Protocol of the Session on January 26, 2000

(Beifall bei der SPD)

Zwischen Amigo und Amore gibt es nicht nur einen sprachlichen, sondern auch einen qualitativen Unterschied, Herr Wulff.

(Beifall bei der SPD - Frau Pawelski [CDU]: Wie meinen Sie das?)

- Das wissen Sie genau, Frau Pawelski. Ihre Zwischenrufe zeigen ja, dass Sie wissen, worum es dabei geht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, in der jetzigen Debatte wird im Wesentlichen darüber diskutiert, dass wir mehr Ehrlichkeit, neue Gesetze, rückhaltlose Aufklärung brauchen. Ich meine, dass diese Forderungen in Wahrheit nichts anderes sind als ein Ausdruck von Hilflosigkeit und übrigens wieder der Beleg dafür, dass sich Politik nur mit sich selbst beschäftigt. Die gesamte Diskussion geht wieder nur darum: Wie gehen Politiker mit Politik und mit Politikern um? Ich meine, das greift zu kurz. Wir brauchen keine neue Ehrlichkeit oder eine Debatte darüber, sondern wir brauchen eigentlich nur die alte. Die Diskussion über die neue Ehrlichkeit nimmt uns ohnehin niemand ab, wenn sich das Handeln nicht ändert. Wir brauchen auch keine neuen Gesetze, sondern Leute, die sich daran halten. Rückhaltlose Aufklärung, Herr Wulff, ist notwendig. Aber dies nur zu fordern, reicht eben nicht aus. Wir brauchen auch die Ahndung dessen, was dort in den Parteien - in diesem Fall in der CDU - passiert ist. Da muss ich hnen ganz offen sagen: Die Aufforderung, den Ehrenvorsitz ruhen zu lassen, kann nicht die schärfste Waffe bei der Aufklärung sein.

(Beifall bei der SPD)

Da muss - gestatten Sie mir diese Bemerkung - die CDU einmal vom Feinwaschmittel zum Vollwaschmittel übergehen.

Meine Damen und Herren, ich meine, dass diese Debatte relativ kurz sein wird. Ich glaube nicht, dass sie die Bundesrepublik wirklich langfristig erschüttern wird. Aber was übrig bleiben wird, ist die Vermutung der Bevölkerung, dass sich Politik und all das, was sich in den traditionellen Institutionen der parlamentarischen Demokratie tummelt, nur um sich selber und nicht mehr um die öffentlichen Interessen kümmert.

Wir werden das möglicherweise wieder aus den Zeitungen herausbekommen. Aber stellen Sie sich einmal vor, es wäre nicht zu diesem Skandal gekommen. In den Köpfen und Herzen der großen

Mehrheit unserer Bevölkerung wäre die Vermutung, Parlamentarier und Parteipolitiker kümmerten sich nicht um das öffentliche Interesse, sondern nur um sich selbst, weiterhin vorhanden, und zwar nicht nur an den Stammtischen.

In unserer Gesellschaft gibt es doch inzwischen eine tiefe Spaltung. Auf der einen Seite gibt es sehr viele Menschen, die sich in Nachbarschaftshilfen, in Bürgerinitiativen, in Umweltverbänden und in Kulturkreisen um öffentliche Interessen kümmern. Hier gibt es sehr viel öffentliches Engagement. Aber all dieses Engagement versteht sich als privates Engagement, in bewusster Distanz zu den traditionellen Institutionen von Politik und parlamentarischer Demokratie. Auf der anderen Seite gibt es Politiker und Parteien, die sich in ihren Gruppierungen genauso abkapseln, die inzwischen im Wesentlichen Inzucht betreiben. Hier gibt es inzwischen kaum noch Austausch mit denjenigen, die sich für öffentliche Interessen außerhalb von Parlamenten, außerhalb von Parteien, außerhalb von Regierungsinstitutionen kümmern. Beides entwickelt sich auseinander. Die einen finden durch solche Skandale sozusagen immer wieder die Bestätigung dafür, dass es besser ist, nicht mitzumachen. Um in der modernen Terminologie zu bleiben: Sie verhalten sich ein wenig wie Shareholder unseres Staates, deren Shares immer teurer werden, wobei der Value immer schlechter wird, und die an der Hauptversammlung nicht mehr teilnehmen, die das Depotstimmrecht denen überlassen, die noch zu Wahlen gehen - in Zukunft vielleicht 50 %, 40 % oder 30 % -, und die sich auch selbst nicht mehr als Mitarbeiter in den klassischen Institutionen parlamentarischer Demokratie anbieten.

Wenn es uns über die Aufklärung der Skandale hinaus nicht gelingt, diese beiden Teile unserer Gesellschaft wieder zusammenzuführen, die Zivilgesellschaft auf der einen und die Institutionengesellschaft der parlamentarischen Demokratie auf der anderen Seite wieder miteinander zu verzahnen, dann wird es keine Veränderung hinsichtlich der Glaubwürdigkeitskrise der Politik geben. Dann wird es vielleicht keine neuen Zeitungsskandale geben, aber das tiefe Misstrauen gegenüber denen, die sich in die Politik begeben, bleibt bestehen, und parlamentarische Demokratie bleibt nicht lebendig und schon gar nicht kreativ.

Deswegen, meine Damen und Herren, ist es meine Bitte, dass wir über diese Aktuelle Stunde hinaus unsere Möglichkeiten als Niedersächsischer Land

tag nutzen und klären, welche Handlungsmöglichkeiten wir neben den selbstverständlichen Appellen zu neuer Ehrlichkeit und zur Aufklärung haben, um zu dieser Verzahnung mit den vielen Menschen zu kommen, die sich an öffentlichen Interessen beteiligen wollen, die mitarbeiten wollen, aber nicht in Berührung zu dem kommen wollen, was wir in der Institution von Politik und Demokratie vorhalten. Diese Frage wäre ebenfalls eine Aktuelle Stunde und eine längere Debatte wert. Das müsste uns länger beschäftigen als die Frage, in welcher Krise sich die CDU befindet. Ich bin sicher, dass die Bundesrepublik Deutschland am Ende stabil genug ist, um auch solche skandalösen Vorgänge wie die um Helmut Kohl, Kanther, Koch und andere zu überleben.

Die Unschuldsvermutung, Herr Kollege Wulff, gilt nur so lange, wie jemand die eigene Schuld nicht eingestanden hat. Sie ist eingestanden. Nun geht es um Aufklärung. Aber danach brauchen wir mehr als nur eine Debatte von Politikern mit Politikern. Wir dürfen nicht durch die Art und Weise des Umgangs mit diesem Thema schon wieder den Beweis dafür liefern, dass wir uns lediglich um uns selber kümmern.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat noch einmal Frau Kollegin Harms.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich konnte Ihnen, ehrlich gesagt, am Ende nicht mehr recht folgen. Ich hatte den Eindruck, Sie reden über das Thema, über das Sie in den letzten Wochen öfter einmal und auch gerne geredet haben. Ich fand die Platzierung unter der Überschrift der Parteienfinanzierung und der Transparenz eigentlich falsch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber zurück zum Thema. Gestern habe ich den Kommentar eines „FAZ“-Redakteurs gelesen, der das, was Kohl gemacht hat, zusammengefasst als „ideellen Hochverrat“ bezeichnet. Ich hatte dies schon angesprochen und gesagt: Es geht nicht um Bereicherung, sondern um etwas viel Schlimmeres, nämlich um das Aushebeln des politischen Gegners im demokratischen Wettstreit mit schmutzigem Geld.

Ich habe auch nach der Einlassung des Kollegen Plaue und der des Ministerpräsidenten den Eindruck, wenn nicht in der Presse Gott sei Dank seit Wochen so konsequent und so hart skandalisiert würde, so könnte dieser Skandal der CDU, der angeblich die Republik erschüttert, ganz schnell wieder wegrutschen. Ich bin völlig anderer Auffassung als Sie, Herr Plaue, und ich bin auch völlig anderer Auffassung als Sie, Herr Gabriel. Ich meine, dass die Regelungen, die wir haben, nicht ausreichen, um solche Skandale zu verhindern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich meine, dass die Parteienfinanzierung tatsächlich auf den Prüfstand gestellt werden muss, und ich möchte, dass so weit geprüft wird, dass wir am Ende die Frage beantworten können, ob es nicht wirklich besser wäre, zur staatlichen Parteienfinanzierung zurückzukehren,

(Möllring [CDU]: Da, wo die Grünen jetzt schon sind!)

um auszuschließen, dass Parteien oder auch einzelne Politiker gekauft werden. Die staatliche Parteienfinanzierung hatte ja genau diesen Ansatz: dass das verhindert werden sollte.

Ich finde auch, dass die Skandale Schleußer, Glogowski und andere, die hier auch zu Recht erwähnt werden, zeigen, dass über das Verhalten von Abgeordneten und Ministern natürlich noch längst nicht das letzte Wort gesprochen worden ist. Es gibt nicht die Vorschrift, dass Transparenz hergestellt werden muss, es gibt nicht die Vorschrift, dass z. B. Abgeordnete auch ihre Steuererklärungen veröffentlichen müssen,

(Zurufe von der CDU)

es gibt keine Vorschriften darüber, wer welches Mandat am besten besetzt und wie man Aufsichtsratstätigkeiten begrenzt. Wir erleben in Niedersachsen insofern gerade wieder einen neuen Skandal durch die Hintertür: in Sachen Glogowski und NORD/LB.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eines zu Herrn Schwarzenholz: Wir beabsichtigen, dem Niedersächsischen Landtag unsere grundsätzlichen Forderungen nach Veränderungen der Parteienfinanzierung und nach Veränderungen des Abgeordnetengesetzes vorzulegen. Ich glaube auch nicht, dass dies in der Öffentlichkeit als Beschäftigung mit sich selber angesehen wird, sondern ich

glaube, dass das etwas ist, worauf die Öffentlichkeit wartet. Die Abkehr von Politik, die Frustration über das, was Politiker sich leisten, bekommt man anders nicht in den Griff.

Eines möchte ich am Ende noch zu Herrn Wulff und der CDU sagen, weil Sie, Herr Wulff, wieder für sich in Anspruch genommen haben, so konsequent aufzuklären. Sie haben Tag für Tag viel mehr Neues auf den Tisch bekommen, als Sie Woche für Woche behauptet haben aufzuklären. Die Schwierigkeit, die Sie damit haben, das System Kohl tatsächlich los zu werden, zeigt sich meiner Meinung nach an einer grundsätzlichen Fehlentscheidung der letzten Tage: Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum die CDU juristische Schritte gegen Herrn Weyrauch einleitet, diese juristischen Schritte gegen Herrn Kohl aber nicht ergreifen will. Ich glaube, dass ich nicht die Einzige bin, die das mit großem Unverständnis sieht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich glaube, dass vor dem Gesetz alle gleich sind und dass dieser Gleichheitsgrundsatz natürlich auch für ehemalige Bundeskanzler gilt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Plaue hat noch einmal ums Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rebecca Harms, ich glaube, wir sollten nicht in den Fehler verfallen, dass wir Dinge, die eigentlich klar sind, unklar stellen. Die Verhaltensregeln der Abgeordneten sowohl des Deutschen Bundestages als auch des Niedersächsischen Landtages sind klar und eindeutig: Jede Mitgliedschaft in Vereinen und Verbänden muss offen gelegt werden.

(Möllring [CDU]: Nein, nicht jede Mitgliedschaft!)

Jede Mitgliedschaft, aus der eventuell eine Abhängigkeit konstruiert werden könnte - lesen Sie die Verhaltensregeln nach -, ist aufzuführen. Das wird uns nicht davor bewahren, dass der Eine oder Andere eventuell gegen diese Regeln verstößt. Aber egal welche Regeln Sie aufbauen, solche Leute wird es immer geben.

Es ist auch völlig klar, Frau Kollegin Harms, dass die Frage, wie mit Parteispenden, wie mit Geld der Parteien umzugehen ist, eindeutig beantwortet ist. Jede Politikerin, jeder Politiker weiß, dass, wenn sie oder er eine Spende bekommt, diese Spende anzugeben ist und, wenn sie eine bestimmte Größenordnung überschreitet, der Spender sogar namentlich zu benennen ist. Und dagegen ist verstoßen worden, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht ein neues Regelwerk, sondern die Anwendung des bestehenden Regelwerkes ist das, was wir einfordern müssen, wofür wir kämpfen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde, es ist auch nicht richtig, dass hier zusammengerührt wird, was nicht zusammengehört. Herr Kollege Wulff, Sie werden sich nicht damit helfen, dass Sie den Sumpf, in dem Sie stecken, dadurch anreichern, dass Sie trübes Wasser aus weiteren Verdächtigungen hinzuleiten. Darum kann es nicht gehen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren hier über einen, vielleicht über den größten Politikskandal nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Und da irgendwelche Flugreisen oder was auch immer mit hineinzurühren, halte ich materiell für verfehlt, weil Sie damit bestimmte Eindrücke erwecken. In der Tat, die haben alle Dreck am Stecken. Aber in Nordrhein-Westfalen wird aufgeklärt, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das ist der Unterschied zu dem, was wir hier erleben.

(Beifall bei der SPD - Wulff (Osna- brück) [CDU]: Also wirklich, Herr Plaue!)

- Wissen Sie, Herr Kollege Wulff, ich hatte in den letzten Tagen genügend Gelegenheit, Fernsehen zu gucken. Das lag einfach daran, dass ich mich ein bisschen erholen musste. Deshalb habe ich sehr viel gehört und gesehen, was ich als Politiker sonst vielleicht nicht zu Ohren oder zu Gesicht bekomme. Ich fand es schon sehr spannend, wie Sie sich in den letzten eineinhalb Wochen verhalten haben. Vorweg: Auch ich unterstelle Ihnen, dass Sie wirklich einen ehrlichen Anspruch haben, da aufzuklären und zu versuchen, die Partei aus diesem Sumpf herauszuholen.

(Möllring [CDU]: Das brauchen Sie nicht zu unterstellen! Das können Sie für bare Münze nehmen!)

Aber ich möchte auch gerne einmal die Effizienz Ihres Tuns hier zur Diskussion stellen. Sie haben gestern vor acht Tagen ausweislich des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“ gesagt - ich habe das Zitat persönlich gehört, deswegen weiß ich, dass es stimmt -:

„Es ist wichtig, dass wir Schuld und Verantwortung personifizieren. Wir wollen die zur Rechenschaft ziehen, die persönlich gegen Gesetze verstoßen haben.“

Fünf Tage später beschließt der CDUBundesvorstand, gegen Helmut Kohl keine rechtlichen Schritte einzuleiten.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das stimmt nicht!)

- Das ist so erklärt worden, Herr Kollege Wulff. Wenn Sie sagen, das stimmt nicht, dann stellen Sie es richtig. Sonst klafft hier zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine riesengroße Lücke, die Sie zu erklären haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)