Protocol of the Session on March 29, 2000

um zu zeigen, dass sie die Antworten auf die Fragen, die sie scheinbar stellt, bereits kennt, also aus ihrer Betonposition heraus zu erklären,

(Glocke des Präsidenten)

die Orientierungsstufe zertrümmern zu wollen. Wir werden ganz offen fragen - das hat der Ministerpräsident in Abstimmung mit unserer Fraktion auch bereits bekannt gegeben -, was und wie an der Orientierungsstufe noch verbessert werden kann. Wir wollen dafür eine gründliche wissenschaftliche Basis und ein diskursives Vorgehen - wollen also auch auf die Anregungen der Grünen eingehen, alle Beteiligten und Betroffenen in unserem Flächenland einzubeziehen -, und wir wollen vor allen Dingen auch die regionalen Besonderheiten berücksichtigen. Wir wollen mit einem solchen differenzierten und seriösen Vorgehen vor allem auch der bisherigen Arbeit unserer Orientierungsstufen im Land gerecht werden.

(Beifall bei der SPD)

Für zwei Minuten hat Herr Kollege Schwarzenholz das Wort.

(Eveslage [CDU]: Darf der jetzt zu jedem Tagesordnungspunkt reden?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident Gabriel ist wirklich ein schlauer Fuchs. Ich meine, das ist keine Neuheit.

(Beifall bei der SPD)

Er hat schnell erkannt, dass der so genannte Oppositionsführer Herr Wulff das Thema aus strategisch-taktischen Gründen heraus hochziehen will, um daraus eine entsprechende Profilierungsmöglichkeit zu entwickeln. Er hat reagiert, und er hat schlau reagiert. Ob das der Sache dient, bezweifle ich allerdings. Daran, dass das, was hier als ergebnisoffener Diskussionsprozess angedeutet wird, realisiert wird, habe ich meine ernsthaften Zweifel.

(Frau Körtner [CDU]: Wir auch!)

Wenn man sich anschaut, dass die CDU die Orientierungsstufe während ihrer Regierungszeit in Niedersachsen im Ergebnis letztlich problemlos hat leben lassen - die Orientierungsstufe hat ja unter der CDU-Regierung länger als unter der SPD-Regierung existiert- , dann fragt man sich ja: Warum greifen die denn da jetzt zu?

(Eveslage [CDU]: Das stimmt nicht!)

Dahinter steckt ein ganz reaktionäres Gesellschaftsbild, weil man wieder ab der vierten Klasse selektieren und die Erfolge, die mit der Einführung der Orientierungsstufe verbunden sind, rückgängig machen will.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein restauratives Konzept.

(Plaue [SPD]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)

In Richtung der Grünen frage ich: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünen-Fraktion, haben Sie eben gemerkt, dass zu dem Beitrag der Kollegin Litfin der meiste Applaus von der rechten Seite kam?

(Busemann [CDU]: Das schaffen Sie nie!)

Was ist denn die Folge der Diskussion über die sechsjährige Grundschule in der Situation, die wir in Niedersachsen haben? - Wir diskutieren hier doch nicht vom grünen Teppich aus. Wir diskutieren doch in einer Situation, in der es diese Schulform jetzt schon so lange gibt. Wenn man die ändern will, dann wissen Sie, was das aus finanzpolitischer Sicht für Folgen hat. Wenn ich mir überlege, wie viel Geld gegenwärtig bei uns im Schulsystem fehlt, dann kann ich nur sagen: Wer wie die CDU die Restauration will, der ist bereit, den Preis zu zahlen, aber wer Chancengleichheit und soziale Kompetenz in den Schulen will, der fängt gegenwärtig keine Diskussion über die sechsjährige Grundschule an, sondern über die Optimierung der Orientierungsstufe.

(Plaue [SPD]: Warum haben Sie Angst vor dieser Diskussion, Herr Schwarzenholz?)

Letztlich frage ich in Richtung der Grünen-Fraktion: Was machen Sie denn vor dem Hintergrund Ihres Vorschlages mit der Gesamtschule, die durch Ihren Vorschlag noch zusätzlich destabilisiert wird?

Das Wort hat die Kultusministerin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion um die Orientierungsstufe darf wahrlich nicht - wie Sie so schön gesagt haben - zum Zahlenspiel verkommen. Das ist richtig. Ich meine, dass dieses Thema für Schnellschüsse völlig ungeeignet ist.

(Zustimmung bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Ich weiß aber nicht genau, wer hier im Augenblick Schnellschüsse macht. Wir jedenfalls nicht.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU - Glocke des Präsiden- ten)

Sie wissen doch genau, dass es im Kern um die gesamte Schulstrukturfrage und damit auch um das gegliederte Schulsystem geht. Es geht damit auch

um das Ringen um die Frage, wann und wie lange sich unsere Kinder einer Prüfung für das gegliederte System unterziehen sollen und wann die Entscheidung dazu fallen soll. Die Angst vor der Orientierungsstufe ist in Wahrheit die Angst vor der Hauptschulempfehlung. Das können wir Ihnen nachweisen. Von dieser Empfehlung weichen die meisten Eltern nämlich ab - in städtischen Bereichen übrigens mehr als in ländlichen. Das heißt, dass im Laufe der letzten Zeit ein neues StadtLand-Bildungsgefälle entstanden ist. Den Kern dieses Problems müssen wir bearbeiten.

Sie haben schon gesagt - ich gebe das auch zu -, dass ich mich schwer getan habe, die Orientierungsstufendiskussion zu diesem Zeitpunkt zu führen, da für die gerade jetzt benötigte Qualitätsdebatte im Schulsystem viel von den Schulen und ihren Lehrkräften abverlangt wird. Daneben eine große Schulstrukturdebatte zu führen, wird alle Beteiligten zusätzlich beanspruchen.

(Zurufe von der CDU)

- Da können Sie ruhig feixen. Sie werden sehen, wie schwierig das werden wird.

Nach einer gemeinsamen politischen Analyse in Kabinett und Fraktion halten wir es aber für nötig, die offensichtlichen Akzeptanzprobleme der Eltern gegenüber dieser Schulform aufzugreifen, die der Beschluss des Landeselternrates sehr deutlich gemacht hat, und in einem zeitlich straffen, gestuften Verfahren zu bearbeiten. In diesem Verfahren werde ich aber verhindern, dass der Orientierungsstufe etwas angelastet wird, was exakt ihrem bildungspolitischen Auftrag entspricht, nämlich eine Prognose zu erstellen, an welche Schulform das Kind mit seinen Fähigkeiten gehört. Das tut sie nämlich erfolgreich wie kein anderes Lenkungssystem, und Sie wissen auch, dass 81 % der Eltern dieser Empfehlung folgen.

Wir lasten dieser Schulform übrigens auch Probleme an, die zum Teil in der Grundschule liegen. Nach meiner Auffassung kommen zu viele Kinder aus der Grundschule mit Schwächen in den Grundfertigkeiten, die dann in der Orientierungsstufe zu bearbeiten sind. Die Orientierungsstufe ist damit in der schwierigen Rolle, gleichzeitig zu fördern und zu prognostizieren. So ist die zweijährige Phase der Prognosestellung häufig von Angst besetzt, der zweimalige Schulwechsel ein Problem und die zweijährige Schulform pädagogisch für das Schulleben schwierig.

Wir wollen diese berechtigten Kritikpunkte ergebnisoffen diskutieren. Dabei wird es für uns bildungspolitisch wichtige Grundsätze geben:

Erstens. Wir wollen den Grundschulen den notwendigen pädagogischen Freiraum ermöglichen, eine kindgerechte Schule zu sein. Das heißt, die Grundschule soll von der Schullaufbahnempfehlung befreit bleiben, aber natürlich nicht von der Leistungsorientierung zur Beherrschung der Grundfertigkeiten.

Zweitens. Wir wollen ein Schulsystem, in dem es so wenig wie möglich fehlgeleitete Schülerinnen und Schüler bei gleichzeitig hoher Ausschöpfung der Begabungsreserven gibt. Das heißt, die Laufbahnentscheidung soll nicht zu früh fallen, und in der Sekundarstufe I soll die Durchlässigkeit erhalten bleiben.

(Frau Vockert [CDU]: Also bleibt al- les so, wie es ist!)

Drittens. Wir wollen weiterhin das Wahlrecht der Eltern erhalten, da wir weniger staatliche Bevormundung und mehr Eigenverantwortung befürworten. Ein qualifiziert ausgestaltetes Elternrecht ist nach unserer Meinung gut für die Verantwortung der Eltern und bindet sie konstruktiv in die Schullaufbahnentwicklung ein.

Woher kommen wir in Niedersachsen eigentlich? Das weiß die CDU-Seite offensichtlich nicht mehr. Wir haben in Niedersachsen die Schule im Dorf gelassen. „Kurze Beine, kurze Wege“ heißt der Spruch dazu.

(Lachen bei der CDU)

1.870 Standorte sichern dieses System in der Fläche - ein kostspieliges System.

(Klare [CDU]: Sie haben 3.000 Grundschulen kaputt gemacht! - Ge- genruf von Frau Goede [SPD]: Schä- men Sie sich einmal, die Schulen so schlecht zu machen!)

In den 70er-Jahren waren sich CDU und SPD einig, dass nach der Grundschulphase ein Qualitätssprung im Unterrichtsangebot entstehen muss. Dieser Qualitätssprung, den Sie mitgetragen haben, wurde durch eine Konzentrationsrunde auf 574 Standorte schmerzhaft erkauft. Dies ist ein Problem für unsere weitere Diskussion und auch ein Problem für die Frage der verlängerten Grundschulzeit, die Frau Litfin angesprochen hat.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Litfin, wir werden das, was Sie gesagt haben, prüfen. Im Augenblick steht die Schulgesetzlage allerdings gegen eine Anbindung der Orientierungsstufe an die Grundschule. Deshalb werden wir mit dieser Frage natürlich offen umgehen.

(Golibrzuch [GRÜNE]: Dann müssen Sie einen Schulversuch daraus ma- chen!)

Jeder, der sein Modell jetzt ohne gründliche Prüfung für die niedersächsische Schullandschaft und ohne die Beteiligten zu hören auf den Tisch legt, wird sich ab jetzt aber der politischen Bewertung stellen müssen, denn es könnte Wirklichkeit werden. Wir wollen mit unserem Verfahren keine Zahlenspiele, sondern wir wollen eine tragfähige Untersuchung und die Beteiligung der Betroffenen.

(Möllring [CDU]: Fünf Minuten sind vorüber!)

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Sie, meine Damen und Herren von der CDU, wollen nur Zoff und Streit und keine sachliche Debatte. Das haben Sie hier gerade gezeigt.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - La- chen bei der CDU)