Protocol of the Session on June 21, 2000

(Beifall bei der SPD – Dr. Schultze [SPD]: Beim Geld haben die gespart!)

Es gehört zu den normalen menschlichen Verhaltensmustern in einer Demokratie, dass die Regierung dazu neigt, ihre Erfolge deutlicher herauszustellen, und nicht unbedingt jeden Tag auf Defizite hinweist. Das ist wohl so. Aber, Herr Kollege Wulff: Eine Opposition, die an die Macht will, hat allerdings die Aufgabe, den Menschen zu zeigen, was sie anders machen will. Sie muss den Menschen vor allem erläutern, ob sie an den Stellen, an denen sie mehr will, in der Lage ist, das zu bezahlen, was sie mehr will.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, nach Ihrer Rede wird niemand auf die abstruse Idee kommen, Ihnen die Geschicke des Landes Niedersachsen anzuvertrauen, Herr Wulff.

Dass Sie jetzt dorthin gehen, wo Sie wahrscheinlich auch gestern waren, ist klar. Ihre Fraktion hat sich schon gestern von Ihnen verlassen gefühlt. Deshalb müssen Sie auch nicht mehr unbedingt an der Aussprache über die Regierungserklärung teilnehmen. – Hier etwas abliefern und dann gehen, ist die Methode eines Politikers, der seine Zukunft im Bund sucht, nicht aber hier bei den Menschen in Niedersachsen.

(Beifall bei der SPD)

Niemand wird einem Politiker die Geschicke des Landes, die eigene Zukunft in die Hand geben, der wider besseren Wissens die Gegenwart schlechtredet und keine eigenen Perspektiven hat.

Ich neige nicht dazu, die vergangenen zehn Jahre Regierungspolitik in Niedersachsen durch die Bank weg schönzureden. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren Fehler gemacht. Wir haben diese Fehler auch korrigiert. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, gehört auch dazu. Politikerinnen und Politikern, die nicht in der Lage sind, auf eigene Fehler zu reagieren, eigene Fehler zu korrigieren und eine neue Politik, ein neues Niedersachsen zu wollen, trauen die Bürgerinnen und Bürger nicht zu, dieses Land zu regieren. Sie haben es uns zugetraut und werden uns das auch in Zukunft zutrauen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich will unumwunden zugeben, dass wir in den zehn Jahren unserer Regierungstätigkeit ein wichtiges Politikziel, das wir uns gesetzt haben, nicht erreicht haben. Es ist uns nicht gelungen, die Staatsverschuldung wenigstens einzudämmen. Wir legen in diesem Jahr wieder mehr Schulden auf unser Kreditkonto, als wir auf der anderen Seite abtragen. Einen großen Teil dessen, was wir mit den Krediten, die wir aufnehmen, an Politik gestalten, gestalten wir damit auf Kosten der nach uns kommenden Generationen.

(Möllring [CDU]: Vor allem müssen Sie Zinsen zahlen!)

- Selbstverständlich! Wir zahlen Zinsen, Herr Kollege Möllring, auch für die Schulden, die die von Ihnen geführten Regierungen aufgenommen haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich will die Ursachen dieses Fehlers hier benennen. Das war am Anfang der Regierungstätigkeit der

ungeheure Erwartungsdruck, der auf Rot und Grün gelastet hat. Die Bevölkerung hat nach dem Machtund Politikwechsel in Niedersachsen Erwartungen an die Landespolitik gerichtet, weil nämlich zu lange unverzichtbare Bestandteile der staatlichen Daseinsvorsorge von CDU und FDP in Niedersachsen nicht bedient worden sind. Ich komme nachher auf dieses Problem noch einmal zurück.

Ein Fehler war sicherlich, dass wir es im gleichen Umfang nicht geschafft haben, uns von alter Politik und deren Finanzierung zu trennen. Ich bekenne das als jemand, der damals dabei war, ausdrücklich. Das war falsch. Wir haben dann Mitte der 90er-Jahre den Fehler gemacht, die Kosten der deutschen Einheit nicht im Wesentlichen durch Konsumverzicht zu bezahlen,

(Oestmann [CDU]: Wir waren doch die Gewinner der deutschen Einheit!)

sondern durch Kredite zu finanzieren, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Zuruf von Möllring [CDU])

Ich sage das ausdrücklich als jemand, der damals dabei war und damit die Verantwortung mitzutragen hat: Das war falsch, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wenn Sie an der Stelle von Mehreinnahmen reden, Herr Kollege Möllring, dann erinnere ich Sie an die Zeiten, als der Landeshaushalt von Einnahmen geradezu übersprudelte, und zwar z. B. durch den Förderzins, den wir von den Energieunternehmen bekommen haben. Ich erinnere daran, dass sich die Schulden des Landes Niedersachsen damals verfünffacht hätten. Wenn wir in dem gleichen Umfang wie damals Sie Kredite aufgenommen hätten, dann wäre die Staatsverschuldung in Niedersachsen heute wesentlich höher, als sie es heute ist.

(Beifall bei der SPD - Möllring [CDU]: Das ist eine Rechnung!)

- Nein, das ist keine Rechnung, das ist Logik, Herr Kollege.

(Möllring [CDU]: Das ist nicht lo- gisch!)

Sie müssen sich einmal die Dynamik in den Finanzentwicklungen anschauen und sehen, was Sie damals gemacht haben, und das dann in Relation mit dem stellen, was in den ersten vier Jahren die Sozialdemokraten zusammen mit den Grünen und

dann die Sozialdemokraten alleine gemacht haben. Ich sage: Wir können durchaus mit Stolz auf unsere Finanzpolitik zurückblicken, übrigens nicht nur wir alleine, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich wird es unsere Aufgabe sein, unser Land weiterzuentwickeln und den Menschen in Niedersachsen eine vernünftige Perspektive zu geben. Wir müssen das neue Jahrzehnt politisch neu gestalten. Wir müssen aber auch daran gehen, diese Politikgestaltung ohne ständige Rückgriffe auf den Kreditmarkt zu finanzieren. Deshalb wird es eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre sein, die Nettokreditaufnahme des Landes zurückzuführen. Ich sage Ihnen, Herr Ministerpräsident: Bei dieser Politik werden Sie die volle Unterstützung der SPD-Fraktion in diesem Hause haben.

(Beifall bei der SPD - Möllring [CDU]: Das ist eine Zumutung!)

Ich würde gerne mit Ihnen, Frau Harms, oder mit Ihnen, Herrn Wulff, der jetzt draußen vor der Tür oder wo auch immer steht,

(Zuruf von der CDU)

- ja, ist klar -, gerne in einen Wettstreit darüber eintreten, wie die besseren Konzepte aussehen, um genau das zu erreichen. Hier sollten die intelligentesten Ideen und die pfiffigsten Konzepte gegeneinander konkurrieren. Wir sollten versuchen, darzustellen, wie wir das schaffen, ohne eine Politik zulasten der zukünftigen Generationen zu machen.

Eine Opposition, die sich darin erschöpft, von dem bisher Guten noch mehr zu verlangen und vom Wünschenswerten das meiste zu erbitten, macht sich nicht nur unglaubwürdig, sondern sie macht sich auch schlicht lächerlich.

(Beifall bei der SPD)

Die Menschen haben längst begriffen, dass wir keine Geschenke verteilen, sondern dass wir Wechsel ausstellen. Nur der Wechsel ist seriös, der auch seriös gedeckt ist.

Niemand, meine sehr verehrten Damen und Herren – außer vielleicht Herr Wulff –, wird bestreiten, dass es in den vergangenen zehn Jahren in Niedersachsen nach vorne gegangen ist, dass wir uns weiterentwickelt haben, dass wir uns positiv ent

wickelt haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, wie die Situation damals in Niedersachsen gewesen ist. Es gab weder einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz noch finanzielle Förderung für den Bau oder die Personalausstattung von Kindergärten in den Kommunen. Niedersachsen war das letzte der alten Bundesländer, in dem es keine Lehrmittelfreiheit gab. Bereits seit Mitte der 80er-Jahre haben Ihre Vorgängerpolitikerinnen und -politiker keine Lehrerinnen und Lehrer mehr eingestellt und damit die Grundlage für die heute beklagte Überalterung der Lehrerkollegien gelegt. Obwohl damals in Niedersachsen anders als heute echte Wohnungsnot herrschte, war der soziale Wohnungsbau - politisch motiviert - zum Erliegen gekommen. Die Polizei war schlecht bezahlt, und trotzdem war in der mittelfristigen Finanzplanung Ihrer alten Regierung die Streichung von 750 Stellen vorgesehen. Im Haushalt gab es keine Mittel für altengerechte Wohnungen, Altenpflegeheime oder für die Hilfe bei Drogenabhängigkeit, Obdachlosigkeit und vieles andere mehr. Von Programmen zur Qualifizierung von Jugendlichen und Arbeitslosen oder langzeitarbeitslosen Sozialhilfeempfängern war in den Haushalten, die Sie zu verantworten haben, keine Rede.

Deshalb waren die ersten Regierungsjahre davon geprägt, den von CDU und FDP zu verantwortenden Stillstand bei Bildung, sozialer und innerer Sicherheit zu beenden und Niedersachsen auf das Niveau wenigstens der anderen Bundesländer anzuheben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erfolge können sich sehen lassen.

(Beifall bei der SPD - Frau Körtner [CDU]: Wo denn?)

- Hören Sie zu, Frau Kollegin, ich trage es Ihnen gerne vor. Vielleicht nehmen Sie es wenigstens einmal für eine Sitzung wahr. Sie können dann bei der nächsten Sitzung wieder das Gegenteil behaupten.

In den vergangenen acht Jahren wurden mehr als 80.000 Kindergartenplätze in Niedersachsen geschaffen.

(Behr [CDU]: Von den Kommunen!)

- Ja, von den Kommunen, aber mit 1,34 Milliarden DM an Personalkostenbeihilfe und mehr als 300 Millionen DM an Investitionshilfen, die wir gezahlt haben, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Wie heißt es so schön? - Wer die Politik bestellt, der muss sie auch bezahlen. Das ist ein Rechtsanspruch aus einem Bundesgesetz, und das Land hat sich hier in einer vorbildlichen Weise engagiert. Natürlich hat auch das dazu beigetragen, dass unsere Verschuldungssituation so aussieht, wie sie aussieht.

Trotz steigender Schülerzahlen hat Niedersachsen nach Schleswig-Holstein die kleinsten Klassen. Für Bildung wird in unserem Land pro Kopf mehr Geld ausgegeben als in Baden-Württemberg oder Hessen. 9.000 DM zahlen wir in Niedersachsen, 8.500 DM werden in Hessen und 8.800 DM in Baden-Württemberg gezahlt. Seit 1990 haben wir 150 neue Studienangebote an den Fachhochschulen des Landes geschaffen und die Zahl der Studienplätze um 20 % gesteigert.

Zehn Jahre sozialdemokratische Innenpolitik haben Niedersachsen sicherer gemacht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Unsere Polizisten sind heute besser ausgebildet, arbeiten effektiver und sind bürgernäher. 1999 wurden 50,3 % aller Straftaten aufgeklärt. Das ist die höchste Aufklärungsquote, die es jemals in Niedersachsen gegeben hat.

(Beifall bei der SPD)

Auch unsere Präventionsprogramme zeigen Wirkung. Während bundesweit eine Zunahme von Straftaten um 8,1 % festzustellen ist, ist in Niedersachsen ein Rückgang von 4,6 % zu verzeichnen. Seit Einführung der zweigeteilten Laufbahn sind in Niedersachsen bei der Polizei rund 5.500 Stellen des mittleren Dienstes in Stellen des gehobenen Dienstes umgewandelt worden. Auch dieser Motivationsschub hat zur guten Arbeit der Polizei beigetragen.

(Beifall bei der SPD)

Aber der sichtbarste Ausdruck einer Politik, die sich um die Menschen in unserem Land tatsächlich kümmert und nicht nur darüber redet oder alles den anonymen Marktkräften überlässt, war die Struktur- und Arbeitsmarktpolitik der vergangenen zehn Jahre. Wir wussten und wissen auch heute: Voraussetzung für eine erfolgreiche Politik ist die Bereitschaft, mutige Entscheidungen zu treffen und dabei auch Risiken einzugehen. Meine Damen und Herren, das haben wir getan: Wir sind diese Risiken ganz bewusst eingegangen, und zwar mit der Gründung der ASL in Lemwerder, mit der Beteili