Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident will zwar den Dialog; aber jetzt geht er erst einmal.
Nachdem der Ministerpräsident vor nicht allzu langer Zeit sein Büro auf die EXPO verlegt hat, hatte ich mich schon darauf eingestellt, dass es heute auch im Leineschloss internationaler zugehen würde. Dass sich der Ministerpräsident entschieden hat, die Antrittsrede, die eigentlich Minister Senff halten müsste, zu halten, hat uns gestern Abend allerdings überrascht. Aber nachdem ich heute zugehört habe, muss ich sagen: Eigentlich hat mir diese Rede auch Spaß gemacht. Das bekommen wir als Grüne nicht so oft zu hören. So viel geballtes Lob, so viel Anerkennung für Joschka Fischer hat uns erbaut.
Ich fand auch, dass mit den Thesen von Fischer sehr souverän umgegangen wurde. Dabei ist mir heute Morgen doch wieder der Fußball in den Kopf gekommen. Uns allen geht ja so: Wir werden ihn im Moment nicht los.
Herr Ribbeck steht momentan nicht besonders hoch im Kurs. Aber vor ein paar Tagen hat er einen Satz gesagt, den ich auch auf diese Rede anwenden möchte. Vielleicht wird das in nächster Zeit noch öfter passieren. Ich habe ihn dann sozusagen das erste Mal auf Politik angewandt. Es ging um „subjektiv“ und „objektiv“. Ich glaube, Sie erinnern sich an diese Ausführungen. Ich muss
heute subjektiv und objektiv sagen: Dieser ganze Text, das war Fischer. Und ich muss auch subjektiv und objektiv sagen: Fischer hat tatsächlich eine Adlerperspektive, was Europa angeht. Hinsichtlich des Ministerpräsidenten habe ich mich noch nicht entschieden. Der Ministerpräsident ist in einer Gefahr.
Wenn es gut läuft, dann bekommt er die Eckermann-Rolle. Wenn es wirklich schlecht läuft, dann spielt er in diesem Spiel die Papageienrolle.
Ich gebe ja zu - das tue ich wahrscheinlich auch stellvertretend für viele Kollegen aus anderen Fraktionen -: Ich konnte mich auf die Schnelle noch nicht entscheiden, ob ich der Rede in jedem Detail folgen könnte, ob ich überhaupt jedes Detail verstanden habe. Die Liste der Dinge, die ich nacharbeiten muss, natürlich unterstützt von der Fraktion, fängt für mich mit dem Vertrag von Nizza an und hört mit den Left-Overs von Amsterdam auf. Eine weitere Liste - das würde ich eigentlich Herrn Gabriel auch gerne selber sagen enthält die Dinge, von denen ich nicht mit Sicherheit sagen kann, was er uns eigentlich damit sagen wollte. Auf dieser Liste findet sich oben die Bedeutung der Autonomie von Schottland und Wales und am Ende die persönliche Erfahrung des Ministerpräsidenten, die er in Amerika gesammelt hat. Ich gebe ja zu: Es ist gut, einmal an einem bestimmten Ort gewesen zu sein; dann kann man hinterher besser mitreden. Am Ende unserer zweiten Liste befindet sich jedenfalls die persönliche Erfahrung des Ministerpräsidenten, aus Amerika mitgebracht, dass man nämlich dort Ostasiaten an Universitäten Postgraduierten-Studiengänge absolvieren lässt.
Der Ministerpräsident sollte, wenn er in Zukunft hier Vorlesungen abhält, etwas gnädiger mit uns umgehen, damit wir in der Lage sind, diesen Tex
Meine Damen und Herren, ich finde es eigentlich ganz gut, einmal aus erster Hand etwas z. B. über die Diskussionen der Ministerpräsidentenkonferenz zu hören. Ich lese darüber üblicherweise nur in den Zeitungen. Gleichzeitig habe ich mich angesichts der großen Umstrukturierungsprozesse in Europa und auf der ganzen Welt, von denen heute die Rede gewesen ist, gefragt: Woher wird unser Ministerpräsident eigentlich die Kraft, den Mut und die eigenen Ideen nehmen, dies alles auch in Niedersachsen tatsächlich in Angriff zu nehmen? Ich will es jetzt einmal schlicht sagen - diese alte Weisheit habe ich in meiner Lehre mit auf den Weg gekriegt -: Wer nach den Sternen greift, der darf die Trittleiter nicht vergessen. - Diese Weisheit sollte in Niedersachsen in Zukunft auch in der Staatskanzlei beherzigt werden.
Denken Sie doch einmal - das ist jetzt ganz ernst gemeint - an die Region Hannover. Herbert Schmalstieg ist nicht die holländische Königin.
Hannover liegt sogar innerhalb der Grenzen des Landes Niedersachsen. Es gibt also keine auswärtige Grenze zwischen dem Land und der Stadt. Trotzdem ist das so schwierig mit der Region Hannover. Ich weiß natürlich auch, dass man bei Joschka Fischer nichts zur Frage der Zukunft der Bezirksregierungen in Niedersachsen findet. Dafür ist er auch nicht zuständig. Wenn hier aber über so große Umstrukturierungen und all das, was sonst noch notwendig ist, perspektivisch geredet wird, dann sollte der Ministerpräsident doch auch die kleine Kühnheit besitzen und dazu etwas sagen.
Was Ihre dritte konkrete Idee von der Ständigen Konferenz der Nordländer angeht, so habe ich - wenn ich es richtig gelesen habe - den Eindruck, dass der wirklich erst 36-jährige Kollege Schünemann von der CDU seine Vorstellungen von dieser Idee in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ neulich doch etwas kühner präsentiert hat. Viel
Meine Damen und Herren, in Niedersachsen wird also alles europäischer. Niedersachsen soll aber auf keinen Fall die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz unterstützen, wenn ich Sigmar Gabriel heute Morgen richtig verstanden habe. Diese Position hat er nun ganz bestimmt nicht von Joschka Fischer. Diese Haltung zeugt eher von einer alten deutschen Arroganz. Die jedoch ist Fischer fremd. Es wird gemeint: Ausländer als Arbeitskräfte sind willkommen, Menschen, d. h. ihre Familien, sollen aber lieber draußen bleiben. Mit seinem in seiner heutigen Regierungserklärung gegebenen Hinweis darauf, dass er ein Einwanderungsgesetz ausdrücklich ablehnt, hat Ministerpräsident Gabriel, nachdem die CDU-Bundestagsfraktion gestern endlich einmal - kann ich da nur sagen - versucht hat, sich von dem ausländerfeindlichen Kurs ihres Herrn Rüttgers zu distanzieren, eine Position eingenommen, die von Weitsicht immer noch weit entfernt ist und immer noch die alte Arroganz zum Ausdruck bringt.
Meine Damen und Herren, nicht weitsichtig und schon gar nicht europäisch ist auch die Schnodderigkeit, mit der Sie, Herr Ministerpräsident, in der letzten Woche am „Bild“-Zeitungs-Telefon das Thema Ausländerpolitik abgehandelt haben. Warum lassen Sie immer mehr Ausländer rein? So wurden Sie gefragt. Ihre Antwort: Sie irren. Die Zahl der Asylbewerber ist stark zurückgegangen. Die Bürgerkriegsflüchtlinge z. B. aus dem Kosovo werden zurückgeschickt. - So einfach ist das.
So einfach ist das? - Ich glaube nicht, dass das so einfach ist. Wir Grünen sind davon überzeugt, dass wir Menschen aus anderen Ländern nicht nur aus innen- oder arbeitsmarktpolitischen Gründen bei uns aufnehmen müssen, sondern schlicht und ergreifend auch wegen der ökonomischen und der sozialen Ungleichheit auf der Welt. Integration wird Daueraufgabe einer humanen Gesellschaft sein. Zuwanderung ist tatsächlich eine Realität. Die fehlenden rechtlichen Grundlagen werden auch weiterhin Schlepperbanden ermuntern. Zu welchen Tragödien das führt, haben wir ja erst gestern lesen können. Das, was in Dover passiert ist, sollte uns
alle wirklich noch einmal gründlich über die Frage nachdenken lassen, ob wir in der Bundesrepublik bereits die angemessenen Regeln gefunden haben.
Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts war nur ein erster Schritt. Die Ausländer, die hier sind und noch kommen werden, gehören zu uns. Wer das ernst meint, der muss heute daran mitarbeiten, die positiven Aspekte der Migration wirklich in den Vordergrund zu stellen, und Maßnahmen zur Integration konsequent unterstützen. Diese Menschen brauchen Bildung, Ausbildung und Arbeit. Sie brauchen soziale und gesundheitliche Betreuung - dies in der Jugend genau so wie im Alter. Sie brauchen nämlich all das, was den Alltag aller Menschen bestimmt und lebenswert macht. Das ist die Tagesaufgabe, an deren Erfüllung auch die Landesregierung gemessen werden wird. Wir arbeiten z. B. an einem solchen Integrationskonzept. Wir laden an dieser Stelle auch einmal umgekehrt dazu ein, den Dialog nicht nur immer anzukündigen, sondern ihn an dieser Stelle auch einmal mit uns zu führen. Das ist auch in der Bundesrepublik immer noch notwendig. Wir müssen, wenn wir über dieses Thema reden, nicht nur an Dover denken, sondern natürlich auch an Dessau.
Nun an dieser Stelle noch ein Wort zum Kosovo. Für mich ist völlig unbegreiflich, wie die Erlebnisse der niedersächsischen Delegation nach ihrer Reise ignoriert worden sind. Man macht eine solche Reise doch, um zu lernen. Wir haben gelernt, dass die Rückkehr aller Kosovo-Flüchtlinge in diesem Jahr eine Katastrophe für den Wiederaufbau und den sehr, sehr fragilen Frieden in diesem Lande wäre. Zurück in Niedersachsen, bestreitet dies auch keiner der Mitreisenden. Aber wo bleiben die Konsequenzen, Herr Ministerpräsident? Findet Ihr Innenminister bei Ihnen kein Gehör? Ihre Aufgabe wäre es doch jetzt, die Lehren zu ziehen und dem Druck auf die Rückführung der Flüchtlinge tatsächlich entgegenzutreten.
Meine Damen und Herren, nachdem der Ministerpräsident in Göttingen schon die Flora-FaunaHabitat-Richtlinie als „hellen Wahnsinn“ bezeichnet hat, wundert es mich nicht, dass die europäische Umweltpolitik in Ihrer Rede keinen Raum gefunden hat. Da Sie sich - auch das haben Sie in Ihrer Regierungserklärung ja angekündigt - heute Nachmittag offiziell mit Königin Beatrix treffen, würde ich mir wünschen, dass Sie mit ihr einmal darüber reden; denn mit dem Motto „Mensch
Natur-Technik“ ist doch der richtige Rahmen geschaffen worden, um mit einer erfahrenen Politikerin aus einem Land, in dem die Ökosteuern schon lange ein Erfolgsmodell sind, in eine Diskussion einzusteigen. Vielleicht könnten königliche Worte ja helfen, Ihnen Ihre Flausen vom Benzingipfel und der Erhöhung der Kilometerpauschale doch noch auszutreiben.
Wissen Sie, was ich glaube? - Das gilt auch für die Kollegen von der CDU, weil sie es heute wieder angesprochen haben. Niemand, der klug ist und nachdenkt, wird die Einführung der Ökosteuer jemals wieder rückgängig machen. Versprechen Sie da bloß nichts Falsches, Herr Wulff. Auch Frau Merkel ist klüger, als ihre Parolen manchmal glauben machen. Jeder Ökonom und jeder Ökologe wird uns immer wieder darin zustimmen, dass Energie teurer werden muss. Richtig ist doch, dass wir andere Autos brauchen. VW gehört hier tatsächlich zu den Dinosauriern. Der Lupo kann ja wohl noch nicht alles gewesen sein. Richtig ist aber auch, dass wir mehr Busse und Bahnen brauchen. Wenn wir die Energiewende und die rationelle und effiziente Energieerzeugung und nutzung vorantreiben, dann schaffen wir auch und gerade dank der Ökosteuer hunderttausende von Arbeitsplätzen.
Das sind dann keine Arbeitsplätze für diese Working poor, wie sie uns heute wieder aus Griechenland begegnet sind. Das sind dann tatsächlich Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Berufen. Ich meine, dass genau dafür Politik gemacht werden muss. Man begeht einen großen Fehler, wenn man stattdessen mit eigenen Parolen die Gründung einer Autofahrerpartei geradezu ankurbelt, womit man sich endgültig wieder dem Stammtisch unterwirft.
Die Zukunft Niedersachsens gerade auch im Zusammenhang mit Europa ist für mich auch die Landwirtschaft. Ich bin bestimmt nicht die Einzige, der Nachrichten wie „Kaninchen fressen sich in Mastanlagen die Ohren ab“, „Puten kippen wegen Brustumfangs beim Laufen vorne über“ und „Hühnerküken werden zu Millionen vergast“ den Appetit verderben. Bei Rindern und BSE war uns sowieso schon schlecht, bei den Schweinen auch. Inzwischen wird sogar die edle Wachtel barbarisch gehalten. - Warum sage ich das alles noch ein
mal? - Ich will die Landwirtschaft nicht schlecht machen, auch wenn der Landwirtschaftsminister das in solchen Debatten in der Regel behauptet. Ich sage das, um aufzuzeigen, wie viel es noch zu tun gibt, wie weit wir uns über die Grenzen von Schöpfung auch schon ohne Gentechnik erhoben haben. Fragen Sie doch hier im Haus oder in den Ministerien oder auch auf der Pressetribüne einmal herum. Wenn das erste Kind kommt, dann zieht in die meisten Haushalte, die ich kenne, die ökologische Vernunft ein. Mit dem Diktat der Massenproduktion und der ständigen Produktionssteigerung im Stall und auf dem Acker werden wir jedenfalls die Landwirtschaft und die Produkte unserer Landwirtschaft nicht zukunftsfähig machen.
Wir werden uns diesem Diktat, egal ob es hier aus Hannover oder aus Brüssel kommt, widersetzen, und wir werden diesem Diktat den sinnlichen Genuss von Gesundheit und Öko gegenüberstellen. Auf Deutsch könnte man sagen: Die Eier vom Nachbarhof kaufe ich, weil sie besser schmecken.
Wie die Niedersachsen in Zukunft mit Europa mithalten können, das entscheidet sich bestimmt mit der Qualität von Bildung und Ausbildung. Nicht ohne Grund wird mit der Schulpolitik die nächste Wahl entschieden werden. Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer ersten Regierungserklärung immerhin mit der Behauptung Ihrer Vorgänger gebrochen, die Unterrichtsversorgung sei in Niedersachsen ausgezeichnet. Sie haben auch etwas in Gang gesetzt: 1000 neue Lehrer eingestellt, eine Initiative zur Überwindung der verkorksten Orientierungsstufe in Gang gebracht, und zwar nicht die Klassen, aber immerhin die Lehrerzimmer jetzt ans Netz gebracht. Aber glauben Sie denn eigentlich im Ernst, dass diese Notmaßnahmen - mehr ist es für mich wirklich nicht - mehr sind als ein Tropfen auf den heißen Stein? Die Beschäftigung mit der schlechten personellen und technischen Ausstattung der Schulen hat doch ans Licht gebracht, wie verwahrlost viele Schulen auch räumlich und sozial sind. Ich meine, dass das Eingeständnis der gesamten Schulmisere Bedingung dafür ist, dass wir die Probleme tatsächlich lösen können. Schulen sind Lebensmittelpunkt der jungen Generation und ihrer Lehrer. In Schulen muss man sich wohl fühlen, auch wenn sie nicht Eaton heißen. Ich meine, es geht überhaupt nicht so weiter, dass in Sonntagsreden, wie jüngst bei der Konferenz über modernes Regieren, als zentrale Aufgabe die Reform und ausreichende Aus
stattung der Bildung beschworen wird und diese Beschwörungen dann wieder in den zuständigen Niederungen der Landespolitik untergehen.
Ich sage hier auch gegen die Bedenken in meiner eigenen Fraktion, weil wir ja eine perspektivische Debatte hier führen wollen, die weit über das Tagesgeschäft hinausreichen soll: Wir werden wesentlich mehr Geld für Bildung und Ausbildung investieren müssen. Für mich verbietet sich jede weitere Forderung nach Senkung der Spitzensteuersätze, von Ihnen, Herr Gabriel, und vielen anderen für den schnellen und billigen Applaus formuliert. Sie verbietet sich deshalb, weil wir das Geld für unsere Kinder brauchen. Ich wünschte mir mehr Mut von Politikern, diesen einfachen Zusammenhang zwischen Steuereinnahmen und Bildungsausgaben tatsächlich in den richtigen Debatten und an der richtigen Stelle auch ehrlich zu benennen.