Protocol of the Session on February 21, 2001

Im Rahmen der Besprechung hat zunächst die Frage stellende Fraktion das Wort. Herr Kollege Hagenah, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Grünen haben eine differenzierte Position zur EXPO eingenommen: kritisch in der Auseinandersetzung mit Organisationsstruktur und Konzept, gastfreundlich gegenüber den Gästen. Schon während der Ausstellung haben wir trotz der organisatorischen Unzulänglichkeiten und des wirtschaftlichen Desasters der Show festgestellt, dass die EXPO aus der Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie der Besucher sicher ein Gewinn und eine schöne Erfahrung war. Die Völker verbindende Atmosphäre und das ernsthafte Interesse mancher Aussteller an Austausch und

Kooperation für eine lebenswerte Zukunft haben auch wir gespürt.

Aber gerade wir als Oppositionsfraktion haben natürlich die besondere Verpflichtung, nach Konsequenzen und Schlussfolgerungen der Landesregierung aus den negativen Aspekten der Weltausstellung zu fragen. Dies erscheint uns umso wichtiger, als sich in der Weltausstellung ein bestimmtes organisatorisches Muster gezeigt hat, das von der Landesregierung zunehmend auch in anderen Politikfeldern angewandt wird.

Erstens. Durch bewusstes Vermengen privater Investitionsinteressen mit öffentlichen Aufgaben wie bei der EXPO entzieht sich dieser Bereich der parlamentarischen Kontrolle, obwohl die Steuerzahler weiter das volle Risiko solcher Unternehmungen tragen.

Zweitens. Die Landesregierung betraut die Privatwirtschaft mit Aufgaben, die sie als Land nicht allein finanzieren kann, und lockt die Unternehmen mit viel Einfluss und wenig Ergebnisverantwortung.

Dies setzt sich inzwischen bei Projekten wie der Hirnklinik von Professor Samii oder den Oppermann‘schen Stiftungskonzepten für das Universitätswesen fort. Immer steht die Erwartung im Vordergrund, private Investoren würden öffentliche Förderung ersetzen. Die Landesregierung erhofft sich durch das großzügige Abtreten von Aufsichtsratspositionen bzw. Beiratspositionen, noch zusätzlich wirtschaftliches Know-how und Engagement in die jeweiligen Bereiche zu lenken.

So weit, so gut. Nur, das klappt so nicht in Niedersachsen. Dieses schlecht aus dem Amerikanischen abgekupferte Konzept erfordert offensichtlich andere Rahmenbedingungen, als sie derzeit bei uns gegeben sind. Hier in Deutschland brauchen wir für derartige Ansätze Mechanismen mit deutlich mehr Ergebnisverantwortung bei allen Beteiligten und größere öffentliche Kontrolle.

Um das Ausmaß an fehlendem Controlling und fehlender Steuerungskompetenz für solche Prozesse bei der Landesregierung zu verdeutlichen, ist es vielleicht noch einmal nötig, auf das Ausmaß des eklatanten Missverhältnisses von Anspruch und Wirklichkeit im Wirtschaftsergebnis der EXPO GmbH hinzuweisen. Diese Gesellschaft hat das Kunststück fertig gebracht, von ihren 3,5 Milliarden DM Ausgaben, entgegen allen Ankündigungen und selbst in Auftrag gegebenen

Gutachten, nur knapp ein Drittel wieder herein zu bekommen. Dennoch versucht die Landesregierung auch heute noch in der Beantwortung unserer Anfrage, dem Landtag und der Öffentlichkeit vorzumachen, dass alle Probleme bei der EXPO überraschend auf sie zukamen und Anfang Juli sozusagen ad hoc entschieden werden musste, ohne das Parlament zu beteiligen, und dass nach den Korrekturen bei den Eintrittsgeldern und der Vermarktung der EXPO aus ihrer Sicht immer noch ein positives Ergebnis denkbar gewesen wäre.

Herr Aller, wir fühlen uns durch eine derart penetrante Flunkerei nur noch an der Nase herumgeführt. Glauben Sie eigentlich, dass niemand nachrechnet, wie viele Besucher bei den reduzierten Eintrittsgeldern tatsächlich noch nötig gewesen wären, um die schwarze Null zu erreichen?

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wenn man das nur überschlägig macht und sogar annimmt, Sie hätten - was tatsächlich nicht der Fall gewesen ist - einen Reingewinn von 40 DM pro Besucher gehabt, dann hätten Sie am Ende 80 Millionen Besucher haben müssen, um tatsächlich noch zur schwarzen Null zu kommen. Wem wollen Sie hier noch erklären, dass das realistisch sein könnte?

Wir fragen Sie im Namen der Steuerzahler: Warum gibt es von der Landesregierung keine eigene kritische Analyse der fehlgeschlagenen Erwartungen? - Unsere Anfrage hat Ihnen dazu die Gelegenheit gegeben. Von konkreter Selbstkritik und einer Auflistung der fehlerhaften Einschätzungen ist darin allerdings keine Spur, sondern das ist von der ersten bis zur letzten Seite eine Rechtfertigung.

Das fing bei der EXPO - so haben wir den Informationen entnehmen können - mit der offenbar gegriffenen Zielzahl von 40 Millionen Besuchern an. Das ist ein Musterbeispiel für die reine Zwecklogik, die die Landesregierung beim Umgang mit den Rahmendaten und Prognosen im Zusammenhang mit der EXPO insgesamt angewandt hat.

Aus Ihrer Antwort wissen wir, das immerhin die Landeshauptstadt Hannover zu Beginn der Planungen realistisch 18 Millionen Gäste geschätzt hatte. Das trifft sich erstaunlich gut mit dem Endergebnis. Ein Jahr vor Eröffnung hat sich sogar Ihr Berater, Roland Berger, selbst auf fast das gleiche

Niveau herunter korrigiert, weil er erhebliche Risiken sah.

Dennoch hatte das keine Folgen für Ihr Konzept und die Risikoaufteilung zwischen Bund und Land und der Wirtschaft. Die Warnungen haben Sie im Aufsichtsrat so lange abgewogen und letztlich weggewogen, bis die alte Fata Morgana von 40 Millionen Besuchern erneut möglich erschien.

Wir können Ihnen nicht glauben, dass Sie damals selbst noch daran geglaubt haben. Sie haben diese falschen Grundannahmen nur deswegen weiter vor sich her getragen, um die überdimensionierten Infrastrukturausbauten zum Messestandort gegenüber den übrigen Ansprüchen im Land weiter aufrechterhalten zu können und das Parlament bei der Kontrolle dieser Steuergeld-Vernichtungsgesellschaft EXPO weiter außen vor zu halten.

Die Rechnungshöfe werden Ihnen das demnächst auch wieder vorhalten. Hoffentlich werden durch deren Begutachtung die Verantwortlichkeiten klarer herausgearbeitet, als das bei der Beantwortung unserer Fragen dudrch Sie gesechehen ist.

Allein bei der Quantifizierung der Steuermehreinnahmen zeigen Sie sich entgegen dem sonst sehr abwiegelnden Tenor Ihrer Antworten einmal realistisch. Nur 1,5 Milliarden DM Steuerschöpfung werden von Ihnen als rechnerische Variante genannt mit einem Anteil des Bundes von über 50 % und einem Landesanteil von weniger als 5 %. Das ist deutlich. Einem Defizitanteil von mehr als 800 Millionen DM für Niedersachsen stehen damit allenfalls 75 Millionen DM Steuermehreinnahmen im Landeshaushalt gegenüber, während sich der Bund immerhin über 750 Millionen DM freuen kann.

Wenn man die unterschiedliche Refinanzierung durch Steuereinnahmen berücksichtigt, sind wir also auch heute noch bei einer praktisch hälftigen Teilung des EXPO-Defizits zwischen Bund und Land. Das ist eben doch ein schlechtes Verhandlungsergebnis angesichts der unterschiedlichen Finanzpotentiale und des Gastgeberstatus, den schließlich der Bund hatte.

Der volkswirtschaftliche Nutzen - ein anderer Begriff, der von Ihnen gerne benutzt wird - der EXPO wird von der Landesregierung in der Antwort im Sinne eines speziellen lokalen Nutzens auf Kosten Dritter verstanden und verwandt. Offenbar meinen Sie hier beim volkswirtschaftlichen Nutzen den Partialnutzen von einigen Standorten und

begünstigten Branchen, der aber zum allergrößten Teil nur zu Lasten anderer Standorte und Bereiche in Niedersachsen erzielt werden konnte.

Von den aufgelisteten 8,5 Milliarden DM so genannter dauerhafter Investitionen im Zusammenhang mit der EXPO sind bei kritischer Betrachtung tatsächlich nur rund 1 Milliarde DM im Bereich EXPO-Ost-Investitionen nur von der EXPO ausgelöst und auch nur durch die EXPO dort gemacht worden. Die anderen Investitionen wären sicherlich in dieser Zeit oder zeitlich etwas versetzt an anderer Stelle in Niedersachsen ganz genauso getätigt worden. Der volkswirtschaftliche Nutzen wäre also auf diese Art und Weise trotzdem in unserem Lande geblieben.

Ebenso fragwürdig ist der Gehalt des so genannten volkswirtschaftlichen Nutzens aus den Ausgaben der Besucher. Die Landesregierung gesteht in der Antwort erstmals offiziell ein, dass auf der EXPO nur 6 % ausländische Besucherinnen und Besucher gezählt wurden. Also gab es bei 18 Millionen Besuchern, obwohl die ausländischen Besucherinnen und Besucher sicherlich mehrmals da waren, insgesamt nur 900.000 Besuche von Ausländerinnen und Ausländern auf der EXPO. Damit wird deutlich, dass von den Besucherausgaben tatsächlich 90 bis 95 % von deutschen Besucherinnen und Besuchern stammten und mithin nur eine Umschichtung dieser Ausgaben innerhalb des Bundesgebiets erfolgt ist. Volkswirtschaftlich war das also ein Nullsummenspiel.

(Beckmann [SPD]: Müssen sich die Leute jetzt noch dafür entschuldigen, dass sie gekommen sind, oder was?)

- Man sollte aber nicht in dieser Art und Weise mit einem volkswirtschaftlichen Nutzen argumentieren, wenn er sich nur auf so argumentativ schwankendem Boden halten lässt.

(Biel [SPD]: Fest steht doch, dass es den Leuten gefallen hat, dass sie die EXPO besuchen konnten!)

Verschämt taucht dann auch im Vorwort Ihrer Antwort das knappe Eingeständnis auf, dass die EXPO betriebswirtschaftlich unbefriedigend gelaufen ist, ganz im Gegensatz zur Zeit vor der Eröffnung, als die betriebswirtschaftliche Prognose mit der schwarzen Null gerade Ihnen in der SPD so wichtig war.

(Zuruf von Biel [SPD])

Diese schwarze Null war für Sie ein zentrales Argument dafür, dass Sie der Privatwirtschaft ein so hohes Mitsprache- und Gestaltungsrecht bei der EXPO einräumen mussten. Darauf haben Sie in Ihrer Antwort jetzt nur einen Hinweis im Vorwort übrig. Das zeigt deutlich, dass Sie an dieser Stelle völlig gescheitert sind.

(Zuruf von Dr. Schultze [SPD])

Letztlich sind Sie mit diesem Konzept, mit Ihren Sponsoren und Ihren Beteiligungsgesellschaften tatsächlich weit am Ziel vorbei geschossen. Sie haben bis zum Ende der EXPO nur Mittel in Höhe von 537 Millionen DM eingeworben statt der mehr als 900 Millionen DM, die Sie im Konzept vorgesehen hatten.

(Dr. Schultze [SPD]: Was heißt denn „nur“? Was haben Sie denn bisher zu- stande gebracht? - Beckmann [SPD]: Sie haben nur Kosten verursacht, sonst nichts!)

Natürlich haben die großen Partner entgegen der Antwort der Landesregierung Sonderkonditionen erhalten, während die kleinen zum Teil mit ihrer wirtschaftlichen Existenz dafür bezahlen mussten, dass sie sich mit Ihnen auf das Abenteuer EXPO eingelassen haben. Das nennen Sie dann in Ihrer Antwort zwar beschönigend „branchenübliche umsatzabhängige Beteiligung“, aber jeder weiß, dass damit die umsatzbedingt geringeren Beiträge von den Weltpartnern Coca-Cola und Adecco gemeint sind. Natürlich gilt das aus Ihrer Sicht nicht für die in den gleichen Branchen tätigen mittelständischen Restaurantinvestoren, die durch die EXPO umsatzbedingt Bankrott gegangen sind, und auch nicht für die wegen des Besucherschwunds frühzeitig entlassenen Standkräfte, die schon für die ganze EXPO-Zeit eine Wohnung in Hannover angemietet hatten. Das sind auch branchenbezogene, umsatzbedingte Probleme, die aber offensichtlich von der EXPO nicht so wie bei den Weltpartnern gewürdigt wurden. Diese Form von Zweiklassenmoral finden wir schlicht zynisch und einer Landesregierung - zumal einer SPD-geführten - nicht angemessen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihr Konzept für die EXPO war wie das für das INI oder das für die Hochschulen ein mit heißer Luft gefüllter Luftballon;

(Senff [SPD]: Wann findet die EXPO statt?)

dabei stimme ich dem Urteil von Herrn Wulff zu Ihren Hochschulplänen einmal ausdrücklich zu: Wir haben hier keine amerikanischen Verhältnisse und können keine Verwischung der Verantwortlichkeit und keine Schwächung der demokratischen Kontrolle gebrauchen. Ansonsten bekämen wir unakzeptable Risiken und Folgekosten wie bei der Weltausstellung. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung spricht Finanzminister Aller.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war vorauszusehen, dass die Fragen zielgerichtet gestellt werden und dass die Antwort gar nicht gewollt ist, sondern dass die auf den Fragen beruhende Theorie der Grünen fortgesetzt werden soll.

(Beifall bei der SPD - Beckmann [SPD]: So ist das!)

Dass ausgerechnet ein Hannoveraner Abgeordneter wie Herr Hagenah so mit der EXPO ins Gericht geht, macht mich schon etwas stutzig; denn der eigentliche und große Gewinner der EXPO in Niedersachsen ist die Region Hannover, und das wollen wir hier erst einmal festhalten.

(Beifall bei der SPD - Hagenah [GRÜNE]: Wir sind mit der Landes- regierung ins Gericht gegangen, nicht mit der EXPO!)

Auch der Rat der Stadt Hannover, in dem es bis vor kurzem noch eine Mehrheit von SPD und Grünen gab, hat sehr tatkräftig mitgeholfen - auch durch Präsenz im Aufsichtsrat; das sage ich ausdrücklich -, dass das Konzept der EXPO in der Form, in der es geplant war, durchgezogen worden ist. Es gab Mitglieder des Rates und auch des Landtages, die in der Organisation der EXPO Grund tätig gewesen sind

(Plaue [SPD]: Wer war das denn?)

- der eine heißt Hagenah; der hat eben geredet

(Plaue [SPD]: Nein, ist das wirklich wahr?)

und dadurch mit dafür gesorgt haben, dass das Liegenschaftsmanagement für die EXPO so organisiert worden ist, wie es organisiert worden ist, zum Guten, Herr Hagenah, aber auch zum Schlechten. Ich sage das in dieser Deutlichkeit, weil mir diese Abmeldung aus der kollektiven Verantwortung nicht gefällt, schon gar nicht, wenn es die Grünen machen.