Zur heutigen Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit der Fragestunde, dem Tagesordnungspunkt 43. Dann behandeln wir Punkt 2, und zwar die strittigen Eingaben. Anschließend erledigen wir die Tagesordnungspunkte 46 und 47. Die Tagungspunkte 44 und 45 werden abgesetzt, da die Fraktion der CDU ihre Anträge in den Drucksachen 4057 und 4062 zurückgezogen hat.
Guten Morgen! Es haben sich entschuldigt von der Fraktion der SPD Herr Glogowski und Herr Wendhausen und von der Fraktion der CDU Herr Gansäuer und Frau Mundlos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erstes Bundesland gewährleistet Niedersachsen den Opfern von Straftaten flächendeckend und unabhängig von der Verfolgung des Täters die notwendige respektvolle Unterstützung, die sie benötigen. Zentrales Element der Opferhilfe ist die im Jahr 2001 gegründete Stiftung Opferhilfe Niedersachsen, die zum Start mit einem Kapital in Höhe von 1 Million Euro ausgestattet wurde.
Ziel war es, in allen elf Landgerichtsbezirken hauptamtlich besetzte Opferhilfebüros einzurichten, die zusammen mit den Partnern des Weißen Rings und anderen freien Trägern der ehrenamtlichen Opferhilfe regionale Netzwerke der Opferhilfe aufbauen und den Hilfebedürftigen als Anlaufstelle dienen. Mit diesem Projekt ist die Erwartung verbunden, die Opferhilfe in Niedersachsen zum Vorbild für alle anderen Bundesländer werden zu lassen.
1. Wie weit ist der Aufbau des regionalen Netzwerks Opferhilfe in Niedersachsen mittlerweile fortgeschritten?
3. Welche weiteren Möglichkeiten sieht die Landesregierung, den Opferschutz und die Hilfe für Opfer weiter zu verbessern?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, hier einleitend etwas klar feststellen zu können: Als erstes Bundesland in Deutschland haben wir in Niedersachsen mit beträchtlichen staatlichen Mitteln eine flächendeckende Opferhilfe eingerichtet.
Dies war nur möglich, weil alle an einem Strang gezogen haben, angefangen von Ministerpräsident Gabriel, dem das ein großes persönliches Anliegen ist, über Finanzminister Aller und das gesamte Kabinett bis hin zur Fraktion, die dieses Anliegen engagiert gefördert hat. Nur dadurch konnte es überhaupt dazu kommen, dass wir diese beträchtlichen finanziellen Mittel für Opfer einsetzen konnten.
Wie Frau Bockmann einleitend zu Recht dargestellt hat, stand am Anfang, nämlich am 4. September 2001, die Gründung der Stiftung mit 1 Million Euro. Seitdem arbeitet diese Stiftung Opferhilfe Niedersachsen. Sie arbeitet nicht nur hier in Hannover in der Zentrale, sondern in allen elf Landgerichtsbezirken. Wir haben insgesamt elf regionale Opferhilfefonds eingerichtet, aus denen Hilfeleistungen für die einzelnen Opfer finanziert werden.
In jedem Landgerichtsbezirk sind zwischenzeitlich Opferhilfebüros eingerichtet worden. Elf hauptamtlich angestellte Sozialarbeiter leisten dort Hilfe mit Unterstützung von Polizei, Sozialbehörden, Jugendämtern, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie freien Trägern der Opferhilfe. Hauptpartner ist dabei der Weiße Ring. Die Opferhilfebüros sind organisatorisch und rechtlich an die Stiftung Opferhilfe Niedersachsen angegliedert und bieten psychosoziale Hilfen oder deren Vermittlung an. Bei der Gerichtshilfe sind für diesen Zweck elf neue Stellen eingerichtet worden.
Für eine Bilanz in finanzieller Hinsicht kommt die Anfrage etwas früh. Die vorläufigen Daten reichen bis November. Sie zeigen bereits, dass aus Bußgeldern, die sonst der Staatskasse zugeflossen wären, insgesamt 500 000 Euro an die elf Fonds gegangen sind. 270 000 Euro sind bereits bis Oktober an Opfer von Straftaten in Niedersachsen ausgezahlt worden.
Das ist eine beachtliche Summe, wenn man bedenkt, dass die meisten Opferhilfebüros ihre Arbeit erst zur Jahresmitte aufgenommen haben.
Ferner sind an allen Landgerichtsstandorten Zeugenschutzzimmer eingerichtet worden. Das ist wichtig, damit Opfer nicht der Situation ausgesetzt sind, dass sie von Freunden des Täters auf dem Gang angesprochen, vielleicht sogar gemobbt werden. Das ist wichtig für Kinder und für alle, die in solchen belastenden Situationen auf den Augen
blick warten, in dem sie vor Gericht ihre Aussage zu machen haben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Landgerichte das überall einrichten konnten.
Zu 1: Der organisatorische Aufbau der regionalen Netzwerke in den einzelnen Landgerichtsbezirken ist inzwischen abgeschlossen. Nun geht es darum, das Netzwerk selber auszubauen. Dafür haben wir in den meisten Opferhilfebüros Beiräte eingerichtet, in denen die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Rechtsanwaltskammer, die Sozialbehörden und die örtlichen Opferschutzeinrichtungen vertreten sind. Gemeinsam wollen sie nun darauf hinwirken, dass dieses Netzwerk wächst und für die Opfer effektive Hilfe leistet.
Es sind Kontakte zu den örtlichen Opferhilfeorganisationen hergestellt worden, zu den Frauenhäusern, dem Kinderschutzbund und anderen. Wie einleitend erwähnt, ist der Weiße Ring mit seinen 230 Helferinnen und Helfern, die er landesweit hat, Hauptpartner. Mit ihnen hat sich eine wirklich tolle Zusammenarbeit ergeben. Dazu ein Beispiel: Im Emsland ist das Opferhilfebüro von manchen der Orte weit entfernt. Deswegen hat man in Meppen ein weiteres Opferhilfebüro eingerichtet. Genutzt wird dieses nun gemeinsam vom Weißen Ring und Opferhilfebüro. Ähnliche Planungen gibt es für Hildesheim und Aurich, wo ebenfalls dezentrale, ergänzende Opferhilfebüros dazukommen werden.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass der Aufbau regionaler Netzwerke begonnen wurde und die Voraussetzungen für einen weiteren Ausbau geschaffen worden sind.
Zu 2: Die Opferhelferinnen und Opferhelfer in den Opferhilfebüros sind sozialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte. Auf die Frage nach der Anzahl der betreuten Personen kann ich noch keine abschließende Antwort geben. Aber immerhin waren es bis Oktober bereits 1 000 Opfer von Straftaten in Niedersachsen, die betreut worden sind bzw. finanzielle Hilfe erhalten haben. Im Vordergrund steht als ein Schwerpunkt die psychosoziale Betreuung und Beratung. Dazu gehören Hausbesuche, die Begleitung zu Behörden, Ärzten, Rechtsanwälten und natürlich zu Prozessterminen, Unterstützung bei Anträgen, z. B. nach dem Opferentschädigungsgesetz, oder die Beratung von Opfern über die ihnen zur Verfügung stehenden staatlichen
Hilfen, z. B. Prozesskostenhilfe. Ein zweiter Schwerpunkt sind die finanzielle Hilfe und die Vermittlung von finanzieller Hilfe durch andere Organisationen, z. B. den Weißen Ring. Damit werden materielle und immaterielle Schäden ausgeglichen. Es geht um Traumatherapien; manchmal geht es auch nur schlicht darum, ein Notrufhandy zu finanzieren oder, wenn ein Ehemann, der geprügelt hat, der Wohnung verwiesen wird, mit finanzieller Unterstützung des Opferhilfebüros das Türschloss auszutauschen.
Ich möchte das anhand einiger Beispiele erläutern. Das erste Beispiel aus Göttingen: Eine junge Italienerin verbringt während des Studiums einige Zeit in Göttingen. Dabei wird sie Opfer einer brutalen Vergewaltigung. Sie kommt ins Krankenhaus, danach wird sie von der Polizei vernommen, und nach der richterlichen Vernehmung hat sie den verständlichen Wunsch, schnellstmöglich nach Italien zurückzureisen. Die Flugkosten hat ihr das Opferhilfebüro erstattet. Aber jetzt kommt eine weitere Belastung auf sie zu: der Prozesstermin, zu dem sie als Zeugin aussagen soll. Sie hat Angst, allein zu kommen, und hat angefragt, ob sie eine Begleiterin mitbringen darf. Die Kosten hierfür übernimmt das Opferhilfebüro, damit die Begleiterin ihre Flugreise überhaupt antreten kann.
Das zweite Beispiel betrifft einen Beamten einer Justizvollzugsanstalt. Er war kürzlich in massiver Form von zwei Gefangenen angegriffen worden. Die Ermittlungen sind zwar noch nicht abgeschlossen, aber ich gehe davon aus, dass diese Tat als Mordversuch deklariert werden wird. Eine Woche nach der Tat habe ich diesen Beamten persönlich zu Hause besucht. Ich musste feststellen, dass er unter einem schweren traumatischen Schock leidet. Es ist klar geworden, dass ergänzend zu der Traumatherapie, die natürlich schon begonnen hat, ein weiterer Schritt nötig ist. Der Traumatherapeut hat das nach der ersten Begegnung mit diesem Opfer genauso gesehen wie ich. Ich habe dem Beamten spontan den Vorschlag unterbreitet - die Traumatherapie hat die Ansicht unterstützt, dass er einen radikalen Tapetenwechsel braucht -, eine Urlaubsreise an irgendeinen warmen Ort zu unternehmen, wo er Abstand gewinnen kann, wo er den Blick nach vorn richten kann. Die Kosten dafür werden ihm teilweise vom Opferhilfebüro in Hannover erstattet.
Sie können sich vorstellen, dass der Beamte mit großer Erleichterung und Freude auf diese Nachricht reagiert hat.
Ein letztes Beispiel möchte ich aus Stade berichten. Es ist wieder ein Fall innerfamiliärer Gewalt. Eine Türkin hat erleben müssen, dass sie von ihrem Mann in Tötungsabsicht massiv angegriffen wurde. Er hat für diesen Totschlagversuch sieben Jahre Freiheitsstrafe bekommen. Die Ehe ist zwischenzeitlich zwar geschieden, aber es gibt eine verständliche Sorge: Von ihrer Familie in einem kleinen Dorf in der Türkei bekommt sie volle emotionale Unterstützung. Dorthin möchte sie zu Besuch fahren. Dort leben aber auch die Brüder des Täters. Er hat bereits angedroht, dass ihr im Falle eines solches Besuches die Kinder weggenommen werden. Das Schwierige ist, dass das deutsche Scheidungsurteil dort nicht gilt. Das heißt, sie muss wirklich Sorge haben, dass ein solcher Angriff erfolgreich sein könnte. Sie braucht die Anerkennung des deutschen Scheidungsurteils in der Türkei. Die beträchtlichen Kosten kann sie als Sozialhilfeempfängerin nicht aufbringen. Diese Kosten hat ihr das Opferhilfebüro in Stade erstattet.
Zu 3: Weitere Möglichkeiten zur Verbesserung des Opferschutzes liegen in der Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Strafprozesses. Innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen, die die Rechte der Beschuldigten setzen, sollen die Spielräume zugunsten der Opfer weiter genutzt werden.
Ein erstes Beispiel: Hamburg hatte verdienstvollerweise in der letzten Legislaturperiode des Bundestages über den Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Verletztenrechte eingebracht. Wir haben das engagiert unterstützt.
Die erste Lesung hat noch stattgefunden, aber die zweite Lesung konnte aus Zeitgründen nicht mehr durchgeführt werden. Daher ist es nötig, dass wir erneut aktiv werden. Niedersachsen hat das angeboten, nachdem Hamburg abgelehnt hat, den Gesetzesantrag erneut einzubringen. Hierbei werden wir nun Verbesserungen einbringen.