Protocol of the Session on December 13, 2002

3. Ist die Landesregierung bereit, Umschichtungen im Haushalt vorzunehmen, um von der Polizei erkannte Unfallschwerpunkte auf Landesstraßen schnellstmöglich beseitigen zu können, beispielsweise durch Anlegen von Kreiseln, Verbesserung der Fahrbahngriffigkeit, Anlegen von Ortseingangsbremsen oder die Einrichtung von Querungshilfen für Fußgänger?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Ministerin!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wenzel, das Wachstum im Güterverkehr und die zunehmende Mobilität im Individualverkehr haben bisher, wenn man allein auf die Zahlen schaut, keine negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit gehabt. Seit dem negativen Höhepunkt 1970 in den alten Bundesländern ist die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland um 67 % gesunken, die Zahl der Verletzten um 14 %. Der Anstieg des Kraftfahrzeugbestandes und der Fahrleistungen wirken sich also auf das Unfallgeschehen, was die Zahlen anbelangt, nicht erhöhend aus.

Abgesehen davon gebe ich Ihnen natürlich Recht, dass insgesamt alle Maßnahmen zur Verhinderung von Unfällen unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen. Die Sicherheit im Straßenverkehr ist ein zentrales und auch dauerhaftes sowie langfristiges Anliegen der Niedersächsischen Landesregierung.

In dem Ziel, die Unfallzahlen zu reduzieren, stimmen wir alle überein, übrigens auch der Bund, der die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Straßenverkehrs besitzt, die Länder, die Kommunen und alle in diesem Bereich tätigen Institutionen und sowie viele tausende ehrenamtliche Helfer bei uns im Land.

Im Jahr 2001 sind die Verunglücktenzahlen in Niedersachsen gegenüber dem Jahr 2000 erheblich gesunken, und zwar um 11,7 %. Im Bundesdurchschnitt betrug das Minus 7,2 %. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes verlief die Entwicklung des Unfallgeschehens im Jahre 2001 in den einzelnen Bundesländern - wie kann es anders sein? ganz unterschiedlich. Während im Saarland, in Bayern und in Hessen mehr Verkehrsteilnehmer als im Jahr 2000 verunglückten, gab es in den übrigen Ländern, wie eben schon gesagt, deutlich weniger Verunglückte.

Bezogen auf die jeweiligen Einwohnerzahlen, verunglückten die meisten Personen in Bayern. Allerdings - da haben Sie Recht - trifft es zu, dass bei den schweren Unfällen je 1 Million Einwohner Niedersachsen nach Bayern bei den alten Ländern die höchste Quote aufweist. Dagegen wollen wir mit den eben angesprochenen langfristigen Ansätzen etwas tun. Ich will das kurz schildern.

Aus einer international vergleichbaren Zusammenstellung unfallstatistischer Daten, die ein schwedischer Wissenschaftler für das Jahr 1995 veröffentlicht hat, ist erkennbar, dass Deutschland in der Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen eine negative Spitzenstellung unter vergleichbaren Ländern einnimmt. Deutschland besitzt - das ist eine allgemein bekannte Erkenntnis - ein besonderes Problem in den Einstiegsjahrgängen der Pkw-Fahrer und Fahrerinnen.

Die VISION ZERO der schwedischen Regierung beruht nach meiner Kenntnis auf zwei wichtigen Säulen und Voraussetzungen. Erstens ist es der schwedischen Regierung gelungen, seit 1993 ein Modell mit hervorragenden Ergebnissen im Hinblick auf das Unfallrisiko der eben angesprochenen Fahranfänger vorzuweisen, nämlich eine Reduzierung um fast 40 %, also ein enormer Erfolg. Zweite Voraussetzung ist aber auch, dass die schwedische Regierung sämtliche gesetzgeberischen Kompetenzen in einer Hand bündelt und infolgedessen auch umsetzen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich teile die Auffassung, dass Verkehrsunfälle vermeidbar sind und dass wir alles dafür tun müssen, um die Voraussetzungen für die Vermeidung zu schaffen. Ich kann die in der Frage zum Ausdruck kommende Einschätzung nicht teilen, dass das Thema in der öffentlichen Meinung verdrängt wird. Ich kann auch die Einschätzung nicht teilen, dass die Einhaltung von Schutzvorschriften, beispielsweise in Tempo-30-Zonen - auch das ist angesprochen worden -, gar nicht überprüft werde. Das kann ich also so nicht nachvollziehen. Sicherlich kann die niedersächsische Polizei nicht alle Straßenabschnitte zu jeder Tages- und Nachtzeit dauerhaft kontrollieren. Sie muss sich auf die Unfallschwerpunkte konzentrieren, die überwiegend außer Orts liegen. Aber genau das tut sie. Ich teile auch nicht die Auffassung, dass die Missachtung von Geschwindigkeitsbeschränkungen und die Nötigung und Gefährdung von anderen Verkehrsteilnehmern in der Bevölkerung zunehmend als Kavaliersdelikte gelten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da etwa 90 % der Unfälle personenbezogene Ursachen haben, also auf persönliches Fehlverhalten zurückzuführen sind, hat die Landesregierung vor einigen Jahren begonnen, ein Gesamtkonzept im Bereich von Mobilität und für eine langfristige nachhaltige Reduzierung von Unfällen zu entwickeln. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Entschließung dieses Hauses vom 9. April 2002 mit dem Titel „Verkehrssicherheit unterstützen - Kontrollen verstärken“ und die von Ihnen erwähnte Entschließung zum begleitenden Fahren vom 12. Juni dieses Jahres.

Mit Erlass vom 3. September 2002 hat das Kultusministerium die Schulen gebeten, das Curriculum Mobilität bei der Ausgestaltung des neu geschaffenen gleichnamigen Lernbereichs - früher haben wir das „Verkehrserziehung“ genannt - umzusetzen. Dieser Lehrplan schafft die Grundlage für eine systematische kontinuierliche Auseinandersetzung mit diesem Thema, die vom Primarbereich bis zum Jahrgang 11 des Sekundarbereichs II reicht und neben den allgemein bildenden Schulen auch die berufsbildenden Schulen erfasst. Seit 1999 läuft die wissenschaftliche Begleitung des an einigen niedersächsischen Schulen angesiedelten Pilotprojekts „Kooperation Schule/Fahrschule“. Dieses Projekt wird von der Universität Gießen im Auftrage der Bundesanstalt für Straßenwesen begleitet. Der zu erstellende Bericht wird Anfang des kommenden Jahres erwartet.

Wie Sie wissen, habe ich mich außerdem für eine schnelle Umsetzung des von meinem Hause erarbeiteten Konzepts „Begleitendes Fahren ab 17“ eingesetzt, das die Diskussionsgrundlage einer zurzeit bei der Bundesanstalt für Straßenwesen eingerichteten Projektgruppe bildet. In diesem Gesamtkonzept - ich habe die einzelnen Punkte kurz angerissen - besitzt das Land allerdings nur für die Umsetzung des erwähnten Curriculums die alleinige Zuständigkeit. Bei allen anderen Punkten liegt die Zuständigkeit beim Bund.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu 1: Wie bereits ausgeführt, ist die Anzahl der schweren Unfälle, fasst man alle Personengruppen zusammen, in Dänemark höher als in Deutschland, in Schweden und Großbritannien jedoch niedriger. Auf welche Maßnahmen das niedrigere Unfallrisiko in Großbritannien zurückzuführen ist, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Dänemark will sich dem Vernehmen nach dem schwedischen Konzept anschließen. In Schweden wird der Rückgang der Unfallzahlen bei den Fahranfängern, auf den ich eben hingewiesen habe, auf die seit 1993 auf 16 Jahre abgesenkte Fahrausbildung mit einem hohen Anteil von Ausbildungsfahrten in Begleitung von Erwachsenen, überwiegend der Eltern, zurückgeführt. Deshalb steht das Stichwort „begleitendes Fahren“ auch im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Offensichtlich führt die Mitfahrt älterer Begleitpersonen - z. B. der Eltern - zu einer Reduzierung des Unfallrisikos. Außerdem erwirbt der Fahranfänger eine Fahrkompetenz, die später während der selbständigen Verkehrsteilnahme - ohne Begleitung - auch langfristig zu einer Reduzierung der Unfallzahlen führt.

Zu 2: Nach dem Gemeinsamen Runderlass des Innenministeriums und meines Hauses vom 23. Dezember 1999 sind Schulen und Eltern bei der Überprüfung der Schulwegsicherheit von den Unfallkommissionen - früher: Verkehrssicherheitskommissionen - zu beteiligen. Darüber hinaus kann jede Unfallkommission, in der die Polizei, die Verkehrsbehörde und das Straßenbauamt vertreten sind, selbstverständlich auch weitere Außenstehende zu Rate zu ziehen, um deren Gedanken und Vorschläge einfließen zu lassen. Eltern, Schülerinnen und Schüler, Kindergärtnerinnen und Kindergärtner können jederzeit von sich aus Anregungen und Wünsche an Polizeidienststellen, Verkehrsbehörden und Straßenbauämter herantragen.

Eine institutionalisierte Erweiterung des Gremiums würde den Entscheidungs- und Umsetzungsprozess weder beschleunigen noch inhaltlich verbessern, zumal eine Beschränkung auf die von Ihnen genannten Personengruppen nicht möglich wäre und bei einer Vielzahl von Teilnehmern die Gefahr besteht, dass eine effiziente Aufgabenerledigung dann nicht mehr erreicht werden könnte.

Zu 3: Die Beseitigung von Unfallschwerpunkten hat im Zuge der Planungs- und Bauaktivitäten der Straßenbauämter grundsätzlich Vorrang. Die von der Unfallkommission vorgeschlagenen Maßnahmen werden in der Regel zügig bzw., wenn es notwendig ist, schrittweise umgesetzt. Verzögerungen bei baulichen Maßnahmen - das ist ja nicht nur in diesem Kontext so - entstehen häufig durch die erforderlichen, zum Teil eben auch langwierigen Planungsverfahren, sodass, um Verkehrssicherheit herzustellen, in vielen Fällen Beschilderungen oder Ähnliches als Übergangslösung angeboten werden müssen.

Frau Ministerin, ich muss Sie einen Moment unterbrechen. Von der Geschäftsordnung her sind kurze Fragen und kurze Antworten vorgesehen.

(Beifall bei der CDU)

Sie denken bitte daran! - Bitte schön, Sie haben weiter das Wort!

Wir brauchen hier also häufig kurzfristige Lösungen, die man zunächst nur etwa in Form von Beschilderungen anbieten kann, bevor es dann in die langfristige Baumaßnahme geht.

Im niedersächsischen Haushalt befinden sich Finanzierungen von regulären Baumaßnahmen und Beseitigungen von Gefahrenstellen in einem Deckungskreis, sodass hier keine Probleme auftauchen dürften. - Vielen Dank.

Herr Kollege Wenzel, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Frau Ministerin Knorre, können Sie sich vorstellen, dass die Landesregierung einen ähnlichen Beschluss unterstützen würde, wie er 1997 im schwedischen Parlament gefasst wurde und der darauf hinausläuft, auf allen Ebenen der Verkehrsplanung als grundsätzliche Maxime das Ziel festzuschreiben, zu null Schwerverletzten und Toten im Straßenverkehr zu kommen?

Frau Ministerin, bitte schön!

Dieser Grundsatz hat jetzt schon bei allen unseren Planungen und Ausführungen von Baumaßnahmen Priorität. Ich habe das in der Antwort schon erläutert.

Im Übrigen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass, um den schwedischen Versuch 1 : 1 umsetzen zu können, die Gesetzgebungskompetenz insbesondere im Bereich der Straßenverkehrsordnung beim Land liegen müsste. Diese Kompetenz liegt, wie Sie wissen, beim Bund, und das ist auch der Grund, warum wir das nicht 1 : 1 umsetzen können. Aber da, wo wir als Land die Möglichkeit haben, initiativ zu werden - „Begleitendes Fahren ab 17“ und alle diese Dinge -, versuchen wir natürlich, auf bundesweiter Ebene Bewegung zu erzielen, auch um Kernelemente der von Ihnen genannten Versuche und Modelle in Schweden übertragen zu können. Ich halte gerade „Begleitendes Fahren ab 17“ angesichts der hervorragenden Ergebnisse für etwas, was wir dringend als Pilotprojekt angehen sollten.

Zur zweiten Frage, Herr Kollege Wenzel, bitte schön!

Frau Ministerin Knorre, da der Erlass zur Beteiligung von Kindergärten und Schulen in der Praxis offensichtlich nur sehr wenig beachtet wird, frage ich Sie: Halten Sie es nicht für einen entscheidenden Unterschied, ob die Eltern Mitglied dieses Gremiums, das am Ende über solche Maßnahmen entscheidet, sind oder ob sie nur angehört werden?

Einmal sind sie Anzuhörende, einmal sind sie Entscheidende. Darum geht es.

Vielen Dank. - Frau Ministerin, bitte schön!

Herr Wenzel, auch jetzt schon können sich Eltern an den Unfallkommissionen beteiligen und - das hatte ich eben auch gesagt - jederzeit Anregungen einbringen. Ich meine, wenn Eltern engagiert sind - es gibt viele Eltern, die sich für die Verkehrssicherheit engagieren -, dann engagieren sie sich in den ihnen offen stehenden Möglichkeiten, ob sie nun formell Mitglied einer Kommission sind oder nicht. Es gibt genügend Möglichkeiten bei uns im Land, dieses Engagement anzubringen, und das ist auch bei allen Behörden, die damit zu tun haben, ausdrücklich willkommen.

Vielen Dank. - Gibt es weitere Wortmeldungen? Das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zu

Frage 3: Trotz Haushaltsmisere: Kultusministerium erstellt und versendet aufwändige Broschüre zur „Selbständigen Schule“

Die Frage wird von der Kollegin Frau Vockert gestellt. Bitte schön, Frau Kollegin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen haben alle niedersächsischen Schulen mehrere Exemplare der vom Niedersächsischen Kultusministerium herausgegebenen Broschüre „Niedersachsen macht Schule mit der Selbständigen Schule“ erhalten. Angesichts der bekannten Haushaltsmisere des Landes stellt sich die Frage nach den damit verbundenen Kosten.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Kosten sind dem Land Niedersachsen a) durch Konzeption, Erstellung und Druck und b)

durch Versand insbesondere an die niedersächsischen Schulen entstanden?

2. In welcher Auflagenhöhe ist die Broschüre gedruckt worden, und wie viele Exemplare sind jeweils an die einzelnen Schulen versandt worden?

3. Wie kann es die Landesregierung angesichts der allseits bekannten Haushaltsmisere des Landes eigentlich verantworten, eine kostenaufwändige Broschüre zu erstellen und auch noch allen Schulen des Landes mit entsprechendem Kostenaufwand zu übermitteln?

Vielen Dank. - Frau Ministerin, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Selbstständigen Schule will die Niedersächsische Landesregierung die Schulqualität entscheidend verbessern. Die PISA-Studie, aber auch andere internationale Bildungsstudien haben deutlich gezeigt, wie dringend notwendig dies ist. Wichtigstes Ziel der Selbstständigen Schule ist es, sowohl die lernstarken als auch die lernschwachen Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern und sie ohne unnötigen Zeitverlust zu einem möglichst hochwertigen Schulabschluss zu führen.

Die Selbstständige Schule ist für den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler sozusagen selbst verantwortlich. Sie schafft dafür ein unterstützendes und herausforderndes pädagogisches Klima und pflegt im Kollegium sowie mit den Eltern und anderen Beteiligten eine enge und auf verbindliche Absprachen gestützte Zusammenarbeit. Mit mehr Selbstständigkeit für die Schulen sollen eine nachweisbare Leistungsverbesserung und eine Kompetenzerweiterung der Schülerinnen und Schüler gelingen.

Mit der Selbstständigen Schule beschreitet die Niedersächsische Landesregierung einen neuen Weg der Qualitätsverbesserung, bei dem die Schulen möglichst viel Gestaltungsfreiheit haben, aber auch nachweisbar die Leistungen verbessern müssen. Gedacht ist z. B. an die Verbesserung der Ergebnisse von Abschlussprüfungen oder Vergleichsarbeiten, die Senkung der Quoten der Zurückgestellten, der Wiederholer, der Abbrecher und der Schulschwänzer sowie der Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die ohne Abschluss bleiben. Im Gegenzug verpflichtet sich die Be

zirksregierung, die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Der Umbau der Schulen geschieht selbstverständlich unter intensiver Partizipation der an der Schule Beteiligten. Ich hoffe, darin sind wir uns auch einig, dass das nur so funktionieren wird. Voraussetzung zur fachlichen Beratung ist eine umfassende Information. Um diesen Bedarf zu bedienen, hat das Kultusministerium eine Reihe von Informationsbroschüren geplant. Heft 1 beschäftigt sich mit der Zielperspektive. Heft 2, das gerade im Entstehen ist, wird die Musterverträge zwischen Schulen und Bezirksregierungen sowie Schule, Eltern und Schüler enthalten.

Neben dem Versand per Post ist die Broschüre auch zum Herunterladen ins Internet eingestellt worden.