Protocol of the Session on October 24, 2001

nicht nur sich selbst korrigiert zu haben - diese Möglichkeit sei jedermann gewährt -, sondern auf diesen Feldern Vorreiter zu sein - er habe das eigentlich immer schon gesagt, und andere müssten jetzt auf seinen Wagen aufspringen -, der zeigt eine Kaltschnäuzigkeit, die mir in diesem Hause jedenfalls Angst macht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Die Wirklichkeit hat so mancher in diesem Hause offenbar aus dem Auge verloren. Wie anders ist es zu verstehen, dass jetzt der Verfassungsschutz gestärkt werden soll, dass jetzt die Videoüberwachung beschlossen werden soll, dass jetzt die Abschiebung und Ausweisung von Ausländern erleichtert werden soll, dass jetzt die Abschöpfung von Verbrechensgewinnen verbessert werden soll und dass jetzt die Kronzeugenregelung in Form einer Aufklärungshilfe eingeführt werden soll? Wie anders ist es zu verstehen, als dass Sie uns über Jahre diffamiert haben, völlig zu Unrecht und mit den falschen Argumentationslinien? - Das muss hier festgestellt werden.

(Beifall bei der CDU)

Wenn es denn ein bisschen Demut gäbe, könnte man sich ja sehr viel schneller der Sache selbst zuwenden. Aber jetzt den Eindruck erwecken zu wollen, man könnte die Vergangenheit völlig ausblenden, und jetzt einfach auf das Kurzzeitgedächtnis der Bevölkerung zu setzen, das ist etwas, was wir Ihnen nicht durchgehen lassen werden. Das sage ich hier in aller Klarheit.

(Beifall bei der CDU)

Was zu viel ist, ist zu viel. Wir wollen eine neue Ernsthaftigkeit und eine neue Seriosität in der Debatte.

Tatsächlich meinen immer noch viele Menschen in unserem Land, nach dem Ende des Kalten Krieges seien Freiheit, Menschenrechte und Demokratie endgültig durchgesetzt. Der 11. September hat gezeigt, dass diese Gewissheit ein großer Fehler war. Unsere Werte sind nicht selbstverständlich und werden bedroht. Es ist klar geworden, dass jederzeit um Freiheit und Demokratie gerungen und gekämpft werden muss.

Die überwältigende Anzahl der bei uns lebenden Ausländer, die überwältigende Anzahl der Muslime in Deutschland und die große Mehrzahl der

islamischen Staaten haben sich klar von jeder Form des Terrors distanziert. Wir dürfen den Terror nicht mit Religionsgemeinschaften in Verbindung bringen, es darf jetzt nicht etwa der Eindruck entstehen, Religionen und deren Auseinandersetzungen seien für diese Probleme bei der inneren und äußeren Sicherheit verantwortlich.

Der Akzent muss vielmehr umgekehrt gesetzt werden. Der Artikel 1 unseres Grundgesetzes - „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ - ist gerade Ausfluss des christlichen Menschenbildes, der christlich-abendländischen Tradition. Aus meiner Sicht müssen wir uns für ein friedliches Zusammenleben wieder mehr auf unsere religiösen, auf unsere christlichen Wurzeln besinnen. Deswegen müssen wir denen entgegentreten, die sich jetzt kritisch gegenüber Religionsgemeinschaften als solche positionieren.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe bereits am 19. September darauf hingewiesen, dass die Werte der freiheitlichen Staaten, der gesamten zivilisierten Gesellschaften bedroht und mit einem Maß an bisher völlig unbekannter Brutalität und Menschenverachtung gefährdet sind. Es ist ein Terrornetz in der Welt, von dem wir allzu wenig wissen und das jederzeit, überall zuschlagen, jeden treffen kann. Das bedroht und beunruhigt uns alle. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass das hier in diesem Plenum Konsens ist, dass wir alle das gleichermaßen wahrnehmen und jetzt fragen: Wie können wir auf diese Bedrohungssituation gemeinsame Antworten finden und zentrale Werte wie Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entschlossen sichern?

Wir sind immer für die Wehrhaftigkeit der Demokratie eingetreten. Unser Anliegen war es immer, die innere und äußere Sicherheit in den Vordergrund zu stellen, als staatliche Pflichtaufgabe zu verstehen. Wir haben immer vorgetragen, dass die innere Sicherheit in Niedersachsen vernachlässigt, zum Teil sträflich vernachlässigt worden ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe doch gar nichts gegen Brüche in Biografien. Wir alle müssen doch froh sein und sagen: Wenn jemand aufgrund neuer Gegebenheiten, neuer Erkenntnisse oder einer anderen Gewichtung von Argumenten klüger wird, kann man sich darüber doch nur freuen. Wogegen wir uns zu Recht wenden, ist, hier elf Jahre als Kontinuum, als

fortgeführte Politik aus einem Guss darzustellen, wo diese Brüche doch deutlich werden. Wir sollten gegenseitig verstehen, was hier in der Vergangenheit möglicherweise an falschen Akzentsetzungen stattgefunden hat.

Die CDU-Fraktion hat sich immer für die Polizei in unserem Land, für eine angemessene personelle und materielle Ausstattung eingesetzt. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass Investitionen in Polizei, in Sicherheit eine Investition in Freiheit ist. Wir haben bei der personellen und finanziellen Ausstattung natürlich das Versprechen im Ohr gehabt, dass 1 000 Polizisten zusätzlich auf die Straßen gebracht werden sollten. Die Umsetzung steht bis heute völlig aus.

In Anbetracht dieser personellen Situation unserer Polizei im Land hat die Gewerkschaft der Polizei im Juli 2001 festgestellt, dass die Polizei in Niedersachsen offensichtlich vor dem Offenbarungseid stehe, und in ihrer Mitgliederzeitschrift Folgendes wörtlich erklärt:

„Die Polizei Niedersachsens ist an der Grenze ihrer personellen Möglichkeiten angekommen. Die innere Sicherheit ist damit endgültig zur finanziellen Manövriermasse der Politik geworden.“

Im September dieses Jahres hat die GdP in ihrer Bilanz zur inneren Sicherheit gesagt:

„In keinem anderen Land ist das Verhältnis Bürger - Polizei niedriger als in Niedersachsen (ein Polizist auf 451 Einwohner lt. Statistik vom 31.12.2000). In keinem anderen Bundesland wird pro Kopf der Bevölkerung weniger für die innere Sicherheit ausgegeben als in Niedersachsen (154,27 DM pro Einwohner). Trotz dieser, auch den Politikern bekannten Zahlen wird in Niedersachsen bei der Polizei weiter eingespart. 584 Planstellen sind seit 1995 eingespart worden, über 400 Stellen sind nicht besetzt, Polizeianwärter werden nicht in der geplanten Zahl eingestellt.“

Das ist die Gewerkschaft der Polizei. Darauf haben Sie vor dem 11. September, vor der Kommunalwahl am 9. September, ein Stück weit reagiert, aber eben nur ein Stück weit, um die jahrelangen Fehler und Versäumnisse zu korrigieren, und zwar

beispielsweise bei den Anwärterstellen, wo Sie unsere Anträge immer wieder - noch in den letzten Wochen - abgelehnt haben, mehr Kapazitäten für mehr Polizeibeamte zu schaffen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist doch bei aller staatstragenden Aussprache über eine Regierungserklärung zulässig, zu sagen, dass man innere Sicherheit nicht in erster Linie durch große Worte stärkt, sondern durch eine starke, gut ausgerüstete Polizei und Tun und nicht etwa durch großes und langes Reden.

Der Kriminalitätsrückgang, der hier vorgetragen wurde, ist sehr differenziert zu betrachten. Das Landesamt für Statistik hat in den vergangenen Tagen die Zahlen über den rasanten Anstieg der Kriminalität im Bereich von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden veröffentlicht. Wir haben über Jahre einen gewaltigen Anstieg bei den schweren Delikten, nämlich Raub, schwerer Raub, schwere Körperverletzung, schwere Einbruchsdelikte, gehabt, bei den Aufklärungsquoten haben wir national die geringsten, also genau dort, wo eine intensive Ermittlungstätigkeit erforderlich ist. Außer beim Tatbestand Mord haben wir bei allen schwereren Delikten geringe Aufklärungsquoten. Ich bin dafür, hier nichts schönzureden, sondern sich sachlich differenziert über die wahre Lage der inneren Sicherheit auszutauschen.

(Beifall bei der CDU)

Wir als CDU-Fraktion haben - häufig verpönt, häufig beschimpft - immer für den Verfassungsschutz gestanden. Wir haben immer gesagt, es ist eine höchst ehrenwerte Angelegenheit, die Verfassung zu schützen - gegen Links- und Rechtsextremismus, gegen Ausländerextremismus, gegen alle Feinde der Demokratie. Sie haben Herrn Trittin noch am 23. Januar 2001 sagen lassen, es sei ein großer Erfolg von Rot-Grün in Niedersachsen gewesen, den Verfassungsschutz halbiert und an die Kette gelegt zu haben.

(Frau Vockert [CDU]: Ja!)

Das ist halt das, was Ihre Regierung nach 1990 gemacht hat. Bei aller Korrekturnotwendigkeit haben wir heute einen halbierten Verfassungsschutz. Jetzt müssen wir mühselig anfangen, verloren gegangene Ressourcen wieder zu errichten.

(Beifall bei der CDU)

Wir als CDU-Landtagsfraktion haben 1995 und 1997 umfangreiche Vorschläge zur Novellierung des Gefahrenabwehrgesetzes eingebracht, wobei es uns lieber wäre, es hieße immer noch „Gesetz für Sicherheit und Ordnung“ - als klares Bekenntnis und nicht verniedlichend „Gefahrenabwehrgesetz“. Wir wollten die polizeilichen Befugnisse erweitern, die Möglichkeiten zur Verbrechensbekämpfung verbessern, um nicht von anderen Bundesländern abzuweichen.

Sicherheit braucht Kontinuität, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Dafür steht gerade die CDU Niedersachsen. Bei uns war und ist Law and Order, Recht und Gesetz, niemals ein Schimpfwort, sondern immer eine Auszeichnung gewesen. Wir stehen hierfür.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben über Jahre die Einführung und dann die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung gefordert. Wir waren uns darüber mit Herrn Minister Pfeiffer, als er noch nicht Minister war, einig. Insofern gibt es immer dort, wo viel Schatten ist, auch Licht. An diesem Punkt weiß ich eben, dass Sie, Herr Pfeiffer, als einsamer Rufer in der deutschen Sozialdemokratie immer der Meinung waren: Mit dem Instrument der Kronzeugenregelung kann man Erfolge erzielen. Das haben Sie 1995, 1996, 1997 veröffentlicht. An diesem Punkt möchte ich Sie ausnehmen. Aber hier in diesem Hause hat es keinen Sozialdemokraten gegeben, der in Phasen dieser Diskussion an unserer Seite gestanden hätte, um die Kriminalität zu bekämpfen.

(Beifall bei der CDU)

Es liegt schon längst ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor. Sie brauchen jetzt gar nicht wieder zu sagen, Sie brächten die Leute auf den Pfad der Tugend. Sie können einfach Gutes tun und brauchen nicht so viel darüber zu reden. Dann fällt es auch nicht so auf, dass Sie - bis auf Herrn Pfeiffer - Ihre Position ändern müssen.

(Beifall bei der CDU)

Wir fordern seit vielen Jahren die Regelung der Rasterfahndung im Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz. Die Behauptung des Ministerpräsidenten, dass wir diese Einführung wegen der Punker und der Chaos-Tage gefordert hätten, ist schlichtweg falsch. Wir waren immer der Mei

nung, dass dieses Instrument in die Polizeigesetze gehört. Es ist dort in fast allen Ländern auch seit Jahren geregelt. Es muss elementares Instrument zur Verbrechensbekämpfung sein. Deshalb gehört es dort hinein.

Meine Damen und Herren, wir sind nun die Nachzügler. Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind schlicht Nachsitzer und Nachzügler. Ich habe es nie besonders positiv gefunden, wenn einer nachsitzen muss und das sozusagen als fortschrittlichstes Tun ausgeben und die anderen quasi auf den Pfad der Tugend lenken will.

(Beifall bei der CDU)

Herr Bartling, da sagt man sich einfach: Ein bisschen mehr Demut, ein bisschen weniger darüber reden, einfach nachholen, hoffen, dass kein großer Schaden dadurch entstanden ist, dass Sie das Instrument nicht hatten, dadurch, dass Sie die Rasterfahndung noch nicht einsetzen konnten, als andere sie schon hatten, weil Sie sie erst ab heute einsetzen können, weil wir das erst heute beschließen. Ein bisschen mehr Demut auf diesem Feld wäre besser als der Versuch, die Bevölkerung täuschen zu wollen.

1996 hat Herr Gabriel hier an dieser Stelle gesagt, dass die Rasterfahndung nicht in das Gefahrenabwehrrecht hineingehört. Herr Weber hat uns damals vorgeworfen, wir wollten die innere Sicherheit ganz nach rechts außen drängen. Er hat uns in die Nähe der Rechtsextremisten gerückt. Unsere Anträge wurden als Klamauk und Showveranstaltungen bezeichnet. Ich hoffe, dass das wenigstens bewirkt, dass wir in Zukunft anders miteinander umgehen, anders aufeinander hören,

(Zuruf von Frau Wörmer-Zimmer- mann [SPD])

als die einen zu verteufeln, um dann Jahre später mit deren Vorschlägen positiv kommentiert werden zu wollen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Gabriel, ich erkenne an, dass Sie auf dem Weg ein ganzes Stück zurückgelegt haben und an einem bestimmten Punkt, wenn sicherlich auch noch nicht am Ende, angelangt sind. Seien Sie doch so offen, zu sagen, Sie seien auf dem Weg. Ich komme gleich beim Thema Bundeswehr und anderen Themen dazu, dass jetzt schon wieder gesagt wird: So und nicht so. Sie definieren quasi,

was zu bestimmten Zeiten gerade richtig ist. Das gilt dann, das machen Sie dann. Weil Sie definieren, was gerade richtig ist, liegen Sie natürlich auch immer richtig, weil Sie das ja definitorisch festlegen, was gerade richtig ist. Das kann die Situation aber nicht wirklich richtig beschreiben.

(Beifall bei der CDU)