Protocol of the Session on June 21, 2000

Wie zu Beginn der Industrialisierung die Eisenbahn für den Aufbruch in ein neues Zeitalter stand, eröffnet heute die Informations- und Medienwirtschaft unabsehbare Perspektiven. 8,4 Millionen Menschen zwischen 14 und 59 Jahren nutzen heute das world wide web zumindest gelegentlich. Das sind immerhin fast 20 % des Anteils an der Bevölkerung. Allein im letzten Jahr hat die Nutzung des Internet um mehr als 40 % zugenommen. Damit ist in diesem Bereich ein riesiger Markt auch für uns in Niedersachsen entstanden. Die Landesregierung hat diese Entwicklung bereits sehr frühzeitig erkannt und seit längerem begleitet:

Erstens. Mehr als 400 Unternehmen, Handwerksbetriebe und Organisationen umfasst inzwischen das Verbundvorhaben Multimedia-Initiative. Mehr als 100 Projekte sind bereits realisiert worden. Die ausgelösten Gesamtinvestitionen können bis zu 100 Millionen DM betragen. Fast alle Projekte beziehen sich dabei auf Anwendungen unter Nutzung des Internets, wie etwa in den Schwerpunkten der Initiative, Handwerk, Bildung und Kultur oder aber beim Aufbau und der Erprobung der OnlineDienste.

Zweitens. In der Nachnutzung der Weltausstellung entsteht auf dem Gelände der EXPO praktisch eine neue Hochschule für Multimedia und Design. Die Landesregierung will dafür auch internationale Partner und Partner aus der Wirtschaft gewinnen, um neben einer exzellenten Ausbildung auch venture capital für Spinn offs und Start Ups und damit neue Arbeitsplätze in jungen Unternehmen zu fördern.

Drittens. Zum 1. Januar 2001 soll auf dem EXPOGelände eine Mediengesellschaft unter Beteiligung

starker Partner ihren Betrieb aufnehmen. Die Vorarbeiten hierzu haben großen Erfolg gezeigt. Neben dem NDR, neben dem ZDF, neben den Bremern, der Messe AG und der NORD/LB hat inzwischen auch ein privater Rundfunksender sein Interesse bekundet, daran mitzuwirken. Nach Abschluss der EXPO wird auf dem Kronsberg ein Medienzentrum entstehen, das verschiedenste Medienunternehmen, Hochschuleinrichtungen, Fortbildungsträger und die berufliche Bildung einschließt.

Viertens. Der Markt für Call Center ist mit einem jährlichen Wachstum von ca. 20 % von besonderer Dynamik geprägt. Niedersachsen hat sich mit über 12.000 Beschäftigten in ca. 150 Unternehmen in diesem Bereich besonders profiliert. Allein durch Neuansiedlungen konnten in den letzten Jahren mehr als 3.000 Call-Center-Arbeitsplätze, zum Teil in strukturschwachen Gebieten, geschaffen werden. Niedersachsen hat auch aufgrund seiner bisherigen Positionierung gute Chancen für den weiteren Ausbau dieser Branche.

Ferner geht es auch um die europäischen Regionen in Niedersachsen. Die Entwicklung im heutigen Europa vollzieht sich in grenzüberschreitenden europäischen Großregionen. Niedersachsen muss im Hinblick auf die wachsende Globalisierung der Märkte alle Anstrengungen unternehmen, um sich an solchen Kooperationsbündnissen zu beteiligen.

Meine Damen und Herren, unsere Ausgangslage dafür ist günstig: Durch die deutsche Wiedervereinigung und die geplante EU-Osterweiterung gewinnt Niedersachsen eine neue wirtschaftsgeografische Zentralität und erhält hervorragende Bedingungen für seine künftige Entwicklung. Für Niedersachsen geht es darum, mit seinen norddeutschen Partnern die Zusammenarbeit in den europäischen Regionen zu suchen. In interregionaler und transnationaler Zusammenarbeit sollen Wirtschaftsförderung, Verkehrsnetze, Wissenschaft und Technologie, Telekommunikation, Hafenpolitik, Tourismus und Umweltschutz intensiviert und ausgebaut werden. Strategisch kommen für Niedersachsen insbesondere drei Allianzen in Betracht:

Erstens die gewachsene Kooperation mit den Niederlanden, Flandern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen.

Zweitens die verstärkte Kooperation der norddeutschen Küstenländer mit den skandinavischen Län

dern, die sich in Europa am schnellsten auf Digitalisierung und Internet eingestellt haben.

Drittens die frühzeitige Ausrichtung auf die osteuropäischen Märkte durch Nutzung der intensiven Beziehungen, insbesondere zu Polen und den baltischen Ländern.

Das Engagement von Volkswagen in Polen und Tschechien oder der Kauf einer Investmentbank durch die NORD/LB in Riga sind strategische Ansatzpunkte für mittelständische Wirtschaftsbeziehungen mit Niedersachsen. Dabei ist die gewachsene Kooperation mit den Niederlanden ein funktionierendes Modell. Konkrete Beispiele, die in Ihren Wahlkreisen zu finden sind, meine Damen und Herren, sind meiner Meinung nach die besten Beispiele für die Chancen dieser drei Allianzen:

• die Entwicklung gemeinsamer Gewerbegebiete mit den Niederlanden in der Grenzregion,

• die gemeinsame Entwicklung von Verkehrsverbindungen mit den Niederlanden, Bremen und Hamburg - zukunftsorientierte Beispiele dafür sind der Transrapid, die A 31, die A 20 und die A 26 oder die Schienenverkehre zwischen Leer und Groningen oder Hamburg und Berlin über Uelzen und Stendal -,

• eine gemeinsame Hafenpolitik der Häfen in der Norddeutschen Bucht, deren Ausgangspunkt der neue Tiefwasserhafen sein wird, dessen Standort wir noch bis September festlegen werden und der auf jeden Fall in Niedersachsen liegen wird; eng verknüpft damit ist die Entwicklung einer Chemieregion Jade/Unterelbe gemeinsam mit Schleswig-Holstein,

• grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niederlande und Flandern mit dem Ziel eines offenen Bildungsraumes Nordwesteuropa.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, dass Ihnen das zu lang ist. Das begreife ich. Was meinen Sie, wie schwer mir es fällt, bei diesen Temperaturen so etwas vorzutragen? - Es geht um aber Ihre Wahlkreise, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Sie sind diejenigen, die der Landes - -

(Zurufe von der CDU)

- Na ja, da, wo Sie Ihre Listenplätze bekommen haben.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es sind Ihre Abgeordneten, die mir schreiben, ich möge mich für Wilhelmshaven oder Cuxhaven einsetzen, ich möge etwas für den Transrapid tun, ich möge mich für diese oder jene Schienenverkehrsverbindung einsetzen. Meine Damen und Herren, das alles werden wir nicht schaffen, wenn wir in Norddeutschland nicht zu mehr Kooperation auch mit den benachbarten Ländern kommen.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

- Je ruhiger Sie sind, desto weniger muss ich schwitzen. Das ist doch ganz einfach. Verstehen Sie, bei diesen Temperaturen ist das weder für die Journalisten noch für uns hier ein Vergnügen. Lasst uns das doch anständig zu Ende bringen.

(Möllring [CDU]: Bei der Rede würde ich auch schwitzen! - Frau Harms [GRÜNE]: Wir müssen da jetzt durch! - Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, lassen Sie den Herrn Ministerpräsidenten zum Ende kommen.

Ich wollte nur Gelegenheit bekommen, ein bisschen Luft zu holen.

Aber auch für andere Teile unseres Bundeslandes, die nicht im Nordwesten liegen, bringen Kooperationen auf europäischer Ebene zusätzliche Chancen. Braunschweig ist ein Kompetenzzentrum für Mobilität, für die wirtschaftliche Entwicklung Osteuropas. Diese Kompetenzen reichen weit über den Automobilbau hinaus: Am Forschungsflughafen geht es um neue Werkstoffe für die Luft- und Raumfahrttechnik, und bei Siemens steht ein hochmoderner Standort für Signal- und Mobilitätstechnik.

Göttingen bietet nicht nur Kompetenz für die industrielle Entwicklung durch das Measurement Valley, sondern bildet mit Hannover und Braun

schweig gemeinsam ein Forschungsdreieck für die Gen- und Biotechnologie.

Osnabrück und das Emsland gehören zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen in ganz Deutschland mit glänzenden Wachstumszahlen. Hier liegen Kompetenzen im Schiffsbau ebenso wie im Fahrzeugbau und vielen anderen Sektoren industrieller Produktion für Europa.

Niedersachsen bietet Kooperationspartner für Wasserwirtschaft, Wasseraufbereitung und Transport. Diese Kompetenzen werden nicht nur in Europa, sondern weltweit gesucht. Und wir sind Standort des größten Tourismuskonzerns Europas, Partner sicherlich für viele neu aufstrebende Tourismusregionen im europäischen Ausland und darüber hinaus.

Aber die größten Chancen hat wohl die Landeshauptstadt Hannover selbst. Sie liegt an den Hauptverkehrsadern der Bundesrepublik, sie besitzt einen gut ausgebauten Flughafen und hat Potentiale. Sie besitzt ein gut ausgebautes europäisches Verkehrswegenetz und kann wie kaum ein anderer Standort in Deutschland auf ihre Erfolge verweisen. Sie wird sich gemeinsam mit dem Landkreis Hannover zu einer Region entwickeln. Es wäre gut, wenn aus der gemeinsamen Initiative aller Parteien, der Wirtschaft und der Verwaltung auch eine gemeinsame Initiative im Niedersächsischen Landtag werden könnte.

(Beifall bei der SPD)

Die Landesregierung wird deshalb erstens ihre künftige Förderpolitik vor allem auf regionale Entwicklungsprojekte ausrichten, die diese Kooperationschancen nutzen und ausbauen wollen, zweitens Schwerpunkte und Prioritäten dort setzen, wo durch den Ausbau der regionalen Infrastruktur die besonderen Potentiale der jeweiligen Region gestärkt werden. Ein zentrales Beispiel dafür wird der Tiefwasserhafen sein, der in Niedersachsen Investitionsvolumina in Höhe von 1 Milliarde DM und mehr erfordern wird. Wir werden drittens unsere Verbindungen und Kontakte zu unseren europäischen Nachbarn verstärken und nach Möglichkeit gemeinsame Vertretungen Norddeutschlands in unseren wichtigsten Partnerregionen anstreben. Viertens wollen wir eine engere Kooperation mit den norddeutschen Ländern anstreben, die den Aufbau und Ausbau europäischer Kooperationsprojekte im Norden Deutschlands vorantreiben

soll. Ich könnte mir vorstellen, dass daraus so etwas wie ein neuer Norddeutscher Bund wird.

Am Ende werden wir die Regionen unseres Bundeslandes gestärkt haben, aber auch Niedersachsen insgesamt. Es wird mehr sein als die Summe von Regionen. Es wird selbst eine starke Region im Zentrum Europas.

Meine Damen und Herren, die Zukunft hat in Niedersachsen schon begonnen! Auf dem rund 160 Hektar großen EXPO-Gelände rückt die Welt eng zusammen. Da liegt China neben Spanien und Tschechien, Island und Nepal sind Nachbarn, und von den Dünen und Deichen der Niederlande schweift der Blick weit über Finnland, Dänemark und Ungarn.

(Frau Harms [GRÜNE]: Südschwe- den!)

- Südschweden, ja. - Meine Damen und Herren, das ist vielleicht das Faszinierendste an der Weltausstellung: Man kann an einem Tag eine Reise durch die ganze Welt machen und lernt dabei an einem Tag mehr über die verschiedenen Staaten, ihre Kultur, ihre Wirtschaft, auch über ihre Probleme. Das Wichtigste aber sind die Menschen, die man hier trifft: der Mönch aus Bhutan, der Computerexperte aus den Vereinigten Arabischen Emiraten oder die Leiterin eines Frauenprojektes aus Eritrea.

Auch unser Land muss internationaler werden. Denn obwohl in Deutschland fast jeder zehnte Einwohner nicht deutscher Nationalität ist und obwohl unsere Industrie weltweite Erfolge feiert, fehlt vielen von uns die Bereitschaft, sich engagiert mit dem Ausland auseinander zu setzen. Nur ein Bruchteil von Studentinnen und Studenten wagt sich für ein oder zwei Semester ins Ausland. Und selbst für leitende Aufgaben finden sich oft nur schwer Bewerber, wenn damit ein Auslandseinsatz verbunden ist.

Die Neugier auf Neues, die Lust, sich auf Unbekanntes einzulassen und dabei vielleicht auch ein Risiko einzugehen, dies alles ist in Deutschland leider nicht besonders ausgeprägt. Bei vielen von uns überwiegt das Sicherheitsdenken. Auch das ist ein Problem der EXPO.

Die EXPO - so hat es ein Rundfunkkommentator zusammengefasst - ist eine Mischung aus LunaPark, Kunstausstellung, Tourismusbörse und In

dustriemesse. Da ist viel dran, meine Damen und Herren.

(Schröder [Grüne]: Leider ja!)

Das breite und bunte Angebot ist aber keineswegs, Herr Kollege Schröder, so zusammengewürfelt, wie es die Aufzählung der verschiedenen Veranstaltungstypen nahe legt. Die EXPO ist vor allen Dingen ein Ort der internationalen Begegnung, ein Basar der Ideen und eine gewaltige Chance für Deutschland, sein Ansehen und seine Rolle in der Welt neu zu definieren.

„Sie verlassen jetzt die Gegenwart“ - so hieß es in einem Artikel im „Handelsblatt“ vom 4. Mai 2000 über die EXPO 2000. Man möchte ergänzen: „und werfen einen Blick in die Zukunft“.

Meine Damen und Herren, in den vergangenen drei Wochen konnten wir alle bei zahlreichen Besuchen auf den Weltausstellungsgelände die Vielfältigkeit der Exponate, die Kreativität in den Nationenpavillons und dem Themenpark und vor allen Dingen die Begeisterung der Akteure und Besucher erleben. Ich bin der festen Überzeugung: Am Ende wird diese Weltausstellung ein Erfolg sein. Die Stadt Hannover, aber auch das ganze Land Niedersachsen haben die einmalige Chance, sich weltoffen zu präsentieren, und wir nutzen sie.