Protocol of the Session on October 24, 2001

(Beifall bei der SPD)

Heute, meine Damen und Herren, sechs Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon in Washington, sind Art und Ausmaß der Bedrohung durch den fundamental-islamischen Extremismus für Jedermann erkennbar. Bis dahin - auch das gehört zur Wahrheit - hat sich niemand Anschläge vorstellen können, die mit derart brutaler Menschenverachtung und mit einer solchen fatalistischen Bereitschaft zur Selbstvernichtung durchgeführt werden. Deshalb hat sich auch niemand vorstellen wollen, welche verheerenden Folgen der Terror aus der Luft haben kann. Genauso wenig hat man sich vorstellen können, dass Derartiges in Deutschland vorbereitet werden könnte. Wer sich heute also in Berlin oder hier im Niedersächsischen Landtag hinstellt und so tut, als hätte durch die Erfüllung früher erhobener Forderungen in der Sicherheitspolitik Vorsorge für die Ereignisse des 11. September getroffen werden können, der schüttet den Menschen Sand in die Augen.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie wollen damit die Menschen für dumm verkaufen,

(Widerspruch bei der CDU)

und Sie ignorieren damit die simple Feststellung, dass niemand - seien wir ehrlich, und geben wir es zu - sich dergleichen hätte vorstellen und somit hätte vorhersagen können. Deshalb ist es unredlich, jede, aber auch wirklich jede sicherheitspolitische Forderung aus der Mottenkiste der vergangenen Jahre zusammenzuklauben und daraus ein vorgebliches Konzept zu machen. Das funktioniert nicht!

(Beifall bei der SPD)

Das, was Sie, Herr Kollege Wulff, und Ihre Innenpolitikerinnen und Innenpolitiker da produziert

haben, riecht geradezu danach, dass hier die Gunst der Stunde genutzt werden sollte. Das aber kann man in einer so ernsten Situation nicht machen.

Ihnen, Herr Kollege Wulff, ging es damals, als Sie diese Vorstellungen entwickelt haben, eben nicht um die Bekämpfung des Terrors. Mit Ihren Forderungen von 1996 wollten Sie der Stadt Hannover Leute mit bunten Haaren ersparen. Sie hätten mit Ihrer Vorstellung von der Rasterfahndung keinen einzigen Akt aktiver Terrorvorbereitung erkannt. Sie wären noch nicht einmal in der Lage gewesen, aus all den vorliegenden Erkenntnissen ein Datenbouquet zusammenzustellen, auf dessen Grundlage man eine Rasterfahndung hätte zusammenstricken können. Deswegen ist es unredlich, heute zu behaupten, dass Ihre Rasterfahndung so etwas verhindert hätte.

(Beifall bei der SPD - Frau Seeler [SPD]: So ist er aber nun mal! - Möll- ring [CDU]: Warum haben 13 Länder denn die Rasterfahndung?)

- Danke für den Zwischenruf, Herr Kollege. Ich weiß, dass man sich auf Sie immer verlassen kann. - Hat denn die Rasterfahndung in den anderen Ländern die Erkenntnisse erbracht, die wir benötigt hätten? - Nein, sie hat diese Erkenntnisse nicht erbracht.

(Möllring [CDU]: Die Attentäter sa- ßen ja in Niedersachsen!)

Wir brauchten Anhaltspunkte, aufgrund deren wir fragen konnten. Die Brutalität dieses Anschlags hätten auch Sie noch vor sechs oder sieben Wochen nicht für möglich gehalten. Deswegen hatten Sie keine Grundlage dafür gehabt.

(Beifall bei der SPD)

Verhindert hätten Sie mit Ihrem Generalverdacht nur eines. Man darf mutmaßen, dass Sie im Vorfeld der EXPO verhindert hätten, dass weiterhin eine Vorstellung von Niedersachsen als weltoffenes und fortschrittliches Bundesland besteht,

(Lachen bei der CDU)

in dem sich nicht an die deutsche Kultur angepasste Menschen, Gäste und Studenten aus aller Welt frei fühlen können. Meine Damen und Herren, das ist unsere Vision von Niedersachsen, und diese Vision wollen wir nicht aufgeben.

(Beifall bei der SPD)

Nicht nur für Niedersachsen, nicht nur für die Bundesrepublik, sondern nahezu für die ganze Welt sind die Erkenntnisse des 11. September neue Erkenntnisse. Kein Staat oder Bundesland hatte vor diesem Tag Veranlassung, seine Gesetze zur Gefahrenabwehr auf alles das auszurichten, was uns heute möglich erscheint. Erst die bitteren Erkenntnisse des 11. September haben nahezu auf der ganzen Welt zu einer veränderten Sicherheitspolitik geführt. Wer also heute eingesteht, dass die Sicherheitspolitik in der Bundesrepublik generell die fundamental-islamistischen Tendenzen nicht genug beachtet hat, der befindet sich in großer und guter Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, dieses Eingeständnis bedeutet nicht einen Gesichtsverlust. Es würde nach meiner Auffassung auch der CDU besser zu Gesicht stehen, sich hinter dieses Eingeständnis der Regierungsparteien in Bund und Ländern zu stellen, als darin parteipolitische Vorteile zu wittern. Ich erinnere Sie daran, dass es auch einige Bundesländer gibt, in denen christdemokratische Innenminister ihr Bild von der Bedrohungs- und Gefährdungslage haben verändern müssen.

(Beifall bei der SPD)

Was hätte im Übrigen derjenige gewonnen, der von sich heute behaupten könnte, der Erste gewesen zu sein, der die Freiheitsrechte seiner Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt hätte? Uns kann nicht an einem Wettbewerb gelegen sein, wer der schärfste Sheriff im Distrikt ist, meine Damen und Herren. Das überlassen wir gern der Rechtskoalition in Hamburg. Die sollen das einmal untereinander klären. Unser Weltbild ist das jedenfalls nicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich befürchte allerdings, dass das, was der so genannte Richter Gnadenlos da von sich gibt, indem er sich mit uns um angestaubte Trophäen streitet, einmal mehr den Glauben an die Politik und vor allem in die Seriosität von Politik gefährden wird und dass sich die Bürgerinnen und Bürger entsetzt von dem abwenden werden, was die Politik da produziert.

(Zustimmung bei der SPD - Wider- spruch bei der CDU)

Aber so ist das nun einmal - das ist an Ihre Seite dieses Hohen Hauses gerichtet, meine Damen und Herren von der CDU -, wenn sich Konservative mit Rechtspopulisten zusammentun

(Zurufe von der CDU)

und nur ungenügend von Liberalen gebremst werden, die sich mehr um Posten als um Positionen streiten. Das ist die Gefahr, in die ich dann hinein gerate.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einem Prozess, der uns zwingt, angemessene, zweckmäßige und erforderliche Maßnahmen zu treffen, um alle rechtschaffenen Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Ich sage in aller Deutlichkeit, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach wie vor das oberste Gebot ist. Ich bin dem Niedersächsischen Innenminister Heiner Bartling, ich bin Sigmar Gabriel dankbar, dass sie dies immer wieder in den Vordergrund ihrer Bemerkungen gestellt haben: Verhältnismäßigkeit ist der Grundsatz, dem wir uns verpflichtet sehen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch kurz darauf eingehen, Herr Kollege Wulff. Das ist im Übrigen auch der Grund, weshalb dieser Landtag heute Nachmittag Ihren Vorschlag zur Sicherungsverwahrung ablehnen wird. Was Sie dort formuliert haben, geht rechtsstaatlich nicht.

(Widerspruch bei der CDU)

Es bringt die Leiterinnen und Leiter der JVA in eine Rolle, die wir nicht haben wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU: Ist das Ihre einzige Sorge? Wollen Sie es denn von der Sache her? - Beifall bei der SPD - Weitere Zurufe von der CDU)

- Sie müssen nicht „Bundeskanzler“ schreien und einen Antrag stellen, der mit dem, was Schröder gesagt hat, nichts zu tun hat. Das bringen Sie nicht zusammen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zurufe von der CDU)

Sehen Sie, Herr Kollege Wulff, die Voraussetzungen, die ich eben genannt habe, nämlich eine Verhältnismäßigkeit, erfüllen ihre sicherheitspolitischen Vorschläge nach meiner Auffassung nur dort, wo Sie die Maßnahmen der Landesregierung in Ihren Katalog mit aufgenommen haben. Sonst

sind es Maßnahmen der Gefahrenabwehr, die Sie zwar schon lange fordern - ich bestreite das nicht -, die aber - auch das sollten Sie ehrlicherweise sagen - mit Terrorismusbekämpfung nichts bis gar nichts zu tun haben. Sie wollen die Gunst der Stunde nutzen, um Ihre Uraltforderungen wieder einzubringen. Aber das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Dass Sie sich selbst und Ihren Vorschlägen dabei nicht trauen, haben Sie bewiesen, als Sie Ihren umfangreichen Änderungskatalog zum Polizeirecht - man höre und staune - eine halbe Stunde vor Abschluss der Beratung des Innenausschusses eingebracht haben. So sicher war sich die CDU, dass sie in der fachlichen Debatte des Innenausschusses hinten herunterfallen würde, dass Sie es nicht gewagt haben, das rechtzeitig zu machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei und Zurufe von der CDU)

Herr Kollege, Ihnen war offenkundig wichtiger Ihre Presseaudienz, in der Sie Ihre Vorstellungen vorstellen konnten. Sie haben dann Gott sei Dank noch die gröbsten Schnitzer, die Sie vor der Presse verkündet hatten - ich denke nur an die Erfassung von Gendaten bei Straffälligen - schnell herausgenommen. Aber sonst war Ihnen der öffentliche Auftritt wichtiger als die Fachdebatte im Parlament.

(Zuruf von der CDU: Das ist doch lä- cherlich!)

Herr Kollege Wulff, wir unterhalten uns ständig darüber, welche Bedeutung auch in der Außenwahrnehmung, auch vor allen Dingen in der Wahrnehmung von Seriosität das Parlament hat. Das ist ein Verhalten, das ich nicht nur kritisiere, sondern weshalb ich Ihnen vorwerfe, dass Sie zwar mehr an Demokratie, mehr an Kompetenz für das Parlament fordern, in Wirklichkeit aber nur mehr Selbstdarstellung für sich meinen. Das ist an einer solchen Stelle nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD)

Was ist denn geblieben von Ihren Forderungen, Herr Kollege? Was ist denn von dem geblieben, was Sie dort vorgestellt haben? - Der Ruf nach einer Bürgerwehr oder die gesetzliche Festschreibung des Ordnungsbegriffs, die Erlaubnis zum

finalen Rettungsschuss und die permanente Videoüberwachung vermeintlich gefährlicher Plätze. So kleinteilig kann Sicherheitspolitik Marke CDU sein. Was das mit Terrorismusbekämpfung zu tun hat, hat bisher kein Mensch hier belegen können.

(Beifall bei der SPD)

Hilfspolizei und ein erhobener Zeigefinger, das soll in den Augen der CDU ganz offensichtlich die Strategie gegen Osama bin Laden und Al Qaida und ähnliche Organisationen sein.