Protocol of the Session on February 13, 2002

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Jedenfalls solange er es noch ist!)

Herr Minister Oppermann hat das Wort.

Herr Präsident! Herr Kollege Schwarzenholz! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil diese Diskussion sehr formal geführt wird, ob Parteitagsbeschlüsse 1 : 1 umgesetzt werden. Das ist ein zentrales Anliegen der Grünen. Ich freue mich schon auf die Diskussion um den Verbraucherschutz demnächst - wir haben da schon interessante Debatten erlebt und um den Ausstieg aus der Atomenergie. Das ist in der Tat ein großes Thema der Grünen. Für uns ist das kein Problem.

Ein Problem ist aber, wenn eine solche Debatte an den eigentlichen Sachverhalten vorbeigeht, um die es uns als Parlament gehen müsste und über die wir eigentlich in diesem Zusammenhang diskutieren müssten. Was ist das Problem? - Wir haben in Deutschland in vielen Bereichen, in denen unsere Wirtschaft wächst, einen Fachkräftemangel. Deshalb musste der Bundeskanzler vor zwei Jahren die Greencard einführen.

(Möllring [CDU]: Weil er vorher die Informatik in Hildesheim geschlossen hat!)

In vielen Bereichen ist der Fachkräftemangel eine Wachstumsbremse in der Wirtschaft. Wir sind uns darüber einig: Wir brauchen mehr Akademiker. Wir brauchen mehr Informatiker. - Das wird in Kürze wieder sichtbar werden. - Wir brauchen Lehrer. Wir brauchen Ingenieure, Naturwissenschaftler, Physiker, Chemiker. Das sind alles Mangelfächer.

In Deutschland haben wir aber die längsten Studienzeiten auf der ganzen Welt. Wir sind eines der wenigen Länder weltweit, die bisher keinerlei Studiengebühren kannten. Wir haben aber die längsten Studienzeiten, nämlich 13 Semester im Durch

schnitt, und die ältesten Hochschulabsolventen, nämlich im Durchschnitt von 29 Jahren. Das ist das Problem.

Wenn ich bei 120 000 Hochschulabsolventen pro Jahr diese 13 Semester auf elf Semester herunterbringe, dann habe ich rechnerisch 120 000 zusätzliche hoch qualifizierte Fachkräfte für den Arbeitsmarkt. Darum geht es, meine Damen und Herren, dass wir wieder Wachstum und Beschäftigung ermöglichen. Dafür braucht man in einer Wirtschaft, die immer mehr von Technologie und hochwertigen Dienstleistungen geprägt ist, solche Fachkräfte.

Auf der Kultusministerkonferenz in Meiningen ist ein Kompromiss gefunden worden, den ich eigentlich vernünftig finde. Domröse - Entschuldigung, der Kollege Domröse; jetzt fange ich auch schon an, so wie Schwarzenholz meine Kollegen ganz despektierlich anzureden

(Zurufe von der CDU: Dr. Domröse!)

der Kollege Dr. Domröse hat das schon ausgeführt. Es ist doch in Gottes Namen keine Strafe, wenn sich Studierende ab dem 15. Semester ganz geringfügig an den realen Kosten eines Studienplatzes beteiligen müssen. Wir haben in Niedersachsen unter den 145 000 Studierenden 13 000, die im 20. Semester und darüber liegen, und wir haben 5 000, die über dem 25. liegen! Frau Kollegin von der CDU, Sie haben Sicherheit für die Studierenden verlangt. Sie wollen die Sicherheit, dass die 5 000 noch einmal 25 Semester studieren können? Damit machen wir uns doch lächerlich, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sagen „Wir müssen Anreize schaffen“ oder „Es liegt alles an den schlechten Studienbedingungen“, dann trifft das nicht zu. In einem Massenfach wie Rechtswissenschaften - ich kann Ihnen die genaue Relation Professoren/Studierende nicht sagen, aber sie dürfte 1 : 80, 1 : 90 betragen, d. h. auf einen Professor kommen 90 Studierende - haben wir trotz schlechter Ausstattung und eines schlechten Kurrikularnormwertes Studienzeiten von unter zehn Semestern, aber in momentan hervorragend ausgestatteten Fächern wie Physik oder Chemie - die sind deshalb so gut ausgestattet, weil zu wenige diese Fächer studieren wollen - haben wir Studienzeiten von 13 Semestern. Es macht also keinen Sinn, was Sie sagen, dass das alles nur an den Verhältnissen liege. Es liegt auch ein bisschen

in der Einstellung, in der Verantwortung und in der Disziplin der Studierenden.

(Beifall bei der SPD)

Ich appelliere an Sie, dass wir gemeinsam auch ein anderes Bewusstsein entwickeln. Sie haben das ja selber gesagt. Das Studium ist ein kostbares Gut. Es ist eigentlich ein Privileg. Ich als Kind einer mehrköpfigen Familie habe das als Privileg empfunden. Die anderen haben eine Lehre gemacht, und ich durfte studieren. Glauben Sie ja nicht, dass ich 25 Semester an der Hochschule bleiben wollte! - Ich sage Ihnen, gerade die Leute, für die es nicht selbstverständlich ist, dass sie studieren, machen so etwas nicht. Die sehen zu, dass sie zügig durch ihr Studium kommen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ein letzter Beitrag noch zu dem Thema, das sei eine Strafgebühr. Ein günstiges Studium kostet 10 000 DM pro Semester, Herr Golibrzuch. Wenn ich das nicht bezahlen muss, sondern der Staat, d. h. die Steuerzahler diesen Beitrag übernehmen, dann ist das ein Stipendium. So nennt man das im Ausland. Jetzt bekommen unsere Studierenden 14mal ein Semester gebührenfrei zugestanden, und das gesichert durch Gesetz. Übrigens, Gesetze muss man nicht durch Parlamentsbeschlüsse bekräftigen; die gelten unabhängig davon, wie der Landtag entscheidet.

(Beifall bei der SPD)

Aber ich will hier keine Gesetzgebungslehre vortragen, sondern ich will noch einmal auf den Charakter einer Strafgebühr zurückkommen. Sie haben gesagt, das sei eine Strafe. Wenn ich jetzt ein Stipendium für 14 Semester, also von 140 000 DM bekomme - und das zahlen die Steuerzahler -, und dann ab dem 15. Semester der Staat weiterhin von den 10 000 DM 9 000 DM übernimmt und der Studierende 1 000 DM zahlt: Für wen ist das dann eigentlich eine Strafgebühr?

(Zustimmung bei der SPD)

Für den Studierenden? Oder ab dem 25. Semester für die Steuerzahler?

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das möchte ich noch einmal diskutieren. - Da klatschen sogar die Grünen hinter Ihnen, Herr Kollege Golibrzuch. Sie sehen das nicht. Als Wahlkampf

manager müssen Sie sich gelegentlich auch einmal umdrehen.

(Zuruf von Golibrzuch [GRÜNE])

Jetzt noch etwas. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir mehr Fachkräfte brauchen. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit. Ich trete für die prinzipielle Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung ein.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb haben wir in Niedersachsen als erstes Bundesland mit der Meisterprüfung die allgemeine Hochschulreife verknüpft. Das heißt, wer die Meisterprüfung bestanden hat, wer das gepackt hat, darf jedes Fach studieren, das er oder sie wünscht.

Aber es ist auch ein Stück Gerechtigkeit, dass diejenigen, die den akademischen Königsweg gehen und die das vom Staat bezahlt bekommen, mit diesem Privileg und mit dieser Verantwortung vernünftig umgehen und ihr Studium schnell absolvieren, um von dem, was sie mit dem Studium bekommen haben, auch ein Stück an die Gesellschaft zurückzugeben. - Vielen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Mundlos erhält für bis zu drei Minuten das Wort.

(Zuruf von der SPD: Ach du je! - Plaue [SPD]: Dem können Sie doch eigentlich nur noch zustimmen, Frau Kollegin! Oder? - Möllring [CDU]: Ihr seid ja nervös! Das ist ja schlimm!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister hat gerade mit sehr vielen Worten, langatmig betonend,

(Widerspruch bei der SPD)

dass man Studierende mit 25 Semestern nicht wollen kann, versucht, über ein paar Sachverhalte hinwegzutäuschen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist doch ganz klar Fakt, dass man, wenn man sagt „Wir brauchen mehr Fachkräfte“ - Stichwort „Greencard“ -, selbst einmal in den Spiegel gucken und sich die Frage beantworten muss, warum die Situation so ist und wer das zu verantworten hat. Das ist niemand anderes als diese Landesregierung. Denn Sie haben die Situation so geschaffen, wie sie sich in unseren allgemein bildenden Schulen darstellt.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Sie haben die Studiengänge für Informatik heruntergefahren, niemand anderes sonst. Die Studierenden wollen in der Tat zügig studieren, sie wollen fertig werden, sie wollen in die Wirtschaft, sie wollen an den Arbeitsplatz. Das erschweren Sie aber selber durch das, was Sie die letzten Jahre gemacht haben. Sie haben immer wieder gestrichen, gekürzt, reduziert. Sie haben die Hochschulen zum Teil regelrecht ausbluten lassen. Sie haben es auch nicht ermöglicht, dass die Studierenden Rahmenbedingungen vorfinden, die es ihnen erlauben, so schnell wie möglich fertig zu werden.

Nach wie vor muss man auf Prüfungen warten. Die Bibliotheken sind schlecht ausgestattet, sodass man die Bücher nicht findet, die man dringend benötigt.

(Dr. Domröse [SPD]: Wo sind Ihre Haushaltsanträge, Frau Mundlos? Her damit!)

Praktikumsplätze sind nicht in hinreichender Zahl da. Vor diesem Hintergrund darf man sich nicht wundern, dass diese Studierenden nicht so schnell fertig werden, wie sie es könnten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden.

(Beifall bei der CDU)

Fest steht auf alle Fälle, dass Sie in der Tat einen Bruch zwischen dem haben, was Sie auf Parteitagen gemeinsam vollmundig beschließen, zwischen dem, was dann auch in der Fraktion und in den Ausschüssen diskutiert wird, und dem, was Ihr Minister immer wieder in der Öffentlichkeit sagt. Sie stellen heute, indem Sie diesen Antrag ablehnen, erneut unter Beweis, dass Sie es selber in den eigenen Reihen nicht auf die Reihe bekommen, zu einer gemeinsamen, geschlossenen Meinung zu finden. Das gilt auch für Sie, Herr Plaue.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Sagen Sie mal den Arbeiterinnen und Arbeitern von VW, wofür Sie sind! Für 25 Semester sind Sie! Die lachen Sie aus!)

Meine Damen und Herren, ich schließe die Beratung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur zustimmen und damit den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ablehnen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich frage nach Gegenstimmen. - Ich frage nach Stimmenthaltungen. - Ich stelle fest, dass das Erste die Mehrheit war.

Ich erbitte nun Ihre Aufmerksamkeit für den folgenden Tagesordnungspunkt. Wir kommen gleich zur Abstimmung. Behalten Sie Ihre Plätze bei!

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)