Protocol of the Session on February 15, 2002

Für die Möglichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung ist nach diesen Vorstellungen allein das Vollzugsverhalten ausschlaggebend. Ich begründe es Ihnen gern, Herr Busemann. Eine Regelung, wie Sie sie favorisieren, verstößt gegen Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die eine Freiheitsentziehung grundsätzlich nur dann zulässt, wenn sie an ein Strafurteil anknüpft.

Der einzige gangbare Weg, der auch unser Weg ist, den wir favorisieren und der bereits dem Bundestag in Form eines Referentenentwurfs vorliegt, besteht darin, bei der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung von den begangenen Straftaten auszugehen. Wir wollen, dass sich das erkennende Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten kann. Wenn die Beurteilung der Gefährlichkeit während der Hauptverhandlung noch nicht feststeht, muss sie möglichst nah an den Entlassungszeitpunkt geknüpft werden.

Aus Sicht der SPD-Fraktion ist es ebenfalls wichtig, dass die Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist. Dies ist bei dem Entwurf aus Baden-Württemberg auch nicht der Fall. Dort ist vorgesehen, dass eine Sicherungsverwahrung schon für Wiederholungstäter aus dem mittleren Kriminalitätsbereich in Betracht kommen soll. Nach dem von Baden-Württemberg vorgesehenen

Gesetz können letztlich etwa 10 % aller Gefangenen in Niedersachsen nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen werden. Eine solche Ausweitung ist - abgesehen davon, dass sie unverhältnismäßig ist - durch nichts gerechtfertigt.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, allerdings scheint auch die CDU-Fraktion von dem Gesetzentwurf aus Baden-Württemberg nicht restlos überzeugt zu sein. Ich zitiere aus Punkt 2 des Entschließungsantrags:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, im Bundesrat den vom Land Baden-Württemberg eingebrachten Gesetzentwurf zu unterstützen bzw. eine entsprechende Initiative zu ergreifen.“

(Stratmann [CDU]: Weil es um die Sache geht, Frau Bockmann!)

Eine solche Initiative ergreift die SPD-Fraktion. Der Referentenentwurf auf Bundesebene liegt vor. Wenn wir alle diesen verfassungskonformen Weg für die nachträgliche Sicherungsverwahrung gehen, dann werden wir gegen Gewalt mehr bewirken können und nicht nur für den Papierkorb produzieren, wie es momentan der Fall ist. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Der Kollege Stratmann hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man sich den heutigen Vormittag noch einmal vor Augen führt, dann meine ich, dass die SPD-Fraktion fast gut beraten wäre, gar keine Anträge mehr zu stellen.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Was soll das denn?)

Die Anträge, die wir von Ihnen präsentiert bekommen – das gilt auch für den heutigen Antrag sind nur noch dazu geeignet, Ihr eigenes Unvermögen unter Beweis zu stellen.

(Beifall bei der CDU - Haase [SPD]: Guckt mal euren Antrag an!)

Zur Erinnerung, Herr Kollege Haase: Bereits im September 2001 hat die CDU-Landtagsfraktion einen entsprechenden Gesetzentwurf zur nachträglichen Sicherungsverwahrung eingebracht, der von Ihnen abgelehnt worden ist. Der Bedarf dafür sei nicht vorhanden. Die Initiative sei ein populistischer Schnellschuss. Keine einzige Sexualstraftat könne damit verhindert werden. Der Bevölkerung werde mit untauglichen Mitteln ein Sicherheitsgefühl vorgegaukelt. So Frau Bockmann in der Sitzung vom 24. Oktober.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Im Übrigen liege die Zuständigkeit gar nicht beim Land, sondern beim Bund. Für den Landesgesetzgeber gebe es keinen Handlungsspielraum. Schon deshalb sei das Vorgehen der CDU-Fraktion unseriös. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wurden als inkompetent diffamiert.

Auch der Justizminister hat sich diese Beurteilung zunächst zu Eigen gemacht, hat sich dann allerdings - das muss ich ihm zugestehen - in der Debatte am 24. Oktober von der rechtspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion insoweit abgegrenzt und erklärt: „Im Prinzip sagen wir Ja zu einer derartigen Initiative,“ also zu der von der CDU-Fraktion eingebrachten - „wenn sie auf Bundesebene läuft.“

Meine Damen und Herren, ich habe namens der CDU-Fraktion immer darauf hingewiesen, dass es uns um den Schutz der Menschen vor gefährlichen Straftätern geht

(Beifall bei der CDU)

und dass dieses Ziel für uns im Vordergrund steht und nicht der Weg dahin. Deshalb haben wir wiederholt angeboten - das können Sie gottlob alles in den Niederschriften nachlesen -, unseren Antrag entsprechend zu modifizieren, wenn es denn sein muss. Wir haben angeboten, gemeinsam mit Ihnen nach verfassungskonformen Lösungen zu suchen und gemeinsam auf die Bundesregierung einzuwirken. All diese Angebote wurden von Ihnen aber zurückgewiesen.

Es ist gerade ganze drei Wochen her, dass es bei der Beratung zu den strittigen Eingaben im Rahmen des vergangenen Plenarsitzungsabschnitts um eine Eingabe ging, mit der etwas Ähnliches bewirkt werden sollte. Auch da haben Sie unser Ansinnen erneut zurückgewiesen, obwohl wir Ihnen

vorher mit einem Zitat der Frau Bundesjustizministerin belegen konnten, dass die Bundesregierung wiederum ihre Zuständigkeit nicht sieht, sondern dass sie die Zuständigkeit bei den Ländern sieht.

(Beifall bei der CDU)

Frau Bockmann, das Dollste ist: Wenn man Ihre Rede nachliest, dann schließen Sie sie mit den Worten „Seriosität, Seriosität und noch einmal Seriosität“. Damit haben Sie erneut versucht, uns alle Ernsthaftigkeit abzusprechen und uns erneut als inkompetent zu diffamieren.

Nach diesen Erfahrungen, die wir mit Ihnen in den letzten Monaten gemacht haben, waren wir nach der Lektüre Ihres Antrags, den Sie heute stellen, mehr als verwundert. Ich weiß nun wirklich nicht mehr, was Sie unter Seriosität verstehen. Unser Verständnis von Seriosität ist ein völlig anderes. Das Verhalten, das Sie an den Tag legen, unterstreicht dies deutlich.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass es der SPD-Fraktion offensichtlich niemals um die Sache gegangen ist, sondern dass es ihr immer nur darum gegangen ist, etwas, was von der CDU kommt, zurückzuweisen, dann sind das Ihr heutiger Antrag und Ihr heutiges Verhalten.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man sich den Antrag ansieht, dann kommt man fast zu dem Ergebnis, dass Sie zum Teil Zitate von uns bzw. von mir in den Antrag übernommen haben. Ganz plötzlich sollen alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten zur Schaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ausgeschöpft werden. Genau dies habe ich angeboten. Es soll auf die Bundesregierung eingewirkt werden. Ich habe angeboten, dass wir es zusammen tun, und bin jedes Mal auf Ihr Schweigen gestoßen.

Ich frage Sie jetzt allen Ernstes, liebe Frau Kollegin Bockmann: Hat sich denn der entscheidungsrelevante Sachverhalt in den letzten drei Wochen verändert? Ich sage Ihnen: Natürlich hat er sich nicht verändert. Was ist dann der Grund für diesen plötzlichen Sinneswandel bei der SPD? Ich will Ihnen sagen, was der Grund ist und was sich verändert hat: Die politische Stimmung ist es, die sich in unserem Land verändert hat. Die SPD erkennt plötzlich, dass die Menschen nicht mehr damit zufrieden sind, nur ihre Reden zu hören, sondern

dass die Menschen erwarten, dass dem endlich auch Taten folgen. Das ist doch das Entscheidende.

(Beifall bei der CDU)

Sie sitzen in verdammt kurzem Gras. Sie sind enttarnt worden! Sie müssen zum ersten Mal befürchten, am 22. September 2002 in Berlin und am 2. Februar 2003 in Hannover die Regierungsverantwortung zu verlieren. Das ist der Grund für Ihr plötzliches Umkippen.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der SPD)

Sie haben die Kompetenzmehrheit in allen wichtigen Kompetenzfeldern verloren. Sie sind von der Union überflügelt worden. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Kriminalitätsbekämpfung. Es rächt sich eben, wenn man nur redet und niemals handelt. Das ist doch das Thema.

(Beifall bei der CDU)

Aber ich möchte an dieser Stelle durchaus zugeben, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es letztlich nicht auf die Ursachen für den Meinungswandel ankommt, sondern darauf, dass Sie Ihre Meinung gewandelt haben und jetzt offensichtlich bereit sind, mit uns einen richtigen und vernünftigen Weg zu gehen. Wenn Sie das wirklich Ernst meinen, was Sie gerade gesagt haben, Frau Kollegin Bockmann, dann bleibt Ihnen im Grunde gar kein Ermessen. Dann müssten Sie unserem heutigen Antrag zustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Aber ich befürchte - dafür sprechen viele Jahre Erfahrung ,- dass Sie auch heute nicht das Format haben, zuzugeben, dass Sie sich in dieser wichtigen Frage geirrt haben.

(Beifall bei der CDU)

Baden-Württemberg hat bereits mit einem Landesgesetz gehandelt. Sie sahen sich dazu nicht in der Lage. Bayern ist Baden-Württemberg auf diesem Weg gefolgt. In Baden-Württemberg hat allein das Vorhandensein dieses Landesgesetzes dazu geführt, dass sich z. B. plötzlich alle Straftäter bereit erklären, sich einer Therapie und Behandlungsmaßnahmen zu unterziehen. Das liegt natürlich daran, Herr Kollege Schröder - er schüttelt den Kopf -, dass das Damoklesschwert der nachträglichen Sicherungsverwahrung über ihnen schwebt. Das ist der Grund dafür. Die Leute werden in Ba

den-Württemberg plötzlich lammfromm. Schon das ist ein Erfolg dieses Landesgesetzes. Aber auch Baden-Württemberg räumt ein, dass eine landesgesetzliche Regelung einer bundesgesetzlichen Ergänzung bedarf.

(Frau Bockmann [SPD]: Sehen Sie, darüber reden wir hier die ganze Zeit!)

Der Hauptgrund dafür hat überhaupt nichts mit verfassungsrechtlichen Problemen zu tun, sondern ist darin zu sehen, dass bei einer landesrechtlichen Regelung nur eingeschränkt auf die begangenen Straftaten eingegangen werden kann. Wir haben ja auch immer zugegeben, dass es bei den landesrechtlichen Regelungen mehr auf die Gefahrenabwehr ankommt und weniger auf die begangenen Straftaten. Das heißt, die Begründungspflicht ist eine viel umfassendere als bei einer Änderung des Strafgesetzbuches. Das ist eine Erkenntnis, die die Baden-Württemberger u. a. zu dieser Bundesinitiative geführt hat.

Die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte Änderung des StGB zur Schaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist notwendig. Sie ist deshalb unbedingt der von Ihnen in der Diskussion genannten Vorbehaltslösung vorzuziehen. Die Vorbehaltslösung, meine Damen und Herren - auch das müssen Sie doch zugeben, Frau Bockmann -, erfasst nämlich die Straftäter nicht, die sich erst im Laufe des Vollzugs als gefährlich herausstellen. Die verurteilten Personen, bei denen erst im Laufe des Vollzugs klar wird, dass sie viel gefährlicher sind, als ursprünglich zu erkennen war, können von der Vorbehaltslösung nicht erfasst werden. Gerade um diese Leute geht es uns ja; sie bringen eine Gefahr für die Öffentlichkeit mit sich.

Ferner werden damit auch nicht mehr die Täter erfasst, die sich bereits im Vollzug befinden. Wenn Sie die Voraussetzungen des § 66 StGB nachlesen, werden Sie erfahren, dass eine Vorbehaltslösung für im Vollzug sitzenden Straftäter frühestens in sieben bis acht Jahren greift. Das ist uns zu spät, weil wir jetzt und nicht erst in acht oder neun Jahren alles tun müssen, um die Menschen vor diesen Straftätern zu schützen.

(Beifall bei der CDU)

Neben der Möglichkeit zur Schaffung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung soll der Gesetzentwurf aber auch bewirken, dass die Vorausset

zungen für die Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB, die schon im Vorfeld angeordnet werden kann, in einem Punkt gelockert werden: Es müssen nicht mehr wie in der Vergangenheit zwei schwerwiegende Straftaten begangen worden sein, sondern es reicht eine schwerwiegende Straftat aus,

(Beifall bei der CDU)