Protocol of the Session on October 24, 2001

Hilfspolizei und ein erhobener Zeigefinger, das soll in den Augen der CDU ganz offensichtlich die Strategie gegen Osama bin Laden und Al Qaida und ähnliche Organisationen sein.

Jeder in diesem Parlament, der sich schon einmal mit dem Polizeirecht beschäftigt hat, weiß - auch die Union könnte das längst wissen -: Es gibt einen umfassend geregelten Ordnungswidrigkeitenkatalog. Die Polizei hat auch ohne den Begriff der öffentlichen Ordnung im Gesetz die Möglichkeit, bei Störungen einzugreifen. Bei Maßnahmen nach dem Gefahrenabwehrrecht hat dieser Begriff praktisch keine Bedeutung mehr.

Vielleicht, Herr Kollege Wulff, gelingt es Ihnen als gelerntem Juristen, mal Ihren Kolleginnen und Kollegen den Begriff des positiven Rechts näher zu bringen und nicht nur immer eine restriktive Politik zu fordern, die letztendlich noch nicht einmal das bringt, was Sie von ihr erwarten.

(Beifall bei der SPD)

In Ihrem Katalog findet sich jedenfalls nichts wieder, was im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht geregelt wäre. Ihre Vorschläge blieben, auch wenn wir sie umsetzen würden, ohne rechtliche Konsequenz.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, Herr Präsident.

Sie wollen uns eine Scheindebatte aufzwingen. Sie tun so, als könnten Sie damit Ihre Kompetenz unter Beweis stellen.

Ich bin mir sicher, dass Sie für diese Art von Kompetenznachweisen von den Menschen in unserem Lande, von den Wählerinnen und Wählern die Quittung bekommen. Ich kann mir nur wünschen, dass diese Quittung in der gleichen

Deutlichkeit ausfällt wie die für Herrn von Beust und Herrn Steffel.

(Beifall bei der SPD)

Eigentlich müsste ich Sie deshalb auch ermuntern, so weiterzumachen wie bisher. Was kann man sich mehr wünschen als eine Opposition, die in die selbstgestellte Falle hineinläuft? Aber Ihre Vorschläge sind manchmal einfach auch nur ein Ärgernis, wie etwa die gebetsmühlenartig vorgetragene Forderung nach dem finalen Rettungsschuss. Unser Gefahrenabwehrrecht enthält schon lange eine Regelung, nach der Schusswaffen gegen Personen eingesetzt werden dürfen, um diese angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Diese Regelung umfasst, wie jede Polizeibeamtin und jeder Polizeibeamte weiß, in letzter Konsequenz auch die Tötung einer Person. Die Erlaubnis zum Rettungsschuss beseitigt auch nicht die einsatztaktischen Risiken, die damit verbunden sind. Das Ergebnis ist: Sie gewinnen kein Jota mehr an Sicherheit für den Beamten, wenn Sie dies in das Gefahrenabwehrrecht hineinschreiben.

Auch zum Unterbindungsgewahrsam muss man feststellen, dass der von der CDU behauptete Regelungsbedarf schlichtweg nicht vorhanden ist. Wer Ihre Antragsbegründung liest, stellt fest, dass es Ihnen lediglich um ein einfaches Szenario geht. Sie wollen potentielle Störer bei CASTORTransporten aus dem Verkehr ziehen, genauso wie Sie 1996 Punks und Chaoten in die Gewahrsamszellen abschieben wollten. Nichts anderes wollen Sie. Reden Sie an der Stelle nicht von Terrorismusbekämpfung!

(Beifall bei der SPD)

Die Polizei hat genügend Methoden und Instrumente - das hat sich auch in der Vergangenheit gezeigt -, diese Probleme ohne Ihre Hilfe in den Griff zu bekommen.

Bisher lässt sich kein Grund dafür erkennen, diese Möglichkeit von derzeit vier auf zehn Tage auszudehnen. Vor allem weiß niemand hier in diesem Hause oder in diesem Lande, welche Bezüge zu den angesprochenen Problemen die CDU damit herstellen will.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das größte Fragezeichen in Bezug darauf, was die Vorschläge der CDU mit der Bekämpfung des Terrorismus zu tun haben, muss man hinter den Vorschlag der Einführung eines freiwilligen Poli

zeidienstes oder der so genannten Wachpolizei setzen. Aushilfskräfte mit ähnlichen Befugnissen wie Politessen, mit allem Respekt, Herr Kollege Wulff: Die gewaltbereiten, selbstzerstörerischen Truppen um Osama bin Laden werden förmlich vor diesem Gedanken erzittern. Es ist doch wohl nicht wahr, dass das Ihre Antwort ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde es übrigens genauso schlimm, dass Sie in Ihren Vorschlägen versuchen, die Polizeiarbeit aufzuteilen in einfache Aufgaben und in solche, für die handlungskompetente Beamtinnen und Beamte gebraucht werden. Was Sie hier vorschlagen, ist nichts weiter, als unterhalb der normalen Polizei Befugnisse für eine Truppe von selbstberufenen Hilfssheriffs zu schaffen, bei der die berechtigte Befürchtung besteht, dass sie rechtschaffenden Bürgerinnen und Bürgern mit überzogenen Vorstellungen von öffentlicher Ordnung auf die Nerven geht. Deshalb lehnen wir so etwas ab, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Alles, was Sie hier vorschlagen, ist vordergründige Kosmetik, sind Scheinlösungen und führt allenfalls zum Verlust von Professionalität und Effizienz. Sie wollen Regelungen, die etwas anderes im Sinne haben, als den Terrorismus zu bekämpfen, als die Terroristen in ihren kriminellen Handlungen zu stoppen.

Bei dieser veränderten Sicherheitslage ist das genaue Gegenteil angezeigt: Mehr denn je brauchen wir hervorragend ausgebildete und sozialkompetente Beamtinnen und Beamte.

(Biallas [CDU]: Die Sie nicht einge- stellt haben!)

- Danke, Herr Kollege, für den Zwischenruf. Das ist genau unsere Politik. Wir stellen zusätzliche Beamtinnen und Beamte ein. Sie haben als letzten Akt Ihrer Regierungstätigkeit fast 600 Polizeistellen kw-gestellt und damit den Beamtenapparat reduziert. Das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD - Biallas [CDU]: Wo sind denn die ganzen Beamten?)

- Das müssen Sie sich mal selber fragen, wo Ihre denn geblieben sind.

(Ontijd [CDU]: Das war wohl nichts, Herr Plaue!)

Im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, staatsbürgerliche Verantwortung wie die Bereitschaft, Straftaten anzuzeigen, sich als Zeugin oder Zeuge zur Verfügung zu stellen oder verdächtige Wahrnehmungen zu melden, kann man nicht auf Polizeihelfer delegieren. Das ist die Aufgabe aller redlichen Staatsbürger, die nicht wegsehen, sondern sich einmischen. Wenn in einer Straßenbahn eine junge mutige Frau angerempelt und angegriffen wird, dann brauchen wir keine Bürgerwehr, sondern dann brauchen wir solide Menschen mit Zivilcourage. Darum muss es uns gehen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Aber auch hier sage ich: Auch das hat nichts mit Terrorismusbekämpfung zu tun, sondern allenfalls etwas damit, ob wir bereit sind, nicht nur wegzuschauen, sondern hinzusehen und einzugreifen.

Meine Damen und Herren, was wir jetzt in Niedersachsen und in der Bundesrepublik Deutschland brauchen, ist eine erhöhte Wachsamkeit und ein entschlossenes, solidarisches und zugleich besonnenes Vorgehen gegenüber extremistischen Bestrebungen. Was wir nicht brauchen, ist ein übertriebenes Sicherheitsdenken und sind Vorschläge, die nur scheinbar etwas oder überhaupt nichts mit der aktuellen Sicherheitslage zu tun haben, oder den Aufbau von überzogenen Bedrohungsszenarien. Das ist ein Appell an uns selbst, an die Politik, meine Damen und Herren, aber auch ein Appell an die Medien, deutlich zu machen, dass nicht jede, aber auch jede denkbare Variante von Terror breitestmöglich und spekulativ ausgebreitet werden muss, weil das die Menschen mehr verängstigt, als es ihnen Sicherheit gibt.

Dass es auch anders geht, haben die Landesregierung und die SPD-Fraktion, aber auch die von der SPD geführte Bundesregierung in den vergangenen Wochen gezeigt. Dass es auch anders geht, haben auch die Oppositionsparteien in Berlin gezeigt. Ich will den peinlichen Vertrauensbruch von Herrn Glos an dieser Stelle durchaus als Ausrutscher betrachten und ihn nicht weiter kommentieren.

(Zuruf von Oestmann [CDU])

- Das hat Herr Struck besser getan, Herr Kollege. Mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen. Von daher muss ich mich nicht weiter dazu äußern.

Als Folge der Terroranschläge ist vor allem eines unstrittig: Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um extremistische, religiös-fanatische und verfassungsfeindliche Bewegungen zu stoppen oder zu verhindern. Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass es auch in Deutschland noch weitere Personen gibt, die zur Verübung von Terroranschlägen bereit und wahrscheinlich auch in der Lage sind. Auch in Niedersachsen muss deshalb die Sicherheitslage neu bewertet werden. In einigen Bereichen müssen auch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen für die Polizeiarbeit geschaffen werden, damit neuen Gefahrensituationen frühzeitig und effektiv begegnet werden kann.

Zu den veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen gehört auch die Einführung der Rasterfahndung. Nach den bisherigen Ermittlungen trifft ein bestimmtes Bündel von Merkmalen auch auf unauffällig in Deutschland lebende Tatverdächtige zu. Ein automatischer Datenabgleich verschiedener Behörden oder Institutionen kann das frühzeitige Erkennen solcher Personen ermöglichen.

Meine Damen und Herren, die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ist in Niedersachsen - das haben Sie wahrscheinlich übersehen, Herr Kollege Wulff - bereits seit längerem gesetzlich geregelt. Gefehlt hat es bisher bewusst an einer Regelung über die Aufzeichnung der Bilder.

(Schünemann [CDU]: Genau!)

Diese ist nun wegen der veränderten Sicherheitslage in Niedersachsen von uns eingebracht worden. Dazu stehen wir auch. Wir sind ja nicht Angehörige einer Betonfraktion, sondern Menschen, die auf die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Leute eingehen, die draußen stehen und für uns arbeiten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Vor dem 11. September stand die Skepsis, ob mit der Aufzeichnung von Überwachungsvideos überhaupt eine bessere Kriminalitätsprävention an gefährlichen Plätzen erreicht werden kann, im Vordergrund unserer Überlegungen. Ich sage das ganz offen. Nach dem 11. September dagegen war eine andere Überlegung für unsere Entscheidung ausschlaggebend. Niemand von uns weiß und kann ausschließen, dass nicht auch in Niedersachsen mit Reaktionen aus dem extremistischen Spektrum zu rechnen ist. Wir können also nicht umhin, angemessen vorzubeugen. Um möglichen Gewalttaten

besser begegnen zu können, haben wir einer Erweiterung der Videoaufzeichnung zugestimmt.

Meine Damen und Herren, wie schon bei der Rasterfahndung hat meine Fraktion damit bewiesen, dass sie ihre Entscheidungen ausschließlich an der Sachlage, in diesem Fall an der Sicherheitslage, orientiert. Dies und nichts anderes sind wir den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Lande schuldig. Dafür haben wir ihr Mandat bekommen.

Die Regierungsfähigkeit einer Fraktion bemisst sich auch an ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, die eigenen politischen Positionen kritisch zu hinterfragen und notfalls mit Augenmaß zu ändern. Wer darüber Häme verschüttet, beweist nur seine eigene Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, und nährt den Verdacht, der von mir eben genannten Fraktion der Betonköpfe anzugehören.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch ganz deutlich sagen - weil es mich geärgert hat, was Sie hier gesagt haben, Herr Kollege Wulff -: Wenn Sie Misstrauen gegenüber dem Engagement der Sozialdemokraten in der inneren Sicherheit säen, dann muss ich Ihnen vorhalten, dass es bisher sozialdemokratische Bundeskanzler waren, die den Kampf gegen den Terrorismus führen mussten. Sie haben diesen Kampf ehrlich, offen und mit der nötigen Konsequenz geführt. Das brauchen wir uns von Ihnen jedenfalls nicht vorhalten zu lassen, meine Damen und Herren. Wir haben unsere Politikfähigkeit an dieser Stelle bewiesen.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen erschöpft sich unsere Verantwortung nicht in Solidaritätsadressen gegenüber den Vereinigten Staaten. Sie erschöpft sich auch nicht darin, für die Unversehrtheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Unsere Verantwortung erschöpft sich nicht darin, für mehr Polizei in der Fläche zu sorgen, auch nicht in der Beobachtung aller Kräfte und Vorgänge, die nach heutiger Erkenntnis gefährlich sein können.

(Zuruf von Jahn [CDU])

- Wenn Sie dazwischenrufen, dass Sie das auch nicht machen, dann haben Sie offensichtlich in den letzten Tagen und Wochen gepennt. Aber so machen Sie die Haushaltsplanberatung. Wir machen das etwas ernsthafter als Sie!

(Beifall bei der SPD)