Protocol of the Session on December 13, 2000

(Zuruf von Möhrmann [SPD])

Ich möchte, weil Sie hier eben "Möcklinghoff" dazwischengerufen haben, jetzt etwas zu dem ersten Vorgang sagen. Ich habe an das Jahr 1978 noch Erinnerungen.

(Zurufe von der SPD)

- Ja, aber nur vage Erinnerungen. Insofern bin ich in der Beurteilung auch ein bisschen freier - deshalb ist auch Uwe Schünemann etwas freier in der Beurteilung dieser Frage - und kann ich sagen: Hinter die Frage, ob wir das damals gemacht hätten, setzen wir ein großes Fragezeichen. Hinter die Aussage, dass wir es heute nicht machen würden, setzen wir jedoch ein großes Ausrufezeichen.

(Beifall bei der CDU)

Schlicht unmöglich ist nun aber, meine Damen und Herren, dass man zu diesem Thema damals seitens der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wochenlang Kampagnen gefahren hat, dass man Stimmung gemacht hat, dass man hier Reden gehalten hat, jetzt aber sagt: Was schert uns das Geschwätz von gestern? - Herr Plaue stellt sich nun selbstgerecht hier hin und sagt: Das war damals Opposition. Damals hatten wir keine Verantwortung. Jetzt aber, da wir die Verantwortung haben, machen wir es, wie wir gerade lustig sind. - Das ist eine schlichte Sauerei, Herr Plaue.

(Beifall bei der CDU)

Wer sich so unmoralisch verhält zu den Ansprüchen, die er hier zu der Zeit, zu der er in der Opposition war, aufgezäumt hat, ihnen dann aber, wenn er sich in der Regierung befindet, nicht mehr gerecht wird, der disqualifiziert sich selbst. Das haben Sie hier am heutigen Tage getan.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt möchte ich etwas zum Fall der neuen möglichen Ministerin Trauernicht sagen. Frau Trauernicht ist zentraler Gegenstand eines Untersuchungsausschusses in der Hamburger Bürgerschaft. Staatssekretär Wewer ist demnächst zentraler Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Vor diesem Hintergrund fragen angesehene Zeitungen wie die "FAZ", ob hier als nächstes vielleicht diejenigen, die in Düsseldorf und anderswo Gegenstand von Untersuchungsausschüssen sind, sozusagen zwischen- und ausgelagert werden, um anderen die Probleme zu nehmen. Wenn dann vorgetragen wird, dass sich der Hamburger Senat weigere, Frau Trauernicht zu beurlauben, dann bedeutet bereits dieser Vorgang - weil wir hier unsere Pflicht zu tun und den Dingen nachzugehen haben -, dass wir als Opposition ein Recht darauf haben, über die Gründe informiert und in die Sache eingebunden zu werden. Deshalb beantrage ich schon aus diesem Grunde eine Unterbrechung der Plenarsitzung,

damit die Fraktionen beratend tagen und sich vom Ministerpräsidenten informieren lassen können.

Nun noch ein zweiter Punkt. Der Ministerpräsident hat eben gesagt, es lägen Rücktrittsschreiben vor; alles Weitere obliege nicht der Nachprüfung des Landtages. Dies ist falsch. Diese Schreiben sind datiert, nachdem die neuen Minister präsentiert worden sind. Das ist eine Geschmacklosigkeit. Die Schreiben allein aber reichen als Ausweis für einen Rücktritt nicht aus. Das hat der Staatsgerichtshof in Bückeburg aufgrund von Klagen der Abgeordneten Hartmann und anderer hin ausdrücklich und ausführlich ausgeführt, als es seinerzeit um das Rotationsprinzip bei den Grünen ging. Damals gab es auch Briefe: Wir möchten den Landtag verlassen. Wir treten von unserem Mandat zurück. Es sollen Neue nachkommen. - Damals ist gefragt worden: Geschieht das freiwillig oder aufgrund von Parteitagsbeschlüssen? Im Zusammenhang damit wurde vor dem Hintergrund unserer Geschichte ausgedeutet, dass z. B. bei der KPD jedem Fraktionsvorsitzenden von jedem Abgeordneten ein undatiertes Rücktrittsschreiben vorlag, das der Fraktionsvorsitzende jederzeit mit einem Datum einreichen konnte, um Fraktionsdisziplin herzustellen.

(Widerspruch bei der SPD - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Ich muss Ihnen wirklich sagen - -

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, lassen Sie Herrn Wulff bitte weiterreden!

Es mag für Sie völlig unbedeutend sein, ob Frau Merk gedrängt, gezwungen, entlassen worden ist oder zurückgetreten ist. Für uns als Parlament ist die Frage, aufgrund welcher Verfassungsbestimmung, ob freiwillig oder unter Druck, ob zurückgetreten oder entlassen, von wesentlicher Bedeutung, weil es um Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte dieses Parlaments geht. Auf die allerdings legen wir Wert.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben an den Ausführungen von Wirtschaftsminister Fischer keinerlei Zweifel. Er hat deutlich gemacht, dass er von seinem Amt nach zehn Jah

ren freiwillig zurücktritt. Wir haben Respekt, wenn jemand zu solch einer Entscheidung kommt. Im Falle des Justizministers Weber und im Falle der Sozialministerin Merk gibt es allerdings nachhaltige Zweifel nach deren Einlassungen in den unterschiedlichsten Medien bzw. bei Versammlungen oder Veranstaltungen nicht nur zu ihrem eigenen Ausscheiden, sondern im Falle von Herrn Weber ja auch zur Kompetenz des berufenen Nachfolgers. Dem ist durch das Parlament nachzugehen.

Der Ministerpräsident hat eben vorgetragen, dass Artikel 29 Abs. 3 die Bestimmung sei, auf die sich die Minister berufen hätten. Das sei vom Parlament zur Kenntnis zu nehmen und nicht weiter zu hinterfragen. Artikel 29 Abs. 3 lautet:

"Die Landesregierung bedarf zur Amtsübernahme der Bestätigung durch den Landtag."

Jetzt kann man ausdeuten, ob die gesamte Landesregierung zurückgetreten ist und wir geheim einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen haben. Das würde ich aus Artikel 29 Abs. 3 - -

(Lachen bei der SPD)

- Wenn Sie lachen, lese ich es Ihnen noch einmal vor:

"Die Landesregierung bedarf zur Amtsübernahme der Bestätigung durch den Landtag."

Das ist Artikel 29 zur Regierungsbildung. Wenn Sie sich darauf berufen haben, so wird sich das Prozedere heute allerdings anders gestalten, als Sie es sich, als Sie heute Morgen aufgewacht sind, noch vorgestellt haben.

In Artikel 33, der hier denkbarer Weise ebenfalls angewendet werden könnte, weil er mit dem Wort "Rücktritt" überschrieben ist, heißt es in Absatz 3:

"Scheidet die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident aus oder tritt sie oder er zurück, so gilt die Landesregierung als zurückgetreten."

Jetzt können wir fragen: Ist die gesamte Landesregierung zurückgetreten? - Ich frage das. Ich möchte auf diese Frage eine Antwort des Ministerpräsidenten haben; denn wir müssen uns mit Blick auf Artikel 29 Abs. 3 und Artikel 33 Abs. 3 darüber klar werden, welches der Anlass für diese Kabinettsumbildung am heutigen Tage ist. Dazu

bitten wir um Klarheit. Deshalb brauchen wir eine Sitzungsunterbrechung.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es ist gefragt worden, aufgrund welchen Artikels die Rücktritte oder Entlassungen vollzogen worden sind. - Mit dem Schreiben, das ich vorhin zitiert habe, hat der Ministerpräsident mitgeteilt, dass die drei betreffenden Mitglieder der Landesregierung zurückgetreten seien. Er hat sich eben in seiner Rede auf Artikel 29 berufen.

(Eveslage [CDU]: Artikel 29 Abs. 3!)

- Artikel 29 Abs. 3. - Möchte er dazu etwas sagen?

(Lachen bei der CDU - Möllring [CDU]: Das ist vielleicht eine Staats- kanzlei!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich selbst bin mit den berufenen Mitgliedern, wie Sie wissen, nach Artikel 29 Abs. 3 am 15. Dezember berufen worden. Der Rücktritt ist nach Artikel 33 erfolgt. Die Berufung erfolgt nach Artikel 29 Abs. 4. Insofern sind die Dinge, glaube ich, bereinigt, Herr Wulff.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das ist alles völlig anders!)

Ich sage Ihnen noch etwas: In meiner Rede vorhin habe ich mich, wenn ich mich richtig erinnere, auf den falschen Absatz der Verfassung bezogen, was den Rücktritt angeht. Die Berufung erfolgt nach Artikel 29 Abs. 4 und der Rücktritt nach Artikel 33, Herr Kollege Wulff. Wenn Ihnen damit Genüge getan ist, dass ich Ihnen den richtigen Artikel nenne, dann müssten Sie ja jetzt zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Wulff, Sie haben beantragt, dass wir unterbrechen. Bleiben Sie bei diesem Antrag?

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Ja!)

Darüber muss ich abstimmen. Wer dafür ist, dass wir diesem Antrag nachgeben, also die Sitzung unterbrechen, den bitte ich um ein Handzeichen. Wer ist dagegen? - Das Zweite war die Mehrheit. Dann unterbrechen wir die Sitzung nicht.

(Fischer [CDU]: Augen zu und durch!)

Meine Damen und Herren, wir sind noch in der Debatte. Die Abgeordnete Frau Pothmer hat sich zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für einen großen Fehler, dass das Parlament der Sitzungsunterbrechung nicht zugestimmt hat. Ich kann hier für meine Fraktion erklären, dass auch nach den Erklärungen, die Sie, Herr Ministerpräsident, gegeben haben - das ist ja das erste Mal, dass uns hier überhaupt erläutert worden ist, vor welchem Hintergrund diese Aktionen stattgefunden haben -, für mich nichtsdestotrotz noch einige Fragen offen sind.

Wenn Sie so sicher sind, dass das ein völlig normaler Vorgang ist, der in der Republik ständig und stündlich vorkommt, dann fragen wir Sie: Warum haben Sie neben Ihren Kollegen nicht auch die Fraktionen informiert? Dann hätten wir uns im Vorfeld vielleicht eine Meinung bilden können. Warum hat es zu der Ernennung einer Staatssekretärin überhaupt keine Pressemitteilung der Staatskanzlei gegeben? Im Normalfall lassen Sie sich so etwas doch nicht entgehen.

Lassen Sie mich noch auf einen inhaltlichen Punkt eingehen, Herr Ministerpräsident, weil ich da anderer Auffassung bin. Sie sagen, es gehe hier um die Vermeidung unbilliger Härten. Ich glaube, wir müssen uns einmal fragen, ob wir da nicht mit zwei unterschiedlichen Maßstäben messen. Das Beamtenrecht, so wie es gestrickt ist, hat ein ganz bestimmtes Bild zum Hintergrund, nämlich das Bild, dass der Beamte oder die Beamtin lebenslang diesem Staat zu dienen hat und nicht einfach die Entscheidung treffen kann, irgendwo anders einen attraktiveren Posten anzunehmen. Deswegen gibt es diese Regelung auch.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Fragen Sie zum Beispiel bitte einmal einen Steuerbeamten, der ein großes Interesse hat, in die Privatwirtschaft überzuwechseln.

(Beckmann [SPD]: Jetzt wird es aber peinlich!)