Protocol of the Session on September 18, 2001

Sie und ich, Herr Mühe, waren doch im Ausschuss dabei, als das Stück für Stück reduziert wurde. Jetzt sind Sie bei schlappen 16 %. Das ist doch peinlich, was Sie leisten.

(Mühe [SPD]: Reine Geschichtsklitte- rei! Das war vor der Wende! Das wis- sen Sie ganz genau! Sie haben 60 % versprochen!)

- 100 % der Personalkosten sollten aufsteigend bis zum Jahre 1998 vom Land erstattet werden. Das stand in Ihrem Gesetzentwurf.

(Mühe [SPD]: Sie haben genauso 60 % gefordert und mussten alles als Makulatur einpacken, weil Sie genau wissen, dass das alles nicht finanzier- bar ist!)

- 60 %? - Ich rede von 16 %.

Verehrte Frau Ministerin, wir alle kennen die Situation der Familien. Wir alle müssen uns fragen, warum immer mehr Frauen auf die Mutterrolle verzichten. Wir alle wissen - das steht ja auch in Ihren Berichten -, dass ein wichtiger Beitrag die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Aber auch hier muss ich Sie fragen, was die Landesbehörden hier geleistet haben. Ich weiß, dass es eine Behörde gibt, die LVA, die vorbildlich Familienarbeit mit in ihre Arbeit eingebunden hat. Dazu muss man sagen, dass es Tele-Heimarbeitsplätze gibt, und zwar auch für Väter. Sie fordern ja die Mitverantwortung der Väter. Dort sind es Väter, die sich aufgrund ihrer Arbeit zu Hause an der Familientätigkeit mit beteiligen. Warum machen Sie das nicht beispielhaft in den Ministerien? Sie haben doch die Möglichkeit. Sie brauchen es nur anzuordnen und umzusetzen. Das tun Sie aber nicht. Das ist peinlich.

(Ministerin Dr. Trauernicht: Anord- nen?)

- Entschuldigung, wenn es seit Jahren freiwillig nicht geht, dann muss man es doch anordnen. Wir sehen doch beim NGG, wie lange es dauert, wenn man sich auf die Freiwilligkeit verlässt und nicht anordnet. Man kommt dann jahrelang nicht in die Strümpfe.

(Beifall bei der CDU)

Wenn das Ihre Familienpolitik ist, na dann: Danke schön!

(Glocke der Präsidentin)

Frau Kollegin Pawelski, die Kollegin Merk möchte Ihnen eine Frage stellen. Wollen Sie das zulassen?

Nein. Sie war lange genug in Niedersachsen in der Verantwortung und hätte mehr machen können. Nein, nein.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Frau Pawelski, lassen Sie sich ja nicht von Ihren Scheuklappen abbringen! – Weitere Zurufe bei der SPD – Glocke der Präsidentin)

Ich bitte um Ruhe!

Aufgrund Ihrer temperamentvollen Zwischenrufe weiß ich, dass ich den richtigen Ton getroffen habe. Ich weiß, dass es weh tut, wenn man die Wahrheit hören muss.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin, legen Sie ein vernünftiges Konzept vor! Dann haben Sie uns wohl sicherlich stärker an Ihrer Seite als Ihre eigene Fraktion, die die Familienpolitik hier seit Jahren verleugnet hat.

(Beifall bei der CDU – Plaue [SPD]: Jammerschade, Frau Kollegin, dass Sie ab nächstem Jahr im Bundestag sitzen! – Zuruf von der SPD: Verfas- sungsrecht! – Zuruf von der SPD: Ich schenke ihr einen Lesekurs! – Weitere Zurufe von der SPD)

Frau Ministerin Trauernicht!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Familienfreundlichkeit als Markenzeichen für Niedersachsen, die Gründung eines Bündnisses für ein Leben mit Kindern, Unterstützung von Eltern, die Berufs- und Familienpflichten unter einen Hut bringen wollen, eine Ausweitung der Kinderbetreuungsangebote, Hilfe bei der Erziehung und Entlastung von Familien in besonderen Situationen - das sind einige der Bausteine künftiger Familienpolitik, die die Landesregierung kürzlich beschlossen hat. Die erste Beratung hier im Landtag hat bereits viele Hinweise gegeben. Wir haben uns zügig an die Arbeit gemacht.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, die jetzige Vorlage ist erst der Anfang, nicht das Ergebnis der Beratungen, ein erster Einstieg in ein Thema, das die Landesregierung nicht nur einige Wochen, sondern in den nächsten Jahren stetig verfolgen wird.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Das wollen wir auch sehen! – Zuruf von Busemann [CDU])

Die große Mehrheit der Familien meistert ihre Aufgaben bei der Erziehung bereits heute souverän und erfolgreich. Sie können deshalb von Politik und Gesellschaft erwarten, dass sie vor allem mit ihren Stärken, ihren Erfolgen und ihren Leistungen gesehen werden. Gleichzeitig verdienen Familien - das brauchen sie auch - die Unterstützung des Staates und aller gesellschaftlichen Gruppen, und zwar von Anfang an.

(Zuruf von der CDU: Das wäre schön!)

Die gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung für Familien - für manche mag das abstrakt erscheinen, aber das kann ich sehr konkret fühlen muss stärker als bisher wahrgenommen werden. Die Landesregierung wird deshalb am 18. Oktober mit Kommunen, der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, mit Familienverbänden, den Kirchen, Vertretern aus Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, Medienvertretern und anderen mehr ein Bündnis für ein Leben mit Kindern schließen. Ich habe alle zuvor gefragt, ob sie dazu bereit sind, ob sie sich vorstellen könnten,

dieses Bündnis mit Leben zu füllen, und zu dieser Thematik nur Zustimmung erfahren. Deswegen wird es keine Quasselrunde werden, sondern es wird gemeinsam Verantwortung wahrgenommen

(Frau Vockert [CDU]: Warten wir ab!)

und es werden gemeinsam Ideen entwickelt werden. Die im Haushalt jährlich vorhandenen 4 Millionen DM werden sehr hilfreich sein, wenn es um die Umsetzung der Vorstellungen geht, die in diesem Bündnis entwickelt werden.

(Zustimmung bei der SPD)

Zentrale Ziele dieses Bündnisses sind, eine Kultur der gemeinsamen Verantwortung zu etablieren, die nicht nur zufällig und manchmal entsteht, sondern dauerhaft ist, Familien durch gemeinsames Handeln der Partner zu stärken und zu unterstützen, den Stellenwert von Familien in der Öffentlichkeit zu erhöhen und Familienfreundlichkeit als Markenzeichen in Niedersachsen auch im Verhältnis zu anderen Bundesländern zu etablieren. Familienfreundlichkeit ist im Übrigen auch ein Wirtschaftsstandortfaktor.

(Zustimmung bei der SPD)

Familien sind nach wie vor die häufigste Lebensform. Dieses Modell hat auch weiterhin Zukunft, denn 95 % der unter 25-Jährigen in Deutschland wünschen sich ein Leben mit Kindern. Dennoch sagen Prognosen des niedersächsischen statistischen Landesamtes voraus, dass die Zahl der bis fünf Jahre alten Kinder bis zum Jahr 2015 in Niedersachsen um 25 % zurückgehen wird, wenn es so bleibt, wie es zurzeit ist. Hier ist - daran gibt es keinen Zweifel - Politik gefragt. Wir wollen, dass junge Menschen ihren Kinderwunsch verwirklichen können. Wir alle sind uns darin einig, dass ein zentrales Haupthindernis für viele Menschen, aber vor allem für Frauen, die Tatsache ist, dass sie Beruf und Familie nur schwer bis gar nicht miteinander vereinbaren können. Die steigenden Zahlen von Partnerschaften ohne Kinder - das sind zurzeit 30 % - belegen dies. In anderen europäischen Ländern bekommen Frauen mehr Kinder, weil sie auch mit Familie berufstätig sein können. Als Beispiel: Norwegen hat mit durchschnittlich 1,86 Kindern pro Frau die höchste Geburtenrate und gleichzeitig mit 75,3 % die höchste Erwerbsbeteiligung von Frauen, gefolgt von Dänemark und Finnland. Deutschland nimmt mit durchschnittlich 1,37 Kindern pro Frau und nur 62 % Frauenerwerbsquote

den viertletzten Platz ein. Je höher das Einkommen und der Bildungsabschuss von Frauen, desto weniger Kinder haben sie.

Also, meine Damen und Herren, es geht künftig nicht mehr nur um die Wahl zwischen Beruf und Familie, sondern darum, dass Menschen in einer wesentlich durch Arbeit geprägten Gesellschaft ein Leben mit Kindern leben können. Moderne Familienpolitik muss deshalb die Vereinbarkeit und nicht die Wahlfreiheit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit für Mütter wie Väter konsequent fördern.

Ich habe Zweifel, dass dazu die Möglichkeit gehört, neben der Tätigkeit, neben der Funktion als Mutter einige wenige Stunden arbeiten zu können.

(Zustimmung von Frau Merk [SPD])

Deswegen finde ich den Ansatz der unterhälftigen Teilzeitmöglichkeit für Beamte zwar diskussionswürdig, aber ich habe mich da schon positioniert. Es geht im Wesentlichen politisch darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Arbeit und Kinder-haben miteinander möglich sind, und nicht darum, dass Kinder-haben plus ein paar Stunden Berufstätigkeit möglich sind. Das haben wir schon längst.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Zeitweise kann das auch mal der Wunsch sein!)

Das bedeutet auch, dass Väter mehr Verantwortung in der Familie übernehmen müssen. Umfragen unter jungen Frauen zeigen, dass sie das von ihren Partnern erwarten und dass das bei ihrer Entscheidung neben der Frage der Kindertagesbetreuung eine ganz zentrale Rolle spielt. Sie wollen die partnerschaftliche Teilung der Familienarbeit. Frau Pothmer hat das fantastisch auf den Punkt gebracht. Ein altes Lied der Frauenbewegung lautet: Neue Männer braucht das Land.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir werden noch in diesem Jahr eine VäterKampagne starten - ich denke, dies wäre ein gutes Motto -, eine Kampagne, bei der wir darauf hinwirken wollen, dass Väter mehr Verantwortung bei der Erziehungs- und Hausarbeit übernehmen. Das heißt natürlich, dass wir auch an den Rahmenbedingungen für Väter arbeiten müssen.

Eine Anordnung in meinem Ministerium, dass alle Väter jetzt halbtägig berufstätig sein und auf ihre

Kinder aufpassen sollen, ist mir natürlich nicht möglich.

(Zustimmung bei der SPD – Zuruf von Frau Pothmer [GRÜNE])

Land und Kommunen haben in den letzten zehn Jahren viel getan - ich sage ausdrücklich auch „Kommunen“ -, um die Tagesbetreuung für Kinder auszubauen. Aber wir wissen, es fehlt an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei, für Schulkinder und an Ganztagesplätzen für die 3- bis 6-Jährigen. Wir haben zurzeit Versorgungsquoten bei den ganz Kleinen von unter 10 %, und wir haben 15 % der Kindergartenplätze als Ganztagsplätze. Der Bedarf wird eher steigen. Da müssen wir also mit vereinbarten Kräften ran.

Meine Damen und Herren, das Land ist in Vorleistung getreten, hat mit der Bildungsoffensive für Niedersachsen einen riesigen finanziellen und politischen Schritt gemacht. Wir werden die jetzige Zahl von 130 Ganztagsschulen in fünf Jahren um weitere 140 Standorte für Schülerinnen und Schüler der Schuljahrgänge 5 bis 10 ausweiten. Wir haben die Umwandlung aller niedersächsischen Grundschulen in Verlässliche Grundschulen beschlossen. Das ist ein riesiger politischer Erfolg, der im Übrigen auch die Kommunen entlastet, denn was dort jetzt schon an Ganztagsbetreuung bzw. an verlässlicher Betreuung zwischen 8 und 13 Uhr erfolgt, muss nicht mehr durch die Kommunen gewährleistet werden. Aufgrund der zurückgehenden Zahl der Kinder zwischen null und fünf Jahren werden in den Kommunen Ressourcen freigesetzt. Diese müssen alle für die Ausweitung der Kindertagesbetreuung vor Ort eingesetzt werden.

Meine Damen und Herren! Ich mache sehr viele Reisen und gucke mir insbesondere auch den Bereich der Jugendhilfe an. Mein Kompliment an die Kommunen: Mein Eindruck ist, dass der Ausbau der Kindertagesbetreuung trotz der engen Haushaltslage mit sehr viel Verantwortungsgefühl und Engagement angefasst wird. Dazu gehört, dass mehr Ganztagsplätze in Kindergärten geschaffen werden. Dazu gehört die Öffnung der Gruppen für die unter 3-Jährigen. Dazu gehört das Schaffen von Nachmittagsangeboten für Grundschulkinder und vieles andere mehr. Die Kommunen sind auf einem sehr guten Weg und versuchen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die im Übrigen - Frau Pothmer - nicht auf einem Rechtsanspruch im Kinder- und Jugendhilfegesetz basiert. Ich finde aber,

wir müssen uns schon jetzt vergegenwärtigen, was dort steht. Dort steht nämlich: Für Kinder im Alter unter drei Jahren und für Kinder im schulpflichtigen Alter sind nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht.

(Zurufe von der CDU)

Das ist im Übrigen ein Gesetz, das die Bundesregierung noch unter einer CDU-Regierung auf den Weg gebracht hat. Insofern haben wir hier bereits eine Hinwirkungspflicht der öffentlichen Träger. Es ist eine Bedarfsplanung aufzustellen. Das Land wird diese Anstrengungen der Kommunen in vielfältiger Weise durch Förderung von Diskursprojekten, Vereinbarkeitsplänen, Ideenwettbewerben etc. unterstützen.