Außerdem muss jede Schule ein Förderkonzept erarbeiten und für jedes Kind einen eigenen individuellen Förderplan erstellen. Diese inhaltliche Veränderung schlägt sich dann auch im Namen und in der Strukturveränderung nieder: Die Orientierungsstufe wird abgeschafft. Die Klassen 5 und 6 werden in ihrer wichtigsten pädagogischen Funktion entsprechend zu Förderstufen, die vorzugsweise an Gymnasien, an kooperierenden Haupt- und Realschulen sowie an Gesamtschulen angebunden sind.
Zweitens. Wir wollen die Ausschöpfung der vorhandenen Bildungspotenziale bei unserer Schülerschaft. Deshalb sind wir gegen eine zu frühe Entscheidung über die Schullaufbahn direkt nach der Grundschule. In der Förderstufe werden deswegen alle Schülerinnen und Schüler von Lehrkräften aller Lehrämter unterrichtet.
Drittens. Für besonders leistungsstarke Kinder werden wir verstärkt das Abitur nach zwölf Jahren ermöglichen. Dazu werden Gymnasien und Gesamtschulen flächendeckend das Abitur nach zwölf und nach dreizehn Jahren anbieten. Um die Bildungschancen im ländlichen Raum zu erhöhen, werden wir dort das gymnasiale Angebot erhöhen. Über die Finanzierung der möglicherweise notwendigen Neubauten muss mit den kommunalen Spitzenverbänden beraten werden.
Viertens. Wir brauchen eine Steigerung der Abiturquote. Dazu muss auch die Durchlässigkeit unseres Schulsystems verbessert werden. So muss beispielsweise erkundet werden, warum von den 38 % der Realschülerinnen und Realschüler, die die Möglichkeit hätten, die gymnasiale Oberstufe zu besuchen, nur ein geringer Anteil das auch tatsächlich tut.
Ich habe Ihnen jetzt, weil meine Redezeit zu Ende geht, nur die wichtigsten Überlegungen vorgestellt. Doch auch diese machen schon deutlich: Es war richtig, sich die Zeit zu nehmen, die Daten des DIPF-Gutachtens erst einmal auszuwerten, um sowohl den qualitativen als auch den strukturellen Reformbedarf festzustellen und auf dieser Grundlage eine sinnvolle Alternative zu erarbeiten. Denn das Zurück zur Schule der 50er à la CDU hilft unseren Schülerinnen und Schülern nun wirklich nicht weiter. Nur jemand wie Herr Busemann, dem es nicht um die Sache geht,
kann so ein gewissenhaftes Vorgehen als Bildungschaos bezeichnen. Aber was soll man denn eigentlich auch von einem Politiker und einer Partei erwarten, die eine differenzierte Diskussion zum „Schulkrieg“ erklärt, die Alternativmodelle als „Kriegserklärung“ gegen das CDU-Modell kennzeichnet, von einer Partei, die eine Schulform „versenken“ will - und das alles trotz der Lage in Afghanistan und in Amerika -, die ganz bewusst trotz all dieser Geschehnisse in der Welt eine Debatte um Schulpolitik so militarisiert?
So eine Fraktion disqualifiziert sich nicht nur in der Bildungspolitik, sie disqualifiziert sich für Politik generell. So ein Verhalten wie das von Herrn Busemann und der CDU ist einfach nur geschmacklos.
Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion dort hinten an der Tür, wenn Sie reden wollen, gehen Sie bitte raus. Es geht nicht an, dass dort zu fünft gestanden wird, denn es entsteht Unruhe. Das Wort hat jetzt der Kollege Busemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Seeler, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen: Wenn Sie hier als SPDPolitikerin zur Bildungspolitik reden, dann schauen Sie morgens in die Zeitung! Dann fällt das anders aus.
Deswegen werde ich mich mit Ihrem Beitrag nicht auseinander setzen. Lassen Sie uns jetzt mit der Bildungspolitik anfangen.
(Plaue [SPD]: Oh Gott, oh Gott! Sie müssen die Nase ein bisschen herun- ternehmen, es regnet da sonst hinein!)
Es gibt manchmal merkwürdige Ereignisse, Herr Plaue. Als ich heute Morgen auf dem Wege zum Plenum war, drückte mir der Herausgeber eines frisch gedruckten Buches ein Exemplar in die Hand. Es war Herr Ziegenspeck. Der Titel hieß: „Die Orientierungsstufe muss erhalten bleiben“. Ich solle es mir ansehen. Ich sagte: Wissen Sie, dass ich da hineingehe und möglicherweise das Ende der Orientierungsstufe beschlossen wird? Ich bin vielleicht der falsche Adressat. - Daraufhin sagte er: Das weiß ich wohl. Aber wenn Sie schon verschwindet, dann soll man vielleicht irgendwann mal darüber nachdenken, was es war und welches Gedankengut dahinter stand. - Ich habe es angenommen und habe das auch nicht als politischen Sieg empfunden. Es rührt einen auch ein bisschen.
Wenn man sich ansieht, wer als Mitautor bei diesem Buch „Die Orientierungsstufe muss erhalten bleiben - Eine Auseinandersetzung mit den Vorstellungen des Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen“ ausgewiesen ist, stellt man fest: Es sind auch Schwarze dabei - das gehört zur Wahrheit dazu -, und auch unser Herr Landtagspräsident hat einen Beitrag geschrieben. Es lohnt sich also, das einmal durchzulesen. Das vorweg.
Meine Damen und Herren, es ist gut, dass wir hier auch mal in gewisser zeitlicher Breite über Bildungspolitik miteinander reden können. Sie sollten sich als Sozialdemokraten auch angewöhnen, wichtige bildungspolitische Themen nicht immer auf den Donnerstagabend oder Mittwochabend zu verschieben. Sonst sind Sie ja auch nicht so pressescheu. Das muss auch mal vormittags passieren.
Ich meine, wir müssen uns hier ordentlich auseinander setzen können. Wir haben zu diesem wichtigen Thema auch darum gebeten, dass der Herr Ministerpräsident vielleicht mal eine Regierungserklärung hält. Sonst ist er ja auch nicht so scheu.
Das wurde dann abgelehnt. Im Ältestenrat wurde auch alles abgebügelt. Man will sich offenbar nicht auseinander setzen. Vielleicht weiß man auch nicht, was man will. Morgens kann man dann in einigen Zeitungen lesen, welche Meinung der Herr Regierungschef hat. Herr Gabriel, können Sie sich diese Wildschützenmanier nicht mal abgewöhnen?
Irgendwann muss man doch wissen, was politisch beleihungsfähig ist, wofür der Regierungschef, das Kultusministerium und auch die SPD-Fraktion stehen und was wir hier sozusagen als Gegenmodell der Regierung in Empfang nehmen können.
Ich habe es außerordentlich begrüßt, dass wir hier mal Zeit haben. Es muss dann auch möglich sein, nicht nur über die Schulstruktur und Orientierungsstufe zu reden, sondern vielleicht auch mal so etwas wie eine bildungspolitische Generaldebatte zu führen.
Jetzt in allem Ernst: Ich sehe das staatliche Schulwesen in Niedersachsen als schwer substanzgeschädigt an, Herr Plaue. Wir sind in großer Sorge, ob das Land Niedersachsen in den kommenden Jahren den staatlichen Bildungsauftrag überhaupt noch erfüllen kann.
Ich möchte auf einige Kriterien hinweisen. Es sind die Unterrichtsausfälle, die wir haben, die wir immer immer wieder anprangern - und zwar nicht aus parteipolitischen Gründen. Wir sind die Anwälte der Kinder, nicht Sie.
Die Eltern rechnen ja genauer nach als die Regierung. Die Regierung macht ihre Statistik ja selber. Die täglichen Unterrichtsausfälle werden nicht erfasst. Wir haben das jetzt wieder über den Stadtelternrat Braunschweig erfahren: 16 % dessen, was eigentlich an Unterrichtsstunden geschuldet ist, fallen dem Rotstift zum Opfer. Wenn wir das landesweit hochrechnen, meine Damen und Herren, dann fallen in Niedersachsen wöchentlich 213 000 Unterrichtsstunden aus. Wenn wir die berufliche Bildung dazu nehmen, ist die Zahl noch höher.
Nehmen wir nun auch das Pensionierungsproblem hinzu. - Herr Plaue, Sie gähnen. Sie wissen offenbar nicht, was in der Szene los ist. - 40 % unseres
Lehrerbestandes gehen in den nächsten Jahren in Pension. 30 000 Lehrerinnen und Lehrer müssen ersetzt werden. Aber null Reaktion, kein Konzept, kein Modell, wie man diesem Problem begegnen will!
(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Hat Ihnen schon jemand gesagt, dass Ihre ständigen Wiederholungen die Menschheit langweilen?)
Es wird so sein, dass wir in den nächsten Jahren Unterrichtszusammenbrüche erleben werden, vor allem im Bereich der Naturwissenschaften. Es gibt aber kein Rezept. Der Schülerberg wächst noch immer, beispielsweise bei der beruflichen Bildung in den nächsten Jahren um 30 000 zusätzliche Schülerinnen und Schüler. Es gibt aber kein Konzept, wie wir auch in der letzten Plenarwoche hier erleben durften.
Qualitätsverlust ist ein wichtiges Thema. Allein darüber könnte man den ganzen Tag reden. Ich will auch gar nicht Herrn Glogowski mit dem Beispiel des bayerischen Schülers oder Herrn Gabriel zitieren, der anderenorts ausgemacht hat, dass wir Nachholbedarf haben. Muss es eigentlich so sein, dass die niedersächsischen Schüler immer dann, wenn es um Leistungsvergleiche und auch um bundesweite Vergleiche geht, die rote Laterne haben oder im letzten Drittel stehen? Darüber sollte man gefälligst einmal nachdenken.
Ich kann hier auch noch viele andere Kriterien heranziehen. Die Politik des Kultusministeriums beschränkt sich immer darauf, hier statistische Trickserein vorzulegen, eine „Erfolgsstory“ nach der anderen zu verkünden und alle paar Monate neue Bildungsoffensiven zu verkünden. Substanz ist aber nicht dahinter. Wir können das hier so festhalten: Viel Schall, viel Rauch, aber wenig Substanz!
Nun wieder zum größten Problem. Das ist in diesen Tagen in der Tat die Schulstrukturreform. Dieses Thema beschäftigt uns ja seit über zwei Jahren - nicht angestoßen von Herrn Gabriel, wie man hier und dort immer über die Zeitungen wahrnehmen soll, sondern angestoßen nicht zuletzt vom Landeselternrat. Wir haben uns dann ja auch zusammengesetzt. Wir Christdemokraten haben ein Schulmodell, überschrieben mit „Qualitätsschule
für Niedersachsen“, vorgelegt und dann noch durch ein Nachmittagsprogramm für unsere Schulen ergänzt. Ich möchte Ihnen hier die Kernaussagen noch einmal vorhalten: Abschied von der Orientierungsstufe, Abitur nach Klasse 12 - dann bitte sehr aber auch durchgängig -, ein modernisiertes gegliedertes Schulwesen ab Klasse 5, Freigabe des Elternwillens nach Klasse 4 und vor allem eine hohe Durchlässigkeit in den Jahrgängen 5 und 6.
Ich will Ihnen auch mit einem gewissen Stolz sagen - das gilt für uns alle hier -: Wir haben in den letzten eineinhalb Jahren außerordentlich viel Zuspruch für unser Modell erfahren.
Wir mussten jedenfalls in den letzten eineinhalb Jahren nichts von unseren Kernaussagen zurücknehmen, meine Damen und Herren. Wir mussten gar nichts zurücknehmen.
Herr Plaue, kommen wir nun einmal zu Ihnen. Wie sieht es denn auf Ihrer Seite aus? - Ich habe das zwischenzeitlich bilanziert. Die letzten eineinhalb Jahre hatten fast schon den Charakter einer Tragikomödie. Es gibt mittlerweile zehn Akte. Wahrscheinlich kommen noch ein paar dazu.
Dann müssen Sie sich auch einmal fragen - auch mit Herrn Gabriel zusammen -: Ist das denn Regierungsfähigkeit, was Sie hier veranstalten? Ist das Führungskraft, was Sie auf diesem Gebiet veranstalten?