Protocol of the Session on March 29, 2000

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 9: Zweite Beratung: Hochschulen sollen Studienbewerber nach eigenen Qualitätskriterien auswählen können - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/1118 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 14/1456

Der Antrag wurde an den Ausschuss für Wissenschaft und Kultur zur Beratung und Berichterstattung überwiesen. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Frau Schwarz erhält von mir in der Beratung das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits mit dem Bückeburger Programm wurde von der CDU in Niedersachsen die Forderung erhoben, den Hochschulen ein Recht zur Auswahl der Bewerber zumindest bei den Studiengängen, in denen ein Nachfrageüberhang besteht, einzuräumen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Die Eigenauswahl eines Teils der Studierenden ist ein Mittel der Profilbildung einzelner Studiengänge. Es ist unbestritten von Vorteil, wenn die Hochschulen durch ein besonderes Auswahlverfahren, das nicht in das Belieben der Hochschullehrer und -lehrerinnen gestellt ist, eine besondere Eignung der Studierenden, etwa durch Zusatzqualifikationen, berücksichtigen können. Dies ist kein Ausschlussinstrument, sondern es ist für die Bewerber eine zusätzliche Chance, Motivation und Qualifikation unter Beweis zu stellen und sich für Stu

diengänge einzutragen, für die sie in einem anonymisierten Verfahren keine Zugangsberechtigung erhalten würden.

Auch die Hochschulen haben in ihrer Resolution des 49. Hochschulverbandstages zur Zukunft der deutschen Universität darauf hingewiesen, dass die Universität in ihrer Entfaltung Autonomie braucht. Ohne das Übermaß staatlicher Regulierungen würde die Universität besser funktionieren. Es wurde die Forderung aufgestellt, den Universitäten das Recht und die Pflicht, ihre Studierenden auszuwählen, einzuräumen.

(Beifall bei der CDU)

Derzeit dürfen die Hochschulen nach dem Gesetz zum Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen nur 20 % der Studierenden selbst aussuchen - und auch das nur eingeschränkt. Denn nur solche Bewerber, die die Zulassung über die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen nicht geschafft haben, kommen in das universitäre Auswahlverfahren. Die Spitzenleute bleiben so außen vor.

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, hat in diesem Zusammenhang gar von einem „kastrierten Verfahren“ gesprochen. Die Begeisterung an den Hochschulen ist entsprechend verhalten. 33 der nahezu 300 staatlichen Hochschulen wollen sich der Mühsal von Auswahlverfahren aussetzen. Wer so halbherzig reformiert, darf sich nicht wundern, wenn die besten deutschen Studenten in das Ausland abwandern.

Daher hat die CDU-Fraktion die 20 %-Regelung des Staatsvertrages nur als Minimalbasis angesehen. In Baden-Württemberg sind seit dem Mai 1997 für die Hochschulen in örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen 40 % der Studienplätze nach dem Ergebnis eines von den Hochschulen durchgeführten Eignungsfeststellungsverfahrens zu vergeben.

Seit dem Wintersemester 1999/2000 ist die Durchführung von Eignungsfeststellungsverfahren für die Hochschulen obligatorisch. Die Durchführung und Auswertung dieses Verfahrens erfordert ohne Zweifel einen beträchtlichen Zeit- und Arbeitsaufwand in den Studentensekretariaten, Fakultäten und Fachbereichen. Aus den dortigen Universitäten heißt es, dass das Verfahren viel, aber nicht zu viel Arbeit mache. Der Mehraufwand vor Studienbeginn kann deshalb zu einer wirtschaftlichen Auslastung der Hochschulen in der Lehre führen.

Die dem baden-württembergischen Wissenschaftsministerium vorliegenden Erfahrungsberichte sind überwiegend positiv. Dort wird sogar über eine Erhöhung der Hochschulauswahlquote zu gegebener Zeit nachgedacht.

In Niedersachsen ist der Wissenschaftsminister Oppermann offensichtlich gewillt, die Reform der Hochschulen weiter voranzutreiben. An der Einführung der Globalhaushalte ist dies z. B. gut zu sehen. Allerdings drängt die Expertengruppe, die in den vergangenen fünf Jahren einen Modellversuch zur Einführung von so genannten Globalhaushalten in Niedersachsen wissenschaftlich begleitete, auf eine Beschleunigung der Reform an den Hochschulen des Landes. Professor Müller-Bölling als Vorsitzender der Expertengruppe wies im Dezember 1999 in Oldenburg darauf hin, dass nicht nur die Ministerialbürokratie in den alten Bahnen denke, sondern dass es vor allem in der Politik Anzeichen für einen neuen Zentralismus bei anstehenden Entscheidungen gebe. Müller-Bölling ist der Ansicht, dass es an der Zeit sei, alle niedersächsischen Hochschulen in eine größere Selbständigkeit zu entlassen.

(Beifall bei der CDU)

Zur vollständigen Umsetzung der Reform sind weitere flankierende Maßnahmen erforderlich. Der Antrag der CDU, meine Damen und Herren, stellt eine solche flankierende Maßnahme dar. Bei der Landesregierung rannten wir mit unserem Antrag offensichtlich offene Türen ein. Zumindest hat Herr Dr. Cornelius Schley als Leiter des Büros des Wissenschaftsministers diesen Antrag begrüßt. Aber die SPD-Fraktion sah die Option der 20 % in dem Staatsvertrag als ausreichend an. Allerdings kündigte sie an, dass bei der anstehenden NHG-Novelle eine Diskussion über das Zulassungsrecht in enger Abstimmung mit den Hochschulen geführt werde. Aber vielleicht erleben wir ja dann, wie so oft, dass unser Antrag nach gründlichem und ernsthaftem Diskutieren als SPD-Vorschlag verkauft werden soll.

(Eveslage [CDU]: Richtig! Wie ge- habt!)

Meine Damen und Herren, bis dahin wird wieder viel wertvolle Zeit verloren gehen, was weder den Hochschulen noch den Studienbewerbern zuträglich sein wird. Und der Herr Minister Oppermann muss wohl noch einiges tun, bis der Teufelskreis

des Stillstandes, in dem die Hochschulen stecken, zur Reformspirale umgebaut ist.

(Beifall bei der CDU)

Frau Dr. Andretta hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schwarz, im Februar haben wir das Gesetz zu diesem Staatsvertrag, den Sie eben so vehement kritisiert haben, auch mit den Stimmen der CDU verabschiedet. - Dies hier nur zur Erinnerung.

Warten Sie doch erst einmal ab, ob die Option zur Auswahl überhaupt genutzt wird, welche Auswahlverfahren die Hochschulen entwickeln und in welchem Verhältnis der Aufwand zum Ertrag steht!

(Frau Schwarz [CDU]: Bei 20 %!)

Statt dieses zu tun, legen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, hier heute einen Antrag vor, der eine 40 %-Quote fordert, und dies, bitte schön, bereits ab dem Sommersemester, das in zehn Tagen beginnt. Blinden Aktionismus nenne ich so etwas!

(Wulf (Oldenburg) [SPD]: Genau so ist es!)

Konkret zum Antrag, der leider mehr Ansichten als Einsichten enthält. Ohne zu sagen, was Studierfähigkeit eigentlich bedeutet und wodurch sie heute infrage gestellt sein soll, stimmen Sie in das Klagelied der mangelnden Studierfähigkeit mit ein, verabschieden sich flugs vom Grundsatz des freien Zugangs zu Hochschulen und werfen das Abitur gleich mit über Bord.

Es stimmt: Es gibt einige Professoren, die klagen, dass die Studenten und Studentinnen von heute schlecht und zu lange studieren, viele nicht geeignet seien für ein Studium, jedenfalls nicht an ihrer Hochschule. Aus der Sicht der Hochschullehrer mag dies verständlich sein. Wer plagt sich in seinen Seminaren schon gerne mit so genanntem Mittelmaß und Masse herum? Wer hätte nicht gern eine Harvard-Universität an der Leine, ein MIT in Hannover oder ein CALTECH in Braunschweig? Amerikanische Eliteuniversitäten leisten sich Betreuungsrelationen von 1 : 10. Wer mit zehn

handverlesenen Studierenden im Seminar arbeiten kann, schafft es auch, Abbruchquoten zu senken. Die Realität an deutschen Hochschulen sieht anders aus.

(Frau Mundlos [CDU]: Von Ihnen verursacht!)

Dort besteht die Herausforderung darin, für viele Studierende eine gute Ausbildung zu sichern. Wenn Sie den amerikanischen Weg gehen wollen, dann sagen Sie es auch, und ziehen Sie die Konsequenzen! Das heißt: Fördern Sie mit viel Geld wenige leistungsstarke Universitäten und erklären Sie den anderen im Lande, dass für sie bestenfalls die Brosamen bleiben. Mut zur Provinzialität nenne ich das.

Sie behaupten weiter, das Selbstauswahlrecht bringe den Hochschulen mehr Profil und stärke sie im Wettbewerb. Das waren auch heute wieder Ihre Worte. Auch wir wünschen uns mehr Wettbewerb und mehr Profilbildung für die Hochschulen. Doch das, was Sie mit Ihrer 40 %-Quote vorschlagen, hat mit Profilbildung nichts, aber auch gar nichts zu tun. Das Problem der Profilbildung der Hochschulen stellt sich anders dar. Es besteht darin, dass es Hochschulen bei der Ausgestaltung des Zugangs ermöglicht wird, ihre besonderen Stärken und ihre Exzellenz zur Geltung zu bringen. Begrenzt ist dies in Niedersachsen jetzt schon möglich. Die Hochschulen können verlangen, dass eine praktische Ausbildung absolviert wird oder dass besondere Sprachkenntnisse nachgewiesen werden. Wir wissen, dass das zu wenig ist. Daher werden wir im NHG den Gestaltungsspielraum der Hochschulen im Interesse einer stärkeren Profilbildung erweitern. Folgende Eckpunkte werden dabei allerdings zu berücksichtigen sein:

Die Festlegung von besonderen Zugangsbedingungen für Studiengänge muss das Ergebnis einer Profilentscheidung der Hochschule sein, nicht das Ergebnis von Nachfragekonjunkturen. Nur so ist die Exzellenzförderung möglich. Nur solche Studiengänge bieten sich hierfür an, in denen das Anforderungsprofil an die Studierenden sehr genau bekannt ist. Die Auswahlentscheidung umfasst dann 100 %. Für weiterführende Studiengänge gilt diese 100 %-Quote übrigens schon jetzt. Wer z. B. in Göttingen an den neu eingerichteten internationalen Master/PhD-Studiengängen in Molekularer Biologie und in Neurowissenschaften teilnehmen will, muss eine harte Aufnahmeprüfung bestehen. Nur maximal 40 Studierende werden pro Studien

jahr zugelassen. Sie sehen: Es gibt also auch jetzt schon Gestaltungsspielräume für Profilbildung, Sie wissen es nur nicht.

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie behaupten in Ihrer Begründung, das Abitur besitze keine hinreichende Aussagekraft hinsichtlich des Zugangs zum Studium. Wenn Sie dies ernsthaft so sehen, dann kann Ihre Feststellung nicht auf örtlich zulassungsbeschränkte Studiengänge reduziert sein und damit von Zufällen der Nachfragekonjunktur abhängen. Dann gilt es generell, unabhängig von der Bewerberzahl und von vorhandenen Studienplätzen, und dann haben wir auch ein anderes Thema, nämlich die Neuregelung des Hochschulzugangs.

Wenn ich Ihre Logik richtig verstanden habe, soll der erfolgreiche Abschluss der Sekundarstufe allenfalls zur Antragstellung, nicht aber zur Zulassung berechtigen. Es ist schon erstaunlich, dass der Antrag ausgerechnet von Ihnen kommt, wo sich die CDU doch sonst immer als Hüterin des deutschen Abiturs gebärdet. Sie sind heute und auch im Ausschuss jede Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie Schülerinnen und Schüler auf die Hochschule vorbereitet werden sollen, wenn das Abitur als generelle Zugangsvoraussetzung nicht mehr ausreicht.

Ich will nicht ausschließen, dass irgendwann eine Debatte über eine Neuregelung des Hochschulzugangs bundesweit geführt werden muss. Dies gilt vor allem, wenn man, wie wir, eine weitere Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte will. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt warnt selbst Ihr Vorbild, der bayerische Wissenschaftsminister Zehetmair, vor einer Entwertung des Abiturs. Statt zulasten der Allgemeinbildung künftig den Fachidioten schon in der Schule auszubilden, sollte überlegt werden, wie die Erwartungen der Schule an die Hochschule und die Erwartungen der Hochschule an die Schule in Einklang gebracht werden können. Das Problem besteht doch darin, dass die jungen Menschen, die an die Hochschulen kommen, oft nicht wissen, was sich hinter den Fächern, die sie studieren wollen, verbirgt. Der bloße Besuch von Hochschulinformationstagen stiftet eher Verwirrung, als dass er informiert.

Wir werden uns für eine bessere Studien- und Berufsberatung als gemeinsame Aufgabe von Schule und Hochschule einsetzen. Auch hierzu fällt übrigens kein einziges Wort Ihrerseits. Kein Wunder, müssten Sie doch dann zur Kenntnis

nehmen, dass bei uns in Niedersachsen längst an diesem Problem gearbeitet wird. Die Kultusministerin und der Wissenschaftsminister haben gemeinsam einen Arbeitskreis aus Vertreterinnen und Vertretern von Schulen und Hochschulen eingerichtet, der genau mit diesen Problemen befasst ist.

Ich rate Ihnen: Statt immer nur von BadenWürttemberg abzuschreiben und hinterherzulaufen, sollten Sie zur Kenntnis nehmen, was in Niedersachsen bereits geschieht - das ist eine ganze Menge -; das wäre einmal originell.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie reden gerne von mehr Wettbewerb unter den Hochschulen. Wir reden nicht nur davon, wir tun etwas dafür.

(Eveslage [CDU]: Diesen Spruch ha- be ich schon öfter gehört!)

Wir werden dafür sorgen, dass die Hochschulen, die gute Lehre machen, die viele Studierende ausbilden und schnelle Abschlüsse erreichen, finanziell belohnt werden. Denn die Dauer des Studiums, die Sie beklagen, ist ja nicht nur ein Problem der Studierenden, sondern in gleichem Maße auch ein Problem der Hochschulen, die das Studium so strukturiert anbieten müssen, dass es auch in der Regelstudienzeit zu bewältigen ist.

Wenn gute Lehre belohnt wird, werden Hochschulen einen Anreiz haben, um Studierende zu werben, und sie werden sich anstrengen, engagierte Studentinnen und Studenten zu bekommen. Das heißt aber, dass sich die Studierenden, die Kunden also, im Normalfall die Hochschulen aussuchen und nicht umgekehrt die Hochschulen ihre Kunden.

Schon jetzt hat Niedersachsen das Tor zur Autonomie der Hochschulen weit geöffnet. Wir werden diesen Weg mit dem neuen NHG konsequent fortführen. Alles, was zur Stärkung der Leistungsfähigkeit unserer Hochschulen beiträgt, wird Gehör bei uns finden. Es muss nur vernünftig und in seinen Implikationen durchdacht sein. Beides trifft auf Ihren Antrag nicht zu.

Trotz meiner freundlichen Empfehlung von damals, Ihren Antrag aus dem Verkehr zu ziehen, bestehen Sie auf Abstimmung. Uns bleibt nur Ablehnung.

(Beifall bei der SPD)