Protocol of the Session on May 11, 2000

In absehbarer Zeit werden fertige Berufsschullehrerinnen und -lehrer rein statistisch zwischen etwa fünf Stellen wählen können. Wenn es also heute Lehramtsanwärter gibt, kommen auf eine freie Stelle - - - Lassen Sie es mich besser anders formulieren: Jeder Bewerber, der Examen macht, hat fünf Angebote, weil er auch in die freie Wirtschaft wechseln kann. Die Wirtschaft wirbt sehr oft Kräfte ab. Also muss man fünf Berufsschullehrer ausbilden, um einen für das Berufsschulsystem zu

gewinnen. Wir bilden aber - das wissen Sie auch längst nicht hinreichend aus.

(Voigtländer [SPD]: Was war das denn eben für ein Bildungseinmal- eins? Woher wissen Sie das denn? - Zuruf von Frau Litfin [GRÜNE])

- Passen Sie auf! Ich möchte Ihnen einmal vorhalten, wer sich zurzeit in Niedersachsen in einigen Bereichen eingeschrieben hat. Im Fach Metalltechnik haben sich im Durchschnitt der letzten drei Jahre pro Jahr nur 28 Studentinnen und Studenten eingeschrieben. Im Bereich Bautechnik sind es gut 20. Im wichtigen Bereich Elektrotechnik sind es im Durchschnitt der letzten drei Jahre ganze elf Studentinnen und Studenten pro Jahr. Wo wollen Sie denn den Nachwuchs herbekommen?

Wenn man Ihre Angaben unterstellt, könnte man sagen, dass Sie nicht einmal andeutungsweise das an Lehrernachwuchs schaffen, was wirklich gebraucht wird. Den absoluten Negativrekord - da müssen Sie einmal zuhören - stellt das Fach Informatik auf. Gerhard Schröder hat das bundesweit zu einem besonderen Thema gemacht, und der Herr Ministerpräsident Gabriel hat das hier in Niedersachsen getan. Jetzt sage ich Ihnen mal etwas:

(Möhrmann [SPD]: Aber nun mal! - Bartling [SPD]: Nur einmal! - Zuruf von Voigtländer [SPD])

Im Mittel der letzten drei Jahre hat das Land, man höre und staune

(Unruhe)

- passen Sie auf! -, lediglich acht Studienanfängerplätze pro Jahr bereitgehalten,

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

für die sich pro Jahr ganze fünf Studienanfängerinnen und -anfänger gefunden haben. Ich halte das für ein Armutszeugnis.

Nehmen wir den IT-Bereich. - Da haben wir entsprechende Berufsfachschulen vorzuhalten. „Potemkin'sche Dörfer“, kann ich nur sagen! Was ist die Wahrheit? - Nehmen wir einmal die einschlägigen Ausbildungsgänge. Berufsfachschule Informatikassistent, Fachrichtung Softwaretechnologie. Davon haben wir zwei Schulen. Einmal beträgt die Unterrichtsversorgung 70,6 % und einmal 77,8 %. Berufsfachschule Technischer Assistent für Informatik: einmal 86,2 %, einmal 76,1 %. Berufsfach

schule Kaufmännischer Assistent für Wirtschaftsinformatik: einmal 81,5 %, einmal 75,1 %.

Da kann ich Ihnen nur sagen: Wir haben überhaupt nicht die Lehrkräfte in Niedersachsen, auch nicht in den nächsten Jahren, um alles das zu unterrichten, was wir im Bereich Multimedia anbieten müssten.

Ich weiß auch gar nicht, Frau Ministerin, wie Sie sich den Lehrernachwuchs für die nächsten Jahre vorstellen. Wenn Sie sich einmal ansehen, was zur Verfügung stehen wird, dann müssten Sie eigentlich schlaflose Nächte haben.

(Voigtländer [SPD]: Ich schlafe im- mer besser! Jeden Tag!)

Ich sehe auch nicht, welches Konzept Sie anbieten, um dem Bedarf auch einmal gerecht zu werden.

(Unruhe)

- Sie können das ja gleich alles beantworten.

Sie wissen, dass wir in der letzten Zeit die Einstellung auf Dreivierteilstellenbasis ständig kritisiert haben. So weit, so gut. Sie haben das Problem erkannt. Es war ursprünglich vielleicht einmal gut gemeint. Nun haben Sie es korrigiert. Nun geht es darum, 200 Vollzeitlehrerstellen, aufgestockt von Dreiviertel- auf Vierviertelstellen, zu schaffen. Das ist ein Vorgriff auf die Vollzeiteinstellung, die Sie in vier Jahren ohnehin vornehmen müssen. Mehr bieten Sie in dem Bereich überhaupt nicht an.

Also kann ich auch da nur noch einmal sagen: Unterrichtsversorgung, Lehrermangel! Frau Ministerin, wie wollen Sie das in den nächsten Jahren bewerkstelligen?

Meine Damen und Herren, was tut man, wenn man in irgendeinem Bereich nicht weiter weiß? - Man erfindet quasi die Wunderwaffe, und das ist das großartige Modernisierungskonzept.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Aber jetzt!)

Modernisierung, meine Damen und Herren, hört sich wunderbar an, hört sich immer gut an. Darin ist auch nicht alles falsch. Dabei ist auch eine Menge Lyrik, wie das bei Konzepten manchmal so sein muss. Ich muss Ihnen aber sagen: Das Konzept zeichnet sich durch einen Kardinalfehler aus, den ich wie folgt beschreiben würde: Es verquickt den notwendigen Modernisierungsansatz für unsere Berufsschulen mit Bildungsabbau. Durch Anhe

bung der Klassenobergrenzen sowie durch die Kürzung von Stundentafeln soll Bilanzkosmetik betrieben werden. Der Anspruch der niedersächsischen Berufsschulen auf Unterricht wird um sage und schreibe 800 Vollzeitstellen reduziert, damit die miserable Bilanz geschönt werden kann.

(Zustimmung bei der CDU - Voigtländer [SPD]: Werden die alle entlassen, oder was?)

Dadurch kommt keine einzige zusätzliche Stunde an unsere Berufsschulen, aber die qualitative Situation wird wesentlich verschlechtert.

Zentraler Punkt Ihrer Modernisierung sind die Klassenobergrenzen. Sie erhöhen die Klassenobergrenzen von 27 Schülerinnen und Schüler auf 30 Schülerinnen und Schüler. Das hat dann unmittelbar zur Folge, dass in Ausbildungsberufen mit einer geringen Zahl von Auszubildenden nicht mehr ortsnah beschult werden kann. Ich hätte gar nicht gedacht, wie sich diese beabsichtigte Veränderung in der Fläche tatsächlich auswirkt, an wie vielen Standorten sich die Klassenobergrenzen zwischen 27 und 30 Schülerinnen und Schüler bewegen. Ich kann Ihnen schon sagen: Hier wird gerade mit Auswirkung in den ländlichen Bereich hinein die Funktionsfähigkeit des dualen Ausbildungssystems stark beeinträchtigt. Sie sollten wirklich überprüfen - das ist ja ein Flächenbrand, der sich da andeutet -, ob Ihre Vorstellungen, Frau Ministerin, so richtig sind.

(Zustimmung von Klare [CDU])

Das wird auch dazu führen, dass Standorte gefährdet sind. Es wird dazu führen, dass sich Auszubildende, die sich für eine bestimmte Richtung entscheiden sollen, die benötigt wird, nicht entscheiden, weil sie sich sagen: Ich muss dann zum übernächsten oder noch weiter entfernten Standort fahren, weil ich vor Ort das entsprechende Ausbildungsangebot nicht mehr bekomme.

Weitere Kritikpunkte stehen in unserem Antrag. Ich will noch einen Punkt ganz besonders ansprechen, und das ist Ihr Klassenbildungserlass.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Dabei sind Sie doch schon die ganze Zeit!)

Dazu kommen uns verstärkt Hinweise der kommunalen Träger ins Haus, nach denen das in hohem Maße Auswirkungen hat. Da wird gesagt, das

greife sogar in die Zuständigkeit und in die lokale Schulentwicklungsplanung ein.

Unter dem Strich, Frau Ministerin, ist festzuhalten: Sie hauen mit Ihrem Modernisierungskonzept, mit Ihrer Beschreibung der Stundentafeln, mit den Klassenobergrenzen, mit den sonstigen Dingen richtig ins System hinein, und im Grunde streichen Sie hier 800 Stellen weg, ohne weitere Stellen zu liefern. Sie verschlimmern die mangelhafte Unterrichtsversorgung, und das kann eigentlich nicht richtig sein.

(Zustimmung bei der CDU)

Gerade auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion sind ja in den letzten Wochen in die Schulen hineingegangen. Ich kann mir vorstellen, dass Sie da einiges zu hören bekommen haben

(Voigtländer [SPD]: Das war die Ab- sicht!)

und dass die Schulleitungen nicht mehr die Zurückhaltung der Vergangenheit an den Tag gelegt haben, Herr Kollege Voigtländer. Die Schulleitungen haben wohl auch mit Ihnen dann Tacheles geredet und Ihnen gesagt, wo der Schuh wirklich drückt.

(Voigtländer [SPD]: Ich war da!)

Das sind nun, weiß Gott, keine erfreulichen Erkenntnisse gewesen.

Nun habe ich der Presse entnommen, Frau Kollegin, dass Sie punktuell Nachbesserungen anbieten wollen. Ich bin einmal gespannt darauf, was von Ihrer Seite als Nachbesserung vorgeschlagen wird, was man möglicherweise im Ausschuss miteinander diskutieren kann.

Wir seitens der CDU-Fraktion sind sicherlich bereit, über Modernisierung - die muss über die Zeit ja immer stattfinden - miteinander zu reden. Wenn aber das Ganze gründet auf Kürzungen in der Stundentafel, wenn das Ganze gründet auf Veränderungen bei den Klassengrößen - nach oben natürlich -, wenn das Ganze gründet auf mangelhafter Unterrichtsversorgung, auf zu wenig Lehrern - das Thema ist hinreichend angesprochen worden -, dann können wir den Weg mit Ihnen gemeinsam nicht gehen. Wenn Sie an diesen Punkten zur Umkehr bereit sind und dann auch über weitere technische Modernisierungsmaßnahmen mit gesprochen werden soll, dann können Sie

sich auch auf uns verlassen; dann kann man mit uns auch Neues und Besseres entwickeln.

Meine Damen und Herren, ein Modernisierungskonzept sollte die Fehlentwicklungen, die ich hier aufgezeigt habe, nicht enthalten. Man sollte bereit sein, zu zusätzlichen Lehrkräften zu kommen, die Unterrichtsversorgung zu verbessern. In diesem Bereich, glaube ich, lohnt es, dass man sich engagiert - wie auch allgemein im Bildungsbereich.

Meine Damen und Herren, dann ist wirklich die Frage - ich habe sie angesprochen -: Woher bekommen wir denn die Lehrer? - Meinen Sie denn, Frau Ministerin, dass Sie angesichts des wirklich strapazierten berufsbildenden Systems junge Leute dafür gewinnen können zu studieren, um Berufsschullehrer zu werden? - Ich habe da arge Bedenken, ob Sie das, wenn da so etwas wie eine Imagekampagne angesagt ist, bei diesen Verhältnissen hinkriegen.

Lassen Sie uns im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit unseres dualen Systems in Niedersachsen - das ist mir sehr ernst - gemeinsam versuchen, ein Modernisierungskonzept auf die Beine zu bringen, das die angesprochenen Fehlentwicklungen nicht enthält und nach dem man dann sagen kann: Auch in Zukunft können sich die Wirtschaft, die Bürger, die Schüler auf die berufliche Bildung, auf das duale System in Niedersachsen verlassen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU - Frau Seeler [SPD]: Herr Klare hätte das noch bes- ser hingekriegt!)

Nächster Redner ist der Herr Kollege Fasold, dem ich das Wort erteile.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das berufsbildende Schulwesen in Niedersachsen ist sehr leistungsstark.

(Biel [SPD]: Richtig!)