Meine Damen und Herren, die Hintermänner der Anschläge in New York und Washington aufzufinden und zu bestrafen ist sicherlich unser vorrangigstes politisches Ziel. Wer den Terrorismus bekämpfen will, darf nicht nur polizeiliche und militärische Aktionen planen und durchführen. Wenn es uns nicht gelingt, die Ursachen des Terrorismus zu ergründen und darauf zu reagieren, werden sich die militärischen Aktionen häufen, ohne dass die Bedrohungen der westlichen Welt reduziert werden.
Man muss gewiss kein Feind der Globalisierung sein, um zu sehen, dass sie bislang manchen mehr und anderen weniger nützt, ja viele sich aus guten Gründen sogar gefährdet fühlen, überall in der Welt. Das ist in unserer Gesellschaft leider noch so, das ist aber in der Weltgesellschaft noch viel stärker der Fall.
Auch das jahrzehntelange Scheitern des Friedensprozesses im Nahen Osten schafft Bedingungen für die Entwicklung terroristischer Organisationen. Wer einmal die Flüchtlingslager im Gaza-Streifen gesehen hat und die Lebens- und Alltagsbedingungen, unter denen dort Kinder und Jugendliche groß werden, kennt, der weiß, dass dort Fanatismus und Hass wirklich gut gedeihen können.
Gewiss, Armut ist nicht die einzige Ursache des Terrorismus, zumal die Attentäter von New York und ihre Helfershelfer alles andere als arm waren. Aber Armut schafft einen Resonanzboden, den Terroristen gut nutzen können. Ungerechtigkeiten in der Welt können Verbrechen niemals rechtfertigen,
Auf der Trauerkundgebung in Hannover hat zu Recht der katholische Bischof Homeyer aus Hildesheim gefordert: Die Vision der Globalisierung sollte nicht Reichtum für Einzelne, sondern Gerechtigkeit für alle sein. Dem stimme ich vorbehaltlos zu.
Und zur Gerechtigkeit zähle ich auch Nahrung und Sicherheit. Für die Ursachen des Fundamentalismus trägt die westliche Welt mit ihren Anteil. Wir haben alle Verantwortung zu übernehmen, und dabei beziehe ich die Wirtschaft, die Hauptakteur der Globalisierung ist, ausdrücklich mit ein. Im Übrigen sollten wir gegen Hunger, Armut und Not nicht nur helfen, weil wir die Gefahren des Terrorismus sehen, sondern weil wir aus Gründen der Menschlichkeit dazu verpflichtet sind.
Eingestehen müssen wir uns aber auch, dass wir uns in der Vergangenheit nur unzureichend mit dem Islam, dem Orient oder dem Nahen Osten auseinander gesetzt haben. Wir wissen herzlich wenig voneinander. Wir wissen aber von unseren Vorurteilen, die sich trotz oder vielleicht sogar wegen des Unwissens voneinander gebildet haben.
Fundamentalismus ist immer Ausdruck gesellschaftlicher Krisen. Wandel und Umbruch bedrohen die Menschen. Weite Teile des Orients haben Probleme, die Herausforderungen der Moderne zu bewältigen. Sie wehren sich gegen einen für sie scheinbar alltäglich spürbaren Kulturimperialismus des Westens, der ihren Alltag umgestaltet. Die Menschen leben dort in Werte- und Normensystemen, die ihnen über lange Jahrhunderte mehr oder weniger Orientierung gegeben haben.
Für viele Moslems hat der Westen keinerlei Vorbildfunktion. Er steht für einen einher gehenden Verfall von Moralwerten und Familienstrukturen, den Drogen- und Alkoholkonsum und die scheinbar allgegenwärtige Promiskuität beider Geschlechter. Dies zusammen wird als Gefährdung der islamischen Identität verstanden. Die Menschen fühlen sich nun von den Ansprüchen und dem Tempo der westlichen Welt erniedrigt und verdrängt. Hinzu kommen Hunger und Armut, die durch die Globalisierung kurzfristig keine Änderung erfahren werden.
Zu erkennen, dass alle Staaten in einer Weltengemeinschaft leben, die alle voneinander abhängig macht, heißt für die Zukunft, noch stärker Verantwortung zu übernehmen und bei der Lösung der
zentralen Probleme dieser Welt mitzuwirken. Ich zähle dazu im Kampf gegen Armut und Hunger und Durst und gegen Verzweiflung in diesen Teilen der Welt natürlich auch das Problem der ansteigenden Weltbevölkerung.
Meine Damen und Herren, circa 150.000 Menschen mit muslimischem Glauben leben bei uns in Niedersachsen. Die in Deutschland lebenden Muslime - ich grenze die islamistischen Extremisten ausdrücklich aus - haben den gleichen Anspruch auf Fürsorge und Schutz in diesem Lande wie wir.
Niemand darf wegen seiner Hautfarbe, seiner Nationalität, seiner Sprache oder seiner Religion diskriminiert werden. Daher sollten wir die Kraft, die Vernunft und auch die Weisheit aufbringen, dass diese Menschen weder durch Worte noch durch Handlungen in die Nähe der Terroristen gerückt werden. Der Islam mit seiner jahrhundertealten Tradition ist nicht gleichzusetzen mit dem Fundamentalismus und dem Terror. In den letzten Wochen haben sich die meisten islamischen Organisationen von den Terroranschlägen distanziert. Das ist von der Öffentlichkeit aufmerksam beobachtet und zur Kenntnis genommen worden.
Aber, meine Damen und Herren, weil wir erkennen müssen, dass sich in Städten und Gemeinden in Deutschland auch so etwas wie Parallelgesellschaften und ausgegrenzte Gesellschaften gebildet haben, möchte ich noch eines anmerken: Es darf bei den Führern der islamischen Gemeinden nicht bei den verbalen Distanzierungen bleiben. Es geht uns nicht nur um das terroristische Netzwerk, nicht nur um schon äußerlich sichtbare Entfremdungen wie in den Veranstaltungen des so genannten „Kalifatsstaats“. Ich erwarte, dass auch die Vertreter des Islam in Deutschland aktiv und offensiv für unsere Grundwerte in der Verfassung eintreten. Dies sollte in ihren Organisationen und auch gegenüber anderen muslimischen Menschen offensiv erfolgen. Nicht allein von außen, sondern auch und vor allem aus der Gruppe der Vertreter des Islams muss es eine Auseinandersetzung und Kritik an den Einrichtungen, Zeitungen, Rednern oder Leitern von Koranschulen geben, die öffentlich jedenfalls nichts tun, um die Verfassung zu akzeptieren, die hinter geschlossenen Türen jedoch Distanz, Verachtung und Aggressivität gegen unsere Gesellschaft und ihre Verfassungswerte predigen.
Niemand, der in Deutschland lebt, lebt in einer beliebigen Republik. Wir alle - Deutsche wie Ausländer, Männer und Frauen, Christen, Juden, Moslems, andere Religionsangehörige und Konfessionslose - haben uns für ein ganz konkretes Land mit einer ganz konkreten Verfassung entschieden, nämlich für Deutschland mit einer konkreten Verfassung und Grundrechten und gesellschaftlichen Pflichten. Diese Verfassung ist die einzige Leitkultur, die wir wirklich brauchen.
Sie beschreibt schon in den ersten 20 Artikeln alles, was uns zusammenhält: Grundrechte wie die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit - dies alles ist nicht verhandelbar. Von jedermann erwarten wir mehr als die gleichgültige Akzeptanz unserer Verfassung. Wir erwarten ein aktives Eintreten, wo immer es erforderlich ist. Zivilcourage ist auch bei uns Deutschen mehr als die innerliche Ablehnung von Rechtsradikalismus.
Wir müssen die Integration und die Perspektiven der in Deutschland lebenden Menschen aus anderen ethnischen Gruppen und Kulturen fördern, aber wir müssen auch die Bereitschaft zur Integration fordern. Jeder soll seine individuellen kulturellen Prägungen in Deutschland behalten und pflegen. Aber Parallelgesellschaften kann und darf es nicht geben.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinn brauchen wir keinen „Kampf der Kulturen“, sondern einen kulturellen Dialog. Deutsche und Menschen aus anderen Ländern, Kulturen und mit anderen Religionszugehörigkeiten sind dabei gleichermaßen gefordert. Wir Deutsche müssen mehr dafür tun, dass es mehr türkische Mütter und Väter in den Elternbeiräten von Schulen und Kindergärten gibt und dass der Zugang z. B. zum öffentlichen Dienst leichter wird. Die ausländischen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes müssen sich mit Zivilcourage für unsere Rechts- und Werteordnung einsetzen, auch in der eigenen Familie, im Verein und gegenüber den Nachbarn.
Ich möchte zu einem solchen Dialog der Kulturen in Niedersachsen aufrufen. Die gesellschaftlichen Gruppen dieses Landes und die Menschen bitte ich, an dem Dialog teilzunehmen und ihn aktiv mitzugestalten. Von einem Dialog der Kulturen erwarte ich, dass Vorurteile abgebaut und Erfahrungen ausgetauscht werden und dass wir voneinander lernen. Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten dazu einladen: Kirchen, Religionsgemeinschaften und unsere gesellschaftlichen Gruppen.
Meine Damen und Herren, unsere Erfahrungen mit dem landesweiten Engagement gegen Rechtsradikalismus in Niedersachsen haben doch gezeigt, wie viele Menschen sich daran beteiligen wollen und wie erfolgreich wir sein können.
Ich bin zuversichtlich, dass es uns gemeinsam mit vielen anderen gelingen wird, besser miteinander zu leben. Die mehr als 120 Präventionsgremien sind am besten geeignet, an diesem Dialog der Kulturen mitzuwirken. Sie nehmen die Probleme vor Ort direkt wahr, kennen mögliche Spannungsfelder und können ortskundig und lokalbezogen Gespräche führen. Ich werde jedenfalls den Landespräventionsrat bitten, den Dialog zu unterstützen. Die Landesregierung wird diesen Prozess begleiten.
Meine Damen und Herren, es liegt an uns, die Menschen in unserer Gesellschaft zu immunisieren gegen Fundamentalismus und Hass. Die Mittel dazu sind sehr bekannt und unbegrenzt verfügbar. Sie sind nicht in Geld auszudrücken, sondern es geht um Gerechtigkeit, um Toleranz und um gegenseitige Achtung.
Die aufgeklärten Gesellschaften dieser Welt erhalten ihre Anziehungskraft nicht allein durch ihre wirtschaftliche Stärke. Unsere Attraktivität besteht am Ende vor allem aus dem Angebot zu einem friedlichen, menschlichen und solidarischen Leben der Menschen in allen Teilen der Welt. So jedenfalls sehe ich Deutschland und Niedersachsen: ein Land, das sich die Liberalität bewahrt und zugleich seine Wehrhaftigkeit stärkt.
(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD - Zustimmung von Wulff (Osnabrück) [CDU] und von Frau Pawelski [CDU])
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Besprechung. Der Herr Ministerpräsident hat 60 Minuten lang gesprochen. Die gleiche Redezeit steht den Fraktionen der SPD und der CDU zur Verfügung, die Hälfte davon der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die menschenverachtenden Terroranschläge vom 11. September stellen nicht nur eine menschliche Tragödie dar, sondern markieren auch eine bemerkenswerte Wende der Politik der amtierenden Landes- und der derzeitigen Bundesregierung im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit.
Insofern gibt es im Moment sicherlich ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen dem, was hier vorgetragen worden ist, und dem, was wir seit vielen Jahren in diesem Hause verfechten.
Ich finde das hochgradig erfreulich. Denn was will man mehr, als dass das Land und die Menschen des Landes - ihre innere und äußere Sicherheit - im Mittelpunkt stehen und als dass jetzt die Dinge verfochten und vertreten werden, für die wir jahrelang kämpfen mussten und für die wir auch gescholten wurden.
Ich kann hier nahtlos anknüpfen an meine Ausführungen vom 19. September, wenige Tage nach dem Terroranschlag, als ich auf die Auswirkungen aufmerksam gemacht habe, als ich auf Versäumnisse hingewiesen habe und als ich die Gelegenheit genutzt habe, vor dem Hintergrund der Terroranschläge gesetzliche Veränderungen zu verlangen. Damals, noch vor wenigen Wochen, gab es hier im Hause noch ein Rumoren, als ich diese Punkte angesprochen habe - beispielsweise den § 129 b Strafgesetzbuch -, aber inzwischen ist dies Konsens in unserem Land. Ich finde das außerordentlich begrüßenswert.
Die CDU-Landtagsfraktion wird jedoch genauestens beobachten, ob diese neuen Ansätze, die wir heute gehört haben, von innerer Überzeugung getragen sind und konsequent umgesetzt werden. Das ist für uns der entscheidende Punkt: ob hier jetzt also sozusagen Tagespolitik stattfindet oder eine wirkliche Kurskorrektur.
Zweifel daran sind nämlich durchaus angebracht: Am 6. September hat meine Fraktion eine Pressekonferenz hier in Hannover gemacht. Dort haben wir ähnliche Forderungen zur inneren Sicherheit erhoben: Weil Niedersachsen zur Drehscheibe des Menschenhandels und der Drogenkriminalität geworden sei, bräuchten wir den Einsatz auch des Verfassungsschutzes zur Bekämpfung internationaler Kriminalität, Videoüberwachung, Erleichterung von Ausweisung und Abschiebung straffällig gewordener Ausländer, Abschöpfung von Verbrechensgewinnen und Wiedereinführung der Kronzeugenregelung.
Das ist zwar erst wenige Wochen her. Aber noch am selben Tag hat mir Herr Plaue für die sozialdemokratische Landtagsfraktion in Niedersachsen unter der Überschrift „Wulff hat keine Ahnung vom niedersächsischen Polizeirecht“ - Stichworte: erstaunliche Ahnungslosigkeit und Unkenntnis der Verhältnisse in Niedersachsen; die Forderungen gingen ins Leere, weil die Videoüberwachung bereits geregelt und die Polizeidienststellen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität personell und technisch sehr gut ausgestattet seien; mit der Forderung, die Abschöpfung von Verbrechensgewinnen in Niedersachsen zu intensivieren, trüge ich Eulen nach Athen - generell die Aufgreifung unserer Vorschläge verweigert und diese als Unsinn, überflüssiges und dummes Zeug bezeichnet.
Meine Damen und Herren, wer wenige Tage nach solchen Äußerungen - gegen die Kronzeugenregelung, gegen den Einsatz des Verfassungsschutzes, gegen eine Verbesserung der Situation der Polizeidienststellen, gegen eine verbesserte Abschöpfung von Verbrechensgewinnen - den Anschein zu erwecken versucht,
nicht nur sich selbst korrigiert zu haben - diese Möglichkeit sei jedermann gewährt -, sondern auf diesen Feldern Vorreiter zu sein - er habe das eigentlich immer schon gesagt, und andere müssten jetzt auf seinen Wagen aufspringen -, der zeigt eine Kaltschnäuzigkeit, die mir in diesem Hause jedenfalls Angst macht, meine sehr verehrten Damen und Herren.