Protocol of the Session on September 14, 2000

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Kultusministerin hat gesagt, Chancengleichheit und Durchlässigkeit seien das, was weiter verfolgt werden müsse. Aber: Mit Ihrer vierjährigen Grundschule und der anschließenden Aufteilung in das gegliederte Schulsystem gefährden Sie die Durchlässigkeit und die Chancengleichheit. Das liegt doch klar auf der Hand. Es kann in diesem Hause doch niemanden geben, der ernsthaft glaubt, dass Kinder, die zwei Jahre lang in einer

Sekundarschule unterrichtet worden sind, dann, wenn sie in Klasse 7 eines Gymnasiums gehen, mit denjenigen Kindern, die schon zwei Jahre lang den klassischen Gymnasialunterricht bekommen haben, werden mithalten können. Zwischen diesen Unterrichtsformen bestehen Unterschiede wie Tag und Nacht. Sie legen - genauso wie die CDU das will die Kinder sehr, sehr frühzeitig auf ihren Bildungsweg fest. Sie schränken die Durchlässigkeit ein, und Sie handeln wider die Chancengleichheit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur CDU-Fraktion ist noch zu sagen, dass ich mich wundere, dass Sie die Rückkehr zur Ständegesellschaft als moderne Schulpolitik bezeichnen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Klare [CDU]: Das ist ein schönes Schlag- wort, aber es ist falsch!)

Sie glauben nach wie vor nicht nur, dass die Menschen nach Ihren Begabungen in Kästen eingeteilt werden müssen; was immer das auch sein mag. Nicht nur hier kehren Sie zurück in die 50er-Jahre, sondern Sie verschließen auch die Augen vor der Realität, wie es schon die Oberklasse in der Ständegesellschaft immer gern getan hat.

(Klare [CDU]: Mein Gott!)

Gucken Sie doch einmal hin zu den Hauptschulen. Gucken Sie sich einmal die Hauptschulen in der Landeshauptstadt Hannover an. In den großstädtischen Bereichen besuchen nur noch 10 % eines Schülerjahrgangs die Hauptschule. Die Tendenz ist sinkend. Es werden immer weniger. Innerhalb kurzer Zeit werden die Schulen vor der Situation stehen, dass sie nicht mehr genügend Schülerinnen und Schüler haben, um noch pädagogisch sinnvoll arbeiten zu können. Sie werden keine Angebote mehr unterbreiten können. Sie werden auch keine Arbeitsgemeinschaften mehr einrichten oder Wahlmöglichkeiten bieten können. Das aber ist genau das, was Hauptschüler und Hauptschülerinnen nicht gebrauchen können.

Für diese Schulstandorte werden wir die Sekundarschule brauchen. Ich halte für diese Schulstandorte die Sekundarschule für eine gute Lösung. Lassen Sie diese Entwicklung zu, wenn Sie wollen, dass Hauptschülerinnen und Hauptschüler auch in Zukunft ausreichend gefördert werden. An diesen sehr kleinen ausblutenden Schulen wird dies nicht geschehen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie, meine Damen und Herren von der CDUFraktion, haben darauf hingewiesen, dass die Zahl der Schüler an den Hauptschulen noch prognostisch steigen wird. Sie haben dabei aber unterschlagen, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler im allgemeinen Sekundarstufenbereich an allen Schulformen steigt, was damit zusammen hängt, dass sie zunächst in die Grundschule gehen - dort hatten wir zunächst steigende Schülerzahlen -, und jetzt wandern die Klassen eben weiter. Jetzt muss die Schülerzahl in allen Sekundarbereichen ganz automatisch steigen. Sie haben dabei unterschlagen, dass die Zahl der Schüler an den Realschulen, den Gymnasien und den Integrierten Gesamtschulen im Vergleich zur Hauptschulprognose weit überproportional steigt. Sie sollten also nicht versuchen, mit isolierten Zahlen falsche Eindrücke zu erwecken.

Zum Schluss möchte ich aus einem Leserbrief von Prof. Dr. Manfred Bönsch zitieren, der am 26. August in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht worden ist. Dort heißt es im letzten Absatz:

„Ahnungslosigkeit ist das Schlimmste in der Schulpolitik.“

- Meiner Meinung nach kann man dies einigen hier in diesem Hause vorwerfen.

„Ein bisschen überlegter könnte es im EXPO-Land Niedersachsen schon zugehen. Und dann verkündet Herr Jüttner am 18.8., es gäbe keine Differenzen mehr, das Thema sei erledigt. Was heißt das? Die OS ist erledigt oder der Vorschlag Gabriels? Oder ist Frau Jürgens-Pieper nun auch für die Auflösung der OS? Vor Wochen klang dies noch ganz anders. Wer meint denn nun was und mit welchem Ernst? Für Schnellschüsse und Ignoranzbekundungen sind die Kinder und Jugendlichen und ihre Lehrer/innen zu schade.“

Dem kann ich mich uneingeschränkt anschließen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Ich fände es ganz schön, wenn die Worte „Kinder“ und „Jugendliche“ in unseren schulpolitischen Debatten öfter fallen würden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Das Wort hat jetzt der Kollege Klare.

(Fasold [SPD]: Jetzt wird es bei euch zum ersten Mal schulfachlich!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir leben in einer wirklich spannenden schulpolitischen Zeit. Die Spannung bezieht sich auf doch relativ vage und widersprüchliche Aussagen von Vertretern der Landesregierung. Der MP so - jetzt hat er schon wieder etwas abgeschwächt -, die Ministerin heute so, morgen so. Ich habe das, was Sie, Frau Ministerin, heute erklärt haben, sehr gut verstanden. Ich habe auch das verstanden, was Sie vor vier Wochen erklärt haben. Ich kann nur sagen: Angesichts des Eifers, mit dem Sie Ihre Positionen wechseln, wird mir unheimlich und schaurig. Das kann ich Ihnen nur einmal sagen.

(Beifall bei der CDU)

Die Schulpolitiker der SPD – darauf bin ich sehr gespannt - heute vielleicht einmal ganz anders oder so, wie es in der Zeitung übermittelt worden ist oder wie der Eine oder Andere in öffentlichen Diskussionen spricht. Wenn man Politik jetzt so betreibt, dann werden wir möglicherweise einige Schwierigkeiten bekommen.

Das alles mag ja sehr amüsant sein, wenn man hier auf den schönen Stühlen sitzt. Es mag auch amüsant sein, hier über Schulpolitik zu reden und abzuwarten, welche Position bei dieser Landesregierung gewinnt, wer umkippt, wer welche Position besetzt und wer vielleicht entlassen wird. Ich sage Ihnen aber: Dieses Durcheinander geht zulasten der Schulen und damit der Schülerinnen und Schüler. Das ist unverantwortbar.

(Beifall bei der CDU)

Herr Ministerpräsident, ich darf Ihnen gerne auch noch Folgendes ins Stammbuch schreiben. Ich

sage Ihnen das in aller Deutlichkeit: Schule ist völlig ungeeignet für politische Eitelkeiten.

(Beifall bei der CDU)

Schule ist für Schülerinnen und Schüler neben der Familie die wichtigste Einrichtung. Wenn hier politische Spielchen betrieben werden, wie Sie es jetzt tun, dann vergehen Sie sich an den Schülern. Das geht zu deren Lasten. Das kann ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der CDU)

Sie, Herr Ministerpräsident, und die Landesregierung haben eine verdammt wichtige Aufgabe. Dies gilt sogar für uns alle. Wir haben die Aufgabe und die Verpflichtung, klare inhaltliche und organisatorische sowie die besten personellen Rahmenbedingungen für die Schulen, für die Lehr- und Erziehungsarbeit, die ohnehin schwer genug ist, zu schaffen. Solche Possenspielerei mit persönlicher Effekthascherei aber ist schädlich. Das sage ich Ihnen hier noch einmal in aller Deutlichkeit.

Es ist wirklich zutiefst bedauerlich, dass der von Ihnen beabsichtigte kurzfristige Effekt eingetreten ist. Dieser Effekt hat wirklich - das ist meine Empfindung - fatale Folgen. Er führt zur Verunsicherung bei Lehrern und Schülern. Er führt außerdem zur weiteren Demotivation derjenigen, die sich an der Bildungs- und Erziehungsarbeit beteiligen. Meine Damen und Herren, es ist noch keine vier Monate her, dass wir in dieser Frage noch klare Konturen hatten. Wir forderten die Abschaffung der Orientierungsstufe, die Anbindung an die Klassen 5 und 6, Hauptschule, Realschule, Gymnasium. Die SPD war überzeugt von der Orientierungsstufe. Auch der Ministerpräsident hat sich an dieser Stelle - wie gesagt - über die gesamte Breite deutlich eingelassen. Er hat Briefe an den Landeselternrat geschrieben und sich ausdrücklich zur Orientierungsstufe bekannt.

Frau Jürgens-Pieper erklärte hier an uns gerichtet mit voller Überzeugung - deswegen habe ich vorhin nachgefragt -: Lassen Sie von der Orientierungsstufe die Hände weg, und hören Sie auf mit dem Miesmachen unserer Schulen. - Heute erklären Sie, es sei in Ordnung, dass wir das anfassen.

Entschuldigen Sie bitte, Frau Jürgens-Pieper, aber Sie machen sich in dieser Frage lächerlich.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der Sprecher der SPDFraktion zu der Diskussion über die Hauptschule, Herr Meinhold, hat wörtlich gesagt - das zitiere ich, weil es so schön ist

(Meinhold [SPD]: Ja bitte!)

- Herr Meinhold, es ehrt Sie, wenn Sie dazu stehen -:

(Meinhold [SPD]: Mache ich!)

„Der zentrale Vorschlag der CDU ist die Abschaffung der Orientierungsstufe. Sie wollen damit - wie bekannt die Auslese um zwei Jahre vorverlegen und nennen das ‚fördern‘. Sie verkürzen damit die Lernentwicklungszeit für Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren um wichtige Jahre. Mit diesem Vorschlag geht es Ihnen um Auslese statt um Förderung. Wir Sozialdemokraten stehen nach wie vor zur Orientierungsstufe.“

Das Protokoll verzeichnet lebhaften Beifall bei der SPD-Fraktion.

Meine Damen und Herren, Sie sollten auch heute wieder bei dieser Aussage - zu der ich nicht stehe; ich halte sie für falsch - klatschen. Aber heute trauen Sie sich anscheinend nicht.

(Plaue [SPD]: Sie haben nicht begrif- fen, was der Unterschied zwischen Organisation und Inhalten ist!)

- Ich begreife einiges, Herr Plaue. Nicht alles, aber einiges.

Es ist nicht meine Art, sozialdemokratische Überzeugungen breitzutreten. Das machen Sie schon selbst. Aber irgendeine Grundlage - entweder eine pädagogische oder eine organisatorische - für die Aussagen, auf die Sie sich berufen haben, muss es doch gegeben haben. Zumindest haben Sie Wahlprospekte verteilt, haben Wahlaussagen gemacht und Parteitagsbeschlüsse gefasst.

Aber wer so schnell, wie es der Ministerpräsident gerade getan hat, bei einer über Jahrzehnte ernsthaft diskutierten Frage quasi über Nacht

(Voigtländer [SPD]: Das wollt ihr doch!)

zu anderen Erkenntnissen kommt, zeigt, dass es ihm nicht im Geringsten um die schulische Weiterentwicklung geht

(Möhrmann [SPD]: Worum geht es Ihnen denn jetzt?)