Protocol of the Session on January 27, 2000

Orgelwerk etwas vorzuspielen. Aber ich denke, es ist sehr angemessen.

Die eigene Komposition, die Herr Stern im Anschluss daran singen wird, umschreibt unser jüdisches Schicksal. Sie lautet „Dos yiddische Lied“. Sie werden den Text verstehen, vielleicht bis auf zwei Begriffe: „Hineni“ und „Kol Nidre“ sind unsere Hauptgebete am Versöhnungstag, am Jom Kippur. Es ist kein Zufall, dass Herr Stern diese Komposition ausgesucht hat. Es geht darin um das, was auch aus dem Brief ersichtlich ist, nämlich dass jeder Jude seine eigene Geschichte hat. Wir werden immer um die Welt herumgejagt und finden nur in unserer Synagoge eine Gemeinschaft und vielleicht eine Lösung für eine friedliche und hoffnungsvolle Zukunft.

Ich beginne mit der wunderbaren Melodie von „Kol Nidre“ in dieser Bearbeitung und nutze sie sozusagen als Präludium für die Komposition „Dos yiddische Lied“.

(Herr Iszák spielt die „Passacaglia und Fuge über Kol Nidre für Orgel“)

Moshe Stern:

DOS YIDDISCHE LIED

DER YID MEG ZAIN OREM DOCH IZ ER ZEHR RAICH,

WAIL GEISTIGE OITZRES HOT DER YID ZEHR A SACH.

DER YID IS GEDULDIG ZAIN BITOCHAEL IS GROIS,

FUN A BRENEDIGHN OIWEN KUMT ER LEBEDIG AROIS.

MAN RUFT IM BEN-MELECH A YACHSEN A G’VIR

UND YEDES LAND FERSHLIST FAR IM DIE TIR.

ER KLOGT UN ER WAINT; ER KANN SHOIN NISHT MEHR

AFILE ZAIN GELECHTER IS OISGEMISCHT MIT A TRER.

ES MACHTTZISCH OICH AMOHL WEN ES GEHT IM SHOIN GUT

DERMANTMAN IM BALD AZ ER IS A YID.

UN MAN GIT IM WIEDER DEM SHTEKN IN DER HAND

UN ER ZUCHT AN NAI LAND.

UND KOMMT A NAI YOHR ALLE FELKER BIS GOR

ZINGEN UND TANTZEN UN WERN NISHT MIED.

UN DER YID ROSH HASHONO ZITZT IN SHUL MIT GROIS KAWONO

HERT ER FUN ZAINN CHAZN AIN ANDER MIN LIED

‚HINENI HEONI MIMAAS, NIRASH VENIFLMAD MIPAGAD YOSHEV TEHILOS YISROEL. BOSI LAAMOD LEHISCHANEN LEFONECHO AL AMCHO YISROEL ASHER SH’LOCHUNI.‘

DAN YOM KIPPUR BEI NACHT GEHT ARAIN IN SHUL, WET IR HERN DEM CHAZN SINGEN.

‚KOL NIDRE VEESOREI USHVUE, WACHAROME, WEKONOME, WEKINUSZE, WEKINOYEM. MIYOM KIPURIM ZE AD YOM KIPURIM HABO OLEINU LETOVO.‘

ABER ES MACHTZICH OICH AMOHL WEN FRÖHLICH IS YISROEL UN ER ZINTZICH OHNE MOIRE WEN ES KUMT ON SIMCHAS TOIRE:

‚SISSU WESINCHU BESIMCHAS TOIRO KI LONU OIZ VEOIRO, NOGIL VENOSSIS BEZOIS BATOIRO KI HI LONU OIZ VEOIRO SISSU WESIMCHU BESIMCHAS TOIRO.‘“

(Beifall)

Iszák:

Schön, dass Sie erkannt haben, dass in der Synagoge auch applaudiert werden darf. Ich habe einmal mit Herrn Stern ein Konzert in der großen Synagoge von Paris gegeben. Ungefähr dort, wo Sie, Herr Landtagspräsident sitzen, saß der Grand Rabbin der jüdischen Gemeinde von Paris. Das

Publikum wollte applaudieren - das ist ja auch ein natürlicher Wunsch -, aber er stand auf und sagte: Nein, das ist eine Synagoge. - Das war seine Synagoge, aber hier, in unserer Synagoge dürfen Sie jederzeit applaudieren.

(Beifall)

Es geht weiter mit dem Gebet „Ad heno“. Das ist eines der Meisterwerke aus der Welt der synagogalen Musik. Der Komponist Josele Rosenblatt hat seine Stimme nicht nur auf Schallplatte verewigt, sondern seine Kompositionen sind auch auf Papier erhalten. Dieses Werk ist wie eine Opernarie. Also, lehnen Sie sich zurück und stellen Sie sich vor, Sie wären in der Oper! Das Lied, das Sie jetzt hören, könnte auch von Verdi, von Bizet oder von wem auch immer komponiert worden sein.

Die Welt der Oper ist in der Synagoge nicht unbekannt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie schon einmal in einer Synagoge waren, wissen Sie, dass die Kantoren aus der Synagoge eine große Bühne machen. Ich sage absichtlich nicht, sie machen großes Theater, aber das machen sie natürlich genauso wie die Stars in der Oper. Die Befreiung nach dem Trauergottesdienst ist für uns auch immer ein Dur nach dem Moll, und das muss auch so sein. Sie werden die Koloraturen bei ihnen genauso hören wie bei den Sängern in der Oper. Ich könnte Ihnen Namen nennen von Sängern, die gleichzeitig großartige Kantoren in der Synagoge und wunderbare Operntenöre waren. Sie haben leider dasselbe Schicksal erfahren wie ihre Glaubensgenossen.

„Ad heno“ ist ein Lobgesang. Er kommt aus dem Sabbatgottesdienst, am Samstagvormittag, aber wir singen dieses Gebet auch an Feiertagen. Ein Meisterwerk von Josele Rosenblatt. Fühlen Sie sich wie im Opernhaus!

Moshe Stern:

Ad heno

„Bis dahin hat uns dein Erbarmen geholfen und haben uns deine Gnadenbeweise nicht verlassen, Ewiger, unser Gott, du wirst uns in Ewigkeit nicht preisgeben. Darum sollen die Glieder, die du an uns abgeteilt, Geist und Seele, die du in unser Antlitz gehaucht, und die Zunge, die du in unseren Mund gelegt, sie sollen danken, loben und preisen, rühmen und erheben, verherrlichen, heiligen und huldigen deinem Namen, unser König. Denn jeder Mund soll dir danken, jede Zunge zu dir schwören,

jedes Knie vor dir sich beugen, jede aufrechte Gestalt vor dir sich neigen, alle Herzen sollen dich fürchten, jedes Innere und jede Niere deinem Namen lobsingen nach dem Worte, das geschrieben steht: Alle meine Gebeine sprechen: Ewiger, wer ist wie du! Du rettest den Armen vor dem, der stärker als er, den Armen und Dürftigen vor seinem Räuber. Wer gleichet dir, wer ist dir ähnlich, wer kann sich dir gegenüberstellen, großer, starker und ehrfurchtbarer Gott, höchster Gott, Schöpfer von Himmel und Erde. Wir wollen dich preisen, dich rühmen und dich verherrlichen und deinen heiligen Namen loben.“

(Beifall)

Iszák:

Meine Damen und Herren, ich habe nicht übertrieben, als ich sagte, Sie werden sich wie in der Oper fühlen, nicht wahr? Deshalb ist die Rolle des Kantors auch so unglaublich wichtig. Die Kantoren sorgen dafür, dass wir mit unseren Gebeten erhört werden - denn der liebe Gott hört natürlich viel lieber eine schöne Stimme als meinetwegen unsere nicht so gelungenen.

(Heiterkeit)

Alle Sitzungen und alle Gottesdienste kommen irgendwann einmal zu ihrem Ende. Ich möchte diesen Teil Ihrer Plenarsitzung mit dem beenden, mit dem Elie Wiesel heute morgen seine Ansprache in der Sitzung des Bundestages begonnen hat, nämlich mit dem Segensspruch „ScheHechejanu“. Damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass es ein Wunder war, das es ermöglicht hat, dass wir heute hier versammelt sind. Er wollte das für den Bundestag zum Ausdruck bringen, und ich meine, das gilt auch für uns. Wir sind nicht wenige, die durch diesen Tag negativ oder positiv, aber auf keinen Fall neutral gestimmt sind.

Wir sprechen dieses Gebet immer dann, wenn wir etwas Neues, wenn wir z. B. ein neues Gebetbuch bekommen haben. Auch dass der Niedersächsische Landtag in der Magrepha-Ausstellung zu Gast ist, ist für uns ein Grund, dieses Gebet zu sprechen.

Ich darf mich von Ihnen verabschieden. Ich hoffe, dass diese kleine Stunde der Besinnung dazu beigetragen hat, bei Ihnen Gedanken zu wecken, die Ihnen bei Ihrer Arbeit zur Gestaltung der Zukunft unseres Landes behilflich sind.

Moshe Stern:

ScheHechejanu

„Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du uns Leben und Erhaltung gegeben und uns diese Zeit hast erreichen lassen!“

(Beifall)

Unterbrechung: 13.35 Uhr.