Ich verlasse mich da ganz auf den Präsidenten. Das ist Ihre Art und Weise, eine Kabinettsumbildung zu betreiben, wie wir das bis in die Mittagsstunden hinein erlebt haben. In Interviews erklärte der Ministerpräsident: Es gab bei uns einige, die sich für kabinettsreif hielten. Aber das waren ausschließlich Männer. - Damit sagt er ja, dass es in der SPD-Fraktion nur noch drei Gruppen gibt: Frauen, die nicht kabinettsreif sind, Männer, die sich für kabinettsreif halten, und eine immer größer werdende Zahl derer, die schon im Kabinett waren.
Das ist das Eingeständnis von Blutleere und Ausgelaugtheit. Wenn die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, wie gestern geschehen, berichtet, dass Herr Plaue den Eindruck, es handele sich nur um Flaschen, zurückgewiesen habe, dann ist das immerhin eine erhellende Erkenntnis.
Die Kabinettsumbildung ist missglückt. Besonders schlimm ist, dass sie mit einem unglaublichen Glaubwürdigkeitsverlust verbunden ist. Das werden Sie noch bemerken.
Wenn am Wochenende in allen Zeitungen des Landes berichtet wird, am Dienstag werde es drei neue Minister geben, und am Sonntag Millionen Niedersachsen über den Norddeutschen Rundfunk, im Hörfunk, vom Ministerpräsidenten gesagt bekommen, das sei erstunken und erlogen, daran sei nichts wahr, das hätten sich wieder einmal Journalisten ausgedacht, dann türmen sich natürlich die Briefe auf, in denen die Menschen fragen: Auf wen und was sollen wir überhaupt noch vertrauen, wenn ein Ministerpräsident sonntags sagt, es sei keine Kabinettsumbildung geplant, Weber sei sein bester Mann im Boot, mit dem werde er also noch weiter fahren, dann aber am Dienstag die Kabinettsumbildung verkündet, als sei nichts gewesen? Das ist die Müntefering-Linie: Man kann immer die gesamte Öffentlichkeit täuschen; am Ende wird sich das auszahlen. - Nein! Am Ende wird diese Art des Umgangs mit der niedersächsischen Öffentlichkeit bitter abgestraft werden!
Auch die Themen kommen und gehen wie die Kabinettsmitglieder. Die Staatsmodernisierung wird zur Chefsache erklärt und in die Staatskanzlei geholt. Jetzt, da unpopuläre Entscheidungen anstehen, wird sie wieder in das Innenministerium abgeschoben. Das Thema Multimedia, Internet, Telekommunikation wurde vor einem Jahr zu dem Thema schlechthin erklärt. Als man merkte, dass man immer noch nichts vorweisen kann, schob man es in das Wirtschaftsministerium. Vor diesem Hintergrund kann ich nur empfehlen, einmal in den Zeitraum der 80er-Jahre zurückzublicken. Als 1987 z. B. das Programm „Computer an Schulen“ verkündet wurde, als das Rundfunkmonopol
gebrochen wurde, als RTL und ffn in Hannover lizenziert wurden, als hier in Hannover die Glasfaserverkabelung als neue Form der Datenautobahn für das gesamte Land diskutiert wurde, da waren das Beginn und Anfang eines Informatikstandortes Niedersachsen, wie man ihn in Deutschland in keinem anderen Bundesland vorfand. Jüngst hat das Niedersächsische Institut der Wirtschaft eine Bilanz nach zehn Jahren SPD-Medien- und Informationspolitik vorgelegt. Diese fällt mehr als dürftig aus. Dort heißt es nämlich, Niedersachsen haben inzwischen eine geringe Bedeutung als Standort der Informations- und Medienwirtschaft, weil man diese Pflänzchen der Informations- und Mediengesellschaft nicht gepflegt habe.
Jetzt wollen Sie die Landesentwicklung in die Staatskanzlei holen. Wenn Sie merken, dass Sie die Regionen weiterhin benachteiligen und dieses Thema nicht in den Griff bekommen, werden Sie vermutlich auch dies wieder abstoßen.
Wir fordern Sie auf, endlich mit dem nötigen Ernst, mit der nötigen Nachhaltigkeit Regierungsgeschäfte in diesem Lande zu betreiben, bei denen man sich am Anfang ein Ziel setzt und am Ende auch ein Stück weit in der Nähe des Zieles anlangt, statt die Ziele zu wechseln, um nicht an den ursprünglichen Vorstellungen gemessen werden zu können.
Meine Damen und Herren, Zukunftspolitik ist Haushaltspolitik. Dabei geht es um die Frage, wofür man wie viel Geld einsetzt. Bei dem wichtigsten Ziel, der Sanierung der zerrütteten Landesfinanzen, sind Sie durchgefallen. Bei der Personalausgabenquote sind Sie mit fast 45 % der Spitzenreiter unter allen Bundesländern. Sie haben die niedrigste Investitionsquote seit 54 Jahren. Sie sind willfährig gegenüber der Bundesregierung: ob es um UMTS-Milliardenerlöse ging oder jetzt um die Entfernungspauschale. Die gesamten Auswirkungen der Entfernungspauschale und des Heizkostenzuschusses tauchen in dem Haushaltsentwurf natürlich noch gar nicht auf. Die sollen dann als Risiken abgedeckt werden. Wir kritisieren das Prozedere, wie diese Auswirkungen zustande kommen, dass nämlich gegen den als richtig erkannten Grundsatz, wer die Musik bestellt, der muss sie auch bezahlen, wieder einmal kolossal verstoßen worden ist.
Die rot-grüne Bundesregierung bestellt, und wir, die Länder und Kommunen, müssen es bezahlen. Wir werden einmal entlastet in Bezug auf die EXPO, und wir werden jährlich belastet bei der Entfernungspauschale und dem Heizkostenzuschuss. So haben Sie sich über den Tisch ziehen lassen.
Mit der Steuerreform ist es nicht anders. Ein Arbeitnehmerhaushalt mit zwei Kindern wird um 62 DM monatlich entlastet. Dem stehen aber Mehrausgaben durch Ökosteuer und anziehende Preise von 135 DM gegenüber. Glauben Sie nicht, dass die Menschen das nicht ganz genau bemerken, wie sie immer weniger zur Verfügung haben, je mehr die Bundesregierung von Steuererleichterungen und Steuerentlastungen redet. Je mehr Sie davon sprechen, desto weniger bleibt den Leuten übrig.
Allein die Inflation ist innerhalb von zwei Jahren durch Ihre Politik und die Ökosteuer verdreifacht worden - von 0,8 % ist der Preisanstieg jetzt auf 2,4 % explodiert. Das ist das, was sich die Rentnerin eben weniger leisten und kaufen kann, wenn sie 0,6 % Rentenerhöhung erhält, steigende Beiträge bei der Krankenkasse hat und 2,4 % mehr bezahlen muss. Wenn dann nach dem Winter auch noch die Nebenkostenabrechnung kommt, kommt das bittere Erwachen über das, was rot-grüne Abzockerei unter dem Strich für die Menschen im Lande draußen bedeutet.
Sie haben nach oben hin immer willfährig abgenickt, auch bei der Steuerreform die ganz klare Lastigkeit zugunsten der Kapitalgesellschaften. Die Aktionäre sind die Profiteure. Je mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, desto höher ist der Aktienkurs. Aber die Arbeitnehmer in diesen Unternehmen können auf ihre Steuererleichterung bis zum Jahr 2005 warten. Sie haben nach oben willfährig abgenickt und nach unten weiter abgezockt.
Sie haben die Kommunen weiterhin davon „befreit“, 1,169 Milliarden DM im Finanzausgleich mehr zu erhalten. Wir sind der Meinung, dass dieses Geld in den nächsten Jahren wieder an die Kommunen zurückgegeben werden muss und dass die Gängelei von Kommunen und Wirtschaft aufhören muss.
Moderne Politik, insbesondere moderne Wirtschaftspolitik, setzt voraus, dass man nicht gängelt, dass man nicht über komplizierte Neuregelungen die Schaffung von Arbeitsplätzen erschwert, sondern dass man sie erleichtert. Sie stattdessen zementieren den Arbeitsmarkt weiter. Sie wollen nach Ihren Änderungen bei 630-DM-Jobs und Scheinselbständigkeit das Betriebsverfassungsgesetz ändern, die Befristung von Arbeitsverhältnissen erschweren und zusätzliche Bürokratie mit einem ziemlich uneingeschränkten Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit schaffen. Damit geben Sie den Wirtschaftszweigen Niedersachsens, die dringend darauf angewiesen sind, flexibel operieren zu können, zum Teil den Todesstoß.
Wir müssten flexibilisieren, auch bei den Möglichkeiten eines Mittelständlers, in neue und zusätzliche Arbeitsplätze zu investieren. Stattdessen hat Niedersachsen zu den Ländern gehört, die im Länderfinanzministerrat dafür gekämpft haben, die Abschreibungsfristen zu verlängern, was den Mittelstand zwischen 3 und 7,5 Milliarden DM kosten wird. Sie haben dem Mittelstand die Halbierung der Mehrwertsteuer versprochen, den Ankündigungen aber keine Taten folgen lassen.
Das Technologieprogramm des Landes ist längst ein Reparaturprogramm für große Betriebe. Der Risikokapitalfonds - mit großem Medienbohei hier im Lande verkauft - ist ein Flop, der Innovationsfonds beim Ministerpräsidenten klammheimlich aufgelöst.
Herr Golibrzuch hat hier vonseiten der GrünenFraktion mehrfach darauf hingewiesen, dass eine solche kurzatmige Politik, mit ein paar Schecks gutes Wetter im Lande zu verbreiten, nichts tut für die Verbesserung der Wirtschaftsstrukturen. Sie sind dem jetzt klammheimlich nachgekommen und haben gesagt, dass diese Einlassungen wohl richtig gewesen seien und der Mittelstand so nicht zum Laufen gebracht werden könne. Das A und O für Mittelstand, für Wirtschaftsentwicklung in Niedersachsen wäre die Verbesserung der Infrastruktur, die Sie sträflich vernachlässigen.
Sie greifen nicht energisch die Überlegungen einer Küstenautobahn auf, Sie greifen nicht den Innovationsstau bei Landesstraßen auf, Sie greifen nicht die Anbindung der Regionen an Wirtschaftszentren und Ballungsräume auf, und Sie wollen auch nicht unsere Anregung, die von beiden Oppositionsfraktionen kommt, nämlich mehr Wettbewerb auf die Schiene zu bringen, aufnehmen, sondern lassen die
Bahn in den Regionen des Landes verkommen, lassen den InterRegio einstellen und haben keinerlei Alternativplanungen in der Tasche.
Es gibt ein weiteres Thema, um das es verblüffend still geworden ist. Das ist das Thema „Bündnis für Arbeit“.
Das „Bündnis für Arbeit“ war ja das zentrale Anliegen, Herr Aller, für Sie und Ihre Landesregierung, in Niedersachsen und im Bund. Die haben sich vertagt. Die haben seit Juli nicht mehr getagt. Im Lande hört man nichts. Es sind unzählige Arbeitsgruppen gebildet worden. Aber die 330.000 Arbeitslosen mit ihren Familien in Niedersachsen spielen bei der Sozialdemokratie in der Landespolitik aktuell offensichtlich keine Rolle mehr.
Es gibt keine arbeitsmarktpolitischen Initiativen dieser Regierung. Man tröstet sich mit 3 % Wirtschaftswachstum, was infolge des gigantischen Geldwertverlustes des Euro und des Exportwachstums tatsächlich nicht schwierig ist. Aber es treibt uns um, dass man dann, wenn man 3 % Wirtschaftswachstum hat, nicht gleichzeitig Beschäftigungswachstum verzeichnet, weil man befürchten muss, dass die Arbeitslosigkeit bei abnehmendem Wachstum auf 1 % oder 1,5 % wieder steigen würde, obwohl oben mehr aus dem Arbeitsleben ausscheiden als unten nachkommen.
Die aktuell sinkenden Arbeitslosenzahlen von wenigen Tausend in Niedersachsen sind allein damit zu begründen, dass Sie die Demografie ausnutzen, dass Sie darauf setzen, dass Arbeitslose zu Rentnern werden. Aber Arbeitslose werden immer älter und immer häufiger Langzeitarbeitslose. Für die tun Sie als Landesregierung überhaupt nichts. Das findet sich auch in diesem Landeshaushalt wieder.
Es kam ja nicht von uns, sondern von Ihrem Kollegen Schwarz der Hinweis, dass man in einer Jubelbroschüre eine Zehnjahresbilanz vorgelegt habe und darin - aus Versehen, Absicht oder Unvermögen - nicht ein einziges Wort zur Sozialpolitik enthalten war.
Das ist schlichtweg die Bilanz: Da hatte man nichts zu schreiben, denn Sie kürzen ständig bei Schuldnerberatung, Drogenhilfe, Selbsthilfe, familienentlastenden Diensten, Behinderten, der Aids-Hilfe und anderen Maßnahmen und haben davon am Ende nur deshalb Abstand genommen, weil die Grünen und die CDU und die Betroffenen im Land einen solchen Widerstand entfacht haben, dass Sie diese Kürzungen, die Sie beabsichtigten, zurückgenommen haben,
was aber nichts daran ändert, dass die Sozialpolitik bei Ihnen nicht mehr in guten Händen ist, sondern längst von der Opposition in diesem Hause vertreten wird.
Der Ministerpräsident hat in einem der unzähligen Interviews erklärt: Da müssen Sie sich einmal angucken, wie derzeit Familienpolitik im Sozialministerium betrieben wird.- Sie, Herr Gabriel, haben gesagt, dass es da eine einzige Referatsstelle für Familien in Not gebe. Das ist das Relikt aus den glorreichen Zeiten Hermann Schnipkoweits, in denen „menschliches Niedersachsen“, „soziales Niedersachsen“ noch ein Begriff war.
- Da waren Sie noch gar nicht auf der Welt, Herr Inselmann. Da war das noch ein Begriff. Da stand Niedersachsen für soziale Qualität, und da hat man - -
Die Frage des menschlichen, des sozialen Niedersachsens war ein Begriff. Hier in Niedersachsen ist damals der Modellversuch für das Erziehungsgeld, das vielen Familien heute als ein wichtiger Einkommensbestandteil gilt, durchgeführt worden.