Ihr Kollege Wulff hat heute Morgen aktiv dazu beigetragen, Ängste in der Bevölkerung zu wecken, Tatsachen zu verdrehen
und der Öffentlichkeit ein Quasi-Sicherheitsgefühl vorzugaukeln, und zwar - das ist das Problem - mit untauglichen Mitteln. Bei diesen untauglichen Mitteln, die Ihr Kollege Schünemann mit einem Sommerlochtheater in Gang gesetzt hat, handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Kuriosität. Insbesondere bei diesem ernsten Thema können wir keinen Politklamauk mitmachen. Ich kann Ihnen das auch beweisen.
Ihr Kollege Wulff hat heute Morgen gesagt, dass die Möglichkeit geschaffen werden muss, dass auffällige Täter, die nicht therapierbar sind, ein Leben lang weggeschlossen werden.
Wir wollen saubere anstatt sinnlose Wege. In diesem Sinne werde ich diesen Gesetzentwurf, den leider Ihr Kollege Wulff nicht verstanden hat, noch einmal unter die Lupe nehmen. Ich werde ihn erläutern.
Nach diesem Gesetzentwurf soll nach Ihren Vorstellungen ein Justizvollzugsleiter zu einem so genannten Ersatzstaatsanwalt umfunktioniert werden, und zwar soll er, wenn sich Häftlinge nicht systemkonform verhalten, einen Antrag stellen.
Das ist richtig. Nicht systemkonform ist aber nach Ihren Vorstellungen nicht die Nichttherapierbarkeit, sondern z. B. die Verweigerung einer Sozial
therapie oder eine Racheandrohung nach draußen. Das heißt, Sie legen als Grundlage das Vollzugsverhalten fest.
Dies widerspricht jedoch der Praxis. Denn in Niedersachsen - ich bitte die Opposition, Fälle zu benennen - steht nach gründlicher Überprüfung fest: Einen solchen Fall gibt es überhaupt nicht. Sie gaukeln einen Bedarf vor, den Sie schlichtweg nicht belegen können.
Sie wollen sozusagen ein Gesetz auf Verdacht in Gang setzen. Sexualstraftäter - das wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition - verhalten sich nämlich im Knastalltag systemkonform, sodass ein solches Gesetz überhaupt nichts ausrichten würde. Wie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wollen Sie denn Sexualstraftaten verhindern, etwa mit einem Fata-Morgana-Gesetz? - Das kann doch nicht der Königsweg sein, um Gewalttaten zu verhindern.
Sie werden auch nicht glaubwürdiger, wenn Sie in der Presse Fälle aufzeigen - das habe ich beim letzten Mal schon gesagt -, die Sie als Musterfälle bezeichnen, und zwar für Folgendes: Wenn dieses Gesetz schon bestanden hätte, dann wäre eine weitere Vergewaltigung verhindert worden. Gerade der Fall Radtke, den Sie in der Nordwest-Zeitung - in anderen Zeitungen auch - angeführt haben, zeigt eindeutig, dass es ein Musterhäftling war, bei dem Ihr Gesetz überhaupt nicht zum Zuge gekommen wäre.
Herr Kollege Stratmann, Sie hatten im Ausschuss die Möglichkeit, den zahlreichen Fachleuten zuzuhören, die die Verfassungswidrigkeit dieses Vorschlages dargelegt haben. Zweifelhaft ist nämlich insbesondere, ob dem Land Niedersachsen in diesem Bereich überhaupt eine Gesetzgebungskompetenz zusteht. Das Strafrecht ist nach Artikel 74 des Grundgesetzes nun einmal Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Das Land - das ist nun einmal so - hat die Befugnis der Gesetzgebung in diesem Bereich nur, solange und soweit der Bund von seiner Zuständigkeit keinen Gebrauch macht. Die Sicherungsverwahrung ist
geregelt. Diese Tatsache kann auch nicht durch ein Landesgesetz unterlaufen werden, das sich als Polizeigesetz tarnt.
Zutreffend ist auch, dass das Land Baden-Württemberg, dessen Gesetzentwurf Sie Wort für Wort abgeschrieben haben, seinen Gesetzentwurf in der heißen Wahlkampfphase im Februar in Gang gesetzt hat. Aber interessiert es Sie vielleicht auch, was das Land Baden-Württemberg vor dem Wahlkampf zur Verfassungswidrigkeit gesagt hat? - Ich lese es Ihnen gerne vor:
„Es ist davon auszugehen, dass der Bund mit seiner Regelung zur Sicherungsverwahrung abschließend die Voraussetzung für eine Sicherungsverwahrung nach der abgesessenen Freiheitsstrafe normiert hat.“
Das ist unstrittig. Diese Tatsache nun durch ein Landesgesetz zu unterlaufen bringt nichts. Was schon gar nichts bringt, ist, ein Gesetz in Gang zu bringen, von dem wir von vornherein wissen, dass es verfassungswidrig ist. Damit schaden wir der Sache und nutzen ihr auf keinen Fall.
Weit ab von jeder juristischen Diskussion müsste Ihnen doch auch ein Stück Gerechtigkeit ins Auge fallen, die in Ihrer eigenen Begründung steht. Dort heißt es nämlich:
„Strafgefangene, die aus anderen Justizvollzugsanstalten nach Niedersachsen entlassen werden, können mit dem Landesgesetz nicht erfasst werden.“
Meine Damen und Herren, Sexualstraftäter müssen einheitlich hart und nicht unterschiedlich in einem Zweiklassensystem behandelt werden. Das wäre hier ein Zweiländersystem. Von daher ist hieraus schon ersichtlich, dass der Bund die Ebene ist, die eine Entscheidung zu treffen hat. Der Justizminister wird hierzu sicherlich auch noch Ausführungen machen.
Da - im Klartext - untaugliche Mittel vorliegen, keine einzige Sexualstraftat verhindert werden kann und dieses Gesetz auch noch verfassungswidrig ist, schlage ich Ihnen frei nach Montesquieu vor: Wenn es nicht erforderlich ist, ein Gesetz zu machen, ist es erforderlich, kein Gesetz zu machen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stratmann, ich hätte viel Sympathie für Ihren Vorschlag, wenn er wirklich geeignet wäre, schwere und schwerste Gewalttaten zu verhindern. Aber genau diesen Nachweis der Regelungsnotwendigkeit haben Sie in den Ausschussberatungen gerade nicht erbracht. Das, was der Kollege Schünemann im Sommer am Beispiel des Falles Radtke geschildert hat, dass es sich nämlich um einen in der Haft extrem auffälligen Täter gehandelt habe, hat sich als Ente erwiesen. Dieser Gefangene war in jeder Hinsicht ein Mustergefangener. Er wäre auch nach den Vorgaben Ihres Gesetzentwurfes zur Endstrafe in Freiheit entlassen und nicht in Sicherungsverwahrung genommen worden.
Es hat kein einziges niedersächsisches Beispiel gegeben. Auch in Baden-Württemberg gibt es seit In-Kraft-Treten des dortigen Gesetzes keine vergleichbaren Beispiele. Gleichwohl erwecken Sie den Eindruck, als sei die Sicherungsverwahrung eine Art Allheilmittel zur Verhinderung schwerer Verbrechen. Ich, meine Damen und Herren, glaube, dass Sie mit dieser Scheinlösung, mit dieser von Ihnen konstruierten Sicherheitslücke Ängste in der Bevölkerung schüren und nur von den eigentlichen Problemen ablenken, mit denen wir uns auseinander zu setzen haben.
Die rückfällig gewordenen Täter, um die es hier geht, waren im Vollzug extrem unauffällig und angepasst. Die Frage lautet: Wie gehen wir eigentlich mit Sexualstraftaten um? - Diese Frage lässt sich eben nicht mit der Forderung nach lebenslangem Wegschließen beantworten. Wer nur wegsperren will, wie Sie es offenbar fordern, der muss damit rechnen, dass er in dieser Auseinandersetzung künftig nicht ernst genommen wird.
Wir wissen: Sexuelle Gewalt hat es immer gegeben - früher mehr als heute. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit und auch keine hundertprozentige Vorbeugung. Wir wissen auch: Auch die Politik hat in den letzten Jahren schwere Versäumnisse begangen. Es wurde nämlich versäumt, die Behandlung von Sexualstraftätern hinreichend zu erforschen. Aufgrund der heute vorliegenden Ergebnisse können wir aber definitiv sagen: Lange Haftstrafen haben negative Wirkungen. Psychothe
Es gibt nach wie vor zu wenig qualifizierte Gutachter. Wir stehen weiterhin vor dem Problem der fehlerhaften Gutachten. Ich muss einräumen: Es ist extrem schwierig, das künftige Verhalten eines Menschen zutreffend zu beurteilen. Dabei spielt nicht nur die Persönlichkeit eine Rolle, sondern auch die Lebensumstände müssen berücksichtigt werden. Das macht es nicht so einfach. Wir haben nach wie vor zu wenig Therapieangebote für diesen Täterkreis. Das gilt sowohl für den Vollzug als erst recht auch für die Zeit danach. Was hindert uns eigentlich daran, meine Damen und Herren, Pädophilie endlich als Krankheit anzuerkennen? Dann hätten die potenziellen Täter nämlich eine Chance, sich zu outen und therapeutische Hilfe zu erfahren, die dann auch geleistet und finanziert wird. Bisher jedoch ist das unmöglich.
Was hindert uns ferner daran, meine Damen und Herren, z. B. im ambulanten Bereich Angebote für potenzielle Täter großzügig auszubauen und zu finanzieren, wie das etwa bei den Männerbüros in verschiedenen Städten Niedersachsens der Fall ist? - Ich glaube, nur ein sensibler Umgang mit diesem Thema wird unserer Verantwortung gerecht, einer Verantwortung, die wir nicht nur gegenüber den Opfern, sondern auch gegenüber den Tätern haben. Das, was Sie hier fordern, wird diesen Anforderungen jedenfalls nicht gerecht. Deshalb werden wir Ihren Vorschlag ablehnen. - Vielen Dank.
Geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Vorsitzende der CDU-Fraktion Wulff hat in seiner heutige Rede das Bild eines Sexualmordes an einem jungen Mädchen für einen Angriff gegen die SPD genutzt. Er hat behauptet, wir, die Sozialdemokraten, würden uns der Forderung widersetzen, Sexualmörder, die nicht therapiefähig sind, lebenslang hinter Gittern zu halten. Auch ich möchte dem mit Nachdruck widersprechen. Das war schlichtes Schüren von Emotionen und kein tauglicher Beitrag für eine sachliche Auseinandersetzung.
Wenn wir den CDU-Entwurf eines Straftäterunterbringungsgesetzes ablehnen, dann tun wir das doch deshalb, weil der von der CDU-Fraktion vorgeschlagene Weg ungeeignet wäre, das Ziel zu erreichen. Noch einmal muss wiederholt werden: Die CDU-Fraktion versucht, hier etwas im Landesrecht zu regeln, was eindeutig bundesrechtlich geregelt werden muss. Herr Stratmann hat es indirekt selber gesagt, wenn er einleitend formuliert, es gehe hier um ein Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung, und die eigene offizielle Regelung, es sei ein Straftäterunterbringungsgesetz, gar nicht heranzieht. Wenn er sagt, es gehe um nachträgliche Sicherungsverwahrung, gleichzeitig aber darauf hinweist, dass dies der Landesgesetzgeber zu regeln habe, macht er doch deutlich, dass er hier gegen die Verfassung verstößt. Man kann das, was hier geplant ist, nicht im Polizeirecht regeln.
Ausdrücklich will ich aber noch einmal hervorheben, was ich schon anlässlich der ersten Beratung zum Ausdruck gebracht habe: Wir sind dafür, dass der Bundesgesetzgeber hier tätig wird, sofern die bundesweit laufende Praxisbefragung hierfür einen klaren Bedarf erbringt. Deshalb haben wir uns am 13. Juli dieses Jahres im Bundesrat dafür ausgesprochen, dass dieses Gesetzgebungsverfahren vorangetrieben wird. Deshalb befragen wir zurzeit unsere staatsanwaltschaftliche Praxis, den Strafvollzug und die Gerichte. Der aktuelle Zwischenstand ist aber immer noch derselbe wie der, den ich hier schon im September skizziert habe. Wir haben keinen Fall, der nach dem Gesetz, das die CDUFraktion möchte, nachträglich in Sicherungsverwahrung kommen könnte. Trotzdem halte ich es für richtig, auf Vorrat zu klären, ob wir ein solches Gesetz brauchen und wie wir es regeln sollten. Damit das klar ist: Im Prinzip sagen wir Ja zu einer derartigen Initiative, wenn sie auf Bundesebene läuft.
Wir ergänzen: Das Ziel darf aber nicht so in Angriff genommen werden, wie es die CDU-Fraktion hier vor hat. Wenn es in Baden-Württemberg tatsächlich einen Fall geben soll, dann lautet meine Prognose: Der Anwalt wird die Verfassungswidrigkeit des baden-württembergischen Gesetzes nutzen. Wir werden das beim Bundesverfassungsgericht als Fall haben. Meiner Einschätzung nach wird das Gericht dieses Gesetz dann aufheben.
Im Übrigen weist der Gesetzentwurf der CDUFraktion auch sachliche Mängel auf. Das, was die Frau Abgeordnete Bockmann dazu bereits vorgetragen hat - -