Protocol of the Session on September 17, 2001

Bevor wir mit den Präliminarien beginnen, möchte ich an zwei ehemalige Abgeordnete, die gestorben sind, erinnern.

Am 20. Juli 2001 verstarb der ehemalige Abgeordnete Hans-Heinrich Ottens im Alter von 77 Jahren. Herr Ottens war von 1986 bis 1994 Mitglied der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag. Während dieser Zeit war er in den Ausschüssen für Rechts- und Verfassungsfragen, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, für Haushalt und Finanzen und im Kultusausschuss tätig. Für seine Verdienste wurde Herrn Ottens das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Am 20. August 2001 verstarb der ehemalige Abgeordnete Hans Janßen im Alter von 82 Jahren. Herr Janßen gehörte dem Niedersächsischen Landtag als Mitglied der CDU-Fraktion von 1963 bis 1986 an und war in dieser Zeit in zahlreichen Fachausschüssen tätig. Ferner war Herr Janßen Mitglied im Ältestenrat. Für seine Verdienste wurde Herrn Janßen das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Herr Janßen war auch Oberbürgermeister der Stadt Wilhelmshaven.

Beide waren engagierte Kommunalpolitiker. Wir werden beide Kollegen in guter Erinnerung behalten. – Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, wir tagen heute Morgen am Montag, zu außergewöhnlicher Zeit, nachdem wir uns in der vergangenen Woche darauf verständigt hatten, nach den Ereignissen in Amerika die Sitzungen und die Beratungen zu verschieben. Seit dem 11. September stehen wir alle unter dem Eindruck der fürchterlichen Terrorangriffe in New York, Washington und Pittsburgh. Millionen von Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland haben ihrer tiefen Betroffenheit darüber Ausdruck gegeben. Auch der Niedersächsische Landtag und die Landesregierung haben der Regierung der USA und dem gesamten amerikanischen Volk ihre Anteilnahme bekundetet. In die Kondolenzlisten auch hier im Landtag haben sich inzwischen zahllose

Menschen eingetragen und ihre Gefühle beschrieben. Dafür danke ich allen sehr herzlich.

Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Terrorbeteiligten und die Hintermänner offenbar bei fundamentalistischen islamischen Gruppen zu suchen sind, erscheint es notwendig, ein differenziertes Wort zum Islam zu sagen. Die Terrorangriffe sind auch ein Anschlag auf die friedliche Gesinnung von mehr als einer Milliarde muslimischer Menschen und die religiöse und kulturelle Tradition des Islam.

Der Kampf gegen den Terrorismus darf nicht als Religionskrieg missverstanden werden. Wir haben ein Interesse daran, dass wir auch mit den bei uns lebenden Muslimen in Frieden, in Freiheit und in Achtung vor unseren Religionen leben. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss sich verpflichtet fühlen, aktiv beizutragen zur Herstellung eines Klimas der Gewaltfreiheit und Toleranz. Niemand darf ein Urteil gegen die Angehörigen einer Volksgruppe oder einer Religionsgemeinschaft fällen, wenn es keine Beweise schuldhaften Verhaltens gibt. Auch dann, wenn Schuld individuelle Zuordnung verlangt, gibt es für die grässlichen Taten des 11. September darüber hinausgehende kollektive Verantwortung und Schuld im Bereich islamistischer, international vernetzter Gruppierungen. Diese zu identifizieren und zu zerschlagen, hilft, auch die hier lebenden Muslime zu schützen und unsere Gesellschaft als freiheitliche und rechtsstaatliche zu erhalten. Um dies zu sichern, ist es notwendig, zu begreifen, dass Organisationen, die unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit menschenverachtende Theorien verbreiten, nicht geduldet werden können.

Ich wünsche allen, die an der Aufklärung der Verbrechen beteiligt sind, größtmöglichen Erfolg, und hoffe, dass diese Vorgänge uns dazu bringen, über die Bedingungen nachzudenken, die ein friedliches und von gegenseitigem Respekt getragenes Verhältnis zwischen den Völkern und Religionen dauerhaft möglich machen.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, ich möchte von dieser Stelle aus noch einmal darauf hinweisen, dass im Eingangsbereich des Leineschlosses für den Landtag das Kondolenzbuch ausliegt, in das sich die Bürgerinnen und Bürger eintragen können. Es soll auch noch die nächsten Tage über hier liegen bleiben.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Geburtstag hat heute der Abgeordnete Haselbacher.

(Beifall)

Zur Tagesordnung ist Folgendes zu sagen: Die Einladung und die geänderte Tagesordnung für diesen Tagungsabschnitt liegen Ihnen gedruckt vor. Die für die Aktuelle Stunde eingereichten Beratungsthemen wurden von allen Fraktionen zurückgezogen, sodass heute Nachmittag keine Aktuelle Stunde stattfindet.

Es liegt eine Dringliche Anfrage vor, die morgen früh ab 9 Uhr beantwortet werden wird.

Im Ältestenrat sind für die Beratung einzelner Punkte bestimmte Redezeiten gemäß § 71 unserer Geschäftsordnung vereinbart worden. Diese pauschalen Redezeiten sind den Fraktionen und den Abgeordneten bekannt; sie werden nach dem im Ältestenrat vereinbarten Verteilerschlüssel aufgeteilt. Ich gehe davon aus, dass die vom Ältestenrat vorgeschlagenen Regelungen für die Beratungen verbindlich sind und darüber nicht mehr bei jedem Punkt abgestimmt wird. – Ich stelle fest, dass das Haus mit diesem Verfahren einverstanden ist. Die heutige Sitzung wird somit voraussichtlich gegen 17.15 Uhr enden.

Außerdem weise ich noch auf die vom Bundesverband Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold – Bund Aktiver Demokraten e. V. konzipierte Ausstellung „75 Jahre Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ hin, die in der Portikushalle präsentiert wird.

An die rechtzeitige Rückgaben der Reden an den Stenografischen Dienst – bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr – wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch den Schriftführer.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Justizminister Herr Prof. Dr. Pfeiffer ab 17.45 Uhr, Herr Umweltminister Jüttner von 12.30 Uhr bis 17 Uhr, von der Fraktion der SPD Herr Glogowski und Herr Reckmann, von der Fraktion der CDU Herr Heinemann, Herr Meier und Frau Pruin sowie Herr Schwarzenholz als fraktionsloser Abgeordneter ab 12 Uhr.

Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 1 und 2 der Tagesordnung. Diese beiden Punkte rufe ich vereinbarungsgemäß zusammen auf:

Tagesordnungspunkt 1: Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für die Haushaltsjahre 2002 und 2003 (Haushaltsgesetz 2002/2003 - HG 2002/2003 -) - Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 14/2620

und

Tagesordnungspunkt 2: Erste Beratung: Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2002 (HBegleitG 2002) - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD - Drs. 14/2652

Die Einbringung wird von der Landesregierung bzw. von der SPD-Fraktion vorgenommen. An Redezeiten sind vereinbart: für die SPD-Fraktion bis zu 50 Minuten, für die CDU-Fraktion bis zu 50 Minuten, für die Fraktion der Grünen bis zu 25 Minuten sowie für die Landesregierung bis zu 45 Minuten.

Wer möchte einbringen? – Herr Minister Aller!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war richtig, dass wir einvernehmlich unsere Plenarsitzungen als Zeichen unserer Trauer, unseres Mitgefühls und unserer Solidarität mit den Opfern der heimtückischen Terroranschläge von New York, Washington und Pittsburgh verschoben haben. Auch heute, eine knappe Woche, nachdem uns die schrecklichen Bilder aus den USA getroffen haben, fällt es uns allen schwer, wieder landespolitischen Alltag zu bestreiten.

Ich bedaure ein wenig, dass es dem Landtag nicht gelungen ist, sich einvernehmlich auf eine gemeinsame Resolution zu einigen. Denn die Konsequenzen dessen, was aus den Terroranschlägen abzu

leiten ist, werden uns weiter beschäftigen: als Deutsche, die Beteiligte sind, aber auch als Haushälter, die die Folgen dieser Terroranschläge - möglicherweise durch Rezession und Kosten von kriegerischen Auseinandersetzungen - zu bewältigen haben.

Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass wir nach Tagen der Trauer unmissverständlich klar machen müssen, dass wir in der freien Welt uns weder die Grundlagen noch die Formen des friedlichen und demokratischen Zusammenlebens diktieren lassen. Es wäre falsch, wenn auch nur der Eindruck vermittelt würde, Terrorakte seien in der Lage, unseren sozialen, kulturellen oder wirtschaftlichen Grundkonsens nachhaltig zu stören oder gar zu gefährden.

Wir alle, die diese schrecklichen Bilder noch in Erinnerung haben, erinnern uns auch an den Satz, den Bischof Homeyer in der gemeinsamen Trauerveranstaltung gesprochen hat. Er hat in etwa gesagt, der Sinn von Globalisierung sei nicht Reichtum, sondern Gerechtigkeit. Die ganze Komplexität, die hinter diesem Satz steht, wird auch in der Landespolitik deutlich werden.

Wir sind in der Praxis weiter gegangen. Der Innenminister hat den Innenausschuss unterrichtet. Wir haben deutlich gemacht, dass wir Maßnahmen ergreifen müssen. Aber es ist auch klar geworden, dass Innen- und Außenpolitik in der klassischen Form nicht mehr zu trennen sind, dass die Zusammenhänge zwischen innerer und äußerer Sicherheit viel stärker verstanden werden müssen. Letztlich werden wir in der gesamten Welt, in Europa, aber auch in Deutschland und in der internationalen Staatengemeinschaft begreifen müssen, dass die Diskrepanz zwischen Reichtum auf der einen Seite und Armut auf der anderen Seite ein ganz wichtiger Punkt ist, den wir als Keimzelle vieler böser Taten, die in dieser Welt geschehen, zu verstehen haben. Ich hoffe, dass es uns gelingt, diesen Aspekten auch in der Landespolitik Rechnung zu tragen. Die Landesregierung will dazu ihren Beitrag leisten.

Meine Damen und Herren, ich will damit meine Ausführungen zu diesen schrecklichen Vorkommnissen beenden und auf die vielen klugen Reden verweisen, die gehalten worden sind. Alle haben gesagt: Die Staatengemeinschaft muss im Terror zusammenstehen. Alle haben gesagt: Die Täter müssen verfolgt und bestraft werden. Viele haben gemahnt: Besonnenheit ist angezeigt in dieser

schwierigen Zeit; denn das, was sich in einer Spirale der Gewalt entwickeln kann, wollen wir alle nicht. In diesem Sinne haben wir uns auch darauf verständigt, dass die Haushaltsplanberatungen nicht in der üblichen Form von Rede und scharfer Gegenrede stattfinden sollen. Ich werde mich bemühen, mich daran zu halten.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat einen ehrlichen Haushalt vorgelegt. Weil die finanziellen Rahmenbedingungen klar und wahr abgebildet werden, wird deutlich, dass das, was man tut, häufig einerseits im Geben, andererseits aber auch im Nehmen zu verstehen ist. Wir haben die notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen deutlich und ehrlich benannt, weil wir sie durchführen mussten, um an anderen Stellen Ausgaben zu finanzieren.

Dieser Haushalt ist nicht vor den kritischen Wahlterminen versteckt worden. Er ist offen gelegt worden, weil er sich wirklich sehen lassen kann. Er muss sich nicht verstecken.

Dieser Haushalt ist wieder ein Sparhaushalt, aber er ist auch mehr als das. Er ist der Masterplan unserer Politik für die nächsten acht bis zehn Jahre. Lange vor dem Kommunalwahltermin haben wir die Strategie, die sich mit diesem Haushaltsplanentwurf verbindet, offen gelegt. Er steht unter der eindeutigen Überschrift: heute investieren, morgen profitieren.

Wir können heute Haushaltspolitik nicht mehr in Ein- oder Zweijahreszeiträumen denken. Kleinteiliges und hektisches Denken greift zu kurz. Wir müssen die Herausforderungen und die großen Aufgaben, die vor uns stehen, langfristig und strategisch angehen. Weitblick statt Tunnelblick, Mut statt Miesmacherei, das ist die Maßgabe, die umzusetzen ist. Wir werden heute sehen, ob sich die Opposition auf die wichtigen Themenfelder, die wir besetzt haben, einlassen kann.

Die Landesregierung setzt klare Prioritäten: die Bildungsoffensive, die Stärkung des Wirtschaftsstandorts, die Wahrung der inneren Sicherheit, die Förderung neuer Medien und Technologien und nicht zuletzt der faire Umgang mit den Kommunen, eine Politik für die Fläche.

(Zurufe von der CDU: Fair?)

Natürlich erfordern diese Prioritäten umfangreiche Investitionen, die unangenehme Einsparungen an anderer Stelle erzwingen. Aber es sind Investitio

nen, die sich mittel- und langfristig auszahlen werden, von denen wir morgen profitieren werden. Die Strategie, die dahinter steht und sich wie ein Mosaikbild aus tausenden von Haushaltstiteln ergibt, ist eine Politik des langen Atems.

Meine Damen und Herren, Prioritäten setzen heißt, in die Zukunft investieren. Die Landesregierung zieht gerade Furchen, geht schwierigen Entscheidungsprozessen nicht aus dem Weg und setzt Schwerpunkte mit Sinn für Realitäten. Die Menschen in diesem Land wissen, dass Einschnitte nötig sind, und gerade deshalb erwarten sie klare Positionen und Verlässlichkeit.

Das erste Beispiel dafür ist die Bildungsoffensive. Die Landesregierung sorgt dafür, dass kontinuierlich so viele Lehrer wie nur möglich an die niedersächsischen Schulen kommen. Ab 2000 wurden Mittel für 1 000 Lehrerinnen und Lehrer zur Einführung der Verlässlichen Grundschule und 500 Stellen zur Sicherung der Unterrichtsversorgung bereit gestellt. Ab 2001 wurden weitere 600 Stellen und ab 2002 werden weitere 500 Stellen zusätzlich bereitgestellt und seriös finanziert. Das sind wichtige Investitionen in die Jugend unseres Landes.

Aber gerade in der Bildungspolitik geht es nicht nur um Quantität, es geht auch um Qualität. Deshalb hat die Landesregierung eine umfassende Strategie zur Verbesserung von Unterrichtsversorgung und Betreuungsqualität entwickelt. Ich nenne hier nur die Einführung der Verlässlichen Grundschule, die sich mittlerweile zu einer echten Erfolgsstory entwickelt hat und die wir konsequent fortsetzen. Wir reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen mit der Stärkung des naturwissenschaftlichen Unterrichts, Stichwort „25 % mehr in der Sekundarstufe I“. Wir treiben den Ausbau der Begabtenförderung voran. Wir weiten das Ganztagsangebot kontinuierlich aus, und wir ermöglichen Förderstunden und sozialpädagogische Maßnahmen an Haupt- und Realschulen.

(Unruhe)

Herr Minister, können Sie Ihr Pult ein wenig höher bringen? Hinten sind Sie offenbar schlecht zu hören.

Ich wusste gar nicht, dass ich so groß bin. - Für diese Maßnahmen werden mit dem Haushaltsplan

entwurf der Landesregierung ab 2002 insgesamt 300 zusätzliche Stellen pro Jahr mobilisiert. Alles in allem gilt für die Bildungsoffensive die Faustregel: In den Jahren 2000 bis 2003 sorgt die Landesregierung für 3 100 zusätzliche Lehrkräfte, und zwar mit einem Mitteleinsatz von 310 Millionen DM.

Die Bildungsoffensive bietet aber mehr. Sie konzentriert sich in einem zweiten Schwerpunkt auf die berufliche Bildung und setzt mit der Berufsorientierung und mit der Schaffung von Berufschancen für junge Menschen weitere Akzente. Davon profitieren auch die Berufsschulen. Hier werden seit dem 1. Februar 2000 wieder volle Stellen bereitgestellt, und 800 Dreiviertelstellen werden aufgestockt. Dadurch kommen 5 000 neue Unterrichtsstunden in die Berufsschulen. Die Unterrichtsversorgung verbessert sich um 2,5 Prozentpunkte auf 90 %.