weil es Fälle gegeben hat - zugegeben, Ausnahmefälle -, in denen sich nach einer schwerwiegenden Straftat herausstellte, dass es sich um einen extrem gefährlichen Straftäter handelt, den man nicht mehr guten Gewissens und ohne weiteres nach Ablauf seiner Strafhaft in die Freiheit entlassen kann. Deshalb wollen wir auch insoweit handeln.
An dieser Stelle sage ich noch einmal sehr deutlich, Frau Bockmann: Auch nur eine einzige verhinderte Straftat rechtfertigt die Gesetzesänderung.
Jede Vergewaltigung, jeder Kindesmissbrauch, jede Straftat ist eine Straftat zu viel. Jetzt komme ich noch einmal zu Ihren verfassungsrechtlichen Problemen, die Sie immer vorschieben. Das ist ja auch so schrecklich einfach. In diesem Saal kann ja kaum jemand im einzelnen verifizieren, ob es richtig oder falsch ist, was die Kollegin Bockmann sagt.
(Frau Bockmann [SPD]: Sie achten ja die Verfassung ganz enorm! Das ist doch kein Spielzeug! Das ist die Grundlage unseres Staates! - Möhr- mann [SPD]: Wie bei der Rede von Herrn Schünemann!)
Das ist immer eines dieser Totschlagsargumente, mit denen man sich in der Debatte kaum auseinander setzen kann. Ich kann Ihnen da nur zurufen, Frau Bockmann: Wenn Sie wirklich an der Lösung dieses Problems interessiert sind, dann lassen Sie uns doch gemeinsam als Politiker, als Gesetzgebungsorgan im Land und im Bund dafür Sorge tragen, dass wir Lösungen finden, bei denen das verfassungsrechtliche Problem nicht mehr so einschlägig ist, wie Sie behaupten. Das können wir doch tun! Wir sind doch diejenigen, die die Gesetze in diesem Land machen!
Ich bin aber der Überzeugung, dass der badenwürttembergische Antrag, den wir unterstützen wollen, verfassungskonform ist, weil er im Grunde auf den strafrechtlichen Regelungen, die bereits im § 66 StGB stehen, basiert. Er ergänzt diese Regelungen nur um eine Prognose, um das Verhalten im Vollzug, das gutachterlich beurteilt wird. Das ist die einzige Ergänzung, die er vornimmt.
Im Übrigen habe ich nicht das Gefühl, dass in Bayern und Baden-Württemberg die schlechteren Juristen sitzen. Oft ist das Gegenteil der Fall. Das hat die Vergangenheit immer wieder bewiesen.
Ich sage Ihnen abschließend, liebe Frau Bockmann und lieber Kollege Haase, wenn Sie unbedingt zur eigenen Gesichtswahrung und um von dieser Peinlichkeit abzulenken, Ihren Antrag einbringen und ihm zustimmen wollen, dann tun Sie das doch! Er schadet nicht. Er widerspricht auch nicht unserem Antrag. Aber er hilft auch nicht, weil Sie genau das machen, was Sie schon seit Jahren machen: Sie reden nur und führen Appelle, aber Sie handeln nicht!
Unser Antrag betrifft eine konkrete Gesetzesinitiative. Bei uns geht es nicht mehr nur ums Reden, sondern ums Handeln. Wenn auch Sie endlich handeln wollen, dann machen Sie das! Stimmen Sie unserem Antrag zu. Machen Sie mit Ihrem Antrag, was Sie wollen, er schadet nicht. Aber unser Antrag ist der einzige, der zurzeit überhaupt etwas Konkretes bewirkt. - Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stratmann, das Handeln muss auch zu irgendetwas nütze sein. Daran habe ich bisher noch meine Zweifel.
Meine Damen und Herren, auf die Frage, warum so genannte Kinderschänder überhaupt wieder frei gelassen werden, hat unser Ministerpräsident in der Bild-Zeitung vom 8. November 2001 Folgendes erklärt:
„Leider ist es vorgekommen, dass Täter nach zweifelhaften psychiatrischen Gutachten entlassen wurden, oder es wurden viel zu geringe Strafen verhängt. Es muss klar sein: Täter, die nicht zu therapieren sind, müssen lebenslang in geschlossenen Heimen bleiben.“
Meine Damen und Herren, das ist natürlich juristisch unsinnig. Es ist auch nicht gerade ein Beispiel für den seriösen Umgang der SPD mit diesem Thema, wie Frau Kollegin Bockmann eben behauptet hat. Aber politisch ist dieses Zitat unseres Ministerpräsidenten preisverdächtig. In dem ausgesprochen harten Wettbewerb mit Schill, Schröder oder auch Herrn Stoiber um die kernigsten Sprüche, um die Frage „Wer ist hier der Härteste im Kampf gegen das Verbrechen?“, hat es unser Ministerpräsident geschafft, alle einschlägigen Reizworte in zwei knappen Sätzen zusammenzufassen: Kinderschänder, eine zu lasche Justiz, lebenslang, geschlossene Heime. - Respekt! Respekt! Herr Gabriel ist leider nicht da, sonst würde ich ihm meinen Respekt auch gerne persönlich ausdrücken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Stimmenfang mit der Angst, für den der Kollege Stratmann, wie ich glaube, eben ein beredtes Beispiel gegeben hat, hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung eine hohe Priorität. Wir reden hier ja auch nicht zum ersten Mal über dieses Thema. Bis heute aber haben die Befürworter nicht nachgewiesen - auch Sie nicht, Herr Kollege Stratmann -, dass es hierfür wirklich einen Regelungsbedarf gibt, dass es diese Sicherheitslücke tatsächlich gibt. Die Erfahrungen in Niedersachsen belegen bisher jedenfalls genau das Gegenteil. Sexualstraftäter, die nach ihrer Entlassung rückfäl
lig wurden, waren im Vollzug die reinsten Musterknaben. Die waren schon lammfromm, auch ohne die Androhung einer Zwangstherapie.
als sei die nachträgliche Sicherungsverwahrung ein echter Beitrag für mehr Sicherheit in diesem Land. Wir reden über diese sehr, sehr kleine - wenn auch sehr gefährliche - Tätergruppe wesentlich häufiger, wesentlich intensiver als über die alltägliche, auch sexualisierte Gewalt an Frauen und Kindern. Wir reden über diese Handvoll von Menschen wesentlich häufiger als über das, was tagtäglich in Niedersachsen in den Familien, im sozialen Nahbereich passiert: von Ehemännern, von Vätern, von Freunden und Verwandten.
Meine Damen und Herren, die Sicherungsverwahrung ist keine Strafe. Die Sicherungsverwahrung wird nicht für das verhängt, was jemand getan hat; sie wird für etwas verhängt, was jemand vielleicht tun könnte. Sie wissen, wie schwierig Aussagen über künftiges Verhalten sind. Anders als die lebenslange Freiheitsstrafe dauert die Sicherungsverwahrung oft wirklich lebenslang.
Herr Kollege Stratmann, Sie haben gesagt, wenn nur eine einzige Straftat mit diesem Gesetz verhindert wird, ist dieses Gesetz in der Sache gerechtfertigt. Ist dieses Gesetz aber auch dann gerechtfertigt, wenn nur ein einziger Täter zu Unrecht, aufgrund einer unrichtigen Prognose eines Gutachters, lebenslang hinter Gittern sitzt, obwohl er vielleicht gar nicht so gefährlich ist? Wollen Sie das auch rechtfertigen? Wollen Sie verantworten, dass jemand, bei dem man sagt, er wird mit 70prozentiger Wahrscheinlichkeit wieder eine Straftat begehen, erst die Füße voran aus der Zelle kommt? Wollen Sie das wirklich? Ist das Ihre Vorstellung von einem Rechtsstaat?
Was hier in Form des CDU-Antrags vorgelegt wird, setzt dem noch einen obendrauf. Der Vorschlag aus Baden-Württemberg, auch für Ersttäter mit einer Freiheitsstrafe von vier Jahren unter Umständen lebenslange Sicherungsverwahrung vorzusehen, weil sie möglicherweise erneut rückfällig werden, gibt dem Ganzen eine neue Qualität. Das ist ein grundlegender Bruch mit unserem bisheri
gen Strafrechtssystem mit einer tat- und schuldangemessenen Strafe und mit der Erwartung, dass jeder, nachdem er seine Strafe verbüßt hat, in Freiheit Entscheidungen treffen kann - richtige und falsche -, wobei wir davon ausgehen, dass auch diese Menschen die Möglichkeit zur richtigen Entscheidung haben.
Die SPD scheint bereit zu sein, dem beharrlichen Fordern der CDU nachzugeben, und legt einen Antrag vor, der merkwürdig unentschieden ist. Auf der einen Seite wird verlangt, dass noch einmal genau nachgeforscht wird, ob es wirklich Bedarf in Niedersachsen gibt. Gleichzeitig wird aber auf Bundesebene eine entsprechende Gesetzgebung eingefordert. Ich bin aus anderen Gründen der Meinung, dass diese Gesetzesinitiative des Bundesjustizministeriums unvermeidbar ist: damit wir Gelegenheit haben, uns anderen und wichtigeren Themen zuzuwenden.
Das Modell einer nachträglichen Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt ist ein geeignetes Modell. Man kann darüber seriös nachdenken. Es vermeidet die Mängel einer reinen polizeirechtlichen Lösung und gibt auch den Gefangenen eine Chance, bei denen unklar und offen ist, ob für sie Sicherungsverwahrung notwendig ist oder nicht. Sie haben es dann nämlich in der Hand, sich im Vollzug zu bewähren und die Verhängung der Sicherungsverwahrung abzuwenden. Also, in diesem Modell können auch positive Potenziale stecken.
Ich glaube aber, dass es notwendig ist, diese Regelung zu befristeten. Wir sollten nicht Gesetze erlassen, von denen wir nicht wissen, ob sie notwendig sind und ob sie für die Praxis taugen, wenn wir sie nicht gleichzeitig mit einer Verfallsklausel versehen. Wenn sich dann in drei Jahren zeigt, es hat Anordnungsfälle gegeben, das Instrument war notwendig, dann kann es verlängert werden. Ansonsten läuft es aus, damit wir uns mit derartigen Dingen nicht weiter belasten müssen.
Aus reinen rechtspolitischen Gründen, aus dem Grund, dass wir in der Lage sein müssen, uns unabhängig von dem Wahlkampfgetöse, das hier aufgemacht wird, über die eigentlichen Sachfragen zu unterhalten, glaube ich, dass wir dieses Gesetz machen müssen, damit wir endlich einmal Ruhe haben und uns weitere Debatten zu diesem Thema erspart bleiben. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte kurz zu dem Redebeitrag des Kollegen Stratmann Stellung nehmen. Der Wortbeitrag des Kollegen Schröder hat sich durch eine hohe Sachkenntnis ausgezeichnet, auch wenn ich inhaltlich nicht immer seiner Meinung bin.
Herr Kollege Stratmann, es ist nicht alles schön, was schön zu sein scheint. So war das mit Ihrer Rede auch.
Sie treten die Verfassung mit Füßen, Sie zitieren falsch, Sie verdrehen die tatsächlichen Sachverhalte, und Sie verdrehen den Bedarf in Niedersachsen. Sie werfen Nebelkerzen, gehen nach dem Prinzip „Populismus“ vor - das finde ich peinlich -, und sagen zum Schluss dann noch: „Aber das müssten Sie doch einsehen!“
Deshalb lassen Sie mich zu Beginn Folgendes sagen. Erstens zu Ihrer berühmten Racheandrohung aus dem Knast heraus. - Dafür haben wir doch das Strafgesetzbuch. Warum müssen Sie von der CDU immer mit Racheandrohungen als typischem Merkmal argumentieren?
(Stratmann [CDU]: Haben Sie eine andere Rede gehört? Ich habe diese Vokabel nicht einmal verwendet!)
Ich verweise auf § 241 Strafgesetzbuch. - Was machen Sie im Übrigen mit den Tätern, die drei Tage aus der JVA raus sind und dann eine Racheandrohungen, eine Bedrohung oder was auch immer loslassen? - Dafür haben wir das Strafgesetzbuch, dafür brauchen wir Ihre verfassungswidrige Gesetzesänderung nicht!
Sie treten auch die Menschenrechtskonvention mit Füßen. Ich habe mich ja sehr detailliert zur Fassung aus Baden-Württemberg geäußert. Es kann doch wohl nicht in unserem Sinne sein, ein Gesetz
zu formulieren, wenn wir genau wissen, dass es morgen oder übermorgen gekippt werden kann. Damit werden wir doch der Gewalt nicht Einhalt gebieten.