geändert oder beschlossen werden dürfen, nämlich nur dann, wenn zuvor eine Einigung darüber erzielt wurde, vor allem darüber, wer die Kosten zu tragen hat. Wir wollen einen Pakt der Vernunft, einen Pakt zur Stärkung der Kommunen mit den kommunalen Spitzenverbänden, wo sie tatsächlich eine Überprüfung kommunaler Aufgaben und Ausgaben zugesagt bekommen. Die krisenhafte Entwicklung im Bund schlägt nämlich auf die Entwicklung des Landes und der Kommunen unmittelbar durch. Die Konsequenz ist einfach: dauerhafte tiefgreifende Konsolidierungspolitik.

Daran, die Ertragskraft des Landes zu stärken, die Ressourcen auszuschöpfen, die Leistungsfähigkeit unserer Behörden zu optimieren, staatliche Leistungen zu verschlanken und Arbeitsabläufe wirtschaftlicher zu gestalten, führt überhaupt kein Weg vorbei. Das werden wir tun. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um Einnahmen zu erzielen, sei es durch den Verkauf nicht benötigten Landesvermögens, durch weniger Staat, weniger Bürokratie oder weniger Vorschriften.

Alles auf den Prüfstand stellen heißt, die Personalausstattung der Behörden, den Sachmittelaufwand sowie Subventionen und Zuwendungen zu überprüfen. Wir müssen uns auf die Kernaufgaben konzentrieren. Nur wenn bei jeder Aufgabe und Leistung nach Sinn, Erforderlichkeit, Dringlichkeit und Wirtschaftlichkeit gefragt wird, haben wir eine Chance, unseren Haushalt in den nächsten zehn, 15 Jahren wieder auf ordentliche Füße zu stellen.

Einer dieser Schritte ist die Abschaffung der Bezirksregierungen; denn das Nebeneinander hier bei uns in Hannover von Verwaltung der Landeshauptstadt, der Regionsverwaltung, der Bezirksregierung und der Landesverwaltung - Herr Bartling, im Ernst - kann sich dieses Land nicht mehr leisten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist eben nur so möglich, Doppelzuständigkeiten generell zu vermeiden, zu erreichen, dass eine Stelle zuständig ist, entweder die Agrarstrukturverwaltung oder die Landwirtschaftskammern, die Bezirksregierung oder die Regionsverwaltung oder

aber die Landeshauptstadt. Dass überall alles Mögliche nebeneinanderher, parallel und regional verteilt gemacht wird, können wir für die Zukunft nicht mehr aufrechterhalten, es sei denn, wir würden auf Ihrem Weg weitergehen und ständig an der Steuerschraube drehen.

(Heiner Bartling [SPD]: Er weiß nicht, worüber er spricht!)

Damit aber schädigen wir unsere Wirtschaft. Deshalb lehnen wir Steuererhöhungen als den falschen Weg ab. Wir müssen auf der Ausgabenseite des Staates die Freiräume für private Investoren und Konsumenten eröffnen.

Wir werden flächendeckend betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente einführen und zu Einjahreshaushalten zurückkehren. Ferner werden wir nicht mehr Außenstehende für einen Millionenaufwand um Gutachten bitten und damit zugleich die Entscheidungen verschieben, sondern Lösungsansätze schnell umsetzen.

6 000 Stellen in der Landesverwaltung entbehrlich zu machen, ist ein anspruchsvolles Ziel; denn die natürliche Fluktuation in den Landesbehörden ist sehr viel geringer. Bis 2007 werden lediglich 12 000 Mitarbeiter altersbedingt ausscheiden, von denen zwei Drittel aus den zu Tabus erklärten Bereichen Schule, Polizei und Steuerverwaltung kommen. Das zeigt, dass die natürliche Fluktuation nicht zureichend hilft, die Ziele zu erreichen. Vielmehr müssen wir den Stellenabbau sozialverträglich so organisieren, dass andere - die Kommunen, die Kammern, die Betriebe der Wirtschaft Personal übernehmen und wir auf private Dienstleister verlagern.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die bisherige Landesregierung durch Vermögensaktivierung nahezu alle Bereiche ausgeschöpft hat. Aus Beteiligungsveräußerungen haben Sie Einnahmen in Höhe von 800 Millionen Euro erzielt, aber diese leider nicht für zukünftige Investitionen, sondern zum Schließen von Haushaltslöchern verwendet.

Sie haben einen Flächenverkauf vorgenommen, durch den Sie Einnahmen in Höhe von 300 Millionen Euro erzielt haben, die aber ebenfalls in den allgemeinen Haushalt geflossen sind, mit denen Sie also kein neues Tafelsilber begründet haben.

Wer die Wirtschaftsseiten der Zeitungen aufmerksam liest, stellt fest, dass Sie die Anteile aus der Hannoverschen Beteiligungsgesellschaft sowie das Fördervermögen der Landestreuhandstelle fast bis zur Halskrause verwendet haben, dass die Spielräume überall gegen Null gebracht wurden und dass wir vom Aktienmarkt bzw. von den Aktienkursen abhängen, um hier überhaupt heil um die Kurve zu kommen.

Die Landesregierung jedenfalls ist vor diesem düsteren Hintergrund der Finanzlage unseres Landes entschlossen, die Gewährung von Subventionen und Zuwendungen an neue Bedingungen zu knüpfen. Verwaltungsvorschriften schreiben in Niedersachsen seit Jahren vor, dass Zuwendungen periodisch zu überprüfen sind. Aber das ist nie geschehen.

Wir werden nun zwei Dinge tun: Wir werden die Verwaltungsvorschrift, nach der ständig überprüft werden muss, ob die Subvention noch notwendig ist, aufheben. Trotz Aufhebung dieser Vorschrift werden wir dann das tun, was die Verwaltungsvorschrift bisher verlangt hat. Wir werden also die Vorschriften reduzieren und gleichwohl die Evaluation machen. Sie haben die Vorschrift gemacht, aber nicht evaluiert. Das ist der Unterschied zwischen uns.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist ein wichtiger Unterschied zwischen Ihnen, die Sie die Vorschrift gemacht haben, sie jedoch nicht befolgt haben, und uns, die wir die Vorschrift nicht brauchen, aber trotzdem gute Politik in diesem Sinne gestalten. Wir werden es uns nicht leisten, knappe Landesgelder für Bundes- oder EUMischfinanzierungsprogramme zu verwenden, die keinen oder wenig Nutzen für das Land Niedersachen haben, nur weil Zuschüsse gezahlt werden.

Wenn wir nicht endlich einsehen - ich habe alte Koalitionsvereinbarungen auch unserer Regierungen gelesen -, dass die Mischfinanzierung die öffentlichen Haushalte letztendlich untergräbt, dann haben wir, was die Mischfinanzierung anbetrifft, nichts begriffen; denn dort animiert der eine den anderen zu Ausgaben, die der andere nie tätigte, wenn der eine nicht als Animateur aufträte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dann gibt es diese segensreichen Impulsprogramme, bei denen der eine sich brüstet, etwas auf den Weg gebracht zu haben, im Kleingedruckten aber steht, dass der andere, dem man etwas geschenkt hat, nach zwei Jahren selbst für die Kosten aufzukommen hat. Ich meine, wir müssen darüber reden, dass wir viele Leistungen, die derzeit noch gesondert gezahlt werden, in den allgemeinen kommunalen Finanzausgleich überführen, damit die Kommunen die Handlungsspielräume erobern, die sie sonst nicht hätten.

Das Ziel, bis zum Ende der nächsten Wahlperiode einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen, ist ein höchst anspruchsvolles; denn Niedersachsen hat mit einem Haushaltsdefizit von 17 % seiner Ausgaben im Jahre 2002 neben Berlin die schwierigste Ausgangslage aller 16 Bundesländer.

Das alles wird nur dann gelingen, wenn wir in der Wirtschaft andere Signale setzen, wenn wir mit den Kreishandwerkerschaften, den Kammern des Handwerks, den Industrie- und Handelskammern und den Gewerkschaften darüber reden, was geht, und dies dann konstruktiv vorantreiben.

Das Bekenntnis zu den Unternehmensbeteiligungen des Landes steht dabei überhaupt nicht zur Debatte. Wir sind für VW. Wir stehen zum VWGesetz, und wir bekennen uns zu allen anderen Landesbeteiligungen. Wir rechnen auch damit, dass die Bundesregierung den Standpunkt der alten wie der neuen Landesregierung in Europa erfolgreich durchsetzt; denn das VW-Gesetz ist mit dem EU-Recht kompatibel.

Aber neben dieser Abhängigkeit von wichtigen Industriebereichen wollen wir den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik auf kleine und mittlere Unternehmen ausrichten, weil sie überwiegend die Arbeits- und Ausbildungsplätze in unserem Land schaffen bzw. schaffen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Niedersächsische Minister für Wirtschaft wird auch für den gesamten Bereich von Arbeitsmarktpolitik zuständig sein, die vor allem auf den ersten Arbeitsmarkt ausgerichtet sein wird. Es wird mit kleinen und mittleren Unternehmen darüber nachzudenken sein, wie eine Mittelstandsoffensive zu mehr Selbständigkeit aussehen kann.

Zur Selbständigkeit zu motivieren setzt in den Schulen an, dabei, bereits den Schülerinnen und

Schülern ein bestimmtes Unternehmerbild zu vermitteln, ihnen zu sagen: Es macht Spaß, ranzuklotzen, zu investieren, etwas zu unternehmen, Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist nicht etwa Ausbeutung oder eine Belastung des Landes, sondern es ist eine große Chance und eine gewaltige Möglichkeit. - Deshalb sollten wir Hauptschüler, Berufsschüler und Realschüler ermuntern, an eine Selbständigkeit, an Unternehmertum zu denken, statt sie alle auf abhängige Beschäftigungen zu verweisen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jeder von uns weiß, dass die Insolvenzwelle nach wie vor über unser Land schwappt. Jeder weiß, dass vielen das Kapital fehlt, um zu investieren. Deshalb wollen wir die Investitionsbank des Landes dazu nutzen, schnell 68 Förderprogramme des Landes zu bündeln und zu straffen. Wir wollen Handwerk, Handel und Gewerbe in die Gremien der Bank einbinden. Wir wollen in Braunschweig, Lüneburg und Oldenburg Außenstellen schaffen, um die dort zweifelsfrei vorhandene Kompetenz der Wirtschaftsförderer in diese Bank zu überführen und unsere Ankündigung wahr zu machen, dass alle, die etwas können, es an einer Stelle machen, statt dass sie sich durch Doppelzuständigkeiten an verschiedenen Stellen gegenseitig das Leben schwer machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir wiederholen in dieser Regierungserklärung zum Antritt dieser Regierung, dass wir innerhalb dieser Legislaturperiode ein Drittel aller Vorschriften und damit eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen abschaffen wollen, wie wir neue Vorschriften ohnehin nur noch befristet in Kraft setzen werden. Wenn sich kein dringendes Bedürfnis ergibt, werden sie auslaufen.

Das erste Gesetz, das wir mit einer Befristung versehen werden, ist übrigens das Landesvergabegesetz. Wir brauchen es übergangsweise für die Bauwirtschaft wegen der dortigen Bewegungen, die uns alle beunruhigen. Aber ein Bürokratiemonstrum, wie Sie es geschaffen haben, wie es derzeit zu Gremienwust und Entscheidungsprozessen führt,

(Widerspruch bei der SPD)

werden wir abschaffen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nach unserer Koalitionsvereinbarung kann man übrigens der Bauwirtschaft noch viel mehr als durch das Landesvergabegesetz, das für den Baubereich gilt, helfen, indem man nämlich eine gute Zahlungsmoral praktiziert. Deshalb werden wir uns bemühen, dafür zu sorgen, dass Firmen nicht deshalb pleite gehen, weil die Staatshochbauverwaltung nicht rechtzeitig zahlt; vielmehr werden wir dafür sorgen, dass bezahlt wird.