„Schünemann: Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir genau die Lücke schließen, die jetzt zu diesen Straftaten geführt hat. Es ist unverantwortlich, dass nach der bisherigen Rechtslage Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden kann, wenn sich entsprechende Auffälligkeiten der Täter für weitere schwere Straftaten erst während der Haftzeit herausstellen. Genau dies war bei Radtke der Fall. Aus diesem Grund wollen wir, dass auch nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann.“
Wie waren die Fakten, wie waren die Tatsachen, Herr Kollege Schünemann? - Erstens. Bei der letzten Hauptverhandlung sind weder die Staatsanwaltschaft noch der Opferanwalt - ein in Strafsachen sehr erfahrener Rechtsanwalt aus dem Raum Hannover - noch das Gericht davon ausgegangen, dass in diesem Fall Sicherungsverwahrung in Betracht kommen könnte. Zweitens. Der Gefangene hat sich nach allem, was wir gehört haben, im Vollzug ordentlich geführt. Drittens - das ist das Entscheidende -: Selbst nach dem Baden-Württemberger Gesetz - so fragwürdig ich es finde werden Tatsachen verlangt, die die Prognose weiterer Gefährlichkeit begründen.
Diese Tatsachen gibt es nicht. Selbst nach der Baden-Württemberger Rechtslage wäre Herr Radtke, wie in Niedersachsen geschehen, also mit seiner Endstrafe entlassen worden. - Ihre Beweisführung taugt also nichts. Sie können am Fall Radtke nicht deutlich machen, dass es Ihnen darum geht, mehr Sicherheit zu schaffen.
Die Probleme, Herr Kollege Schünemann, liegen nun einmal etwas anders. In der Begründung für seine Ablehnung der entsprechenden Initiative der Länder Bayern und Baden-Württemberg hat der Bundesrat unter anderem Folgendes ausgeführt:
„bleibt zudem einen überzeugenden Beleg dafür schuldig, dass die Maßnahme die Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu verringern geeignet ist.“
Die grausamen Verbrechen der vergangenen Monate, auf die er Bezug nimmt, sind nicht von Tätern begangen worden, die nach Verbüßung ihrer Strafe in Kenntnis ihrer Gefährlichkeit aus der Haft entlassen werden mussten, sondern von Tätern, die sich durch unauffälliges und angepasstes Verhalten der Aufmerksamkeit der Vollzugsbediensteten entzogen hatten und/oder sogar auf Bewährung entlassen worden waren.
Genau das ist doch das Problem, das wir haben. Auf dieses Problem gehen Sie aber nicht ein. Sie täuschen Scheinsicherheit vor und versuchen, politisch Kapital aus berechtigten Ängsten der Bevölkerung zu schlagen. Sie verschweigen den Menschen, dass die Zahl vergleichbarer schwerer Straftaten in den letzten Jahren Gott sei Dank zurückgegangen ist. In dieser Beziehung sind Sie nach meiner Überzeugung ein rechtspolitischer Trittbrettfahrer. – Schönen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU möchte per Landesgesetz den Gerichten die Möglichkeit einräumen, bei Mehrfachtätern gewissermaßen nachträglich die Sicherungsverwahrung anzuordnen, wenn sich deren Gefährlichkeit erst während der Haft durch ihr Verhalten deutlich gezeigt hat.
Ich denke, wir alle sind uns darin einig, dass der Schutz vor Sexual- und Gewalttätern ein vorrangiges Anliegen ist. Trotzdem wirft der Vorschlag der CDU drei Fragen auf. Erstens. Gibt es überhaupt Bedarf für eine derartige nachträgliche Sicherungsverwahrung? Zweitens. Wenn ja, wäre dann der CDU-Vorschlag der richtige Weg, um das Ziel zu erreichen? Drittens. Wie kann man ansonsten die Sicherheit der Bevölkerung in diesem Bereich erhöhen?
Zur ersten Frage. Der Abgeordnete Schröder hat bereits darauf hingewiesen, und auch ich will das noch einmal deutlich sagen: Wir hatten Anfang der 70er-Jahre viermal so viele von Sexualmördern getötete Kinder wie im Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Wir haben deutlich weniger Vergewal
tigungen als in den 70er- und 60er-Jahren. Wir haben insgesamt einen Rückgang der Sexualdelinquenz. Von daher können wir nicht behaupten, dass die Entwicklung der Kriminalität ein Scheitern unserer gegenwärtigen Antworten belegen würde.
Trotzdem gebe ich Ihnen Recht: Das noch weiter zu verringern, ist uns ein Anliegen. Deshalb die Frage: Ist dafür das, was Sie fordern, notwendig? Sie orientieren sich an den Vorbildern von BadenWürttemberg und Bayern. Dabei hätte aber schon auffallen können, dass beide Bundesländer keine eindeutig geeigneten Fälle vorlegen konnten, in denen ihr Gesetz zur Anwendung gekommen wäre. Noch eines fällt auf: Seitdem Baden-Württemberg sein Gesetz erlassen hat - vor acht Monaten -, hat es keinen einzigen Anwendungsfall gegeben.
Damit wollen wir uns aber nicht zufrieden geben. Sicherheitshalber haben wir inzwischen die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und den Justizvollzug in Niedersachsen gefragt, ob es denn in den letzten Jahren Strafgefangene gegeben hat, bei denen diese Form der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Betracht gekommen wäre. Noch ist uns kein einziger Fall gemeldet worden. Mich überrascht das nicht. Gerade Gefangene, bei denen eine hohe Rückfallgefahr besteht, verhalten sich im Vollzug meist sehr angepasst. Sie wollen ihre Chancen auf Lockerungen oder vorzeitige Entlassung nicht zerstören. Der bereits diskutierte Fall des Gefangenen Radtke ist dafür ein gutes Beispiel, so angepasst, wie er sich die ganze Zeit über verhalten hat.
Zur zweiten Frage. Die erwähnte Praxisumfrage läuft nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen Bundesländern. Selbst wenn sie Anwendungsfälle bringen sollte, muss der CDU das entgegengehalten werden, was überzeugend bereits durch meine beiden Vorredner geschehen ist, dass nämlich hier getarnt durch Polizeirecht die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt würde. Das wäre verfassungswidrig.
Aber es gibt ein weiteres Argument gegen das Gesetzesvorhaben. Ausdrücklich haben sowohl Sie ebenso wie die CDU in Baden-Württemberg und die CSU in Bayern als Begründung genannt, beispielsweise bräuchte man das für die Fälle, in denen sich Gefangene einer Sozialtherapie nicht unterziehen wollten. Glaubt man denn im Ernst, dass es nach In-Kraft-Treten eines derartigen Gesetzes noch einen Gefangenen geben würde, der in Kenntnis der Tatsache, dass er, wenn er Nein zur
Therapie sagt, zehn Jahre oder vielleicht sogar noch länger hinter Gittern sitzen müsste, tatsächlich Nein sagen würde? Er würde sich natürlich anpassen.
- Fragen Sie doch einmal Therapeuten, was sie mit Gefangenen tun sollen, die eigentlich therapieunwillig sind und nur zum Schein mitmachen. Das bewirkt genauso wenig wie bei Herrn Radtke, bei dem es ebenfalls nichts bewirkt hat.
Sie sagten, es gebe Gefangene, die sich aggressiv verhalten. Wenn das so weit umschlägt, dass sie eine Gewalttat begehen, wird ein neues Strafverfahren gegen sie eingeleitet werden, und das kann dann auf ganz regulärem Wege zur Sicherungsverwahrung führen.
Trotzdem bin ich bereit, für den Fall den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu prüfen, dass die Umfrage doch Fälle ergibt, bei denen wir sagen: Hier ist eine Regelungslücke, wie Sie dies behaupten. Da warten wir noch ab. Falls eine solche Regelungslücke tatsächlich bestätigt werden sollte, sollten wir einen verfassungsrechtlich eindeutigen Weg gehen, nämlich den des Bundesgesetzes, nicht aber den Weg, den Sie hier vorschlagen.
Zu dritten Frage. Damit keine Zweifel aufkommen: Auch ich bin der Ansicht, dass wir die Sicherheit der Bevölkerung vor gefährlichen Sexualstraftätern und anderen Gewalttätern erhöhen sollten. Deswegen sind in meiner Amtszeit als Justizminister folgende vier Maßnahmen eingeleitet worden.
Erstens. Wir sind das einzige Bundesland, in dem zur Genehmigung von Vollzugslockerungen bei Sicherungsverwahrten nicht ein externes Gutachten, sondern zwei – und diese auch noch aus unterschiedlichen Fachrichtungen – erarbeitet werden müssen.
Zweitens. Die DNA-Kartei des Bundeskriminalamtes hat sich als durchaus wirkungsvolles Instrument erwiesen, um Gewalttäter und insbesondere rückfällige Sexualstraftäter zu überführen. Exhibitionisten werden dort bisher nicht registriert, weil man sie bisher nicht als potenzielle Gewalttäter eingeschätzt hat. Neuere Erkenntnisse der Polizei
lassen nun Zweifel an dieser Einschätzung aufkommen. Deshalb haben das Justizministerium und das Innenministerium gemeinsam eine Forschungsinitiative gestartet, die in kurzer Frist diese Frage klären soll. Sollten sich dann diese Zweifel bestätigen, werden wir die Einbeziehung von Exhibitionisten in die DNA-Kartei auf den Weg bringen.
Drittens. Gemeinsam mit meinem Kollegen Heiner Bartling arbeiten wir an einer Bundesratsinitiative mit dem Ziel, die Fahndungsmöglichkeiten nach flüchtigen Sexualstraftätern zu verbessern. Wir sind der Ansicht, es muss künftig möglich sein, in solchen Fällen Telefongespräche abzuhören. Das ist bisher gesetzlich ausgeschlossen.
Viertens und letztens. Niedersachsen wird bis 2005 175 neue Sozialtherapieplätze im Strafvollzug schaffen. Zusammen mit den 112 bereits bestehenden Plätzen sind das dann pro 1 000 Gefangene mehr als doppelt so viele, wie Bayern und BadenWürttemberg nach Abschluss ihrer Reformphase haben werden. Auch darin dokumentiert sich meines Erachtens, wie ernst wir es mit der Aufgabe nehmen, den Schutz der Bevölkerung vor Gewalt und vor Sexualstraftätern deutlich zu erhöhen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beantrage, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zur federführenden Beratung zu überweisen. – Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Justizminister, es ist schon sehr bedauerlich, dass sich hier nun das gleiche Szenario andeutet, das wir auch schon im Bundesrat erlebt haben. Dass Sie jedoch anzweifeln,
dass es eine Gesetzeslücke gibt, hat allerdings eine andere Qualität; denn das ist bisher noch von keinem angezweifelt worden. Ich könnte aus einer Meldung in der Nordwest-Zeitung zitieren, der zufolge Sie gesagt haben, dass Sie selbst nach einer Lösung der nachträglichen Sicherungsverwahrung suchen. Jetzt plötzlich soll dies nicht mehr wahr sein? Das kann ich nicht verstehen.
Sie müssen sich nur einmal vor Augen führen, welche Gefährdung von solchen Sexualstraftätern ausgeht. Auch wenn die Zahlen zurückgegangen sind, so ist es jede einzelne Straftat wert, darüber nachzudenken, wie wir das verändern können, meine Damen und Herren.
Ich frage mich schon, warum die SPD in Baden-Württemberg diesen Gesetzentwurf nicht abgelehnt hat. Ebenso frage ich mich, warum das Bundesjustizministerium dem Land Baden-Württemberg genau diesen Weg vorgegeben hat und warum Richter Päglau, der früher wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesministerin Däubler-Gmelin gewesen ist, diesen Weg beschrieben und im Übrigen auch nachgewiesen hat, dass es eine Länderkompetenz gibt.
Die letzte Frage, die Sie beantworten müssen, lautet, warum Bundeskanzler Gerhard Schröder noch im Sommer die Länder aufgefordert hat, die Initiative Baden-Württembergs aufzugreifen und genau dieses Gesetz auch in den anderen 15 Bundesländern in Anwendung zu bringen.
Meine Damen und Herren, es ist nicht zu verstehen, dass Sie schon wieder verschleppen und schon wieder nicht versuchen, dem Opferschutz wirklich Geltung zu verschaffen. Ich kann das nicht verstehen, und ich bin sicher, auch die Menschen werden das nicht verstehen.
Im Übrigen, meine Damen und Herren: Auf Länderebene ist das eben nicht Sache des Justizministers. Das hat der Justizminister mit seiner Rede soeben selbst gezeigt. Nach dem Gefahrenabwehrgesetz ist das Sache des Innenministers. Ich hoffe, Herr Innenminister, dass Sie sich dieser Initiative annehmen und dafür sorgen, dass dieser Gesetzentwurf so schnell wie möglich auch in Niedersachsen Gesetz wird.
Wir beantragen, wie es auch im Ältestenrat empfohlen worden ist, die Federführung der Beratung dem Innenausschusses zu übertragen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Beratung und erbitte Ihre Aufmerksamkeit für die Abstimmungen.
Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Frau Kollegin Bockmann für die SPD-Fraktion abstimmen, im Gegensatz zu der Empfehlung des Ältestenrates den Rechtsausschuss mit der Federführung der Beratung zu beauftragen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit.
Wer dafür ist, den Gesetzentwurf zur Mitberatung an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen, den Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen und den Ausschuss für innere Verwaltung zu überweisen, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer enthält sich der Stimme? - Wer ist dagegen? - Das ist mit Mehrheit so beschlossen.
Ich will nur darauf aufmerksam machen: Ich hätte auch über die Empfehlung des Ältestenrates abstimmen lassen können. Zu dieser lag aber ein Änderungsantrag vor, und über einen Änderungsantrag muss zuvor abgestimmt werden. - Ich sage dies nur, um Unklarheiten von vornherein zu beseitigen.