Protocol of the Session on June 21, 2000

Meine Damen und Herren, in den vergangenen drei Wochen konnten wir alle bei zahlreichen Besuchen auf den Weltausstellungsgelände die Vielfältigkeit der Exponate, die Kreativität in den Nationenpavillons und dem Themenpark und vor allen Dingen die Begeisterung der Akteure und Besucher erleben. Ich bin der festen Überzeugung: Am Ende wird diese Weltausstellung ein Erfolg sein. Die Stadt Hannover, aber auch das ganze Land Niedersachsen haben die einmalige Chance, sich weltoffen zu präsentieren, und wir nutzen sie.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir erleben eine Internationalität, erhalten Impulse, die es für die Zeit nach der EXPO zu nutzen gilt. Wir gewinnen die Zukunft nicht durch das kleinkarierte Geplänkel, das wir gelegentlich treiben. Die Zukunft gewinnen nur diejenigen, die die Chance nutzen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Wir wollen unsere Chance nutzen, meine Damen und Herren. Wir wollen Niedersachsen zu einem Land machen, das international bekannt ist, nicht nur bei Messen, sondern ein Land internationalen Zuschnitts, und wir wollen die Chancen unserer Region dabei nutzen. Das ist die Vision für das neue Niedersachsen, die wir haben. Es wird ein internationaleres Niedersachsen sein. Es gibt vieles, was wir in unserem Land dafür zu bieten haben. - Herzlichen Dank für Ihre Geduld.

(Starker, nicht enden wollender Bei- fall bei der SPD - Zurufe von der CDU und von den GRÜNEN: Aufste- hen!)

Meine Damen und Herren, für die Besprechung waren für die beiden großen Fraktionen jeweils bis zu 40 Minuten Redezeit und für die Grünen bis zu 20 Minuten Redezeit vorgesehen. Da der Ministerpräsident seine Redezeit um 22 Minuten überzogen hat, gehe ich davon aus, dass das gleiche Zeitbudget für die großen Fraktionen und die Hälfte für die kleine Fraktion zur Verfügung steht. Das heißt also, SPD und CDU haben bis zur 60 Minuten Redezeit, die Grünen bis zu 30 Minuten. Dann werden wir weiter sehen.

Zunächst hat sich zur Aussprache der Kollege Wulff von der CDU gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich ziehe mir jetzt ein bisschen den Unmut meiner Fraktion zu, wenn ich sage, dass wir Interessantes gehört haben, allerdings - da sind wir dann wieder im Konsens - zum Thema Europa. Jede ernsthafte Auseinandersetzung mit unserem Land Niedersachsen hat jedoch gefehlt. So leicht lassen wir Sie hier nicht die Kurve kriegen, Herr Ministerpräsident!

(Beifall bei der CDU)

Sie haben in den letzten Wochen alle zusammengenietet und zusammengestaucht: ihre Pressesprecher, ihre Staatssekretäre, ihre Öffentlichkeitsarbeiter. Wenn ich das heute Vormittag richtig verstanden habe, dann haben die sich mit dieser zugearbeiteten Rede erheblich und nachhaltig für diese Art, zusammengestaucht zu werden, gerächt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Bei uns schwankt das ein bisschen zwischen Nostalgie, Gerhard Glogowskis Regierungserklärung und Vorfreude auf Axel Plaues Regierungserklärung in den nächsten Monaten.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Aber da Sie sich ja sozusagen als Dampfplauderer betätigen, um Dampf aus dem Kessel zu nehmen und durch Zwischenrufe, zum Teil selbst erfundene, der Opposition die Schuld dafür zu geben, dass es nicht lief, lege ich doch Wert darauf, dass niemand Sie gezwungen hat, hier heute eine Regierungserklärung abzugeben. Das haben Sie selbst entschieden.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Es gehört schon eine besondere Geschmacklosigkeit dazu, das zehnjährige Geburtstagsfest in Beinhorn zu feiern. Allerdings kann ich Ihnen sagen: Wenn ich Ernst Albrecht heute Nachmittag diese Regierungserklärung nach zehn Jahren SPD zukommen lasse, dann wird er wahrscheinlich sogar mitfeiern, weil das eine Art Untergangsfeier ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Natürlich stehen wir vor gewaltigen Herausforderungen - wer würde das bestreiten -, weltweit, in Europa, in Deutschland, auch hier in Niedersachsen. Da ist eben Führungskraft, da ist Leitlinie, da ist Orientierung gefordert, woran es in Niedersachsen seit 1990 mangelt. Sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen und haben es an selbstbewusstem politischen Handeln fehlen lassen. Es gibt nichts zu feiern, was die SPD übersteigt. Sie können Wahlsiege feiern, aber die Menschen draußen im Lande können diese zehn Jahre nicht feiern. Darauf gilt es hinzuweisen.

Sie sind deshalb in die Ferne geschweift, weil Sie dann zu Dingen reden können, bei denen Sie nicht handeln können und handeln müssen. Aber dort, wo Sie handeln können, sind Sie merkwürdig unklar geblieben. Man könnte sich die Überschrift wählen „Dialog gesucht, aber nicht gefunden“. Ich glaube, das stand vor wenigen Tagen in der „HNA“ und trifft zu.

(Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Es besteht große Übereinstimmung in der Frage der deutschen und europäischen Einigung. Natürlich ist die Erfolgsstory Europa vor allem eine Erfolgsstory der CDU, der Bundeskanzler von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl. Darauf sind wir stolz; das lassen wir uns nicht nehmen. Für uns waren die deutsche und die europäische Einigung immer zwei Seiten ein und derselben Medaille, während man hier eigentlich auf so manchen Eiertanz der Sozialdemokratie von der Lebenslüge Wiedervereinigung bis zum Euro zu sprechen kommen müsste, wenn man Geschichtsklitterung vermeiden will.

(Beifall bei der CDU)

Lieber Sigmar Gabriel, Sie haben sich um das Bollwerk Helmut Kohl Sorgen gemacht. Ich kann Ihnen sagen, das steht weiter, wenn es um Fehler der SPD und der Bundesregierung in der Außenpolitik geht, von Österreich bis zu vielen anderen Fragen.

(Plaue [SPD]: Besonders dann, wenn es darum geht, die Spender zu nen- nen! Dann steht er wie ein Mann!)

Sie können sich darauf verlassen, dass wir Sie auch zukünftig

(Plaue [SPD]: Wie eine Eins steht er dann!)

vor weiteren Fehleinschätzungen, wie es beim Euro der Fall war, bewahren werden.

(Beifall bei der CDU)

Es ist schon interessant, wenn man den Bogen zu schlagen versucht von diesen zehn Jahren Sozialdemokratie in Deutschland und der Schwerpunktsetzung auf Europa. Das war doch bisher das ungeliebteste Stiefkind der Sozialdemokratie; denn allein die Zuständigkeit für die europäische Politik ist innerhalb der Landesregierung hin- und hergeschoben worden: vom Europaministerium des Bilderbuch-Europäers Trittin in die Staatskanzlei, von dort ins Justizministerium, dann wieder in die Staatskanzlei, und nun liegt sie bei einem Minister ohne Unterbau. Dabei wurde über Jahre versäumt, rechtzeitig europäische Mittel für Niedersachsen einzusetzen.

(Zuruf von Minister Senff)

- Ich habe nicht „Unterleib“ gesagt, Herr Minister, sondern „ohne Unterbau“. Das andere wäre nicht wahrheitsgemäß zu begründen. Deswegen habe ich das natürlich nicht so vorgetragen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Die europäische Ebene ist für viele bis heute ein Dickicht. Sie werden nicht über Ihr niedersächsisches Büro in Brüssel mehr Transparenz der europäischen Politik erreichen. Einfluss in Europa werden Sie nur bekommen, wenn Sie niedersächsische Vertreter nach Brüssel und Straßburg entsenden, wie es beispielsweise das Bundesland Bayern erfolgreich macht.

Für die CDU-Landtagsfraktion ist es wichtig, dass es beim Thema Europa einen Konsens gibt. Ihre

Rede stellte eine wertvolle Fleißarbeit zur europäischen Zustandsbeschreibung dar. Es steht schließlich nirgends geschrieben, dass man alles, was man in der vergangenen Woche Neues gelernt hat, in eine Regierungserklärung hineinschreiben muss. Das kann man auch einfach für sich behalten.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich haben Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber, Erwin Teufel und Kurt Biedenkopf in den vergangenen Jahren eine europäische Kodifizierung der Zuständigkeiten für die verschiedenen Ebenen eingefordert. Vielleicht kann die heutige Rede dazu dienen, dass beim nächsten Mal nicht Herr Scherf zusammen mit Herrn Stoiber die Pressekonferenz nach den Gesprächen der Ministerpräsidenten gibt, sondern dass auch an Niedersachsen gedacht wird.

Nachholbedarf in der Frage der europäischen Probleme gibt es auf keiner Seite des Hauses. Wir haben es bisher begrüßt, dass sich die 16 Ministerpräsidenten in der Verfolgung wichtiger Anliegen einig waren und dass keine künstlichen Gegensätze konstruiert werden.

Es ist fast zehn Jahre her, seit Wolfgang Schäuble von einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gesprochen hat. Stellenweise deckt sich das mit dem, was Joschka Fischer - witzigerweise nicht im Parlament, sondern in der Universität - in Berlin vorgetragen hat. Das kann allenfalls Europaneulinge als etwas Neuartiges überraschen.

Auch 1999 ist die CDU in Niedersachsen und auch bundesweit mit einem pro-europäischen Wahlkampfprogramm zur Europawahl angetreten. Wir sind stolz darauf, dass wir es in Niedersachsen auf fünf und Sie als Sozialdemokraten nur auf drei Mandate im Europäischen Parlament gebracht haben.

(Beifall bei der CDU – Möhrmann [SPD]: Gehen Sie doch mal auf die Rede ein!)

Wir brauchen eben genau das Bündnis und die Auflösung des Bündels an Entscheidungen, die anstehen, zu denen Sie gesprochen haben - Institutionenreform, Abgrenzung der einzelnen Ebenen, Osterweiterung wie auch die Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union.

Es gehört auch zur historischen Wahrheit, dass Wirtschaftsminister Fischer meinte, die Reise der CDU-Landtagsfraktion ins Baltikum vor wenigen Jahren damit kommentieren zu müssen, das sei völlig abseitig, es brächte Niedersachsen nichts, und dort gebe es keine wirtschaftlichen Perspektiven – zitiert nach der „Nordwest-Zeitung“ aus Oldenburg.

Wenn heute die Erkenntnis reift und die SPD in der Wirklichkeit ankommt, dass Osteuropa, das Baltikum, Slowenien, aber auch die Slowakei, Tschechien und Polen für uns interessante Länder sind, kann man dies nur begrüßen.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich gibt es die vom Ministerpräsidenten beschriebenen Probleme des Förderalismus, einer schleichenden Übernahme von Kompetenzen durch den Bund zulasten der Länder, und es gibt die Notwendigkeit, die Ebenen der Handlungs- und Finanzverantwortung neu abzugrenzen, die Rahmenkompetenz des Bundes zu beschränken, die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes einzuschränken sowie die Gemeinschaftsaufgaben zu überprüfen. Zur historischen Wahrheit der vergangenen zehn Jahre gehört aber auch, dass es 1988/89 Ernst Albrecht gewesen ist, der den Grundsatz in die deutsche Politik eingeführt hat: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Es waren die Sozialdemokraten, die damals den Regierungswechsel 1990 gerade mit dem Hinweis erzwungen haben, der Bund könne sich nicht zu Kindergärten äußern, wenn er nicht zugleich dafür zahle, sondern die Kommunen bezahlen lasse. Dass Sie diesen Hinweis genutzt haben, Ernst Albrecht und anderen zu unterstellen, sie wollten nichts für Kindergärten tun, war die perfide Art, mit der Sie damals den Regierungswechsel herbeigeführt haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich spreche die historische Wahrheit nur deshalb an, weil die Themen, über die wir heute etwas gehört haben, keineswegs neu, sondern Jahrzehnte alt sind.

(Zuruf von Beckmann [SPD])

Sie harren einer Lösung. Wir wünschen uns Initiativen unserer Landesregierung im Bundesrat. Wie diese aussehen könnten, können Sie unserem Antrag vom 10. November letzten Jahres entnehmen. Gerade der Länderfinanzausgleich ist eben keine

parteipolitische Frage zwischen SPD und CDU, sondern in erster Linie eine Auseinandersetzung zwischen Geber- und Nehmerländern.

Wenn Sie bedauern, dass sich der Bund aus der Verantwortung bzw. der Mitfinanzierung wahrzunehmender öffentlicher Aufgaben zurückzieht, frage ich mich schon, warum Sie in den letzten Monaten zugelassen haben, dass sich der Bund zulasten niedersächsischer Kommunen um 350 bis 400 Millionen DM entlastet und die Mittel für Gemeinschaftsaufgaben wie den Küstenschutz und die Bundesverkehrswege gekürzt hat.