Protocol of the Session on June 15, 2001

Guten Morgen, meine Damen und Herren!

(Zurufe: Guten Morgen!)

(Zurufe: Oh! - Unruhe)

- Solange noch so viel geredet wird, konzentriert sich offenbar niemand.

Die Beschlussfähigkeit werde ich zugegebener Zeit feststellen.

Zur Tagesordnung für die heutige Sitzung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit der Fragestunde, dem Tagesordnungspunkt 31. Danach folgt Punkt 2, die Fortsetzung der Beratung der Eingaben. Anschließend erledigen wir die Tagesordnungspunkte in der Reihenfolge der Tagesordnung.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischer Dienst wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Landesregierung haben sich für heute entschuldigt Herr Ministerpräsident Gabriel und außerdem Herr Finanzminister Aller. Entschuldigt haben sich von der Fraktion der SPD Herr Dr. Fischer und Herr Glogowski sowie von der Fraktion der CDU Herr Eveslage und Herr Meier.

(Möllring [CDU]: Ich denke, das sollte nicht sein!)

Ich darf vielleicht hinzufügen, dass sich Ministerpräsident Gabriel heute Morgen entschuldigt hat. Er ist zu Hause. Er kann nicht sprechen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Herr Aller ist auf einer Wahlkampfveranstaltung!)

- Das weiß ich nicht.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 31: Mündliche Anfragen - Drs. 14/2542

Die Frage 6 wurde vom Fragesteller zurückgezogen.

Es ist jetzt 9.03 Uhr.

Die erste Frage wird von dem Abgeordneten Schröder gestellt.

Frage 1: Minister Dr. Pfeiffer und die richterliche Meinungsfreiheit

Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle stellte im März dieses Jahres die disziplinarischen Vorermittlungen gegen den Rintelner Amtsrichter Christian Rost wegen seiner Äußerungen zur CDU-Parteispendenaffäre ein, weil ein Dienstvergehen nicht vorliege. Noch vor der Verfahrenseinstellung erschien ein weiterer Leserbrief von Christian Rost in der Frankfurter Rundschau. Darin kritisiert er die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Alt-Bundeskanzler Kohl und gibt seiner Besorgnis Ausdruck, dass durch eine solche Verfahrensweise in der Öffentlichkeit das Vertrauen in die Justiz beeinträchtigt werden könnte. Diese „neue erhebliche Erkenntnis“ veranlasste das Justizministerium, das eingestellte Verfahren wieder aufzunehmen und weiterhin disziplinarisch gegen den Rintelner Richter vorzugehen. Seine Kritik an der Verfahrenseinstellung diffamiere das deutsche Rechtssystem als „Zwei-Klassen-Justiz“.

Im Gespräch mit der Schaumburger Zeitung erklärte dazu Minister Dr. Pfeiffer, Rost habe sich in der Vergangenheit „auf problematische Weise geäußert“, er habe „Grenzen überschritten“, und es sei „verständlich“, dass Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet worden seien. Den beanstandeten Leserbrief kenne er aber nicht, so die Schaumburger Zeitung in ihrer Ausgabe vom 20. April 2001.

Die Entscheidung des Bonner Landgerichts stieß nicht nur in der Presse einhellig auf scharfe Kritik. Der Vorsitzende des Parteispenden-Untersuchungsausschusses Volker Neumann (SPD) erklärte dazu:

„Die Begründung des Bonner Landgerichts ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Von einer angeblich unklaren Rechtslage kann keine Rede sein. Im Übrigen ist der Gleichheitsgrundsatz verletzt, wenn Kohl Schadenswiedergutmachung zugute gehalten wird. Ein anderer Täter hätte doch gar keine Chance zu so einer Geldsammelaktion, wie sie Kohl gemacht hat.“

Auch in juristischen Fachkreisen steht Richter Rost mit seiner Auffassung nicht allein.

Ich frage die Landesregierung:

1. Weshalb hält sie es für disziplinarrechtlich relevant, wenn sich ein Amtsrichter kritisch und auch polemisch überspitzt zu einzelnen Entscheidungen oder Entwicklungen in der Justiz durch einen Leserbrief äußert?

2. Teilt sie die Auffassung, dass Richter, die sich engagiert und in deutlicher Sprache an der Diskussion rechts- und allgemeinpolitischer Fragen beteiligen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre persönliche Unabhängigkeit stärken?

3. Weshalb sieht sich Minister Dr. Pfeiffer zwar in der Lage, sich mit eindeutigen Bewertungen gegenüber der Presse zum Verfahren zu äußern, nicht aber nach immerhin fast einem halben Jahr meine Kleine Anfrage zu diesem Verfahren zu beantworten?

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, mir ist die Unruhe immer noch zu groß.

(Oestmann [CDU]: Was meinen Sie, was wir noch alles schaffen! – Coenen [CDU]: Das Parlament ist lebhaft! - Möllring [CDU]: Endlich ist einmal etwas los hier, und dann ist das auch wieder falsch!)

Herr Professor Pfeiffer, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Richter am Amtsgericht Rost hat sich unlängst, wie wir gerade gehört haben, in zwei Leserbriefen über die Beteiligten in der CDU-Parteispendenaffäre und insbesondere zu der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Helmut Kohl öffentlich geäußert.

Einige Formulierungen des Amtsrichters gaben Anlass zu disziplinarischen Ermittlungen wegen einer möglichen Verletzung des in § 39 des Deutschen Richtergesetzes normierten Gebotes der Mäßigung und Zurückhaltung.

Noch bevor die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle mit Bescheid vom 5. März 2001 das Disziplinarverfahren wegen des am 5. Oktober 2000 in der Schaumburger Lokalpresse veröffentlichten Leserbriefes eingestellt hatte, hat Amtsrichter Rost einen weiteren Leserbrief am 22. Februar 2001 in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht, der Anlass zur Überprüfung gab, ob das von der obersten Dienstbehörde zum damaligen Zeitpunkt noch nicht beendete Disziplinarverfahren auf diese Äußerungen zu erstrecken war. Deshalb ist dem Amtsrichter Rost mit Schreiben vom 10. April 2001 durch das Justizministerium Gelegenheit gegeben worden, sich zu den neuerlichen Vorwürfen zu äußern. Er hat dazu ausführlich Stellung genommen. Darüber hinaus habe ich Herrn Rost für den 1. Juni zu einem persönlichen Gespräch eingeladen, um ihm deutlich zu machen, welche Punkte seiner beiden Leserbriefe ich als problematisch einschätze.

Zum einen habe ich ihm bei diesem Gespräch mitgeteilt, dass ich es für falsch halte, Herrn Schäuble öffentlich weiterhin als Lügner zu bezeichnen. Zwar hat Herr Schäuble nach eigenem Bekunden das Parlament über den Vorgang der von Herrn Schreiber an ihn herangetragenen Parteispende falsch unterrichtet. Dieses nach seiner Darstellung einmalige Fehlverhalten bedeutet aber meines Erachtens nicht, dass er nun für alle Zeiten als Lügner abgestempelt werden sollte. Ich habe Herrn Rost vorgehalten, dass doch auch er einen Bürger, der erstmalig wegen eines Ladendiebstahls verurteilt worden ist, nicht auf Dauer als Dieb bezeichnen würde, sondern nur als jemand, der an einem bestimmten Tag etwas in einem Kaufhaus gestohlen hat.

Herr Rost hat daraufhin eingeräumt, dass er diese Kritik an seinem Leserbrief durchaus nachvollziehen und akzeptieren kann. Wir waren uns aber

beide einig darüber, dass seine Formulierung noch nicht den Tatbestand eines Dienstvergehens erfüllt, die es rechtfertigen würde, ihm gegenüber eine disziplinarische Sanktion auszusprechen. Die mit Bescheid vom 5. März erfolgte Einstellung des Verfahrens durch die Oberlandesgerichtspräsidentin wird deshalb von mir uneingeschränkt gebilligt.

Zum zweiten habe ich mit Herrn Rost ausführlich über den in der Frankfurter Rundschau veröffentlichen zweiten Leserbrief gesprochen. Dort hatte er es als „Bankrott des Rechtsstaats“ bezeichnet, dass das Strafverfahren gegen den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt worden ist. In Bezug auf diese Formulierung habe ich ihm zunächst vorgehalten, dass die Meinungen darüber, ob Herrn Kohls Verhalten als Untreue im Sinne des § 266 StGB zu bewerten ist, in Fachkreisen weit auseinander gehen. So kam der Strafrechtler Professor Harro Otto in seinem Gutachten, das auch der Staatsanwaltschaft Bonn vorgelegen hat, zu dem Ergebnis, dass Kohl zwar gegen das Parteiengesetz verstoßen und demzufolge rechtswidrig gehandelt, sich jedoch deshalb nicht wegen Untreue strafbar gemacht habe. Dem sind der Strafrechtler Professor Gerhard Wolf und andere namhafte Juristen in verschiedenen Veröffentlichungen, auf die sich Rost in seiner schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Justizministerium teilweise wörtlich bezieht, aufs Schärfste entgegengetreten.

Gegenüber Herrn Rost habe ich dargelegt, dass man der einen oder der anderen Auffassung zuneigen kann, und habe mich ferner sinngemäß zu dem Fall wie folgt geäußert: Die wissenschaftliche Aufbereitung des Themas belegt die Schwierigkeit, die es bereitet, ein in der Geschichte der Bundesrepublik bislang einmaliges Geschehen einer strafrechtlichen Bewertung zu unterziehen. In diesem Zusammenhang sind dogmatische Grundfragen des Straftatbestandes der Untreue und auch schwierig zu beurteilende Einzelprobleme, u. a. zum strafrechtlichen Vermögensbegriff und zum Vermögensschaden, aufgeworfen worden. Mit der Diskussion, ob die verdeckte Parteienfinanzierung als strafbare Untreue zu bewerten ist, ist zweifelsohne juristisches Neuland betreten worden. Völlig klar war lediglich, dass Herr Kohl gravierend gegen Vorschriften des Parteiengesetzes verstoßen hatte. Die Staatsanwaltschaft Bonn befand sich deshalb bei der Beurteilung der Frage, ob Herrn Kohl bewusst gewesen ist, dass er nicht nur das Parteiengesetz verletzt, sondern auch den strafrechtlichen

Tatbestand der Untreue des § 216 StGB erfüllt hat, in einer schwierigen Situation.

Bei unserem Gespräch habe ich Herrn Rost deutlich gemacht, dass auch ich es besser gefunden hätte, wenn die Vorwürfe gegen Herrn Kohl und die damit verbundenen rechtlichen Streitfragen auf der Basis einer förmlichen Anklage in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung ausgetragen worden wären. Die Bürger hätten so die Entstehung der Sanktion in Höhe von 300 000 DM besser nachvollziehen können. Gegenüber Herrn Rost habe ich aber gleichzeitig klar herausgestellt, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Bonn juristisch durchaus vertretbar ist und deswegen aus meiner Sicht nicht als Bankrott des Rechtsstaates bezeichnet werden sollte. Herr Rost hat daraufhin erklärt, dass er diese Sicht durchaus nachvollziehen könne.

Bei der Bewertung seines Verhaltens ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass namhafte Juristen die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Bonn aufs Schärfste kritisiert und öffentlich dazu aufgerufen haben, Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft einzulegen – als Beispiel nenne ich den Artikel von Prof. Henjes aus der Zeit vom 19. April 2001.

Die Frage, auf welche Weise sich ein Richter an diesem Meinungsstreit beteiligen kann, gibt Anlass, Grundsätzliches zur richterlichen Unabhängigkeit und der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit anzumerken. Nach dem Grundgesetz sind Richter und Richterinnen nur der Sache verpflichtet. Sie sollen frei von sachfremden Einflüssen unter gerechter Abwägung aller Rechte und Belange der Betroffenen und auch der Allgemeinheit verbindlich entscheiden dürfen. Diese Aufgabe setzt in der Person der Richterin oder des Richters Neutralität, Distanz und ferner Unabhängigkeit voraus, wie diese durch Artikel 97 des Grundgesetzes verbürgt ist. Darüber hinaus ist aber auch ein bestimmtes Maß an Zurückhaltung vor allem dort erforderlich, wo das persönliche Bekenntnis mit dem Ansehen des Amtes in Konflikt geraten könnte, denn die Überzeugungskraft richterlicher Entscheidungen beruht nicht nur auf der juristischen Qualität ihrer Gründe, sie stützt sich auch in hohem Maß auf das Vertrauen, das Richter und Richterinnen von der Bevölkerung entgegengebracht wird. Dieses Vertrauen fußt nicht zuletzt auf der äußeren und inneren Unabhängigkeit des Richters oder der Richterin auf der Neutralität und erkennbaren Distanz, die auch in aktuellen politi

schen Auseinandersetzungen spürbar bleiben muss. Sind Meinungsäußerungen von Richtern und Richterinnen zu politischen Fragen geeignet, dieses Vertrauen zu erschüttern, so widersprechen sie dem Richterbild des Grundgesetzes. Richter und Richterinnen haben sich also innerhalb und außerhalb ihres Amtes – somit auch bei politischer Tätigkeit – so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.

(Beifall bei der CDU – Möllring [CDU]: Sagen Sie das mal Herrn Rost!)

Auf der anderen Seite gilt aber auch: Richter können ihre politische Auffassung in der Öffentlichkeit vertreten und gleichwohl ihre Unabhängigkeit bei der Ausübung der rechtsprechenden Tätigkeit bewahren. Das in § 39 des Deutschen Richtergesetzes normierte Gebot der Zurückhaltung und Mäßigung erfordert allerdings eine klare Trennung zwischen dem Richteramt und der Teilnahme am politischen Meinungskampf. Dies zugrunde gelegt, ist das Verhalten des Amtsrichters Rost sicherlich ein Grenzfall.

(Möllring [CDU]: Auf der falschen Seite der Grenze!)

Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Parteispendenaffäre an den Grundfesten des demokratischen Rechtsstaates gerüttelt hat und alle damit verbundenen Ereignisse in den Medien über die Parteigrenzen hinweg und selbst in Justizkreisen mit großer Vehemenz diskutiert worden sind. Die Bewertung des Verhaltens darf nicht losgelöst davon erfolgen. Sie muss vielmehr im Lichte der in der Öffentlichkeit geführten Diskussion geschehen.

Ferner ist bei der Bewertung der Leserbriefe von Herrn Rost Folgendes zu berücksichtigen: Herr Rost hat sowohl in seiner schriftlichen Antwort an das Justizministerium als auch vor allem in dem Gespräch mit mir Einsicht gezeigt. Insbesondere hat er Formulierungen, die den Eindruck entstehen ließen, der Richter könne sein Amt in der politischen Auseinandersetzung dafür einsetzen, um seiner persönlichen politischen Auffassung mehr Nachdruck zu verleihen und sie wirksamer durchzusetzen, mündlich und schriftlich relativiert. Er hat darüber hinaus erkennen lassen, dass er sich seiner Rechtsstellung als Richter und der damit verbundenen Pflicht zur Zurückhaltung und Mäßigung bewusst ist.